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Veröffentlicht am 23.09.2021

Starke Frauen und ihr Kampf

Der Schattenkönig
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Bei militärischen Konflikten aus den 1930-er und 40-er Jahren denken die meisten von uns vermutlich als erstes an den Zweiten Weltkrieg. Nicht so Maaza Mengiste, die Autorin des historischen Romans "Der ...

Bei militärischen Konflikten aus den 1930-er und 40-er Jahren denken die meisten von uns vermutlich als erstes an den Zweiten Weltkrieg. Nicht so Maaza Mengiste, die Autorin des historischen Romans "Der Schattenkönig". Kein Wunder - die Invasion von Truppen aus dem faschistischen Italien in Äthiopien, dem einzigen nicht von Kolonialismus betroffenen Landes in Afrika, stellte eine Zäsur in dem Land am Horn von Afrika dar.

Mengiste war noch ein Kind im Vorschulalter, als ihre Familie aus Äthiopien floh vor dem damaligen Regime, heute lebt sie in New York. Beim Lesen des Romans, an dem Mengiste zehn Jahre lang arbeitete, wird klar, dass die Geschichte ihres Heimatlandes sie auch im Exil beschäftigte. Doch "der Schattenkönig" ist mehr als ein Roman über einen Krieg, denn vor allem verdeutlicht er Sozialstrukturen und Genderrollen, eine Welt, in der Männer Herrscher sind und starke Frauen sich eine Nische erkämpfen müssen, wenn sie sich nicht mit der zugeschriebenen Rolle begnügen wollen.

Die beiden Protagonistinnen Aster und Hirut verkörpern das auf unterschiedliche Weise. Denn in der Feudalgesellschaft des alten Äthiopien steht Aster zur Aristokratie, hat Bildung genossen, ist stolz auf ihren sozialen Status. Doch die Geburt in eine sozial hoch stehende Familie hat sie nicht davor bewahrt, schon als junges Mädchen standesgemäß verheiratet zu werden, ihre Ehe begann mit einer Vergewaltigung in der Hochzeitsnacht. Doch Aster ist nicht mehr das verängstigte Mädchen von damals.

Das Dienstmädchen Hirut wiederum, früh verwaist, ist in die Armut hineingeboren, konnte nicht zur Schule gehen und wird von Aster wie eine Leibeigene behandelt. Dennoch zeigt Hirut Selbstbewusstsein, wenn sie immer wieder die Herausgabe des alten Gewehr fordert, dass das einzige Erbe ist, das sie von ihrem Vater hat, und das Asters Mann ihr weggenommen hat, um die äthiopischen Truppen zu bewaffnen.

Während der Kaiser Haile Selassie angesichts militärischer Erfolge der Italiener ins Exil geht, wird der Krieg für Aster zu einem Akt der Selbstbefreiung und der Selbstermächtigung. Denn Aster zieht Männerkleidung an und beginnt, Frauen für den Kampf zu rekrutieren - gegen den Widerstand der Männer. Auch Hirut will unter Beweis stellen, dass sie den Männern an Mut und Kampfgeist nicht nachsteht. Ironischerweise ist auch der wichtigste Spion der Äthiopier eine Frau. Doch es ist ausgerechnet Hirut, die den Mut der nach der Flucht Haile Selassies verzagten Äthiopier wieder anzufachen, indem sie einen einfachen Bauern überzeugt, angesichts seiner überraschenden Ähnlichkeit mit dem Kaiser den "Schattenkönig" zu mimen.

Als Gegenspieler der kämpfenden Äthiopier zeichnet Mengiste einen italienischen Offizier, der mit dem Beinamen "Schlächter von Bengasi" nach Äthiopien kommt und auch dort durch Gräueltaten und Kriegsverbrechen berüchtigt word. Verständnisvoll zeigt er sich nur im Umgang mit dem Offizier, der als Fotograf den Krieg dokumentieren soll. Seine Fotos sind für den Offizier Kriegstrophäen, die er mit den Statuen der alten Römer vergleicht.

Die Kriegsschilderungen sind nichts für zarte Gemüter. Als Aster und Hirut nach einem riskanten Einsatz in Gefangenschaft geraten, sind sie vor allem als Frauen und nicht als Kombattantinnen Misshandlungen ausgeliefert. Zugleich muss sich der Fotograf mit der Erkenntnis auseinandersetzen, dass seine Eltern, die nie über Religion oder Herkunft gesprochen haben, Juden sind - ein Umstand, der selbst im fernen Afrika seine Existenz bedroht. Der Übergang von Tätern und Opfern ist mitunter fließend.

Faschismus, Sexismus, Feudalismus - Mengiste vereint in ihrem Buch den großen historischen Wurf mit berührenden Geschichten über einfache Menschem und ihren Schicksalen. Es sind vor allem die Frauenfiguren, die ihr Buch nachhaltig prägen, aber auch die Bauern, die von ihren Feldern in den Krieg ziehen müssen. Eingebettet ist die während der italienischen Invasion spielende Kernhandlung in eine Rahmenhandlung während der "roten Revolution" in Äthiopien, in der die alt gewordene Hirut noch einmal die Begegnung mit einem einstigen Gegner hinter sich bringen muss, um endgültig mit der Vergangenheit abzuschließen.

Auch wenn "der Schattenkönig" für die meisten Leser viel Unbekanntes beinhalten mag, lohnt sich die Annäherung an ein schwieriges Thema. Denn Mengiste beeindruckt mit diesem Buch, das Fragen aufwirft nach denjenigen, die keinen Platz in den Geschichtsbüchern finden und die doch zu den Gestaltern des eigenen Schicksals werden wollen. Sie habe die Leerstellen des offiziellen Narrativs füllen wollen, sagte sie, als ich kürzlich Gelegenheit hatte, mit ihr über das Buch zu sprechen. Denn die Geschichten über den Krieg, den sie etwa aus den Erzählungen der Frauen ihrer Familie kannte, hatten in den offiziellen Darstellungen bisher keinen Platz. Mit ihrem Buch, das sich zu Recht auf der Shortlist des Booker-Preises befand, will sie das ändern.

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Veröffentlicht am 15.09.2021

Identitäten, ZUschreibungen und ein Skandal

Identitti
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Ironische Distanz ist in der seit einiger Zeit laufenden Debatte um Identitätspolitik eher selten, eine gewisse Verbissenheit und Selbstgerechtigkeit dagegen leider ziemlich häufig. Das macht die Lektüre ...

Ironische Distanz ist in der seit einiger Zeit laufenden Debatte um Identitätspolitik eher selten, eine gewisse Verbissenheit und Selbstgerechtigkeit dagegen leider ziemlich häufig. Das macht die Lektüre von Mithu Sanyals Roman "Identitti", nun auch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2021, so erfrischend anders. Denn ja, man kann mit schrägem Humor und einem gewissen Augenzwinkern über Selbst- und Fremdwahrnehmung, Identitätszuschreibung und Suche nach Wurzeln schreiben und trotzdem das Thema ernst nehmen. Sanyal, bisher Sachbuchautorin, hat das in ihrem Romandebüt klar bewiesen.

Die Frage "Woher kommst du?" nervt die aus dem Ruhrgebiet stammende und in Düsseldorf studierende Nivedita schon lange. Die Frage, wer und was sie eigentlich ist, beschäftigt die Tochter einer deutschen Mutter mit polnischen Wurzeln und eines indischen Vaters schon seit ihrer Kindheit, Wie gerne wäre sie doch ein richtiges indisches Mädchen, was irgendwie viel cooler ist als Ruhrgebietsdeutsche. Allein, bei der Verwandtschaft in Birmingham wird sie als "coconut" wahrgenommen - außen braun, innen weiß. Cousine Prita ist da viel indischer, und auch die Rassismuserfahrungen sowohl der britischen Verwandtschaft als auch der Elterngeneration sind viel drastischer gewesen, so dass sich die Millenial-Studentin der Postcolonial Studies und unter dem Namen Identitti über Rassismus, Identität und Brüste bloggende Nivedita nicht ernst genug genommen fühlt, das Gefühl hat, beim Thema Diskriminiserungserfahrung nicht wirklich mithalten zu können.

Immerhin: Sie hat Saraswati, Professorin für Postcolonial Studies und der Dreh- und Angelpunkt ihres akademischen Lebens. Die Professorin, die im ersten Semester alle Weißen aus dem Seminar geschmissen hat und nur BiPoC in ihrer Klasse duldete. Doch wo beginnt ein BiPoC, und wo endet das Weißsein? Im Fall von Saraswati, so stellt sich zu Niveditas Schrecken heraus, ist das in Personalunion der Fall. Die stets in Dupatta auftretende charismatische Professorin wurde als - weiße - Sara Vera geboren und hat sich als Saraswati komplett neu erfunden.

Der Fall erinnert an den Fall Rachel Dolezal in den USA. Die angebliche afroamerikanische Bürgerrechtsaktivistin wurde als Weiße geoutet. Wie im damaligen Fall erntet auch Saraswati in sozialen Medien und im Alltag einen Shitstorm, der für Nivedita wie der Chor einer griechischen Tragödie ist. Die wütende, verwirrte, verletzte und nach Antworten suchende Studentin nistet sich im Gästezimmer der Professorin ein, versucht die Motive zu ergründen, gerät selbst in die Kritik.

Can you say good bye to it all? In diesem Fall zum Weißsein? Saraswati kommt mit dem Begriff des "transracial". Wenn Geschlecht eine Frage nicht des Aussehens, sondern des eigenen Identitätsgefühls, wenn dieser inere Zustand auch durch eine äußere Wandlung vollzogen werden kann - kann das nicht auch für Weißsein gelten? Und sind Weiße per se dazu verdammt, rassistisch zu sein, während BiPoC die Erfahrung von Schmerz und Diskriminierung exklusiv haben? Was ist etwa mit migrantischen Weißen? Und wer hat die Deutungshoheit über den Begriff BiPoC? Es ist kein Zufall, das Sarawati auf einer Demonstration ihre einstige Starstudentin Oluchi - deutsche Mutter, nigerianischer Vater, der sich schon vor ihrer Geburt aus dem Staub gemacht hat, am meisten trifft, als sie ihr entgegenschleudert: Wenn du durch die Straßen von Lagos gingst, würdest du als weiße deutsche Touristin wahrgenommen.

Die Fragen und Thmen, mit denen sich Sanyal in Identitti beschäftigt sind real und ernst. Dass sie es schafft, einen leichten Ton zu finden und auf Pathos zu verzichten, macht das Buch nicht nur lesenswert, sondern auch unterhaltsam. Und als besonderes Highlight gibt es darin die inneren Dialoge zwischen Nivedita und der Göttin Kali, die ebenfalls ihre Kommentare abgibt.

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Veröffentlicht am 05.09.2021

Glauben, Wissenschaft und die Geheimnisse des Gehirns

Ein erhabenes Königreich
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In ihrem Debütroman "Heimkehren" folgte die amerikanisch-ghanaische Autorin Yaa Gyasi mehreren Generationen einer Familie zwischen Goldküste und Amerika, zwischen Versklavung und dem Leben in Westafrika. ...

In ihrem Debütroman "Heimkehren" folgte die amerikanisch-ghanaische Autorin Yaa Gyasi mehreren Generationen einer Familie zwischen Goldküste und Amerika, zwischen Versklavung und dem Leben in Westafrika. "Ein erhabenes Königreich" ist weniger epochal angelegt, behandelt aber ebenfalls afroamerikanische Diasporaerfahrung und die besonderen Herausforderungen für eine junge Frau, die als Kind von Einwanderern, einer alleinerziehenden schwarzen Mutter und mit der Erfahrung des frühen Drogentods ihres älteren Bruders eine wissenschaftliche Karriere anstrebt.

Gifty, die Ich-Erzählerin, ist in einer Kleinstadt in Alabama aufgewachsen, wo ihre Mutter Mitglied einer evangelikalen Kirchengemeinde war. Der Vater ist schon früh nach Ghana zurückgekehrt, hat dort eine neue Familie gegründet - doch Gifty hat nur vage Erinnerungen an ihn. Obwohl in den Südstaaten aufgewachsen, sind Gifty und ihre Familie die einzigen Schwarzen in der Gemeinde und in der Nachbarschaft (das fand ich angesichts der Bevölkerungszusammensetzung in den Südstaaten jetzt wenig plausibel, aber nun ja) und erst nach und nach, als ihr Bruder, ein hoffnungsvoller Basketballspieler nach einem Sportunfall starke Schmerzmittel erhält und in die Sucht abgleitet, hört sie die Bemerkungen über "diese Leute" und registriert, dass Schwarze gemeint sind.

Giftys Mutter hält an ihrer Muttersprache Twi, an ghanaischer Küche und afrikanischer Kleidung fest, während sie sich in Pflegejobs abrackert. Nach dem Tod des Sohnes an einer Überdosis versinkt sie in einer schweren Depression, muss in klinische Behandlung - und Gifty muss einen Sommer lang zu der bislang unbekannten Verwandtschaft nach Ghana. Die Begegnung mit den afrikanischen Wurzeln ist für Gifty ein Kulturschock - sie hadert mit der Sprache, vermisst ein ordentliches Badezimmer mit funktionierender Dusche und auf dem Marktstand ihrer Tante zu arbeiten ist für sie eine völlig neue Erfahrung, ebenso wie die evangelikalen Gottesdienste in Ghana, gegen die sich die ihrer Heimatgemeinde in Alabama deutlich unemotionaler abfallen.

Doch während Gifty heranwächst, hadert sie mit ihrem Glauben. An der Universität muss sie erkennen, das Religion und Religiosität belächelt werden - mit einer einzigen Bemerkung ist sie bei ihrer Arbeitsgruppe als "Jesus-Freak" unten durch. In einer entscheidenden Phase ihrer Promotion kommt die Mutter unangemeldet zu Besuch, erneut depressiv und weigert sich zu reden und zu essen.

Während Gifty darum kämpft, ihre Mutter zu motivieren, das Bett zu verlassen und sich wieder dem Leben zu stellen, reflektiert sie die Vergangenheit ihrer Familie, die Herausforderungen ihres Lebens, den Ehrgeiz, sich und anderen beweisen zu müssen, die beste zu sein. Der Feminismus einer Freundin ist ihr dabei fremd - sie will Top-Naturwissenschaftlerin sein, nicht spezifisch in ihrer Rolle als Frau oder Schwarze. Dennoch ist sie nicht blind für ihre Umgebung an der Elite-Universität Stanford, wo die weißen Männer klar in der Überzahl sind.

Laut herausgebrüllte Gesellschaftskritik ist nicht die Sache der Autorin, Selbstgerechtigkeit wie in so manchem gut gemeinten, aber nicht unbedingt gut gemachten Buch über Rassismuserfahrungen ebensowenig. Dafür überzeugt sie mit klugen Beobachtungen, genauem Blick und einer überzeugenden Protagonistin mit Ecken und Kanten, die sich ihrer eigenen Sozialisation stellt und nicht nur wissenschaftliche Antworten sucht sondern auch eine vorsichtige Annäherung an ihre einstige Spiritualität. Kein Buch der einfachen Lösungen und Schwarz-Weiß-Malereien, sondern vielschichtig und ausgesprochen lesenswert.

Veröffentlicht am 08.08.2021

Tod in den Hügeln von Kentucky

Unbarmherziges Land
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Es ist ein anderes, ein archaisches Amerika, in das Chris Offutt die Leser in seinem Kentucky-Krimi "Unbarmherziges Land" führt. Der Titel verheißt schon - es geht nicht um skurrile Hillbillies, die ...

Es ist ein anderes, ein archaisches Amerika, in das Chris Offutt die Leser in seinem Kentucky-Krimi "Unbarmherziges Land" führt. Der Titel verheißt schon - es geht nicht um skurrile Hillbillies, die in den Hügeln schwarzgebrannten Whisky brennen und ein wenig unterbelichtet sind, da Hochzeiten vorwiegend im engeren Familienkreis stattfinden. Familie und Familienehre wird gleichwohl großgeschrieben, Blutrache gibt es immer noch, und um die Menschen in den Hügeln zum Reden zu bewegen, ist ähnlich herausfordernd, wie das Prinzip der Omertá zu durchbrechen.

Weil Familie alles ist, klemmt sich der Militärermittler Mick Hardin hinter einen Fall, der gar nicht seiner ist: Seine Schwester Linda ist Sherriff, die erste Frau, die diesen Job innehat, und manche Gespräche müssen auch heute noch von Mann zu Mann geführt werden in Kentucky. Zudem können die Ermittlungen zum Tod einer Frau, die im Wald gefunden wurde, Hardin von seinem ganz eigenen Dilemma ablenken: Seine Frau ist hochschwanger, dass er Vater wird, hat ihm Linda mitgeteilt. Dabei, so weiß Mick nach einem Gespräch mit seiner Frau, ist unklar, wer der Vater des Kindes ist - der Grund für das Schweigen,das nun zwischen dem Paar noch tiefer geworden ist.

Es ist ein ungewöhnlicher Kriminalroman, zugleich das Porträt eines zurückhaltenden, misstrauischen und sehr eigenen Menschenschlags, der da in oft bitterer Armut in den Hügeln der Appalachen lebt. Die Lebenserwartung, Gesundheitsversorgung und Bildungschancen sind niedriger als anderswo in den Staaten, die Menschen wissen, sie können sich nur auf sich selbst und ihre Angehörigen verlassen, Fremde werden mit Misstrauen betrachtet, auch wenn sie Polizisten sind und auch Großmütter sitzen im Zweifelsfall mit einer geladenen Waffe im Schaukelstuhl auf der Veranda und sollten daher nur mit großer Vorsicht und Respekt angegangen werden.

Mick Hardin kennt die Mentalität der Menschen, er hat Einsäze in Afghanistan und im Irak überlebt. Angesichts der etwas unorthodoxen Familienverhältnisse ist er nicht bei seiner Mutter und Linda aufgewachsen, sondern in der Blockhütte seines Großvaters. Er weiß, wie die Menschen in den Hügeln ticken. Mick bei seinen Ermittlungen als Leser zu begleiten, das ist ein bißchen wie eine anthropologische Forschungsreise in eine ganz andere Welt. Mag es auch vordergründig um die Arbeit an dem Fall gehen, so zeichnet Offutt das Psychogramm einer Gesellschaft, in der zwar viele eine ganze Menge über den Fall wie ihre Mitmenschen im allgemeinen wissen, aber überhaupt nicht daran denken, etwas zu sagen. Ein zu Lindas Unwillen hinzugeholter FBI-Ermittler macht es den Geschwistern nicht einfacher.

"Unbarmherziges Land" ist ein unerwarteter, ungewöhnlicher Kriminalroman, geprägt vom Misstrauen aller, dem gegenseitigen Belauern, dem Wissen, das die Regeln der Menschen und die Regeln des Gesetzes nicht immer miteinander vereinbar sind. Der lakonische Schreibstil und der eher einsilbige, schweigsame Protagonist, der es so schwer findet, über Gefühle zu reden oder sie auch nur bei sich zutulassen, passen da gut zusammen und prägen diesen Kentucky Noir.

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Veröffentlicht am 08.07.2021

Zwei Frauen und ihre Toten

Schicksal
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Zeruya Shalevs Roman heißt "Schicksal", aber er könnte genausogut "Schweigen" heißen, denn ihre Protagonistinnen haben sich in ihrem Leben und in ihren Beziehungen vielleicht allzu sehr mit Schweigsamkeit, ...

Zeruya Shalevs Roman heißt "Schicksal", aber er könnte genausogut "Schweigen" heißen, denn ihre Protagonistinnen haben sich in ihrem Leben und in ihren Beziehungen vielleicht allzu sehr mit Schweigsamkeit, Verschweigen und Sprachlosigkeit eingerichtet. So steht die Architektin Atara vor verschlossener Tür, als sie die über 90jährige Rachel besucht, um Antworten zu finden, die sie seit ihrer Kindheit umtreiben.

Die beiden Frauen haben sich nie zuvor getroffen. Sie gehören zwei Generationen an und könnten kaum unterschiedlicher sein: Atara, fast 50, gehört zu den städtischen Intellektuellen Israels, lebt mit ihrer Patchworkfamilie in der Hafenstadt Haifa, ihre beste Freundin und Büropartnerin ist eine arabische Israelin.

Rachel dagegen lebt in einer Siedlung in der Wüste, in den besetzten Gebieten - eine Tatsache, die immer wieder zu Streit mit ihrem ältesten Sohn führt, der die Siedlungspolitik und die Besatzung palästinensischer Gebiete strikt ablehnt. Ihr jüngerer Sohn, der einer ultraorthodoxen Glaubensgemeinschaft angehört, ist im Umgang mit der Mutter zwar versöhnlicher, doch die Enkelkinder zu Besuchen mitzunehmen, vermeidet er. Er will seine Kinder keiner Gefahr aussetzen auf der Fahrt in das umstrittene Dorf. Als Jugendliche gehörte Rachel, noch während der britischen Mandatszeit, der Untergrundorganisation Lechi an, beteiligte sich Anschlägen auf britische Soldaten, saß im Gefängnis. Sie empfindet noch immer Groll gegen das israelische Establishment, das die Toten der Lechi nicht ehrt, weil diese auch von anderen Untergrundorganisationen als zu radikal empfunden wurden.

Menachem, genannt Meno, ist das verbindende Element zwischen den beiden Frauen: Rachels erster Ehemann und Ataras Vater. Von Rachel ließ er sich Knall auf Fall scheiden, verweigerte ihr sogar eine Aussprache. Rachels Söhne stammen aus der zweiten Ehe. Atara weiß nur wenig über die erste Frau ihres Vaters, doch sie versucht zu ergründen, warum ihr Vater sie so grausam behandelte, beschimpfte, an den Haaren riss. Kurz vor seinem Tod sprach er Atara mit "Rachel" an. Ist es die Ähnlichkeit Ataras mit der jungem Rachel, die die Ressentiments auslöste?

Obwohl sich ihr Mann Alex nicht gut fühlt, fährt Atara ein weiteres Mal zu Rachel. Als Alex völlig überraschend stirbt, versinkt sie in Trauer und Schuldgefühlen. Hätte sie nicht erkennen müssen, wie schlecht es ihm ging? Warum hat sie ihm nicht oft genug gesagt, was sie für ihn empfand, ließ die Ehe stattdessen in Routine und Streit erstarren?

"Schicksal" ist ein Buch, auf das man sich einlassen muss - wegen der scheinbar handlungsarmen Abschnitte, in denen es nur um das Innenleben der Protagonistinnen geht. Auch sind Atara und Rachel keine Sympathieträgerinnen auf den ersten Blick. Sprachlich ist "Schicksal" großartig, Shalev schreibt kraftvoll und voller Ausdruck, verwendet Sprachbilder und Anspielungen auf biblische Traditionen - etwa wenn Rachel darüber sinnt, dass die Lechi wie der sprichwörtliche Sündenbock waren, der am Versöhungstag Yom Kippur in die Wüste gejagt wurde.

Die hitzigen Diskussionen und Streitigkeiten in den Familien Rachels und Ataras spiegeln auch die Risse und Strömungen der israelischen Gesellschaft. Auch wenn es in "Schicksal" um das Private geht, spielt so auch die Zeitgeschichte immer mit hinein. Kein leichter Roman, aber einer, der auch dem ausländischen Leser/Hörer eine Brücke ins moderne Israel baut.

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