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Veröffentlicht am 04.09.2017

Vom wahren Selbst

Ein perfekter Freund
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Ich habe das Hörbuch gehört, die sog. "Brigitte-Edition" von Random House Audio.


Journalist Fabio Rossi macht sich so seine Gedanken, als er im Krankenhaus erwacht, in das er mit diversen Kopfverletzungen ...

Ich habe das Hörbuch gehört, die sog. "Brigitte-Edition" von Random House Audio.


Journalist Fabio Rossi macht sich so seine Gedanken, als er im Krankenhaus erwacht, in das er mit diversen Kopfverletzungen eingeliefert wurde. Dumm nur: er erinnert sich nicht, wie er dorthin gekommen ist und warum. Auch die Frau, die ihn besucht, kennt er nicht, dabei ist sie seine Freundin. Doch wo ist wirklich seine Freundin? Gut nur, dass sein bester Freund erreichbar ist. Oder? Alles, was er sicher glaubt, scheint nicht mehr verlässlich. Und das ist erst der Anfang, denn er soll für die Zeitung einer großen Sache auf der Spur gewesen sein.

„Ein perfekter Freund“ gestaltete sich überraschend als perfekter Hörgenuss vorgetragen von Sebastian Koch, eine 4-CD-Box, die völlig zu unrecht einige Zeit im Schrank verbracht hatte. Der Klappentext weist die Geschichte als Psychokrimi aus – ich würde es eher als einen Zwitter zwischen psychologischem Roman und Gesellschaftskrimi ansehen, nur um keine falsche Erwartungshaltung zu wecken. Der Tonfall ist direkt, kein Wunder, man nimmt ihn dem zwischen Verstörung und Wut schwankenden Rossi ab, der nach seiner Verletzung plötzlich das Gefühl haben muss, im falschen Leben aufgewacht zu sein. Ihm fehlen 50 Tage, und es scheinen nicht die gewesen zu sein, an denen er der angenehmste Zeitgenosse gewesen ist.

Doch bald stellt er fest, dass auch um ihn herum einige Doppelbödigkeiten zu existieren scheinen, einige davon von gefährlicher Natur. Doch was ist wirklich, was nicht? Parallel zu seiner Rekonvaleszens-Therapie versucht er, sich die Realität zurück zu erarbeiten, denn wie sagt sein Psychiater Dr. Vogel: „In jedem von uns steckt das Gegenteil seiner Selbst. Und fast jeder kommt in seinem Leben einmal an einen Punkt, an dem er ausprobiert, ob es sich dabei nicht vielleicht um sein wahres Selbst handelt.“

Unterhaltsam, verwirrend, spannend, mit einem gewissen Sarkasmus, direkt. 4,5 Sterne! Mich störte, dass es eine gekürzte Lesung ist, was und wie viel es auch immer ist, was man mir da vorenthält.

Veröffentlicht am 30.06.2017

Grundlagen-Nachschlagewerk für einen guten Überblick

Was blüht im Garten?
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Goldfelberich werde ich nicht pflanzen, auch wenn er gefällt – solange ich nicht ein Fleckchen finde, aus dem er nicht ausbrechen kann. Dieser Kosmos Naturführer hat mir geholfen, die Pflanze zu identifizieren, ...

Goldfelberich werde ich nicht pflanzen, auch wenn er gefällt – solange ich nicht ein Fleckchen finde, aus dem er nicht ausbrechen kann. Dieser Kosmos Naturführer hat mir geholfen, die Pflanze zu identifizieren, aber mich auch informiert, dass sie wuchert. Nichts für ein neu angelegtes Beet mit mühsam unkrautbefreiter Erde und zarten Neu-Anpflanzungen. Den Zusammenhang stellt das Buch nicht her – auch nicht, dass so eine Pflanze eventuell geeignet ist „schlimmeres Unkraut“ zu unterdrücken (andernorts heißt das „unterdrückt Giersch“) – wobei dann Unkraut vielleicht doch/noch eindeutiger zur Definitionssache wird. Das so als Vorgeplänkel zu meinen Ansprüchen an Gartenbücher:
• es gibt da die mit konkreten Tipps zu Themen wie Kräuterbeete, Selbstversorgung, gemischte Rabatten, …
• und Nachschlagewerke; meist ist eine gewisse Mischform vorhanden.

Dieses Buch ist zu 95 Prozent Nachschlagewerk – die Einleitungen der Kapitel und der Bereich „Gestaltung“ gehen etwas darüber hinaus. In den Kapiteleinleitungen wird auf je einer Seite angerissen, welche Funktion die folgende Gruppe im Gartenkonzept hat (z.B. Gehölze als Grundgerüst, im Alter schwer umpflanzbar – in anderen Büchern heißt das: entscheide dich zu Beginn und mache dir darüber lange und gut Gedanken – sonst hast du später eine 30 m hohe Eiche vor dem Küchenfenster). Das Register am Ende listet alle Namen, auch lateinische, zum Wiederfinden.

„Was blüht im Garten“ gruppiert die verschiedenen Pflanzen (mit der so einem Konzept innenwohnenden, aber meiner Meinung nach verzeihbaren, da wohl unvermeidbaren Willkür, will man das Ganze nicht aufblähen und zu einer eher theoretischen Diskussion werden lassen):
• Bäume und Sträucher (Laub- und Nadelgehölze)
• Rosen
• Kletterpflanzen
• Gartenblumen (Sommerblumen, Stauden, Zwiebel- und Knollenpflanzen)
• Farne und Gräser
• Kräuter
• Balkonblumen
• Kübelpflanzen
• Wasserpflanzen
Jede Pflanze wird nun innerhalb der Gruppe mit je einer Seite vorgestellt, dabei gibt es einen allgemeinen Seitenaufbau – das angehängte Foto sollte das verdeutlichen:
• Foto(s), meist mit verschiedenen Arten
• Licht-, Wasserbedarf, Höhe (Symbolik)
• Text: Aussehen, Pflege, Gestaltung, Sorten/weitere Arten; teils weitere Namen, teils geeignete Nachbarn
• Am unteren Bildrand wieder Symbole für Blütenfarbe und Zeit der Blüte

EIGENTLICH ist das KEIN Buch zur Identifikation von Pflanzen – man muss eventuell viel blättern. Bei einem anderen Kosmos Naturführer (Natur, NICHT Garten), „Was blüht denn da“, hat man das nach meiner Meinung für das andere Thema gelöst: es sortiert nach Blütenfarben, ist eben ist ein Bestimmungsbuch; ähnliches hätte ich gerne ergänzend für den Garten, für ererbte/eingewanderte Exemplare usw. Wohlgemerkt, das ist kein Manko – das ist ein Buch, nicht das Internet – ich kann nicht gleichzeitig nach Blütenfarbe sortiert erhalten und nach Gruppe und nach Größe, nach Blütenzeit,… Und genau DA finde ich inzwischen das Internet bei manchen Bedürfnissen oft hilfreicher – dieses Buch ist aber ungeschlagen top für das Blättern, zum Verschaffen eines Überblicks. Zum Bestimmen wären ohnehin, wie im genannten Bestimmungsbuch, Skizzen hilfreicher als Fotos – die sind einfach übersichtlicher/detaillierter zum Erkennen.

„Giftig“ und „immergrün“ sind wie „wuchernd“ wichtige Kriterien im Garten und erwähnt; ich hätte es prominenter gewünscht und ggf. weiter differenziert (es gibt aber Bücher mit verschiedenen Listen wie „empfohlene Bäume für kleine Gärten“, „für Anfänger“, „wuchernd – zu Unkrautunterdrückung“, „nur für große Gärten“ etc. – so etwas hilft im Chaos, gerade im Anfang, gibt einen gewissen Fokus und weist auf Fallstricke hin). Zu „giftig“ wünschte ich mir jedoch immer einen allgemeinen Hinweis: ja, bei (Klein-) Kindern (und Tieren) im Haus wichtig, jedoch nach meiner Erfahrung nur EIN Faktor: Kinder und Tiere werden auch Gast sein, in fremden Gärten, im Park, sie werden fremdbetreut werden. Manchmal sind winzige Menge tödlich, manchmal verursachen unrealistisch riesige Mengen erst ein Unwohlsein. Teils sind nur bestimmte Pflanzenteile betroffen, gelegentlich werden zum Beispiel Früchte nur ausgebildet, wenn männliche UND weibliche Pflanzen zusammen wachsen, manche Kinder essen ALLES, andere selbst das nicht, was sie sollten,…Entscheiden muss das jeder für den Einzelfall, es sollte jedoch über das bloße Etikett „giftig“ hinaus gehen.

Fazit: Grundlagen-Nachschlagewerk für einen allgemeinen Überblick und immer wieder zur Hand genommen – jedoch weniger zum konkreten Loslegen. Die neueste Ausgabe ist von 2013, mit pinkfarbenem Hintergrund beim Titelblatt – ältere eignen sich auch, da es wohl nur geringe Anpassungen gibt; wir sind schon etwas länger gute Freunde.

Ich lade noch Bilder hoch auf Instagram, Vergleich Pflanzen - Artikel zur Einschätzung - das Wetter hat mich etwas behindert.

Veröffentlicht am 27.06.2017

1946, Palästina und Deutschland, eine Spurensuche zwischen Literatur, Krimi und Historienroman

Morgenland
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Fast inhaliert habe ich dieses Buch über die Zeit, als sowohl die Nachfolgestaaten des Deutschen Reichs als auch Israel noch vor der Gründung standen; man kann es lesen als historischen Roman, gar historischen ...

Fast inhaliert habe ich dieses Buch über die Zeit, als sowohl die Nachfolgestaaten des Deutschen Reichs als auch Israel noch vor der Gründung standen; man kann es lesen als historischen Roman, gar historischen Krimi, spannend genug finde ich es allemal, ein wenig Liebesgeschichte kommt dazu (nein, KEIN Kitschroman), ein Hauch Agentengeschichte und viel Hintergrundwissen.

Lilya Wasserfall erhält einen Auftrag: sie soll von Palästina aus nach Deutschland, jetzt, 1946, und recherchieren zu dem vermeintlich in der Zeit des Nationalsozialismus umgekommenen älteren Bruder eines knapp vorher ausgewanderten Schriftstellers. Der hat das Gefühl, dass da etwas nicht stimmen kann an der ihm aufgetischten Geschichte: Warum teilen ihm ausgerechnet die Briten, die im Land verhassten Mandatsträger, die die Einwanderung von Holocaust-Überlebenden zu verhindern trachten, den Tod seines Bruders mit? Und was hat es mit dem seltsamen Lesezeichen auf sich, das ihm zusammen mit einem Buch aus der früheren Bibliothek seines Bruders zugespielt wurde?

Lilya wurde in Palästina geboren, beide Eltern hatten bereits 1920 von Posen aus die Alyah gemacht, die Rückkehr aus der Diaspora ins Gelobte Land, als Anhänger von Herzls politischem Zionismus, die Tochter selbst ist in der Hagana, von der sie diesen Auftrag erhält, der paramilitärischen Untergrundorganisation während des britischen Mandats (man KANN das Buch auch lesen, ohne hier jeweils nachzuschlagen, doch es empfehlen sich ohne entsprechende Kenntnisse schon vielleicht knappe 10 Minuten Wikipedia, nichts Wildes). Ihre Recherche führt sie nach Großbritannien und quer durch Deutschland. Während sie über den sie faszinierenden David Guggenheim Einblick erhält in die noch weit nach Kriegsende schwierige Lage der überlebenden Juden in Europa, fühlt sie sich zunehmend verfolgt. Noch ahnt sie nicht, welche Konsequenzen sich durch ihre Ermittlungen auch für sie ergeben werden…

Das Buch lässt sich flott weglesen, ich habe fleißig mit ermittelt und fand es spannend (nein, bitte, KEIN moderner Thriller oder ähnliches), es gab hinlänglich viel zum Nachschlagen und Lernen (mit dringend fälligem Folgebuch), ich mochte das Personal und es gab häufig eine angenehm leise Ironie in den Sätzen, so beim Konzert "...eine Gitarre mit Strom habe ich noch nie zuvor gehört. ich weiß allerdings nicht, ob dieses Experiment eine Zukunft hat. Sie ist so laut." S. 237 Die leichte Schwäche ist bei dem etwas „glatten“ Ende und den doch durchgängig eher unterstützenden Begegnungen Lilyas (wobei sie zugegeben natürlich weniger bei früheren Nazis ermittelt, sondern bei überlebenden Juden, Hilfsorganisationen etc.). Definitiv eine Leseempfehlung!

Folgebuch:
Leon Uris: „Exodus“ über die Gründung des Staates Israel, die Hagana, die Irgun, die Briten in Palästina. Es ist wirklich viele Jahre her, dass mir eine Freundin das geliehen hat, ich muss es dringend wieder lesen. Auch die Verfilmung mit Paul Newman ist toll, ich meine, man hat nur aus der Abtreibung o.ä. eine Fehlgeburt gemacht?! Irgendetwas war da wohl aus „politscher Korrektheit“…

Brigitte Glasers „Bühlerhöhe“ wäre ein Tipp für wenig später in der Zeit der jungen Bundesrepublik, etwas stärker in Richtung des Krimis tendierend, um einen zu der Zeit heruntergespielten Attentatsversuch auf Adenauer und was die Staatsgründung Israels damit zu tun haben könnte, mit wesentlich mehr zur deutschen Zivilbevölkerung, von Gewinnlern über Opfer über Unbelehrbare.

Veröffentlicht am 09.08.2021

Zarte Bande

Bille und Zottel Bd. 05 - Ferien hoch zu Ross
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Drei der jungen Reiter um die 13jährige Bille, dazu kommen Simon, Florian und Daniel, wollen ihren Lehrer, den berühmten Springreiter Hans Tietjen, überraschen mit dem silbernen Reitabzeichen, schließlich ...



Drei der jungen Reiter um die 13jährige Bille, dazu kommen Simon, Florian und Daniel, wollen ihren Lehrer, den berühmten Springreiter Hans Tietjen, überraschen mit dem silbernen Reitabzeichen, schließlich ist er noch in der Genesung. Aber da es die Zeit der Sommerferien ist, kommt auch Billes neue Idee gerade recht, und alle Freunde gehen auf eine Pferdesafari, sobald die Eltern überredet worden sind – schließlich ist Daniel, der Älteste, fast 18.
Vom Hunsrück aus wird gestartet auf dem Gestüt Buchenfeld, das Freunden von Herrn Tietjen gehört. Daniel ist sofort Feuer und Flamme für die fast 15jährige Joy, die Tochter von Hoffmanns. Doch die Stimmung zwischen dem Mädchen und ihrem Vater ist nicht gut; wegen schlechter Noten soll sie am Folgetag ins Internat. Und als die Reitfreunde mit ihren Pferden nach dem ersten Tag im Dorf Rattisweiler Quartier beziehen, sind sie am Folgemorgen nicht mehr allein. Und damit sind die Abenteuer noch nicht zuende, inklusive Gewitter, ausgerissenen Pferden, einem Gespenst auf einem Campingplatz und der Teilnahme an einem besonderen Dorffest. Unds was Simon zu Bille sagt…

4 Sterne. Das Dorffest hat mir zwar Lachtränen in die Augen getrieben, aber sonst ist dieser Band bislang eher der lahmste der Reihe.
Mentale Notiz: die Bücher nicht direkt hintereinander lesen, das wiederholt sich etwas… Zottel reisst irgendwann aus (zum Campingplatz), jemand ohne Ahnung von Pferden bekommt einen Denkzettel (Klausi und Vater), es gibt ein soziales Thema (Joy und ihr Vater, ... generell gut, aber es darf dann nicht ZU formelhaft "abgerissen" werden

  • Einzelne Kategorien
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.09.2020

Erwartungshaltung! Sehr spezieller Mix à la Gothic Novel

Loney
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Ich fand „Loney“ durchaus gut geschrieben - aber inhaltlich sollte man sich einstellen auf einen Mix aus, hm, „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, Zafóns „Der dunkle Wächter“ und Enid Blyton-Abenteuerroman ...

Ich fand „Loney“ durchaus gut geschrieben - aber inhaltlich sollte man sich einstellen auf einen Mix aus, hm, „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, Zafóns „Der dunkle Wächter“ und Enid Blyton-Abenteuerroman mit Spukschloß – wer hier zu lesen beginnt, lässt sich darauf ein, dass dieses Buch ziemlich sicher anders sein wird, als erwartet.

Was habe ich Enid Blytons Bücher geliebt als Kind – Fünf Freunde, etc… Irgendwo gab es immer wieder ein geheimnisvolles Haus im Nirgendwo. Da ich die alten Bücher gerade wegen einer Umräum-Aktion in der Hand gehabt hatte, war ich wohl in der passenden Stimmung für dieses Buch. Ich fühlte mich wie in einem meiner Kindheitsbücher – in einer Version für Erwachsene. Weniger hinsichtlich irgendwelcher „expliziten Szenen“ – das Buch hat da eigentlich nur einen dezent exhibitionistischen Landstreicher an einer Bushaltestelle zu bieten, etwas totes Wild sowie einigem, was nur der Phantasie überlassen wird – soviel Horror, wie vom Kopfkino eben gewünscht. Nein, „erwachsen“ dank eines Vokabulars des strengen Katholizismus: Dabei ist Glaube an sich keine Voraussetzung für die Lektüre – allein das Wissen hilft, z.B. um den Zusammenhang „Christus, Lamm Gottes“ angesichts der Lämmergeburt auf dem Weg erfassen zu können und somit die Ergriffenheit der österlichen Gruppe nachzuvollziehen (wer hier schon aussteigt, wird vieles nicht verstehen können).

Inhaltlich ist der Roman am ehesten als eine Art „Gothic Novel“ einzuordnen (die Kategorie, der „Frankenstein“ angehört). Die Handlung bezieht sich auf die Erlebnisse der Brüder „Tonto“, des Ich-Erzählers (sein richtiger Name wird nie genannt), und seines älteren Bruders, Andrew, genannt Hanny. Der junge Hanny spricht nicht – warum, Autismus, Mutismus, geistige Behinderung, erschließt sich nicht. Sie werden besonders von ihrer Mutter streng im Glauben erzogen, wobei diese durchaus vermittelt, allein über die Rechtgläubigkeit urteilen zu können. Der jüngere Bruder erhält hauptsächlich die Aufgabe als Hüter seines Bruders Hanny – er fungiert dabei auch als eine Art „Dolmetscher“, da die Brüder, wenn sie zusammen sind, in einer sehr eigenen Welt leben. Die Pilgergruppe der Gemeinde, der auch die Familie angehört, ist bestrebt, mit einer österlichen Wallfahrt die Heilung von Hanny herbeizuführen, ja, in der Sicht der Mutter quasi zu erzwingen. Was nicht gelingt, dafür wurde einfach nicht genug gebetet, geglaubt, verzichtet,… „Ihm war klargeworden, was ich schon seit langem über Mummer wusste: Wenn nur ein Teil wegbrechen würde, ein Ritual ausgelassen oder ein Verfahren aus Bequemlichkeit abgekürzt, dann würde ihr ganzer Glauben kollabieren und zerschmettern.“ S. 143
Das Umfeld ist entsprechend, der verstorbene frühere Pfarrer trieb dann auch seinen Ministranten die Selbstbefriedigung aus, indem er sie zwang, fest in Nesseln zu greifen (nein, kein weiteres Buch zu Kirche und sexuellem Missbrauch).

Dem gegenüber steht die phantasievolle Welt der Brüder, bei der Hanny mit einem Glas voller Nägel zu verstehen gibt, Schmerzen zu haben, oder die Jungs Geheimverstecke pflegen. In „The Loney“ allerdings, der titelgebenden Landschaft nahe Lancasters an der Westküste Englands, herrscht eine unterschwellig düster-bedrohliche Stimmung: hier ist das traditionelle Ziel der österlichen Pilgerfahrt. Von hier aus dringt auch der Horror in die Erinnerungen des Ich-Erzählers…man muss dann am Ende schon genau aufpassen, um die verschwundenen körperlichen Leiden gesammelt im Keller wiedererkennen zu können (wieder ein christliches Motiv, kombiniert mit der völligen Verkehrung) – analog dazu wirkt einiges am Glauben mit seinen volkstümlichen Anteilen und seinen Ritualen fast wie Aberglaube - ich verwirre hier vielleicht, aber sonst würde ich zu viel verraten.

Dem „Fünf-Freunde-Fan“ in mir gefiel die atmosphärische Darstellung sehr – beim Inhalt änderte ich meine Meinung während der Lektüre und danach regelmäßig (die heutigen Amazon-Bewertungen der deutschen Ausgabe und des Originals verteilten sich recht gleichmäßig auf Bewertungen zwischen 2 und 5 Sternen, damit bin ich also nicht allein). Aber wegen des Muts zu einem solch ungewöhnlichen Thema und Stil komme ich auf 4 von 5 Sternen. Nicht einfließen lasse ich gewisse eher stilistische Schlampigkeiten mindestens der deutschen Übersetzung, die zwar verbreitet sind, aber in diesem Beruf nicht auftreten dürften wie S. 31 „Er entschuldigte sich“ statt „er bat um Entschuldigung“