Das Buch
Titel: Ich vernichte Dich
Autor: Brad Parks
erschienen: 28.11.2018
Verlag: Fischer
Genre: Thriller
Zeit: Gegenwart
ISBN: 978-3-596-70225-1
Ich habe dieses Buch mit den Worten „Das kannst Du nicht wieder zur Seite legen, bis Du die letzte Seite gelesen hast!“ empfohlen bekommen. Kein Zweifel, dem ist wirklich so!
Allein schon der Titel des Buches macht die erste Gänsehaut und die Frage steht im Raum, wer hier wen vernichten will und vor allem warum. Der Titel klingt so endgültig und passt definitiv zur Handlung. Das Cover ist irgendwie düster mit der Haushälfte die in seltsamem Licht liegt. Auch wenn ich das Buch nicht empfohlen bekommen hätte, hätte ich in der Buchhandlung – ohne den Namen des Autors zu kennen – zugegriffen. Denn auch der Klappentext lässt den Schluss zu, dass hier eine große Geschichte wartet.
Worum geht’s?
Meggie Barrick ist eine fleißige, junge Mutter, deren gewohntes Leben eines Tages zusammen bricht. Ihr wenige Monate altes Kind wurde vom Sozialamt aus der Tagespflege geholt, ihr Haus von der Polizei durchsucht und niemand will ihr offenbar sagen, warum all das passiert. Das Sozialamt offeriert ihr schließlich, dass sie ihren Sohn Alex in ihre Obhut genommen haben, weil Meggie im Verdacht steht mit großen Mengen Drogen zu handeln und ihr Kind zum Verkauf angeboten hätte. Als sie daraufhin im Sozialamt ausrastet, wird sie wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt das erste Mal festgenommen. Meggie kann das alles nicht fassen, fühlt sich machtlos, denn sie selbst behauptet unschuldig zu sein. Aber niemand will ihr glauben.
Die Perspektiven
Die Geschichte besteht aus zwei Hauptsträngen. Der eine wird von Meggie in der ich-Form erzählt. Sie berichtet von den unfassbaren Ereignissen, die ihr widerfahren, vom ersten Moment an, in dem sie ihren Sohn abholen will und dieser nicht mehr in der Tagespflege ist. In Rückblenden, die stets als Erinnerungen geschrieben sind, erzählt sie aus ihrer eigenen Kindheit, die alles andere als glücklich war und so begreift man recht schnell, warum sie so unbedingt ihren Sohn aus „dem System“, welches sie nur all zu gut kennt, heraus halten muss.
Der andere Strang erzählt von Amy Kaye der stellvertretenden Bezirksstaatsanwältin, die seit mehr als 3 Jahren versucht, eine Vergewaltigungsserie aufzuklären. Der Täter ist nur als der Flüsterer bekannt und sie schafft es trotz einer sehr langen Serie, die bisher nicht beendet ist, nicht ihn zu identifizieren und festzusetzen. Eines der Opfer des Flüsterer heißt Meggie Barrick. Dieser Strang wird in der 3. Person erzählt.
Durch die unterschiedlichen Perspektiven ist es einfach beide Erzählstränge auseinander zu halten und jeder für sich wäre eigentlich schon spannend genug. Die Verknüpfung dieser beiden Stränge führt zu einem andauernden Spannungsbogen, von dem ich das Gefühl hatte, dass er nie abreißt. Eine wirkliche Verschnaufpause gibt es nicht.
Die Charaktere
Meggie Barrick hatte ich bereits auf den ersten Seiten des Buches ins Herz geschlossen. Ohne zu diesem Zeitpunkt ihre Odyssee der Kindheit zu kennen, habe ich mit ihr die Ohnmacht gefühlt, als sie ihr Kind abholen wollte und dieses nicht mehr bei der Tagesmutter war. Die einzige Auskunft, die sie von der Tagesmutter bekommt ist: „Sie haben mir alles über sie erzählt.“ Und sofort fing in meinem Kopf die Maschinerie an zu rattern. Was alles? Und wer hat es erzählt? Was genau ist eigentlich passiert?
Meggie ist eine wirklich starke, beeindruckende Frau. Aus „dem System“ (des Sozialamtes) hat sie sich hochgearbeitet. Hat einen guten Job, einen liebevollen Ehemann, ein süßes Baby, ein Haus – ein gutes Leben eben. All das bricht an einem Tag wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Statt sich jedoch in Selbstmitleid zu ergehen, kämpft sie einen zunächst aussichtslosen Kampf.
Dieser Charakter ist so gut geschrieben, dass man meinen könnte, man liest die Geschichte einer Freundin. Ich konnte mir Meggie in ihrer Verzweiflung und ihrer Wut, in ihrer Liebe zu Alex und Ben – ihrem Ehemann – dem Hass ihren Eltern gegenüber wunderbar vorstellen. Und der Leser kann sich der Sympathie für diese Frau nicht entziehen.
Amy Kaye – stellvertretende Bezirksstaatsanwältin – ist eine nicht minder starke Frau. Der Konflikt, in den sie stürzt, als sie merkt, dass sie Meggie einerseits im Vergewaltigungsfall vertritt und andererseits im Drogenfall anklagen soll, ist absolut greifbar. Im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen – sowohl im Büro des Sheriffs als auch in der Staatsanwaltschaft – ist sie die Einzige, die Meggie nicht einfach verurteilt, sondern wirklich versucht zu verstehen was passiert ist und sich in Meggie hineinzuversetzen. Eben diese Menschlichkeit macht mir diesen Charakter überaus sympathisch. Nicht zuletzt auch deshalb, weil ihr Chef Aaron Dansby einzig und allein darauf aus ist, Meggie möglichst schnell den Prozess zu machen um seine Wiederwahl zum Bezirksstaatsanwalt zu gewinnen.
Meggies Anwalt Mr. Honeywell machte am Anfang auf mich einen sehr seltsamen Eindruck. Zunächst dachte ich... naja, ist halt ein Pflichtverteidiger, von dem ist nicht viel zu erwarten. Aber dann bekommt dieser Charakter plötzlich eine völlig andere Rolle und mehr als einmal habe ich die Augen aufgerissen und dachte... ach was. Er und Meggie bauen sehr langsam und vor allem sehr leise eine recht persönliche Bindung zueinander auf, die es mir möglich gemacht hat zu verstehen, was die beiden offenbar verbindet, obwohl sie sich bis zu diesem Fall nie begegnet sind. Dadurch wirkt die Rolle des Mr. Honeywell sehr menschlich und wenig distanziert.
Generell habe ich alle Charaktere der Geschichte als authentisch empfunden. Und auch wenn die Handlung als solche für das ganz reale Leben sicherlich too much ist, so habe ich sie im Rahmen dieses Buches und im Zusammenhang mit den Figuren als absolut glaubwürdig empfunden.
Der Schreibstil
Brad Parks schreibt großartig! Jedenfalls empfinde ich das so. Der Text ist leicht zu lesen, sodass es einfach ist, in die Geschichte einzutauchen, die er flüssig und temporeich erzählt. Ich hatte nie das Gefühl, dass die Spannung irgendwo hängt. Vielmehr ist es so, dass ich jederzeit das Gefühl hatte, jetzt müsse gleich ein großer Knall kommen. Es gelingt ihm beim Leser die Gefühle zu platzieren, die für die Stelle im Buch gerade passend sind. Die Panik, die Meggie gefühlt haben muss, als sie das Verschwinden ihres Kindes bemerkte, die Zerrissenheit Amys in ihrem persönlichen Konflikt, die Hoffnungslosigkeit, als Meggie Ben ziehen lässt um ihm nicht länger bei seiner Karriere im Weg zu stehen usw. usf. Die Fülle der Emotionen, die Brad Parks auszulösen versteht, ist schier unerschöpflich.
Und auch wenn ich ab einer bestimmten Stelle einen Verdacht in Bezug auf den Täter – oder einen möglichen Kreis, aus dem der Täter stammen könnte – hatte, hat es sehr lange gedauert, bis mir klar war, wer hier Meggie vernichten will und vor allem warum.
Fazit:
Wer dieses Buch anfängt und vor Seite 473 aufhört zu lesen, hat kein Herz! Brad Parks nimmt den Leser mit auf eine Reise durch alle Gefühle, durch alle Unmöglichkeiten des amerikanischen Sozialsystems und lässt ihm keine Ruhe, bis am Ende der Gerechtigkeit Genüge getan ist. Von mir gibt es deshalb eine klare Empfehlung und 5 von 5 Sternen!