Profilbild von clematis

clematis

Lesejury Star
offline

clematis ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit clematis über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.05.2022

Ein Theater

Die Ladys von Somerset – Die Liebe, der widerspenstige Ambrose und ich
0

London, 1807: Als Waise Emma nun auch noch ihren Vormund verliert, muss sich die theaterbegeisterte junge Dame als Gesellschafterin bei Lady Darlington verdingen. Bei ihrer Aufgabe, Tochter Anthea irgendwie ...

London, 1807: Als Waise Emma nun auch noch ihren Vormund verliert, muss sich die theaterbegeisterte junge Dame als Gesellschafterin bei Lady Darlington verdingen. Bei ihrer Aufgabe, Tochter Anthea irgendwie mit dem reichen Nachbarn Mr. Livingston zu verkuppeln, läuft jedoch einiges aus dem Ruder. Verstrickungen und Verwicklungen mit unerwarteten Wendungen dominieren fortan diesen Roman, der selbst wie ein Theaterstück anmutet.

Nach einer kurzen Einführung ins Geschehen in London geht es auch schon hinaus aufs Land. Im beschaulichen Somerset passiert kaum etwas außer Livingstons legendären Jagden und seinem alljährlichen Sommerball. Während Emmas Auftrag bei Lady Darlington anfangs noch Spannung, Humor und witzige Episoden verspricht, so geht dieses Konzept leider nicht so recht auf. Die Dialoge im Roman sind aufgesetzt, langweilig reihen sich die Szenen aneinander, farblos und ohne spürbare Emotionen. Immer wieder fehlt es an Authentizität und Glaubwürdigkeit. Viele Themen werden von der Autorin aufgegriffen, Standesunterschiede, Ehre, Sklaverei, aber nichts davon wird dann eingehender betrachtet, alles plätschert oberflächlich dahin. Nur nicht anstreifen, scheint die Devise zu sein, von der ersten bis zur letzten Seite.

Fazit: Die Ladys von Somerset bleiben leider deutlich hinter den Erwartungen zurück, insbesondere, da Jane Austen erwähnt wird, lediglich das Grundgerüst und die Ideen für das gesamte Schauspiel können als gelungen betrachtet werden.



Titel Die Ladys von Somerset

Autor Julie Marsh

ISBN 978-3-7466-3942-0

Sprache Deutsch

Ausgabe Flexibler Einband, 402 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook

Erscheinungsdatum 11. April 2022

Verlag Aufbau

Veröffentlicht am 15.05.2022

Ein Dor wie ein Anker

Ancora
0

Gemeinsam mit ihren Freunden Aurel und Jannis verbringt Romy ihre Sommerferien im abgeschiedenen Dorf Ancora. Ohne Handy, dafür mit Arbeit am Feld und den ganzen Tag in der freien Natur möchte sie Inspirationen ...

Gemeinsam mit ihren Freunden Aurel und Jannis verbringt Romy ihre Sommerferien im abgeschiedenen Dorf Ancora. Ohne Handy, dafür mit Arbeit am Feld und den ganzen Tag in der freien Natur möchte sie Inspirationen für ihren Gedichtband einfangen. Doch ist mitten in den Wäldern nicht alles ganz so friedlich und gemeinschaftlich, wie es anfangs den Anschein hat.

Mit einem fesselnden Prolog und einem Ankommen in Ancora, welches die Neugierde des Lesers anfacht, beginnt dieser Mystery-Thriller. Schon bald ereignen sich an diesem Ort der Ruhe und Einkehr unerklärliche Dinge, welchen man als Leser gerne gemeinsam mit den drei jungen Freunden auf den Grund gehen möchte. Leider bleiben aber sowohl die Städter in ihren Ferien als auch die Dorfbewohner sehr vage in ihrer Charakteristik. Ihre Gedanken und Gefühle sind nicht greifbar und damit auch nicht immer nachvollziehbar.

Trotz guter Ideen und sehr spezieller Atmosphäre kommt beim Lesen kaum Spannung auf, zu sprunghaft und wechselnd laufen die Ereignisse ab. Einzelne Tage, in denen vielleicht Beziehungen aufgebaut werden, Abneigungen sich verfestigen, fehlen komplett, sodass nie ein stimmiges Gesamtbild entsteht. So wird aus dem anfänglichen Sog der Geschichte bald ein langatmiges Aneinanderreihen von einzelnen Szenen, die für mich immer wirrer werden und mich immer weniger ansprechen. Auch die Auflösung am Ende kann mich nicht überzeugen.

Die Vorstellung, dass ein Gedicht Einfluss nimmt auf Romys Leben, ist überaus reizvoll, die mystischen Momente im Geschehen passen da wunderbar dazu, aber in Summe verliert sich die spannende und anfangs recht einnehmende Stimmung zusehends, bis am Ende fast nur noch Ratlosigkeit übrig bleibt.



Titel Ancora

Autor Colin Hadler

ISBN 978-3-522-50720-2

Sprache Deutsch

Ausgabe Fester Einband, 352 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook und Hörbuch

Erscheinungsdatum 24. Februar 2022

Verlag Planet!

Veröffentlicht am 11.09.2021

Glashotel

Das Glashotel
0

An der Westküste Kanadas befindet sich ein luxuriöses Hotel, abgeschieden von der Zivilisation, erreichbar nur mit dem Boot, errichtet für Gäste, die die Natur und das weite Meer suchen, aber im geschützten ...

An der Westküste Kanadas befindet sich ein luxuriöses Hotel, abgeschieden von der Zivilisation, erreichbar nur mit dem Boot, errichtet für Gäste, die die Natur und das weite Meer suchen, aber im geschützten Bereich bleiben wollen. So können sie die Inseln und die Vegetation ruhig durch die weitläufige Glasscheibe betrachten und dabei einen kühlen Cocktail genießen. Für die raffinierten Getränke ist Vincent zuständig, bald arbeitet auch ihr Halbbruder Paul in diesem schicken Resort.

Mit kurzen, verwirrenden Absätzen und Textfragmenten beginnt diese sehr ungewöhnliche Geschichte. Realität und Erinnerung verschwimmen, Heute und Damals, lebendig und tot. Alles fließt ineinander, der Leser ist verwirrt, stolpert von Vincents Leben in das von Paul, spürt das Delirium vom Drogenrausch, der dessen Studentenzeit schneller beendet als sie beginnt. Vincents Begegnung mit dem Hotelbesitzer Alkaitis soll ihr Leben drastisch verändern: sie tritt als Frau des um mehr als dreißig Jahre älteren Mannes auf. Ihr Bruder Paul verlässt das Hotel ebenfalls, nachdem ein makabrer Text in die prächtige Scheibe geritzt worden ist.

Was folgt, sind Splitter aus verschiedenen Lebensabschnitten der vorgestellten Personen, verwoben mit Zeitsprüngen und verschiedenen Beziehungskontexten. Leider kommen dem Leser die Figuren nicht nahe, stets hat man das Gefühl, alles durch eine unüberwindbare Glasscheibe zu beobachten, nicht durchdringen zu können zu den individuellen Menschen, die doch nur Schein sind, trügerische Fassade. Das ganze Leben ist ein Spiel, Leben, Gegenleben, Flucht vor der Vergangenheit, Flucht vor der Wirklichkeit. Alles dreht sich, bis das Ende den Anfang trifft, der mit dem Ende beginnt.

Bestimmt ambitioniert und wohl überlegt hat Mandel diesen Roman komponiert, jedoch kommen bei mir nur einzelne Töne an, setzen sich die wirren Fragmente nicht zu einer stimmungsvollen Melodie zusammen. Über weite Strecken fühle ich Ratlosigkeit und kann das langatmige Durcheinander der Textcollage nicht als Lesevergnügen verbuchen.

Leider gibt es für das Glashotel keine Leseempfehlung, obwohl Titelbild und Klappentext sehr ansprechend sind.



Titel Das Glashotel

Autor Emily St. John Mandel

ISBN 978-3-550-20182-0

Sprache Deutsch

Ausgabe Fester Einband, 400 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook

Erscheinungsdatum 30. August 2021

Verlag Ullstein

Originaltitel The Glass Hotel

Übersetzer Bernhard Robben

Veröffentlicht am 02.09.2021

Zukunft

Network
0

„Den Menschen muss gesagt werden, was sie tun sollen. Der normale Bürger braucht Regeln.“ (Zitat Pos. 6104, Kapitel Nothing happens)

Das Berlin im Jahre 2046 weist recht deutliche Unterschiede zur heutigen ...

„Den Menschen muss gesagt werden, was sie tun sollen. Der normale Bürger braucht Regeln.“ (Zitat Pos. 6104, Kapitel Nothing happens)

Das Berlin im Jahre 2046 weist recht deutliche Unterschiede zur heutigen Stadt auf: die großteils arbeitslosen Menschen der ehemaligen Mittelschicht müssen beschäftigt werden und sind daher gezwungen, einer Netzarbeiter-Tätigkeit nachzugehen. Wer sich weigert, wird ausgestoßen und verliert sämtliche Bürgerrechte und sein regelmäßiges Bürgergeld. Diese Elenden kämpfen in den heruntergekommenen Außenbezirken ums bloße Überleben.

Ein wunderschönes Titelbild und ein vielversprechender Klappentext wecken die Neugier auf diesen Zukunfts-Thriller. Tatsächlich ist der Beginn mit Mallmann, dem Erfinder des Virtual-Work-Gesetzes, spannend, aber rasch wird man beim Lesen des Schreibstils überdrüssig, der vornehmlich aus aneinandergereihten, kurzen Hauptsätzen besteht und durch keinerlei Flüssigkeit geprägt ist. Die handelnden Personen werden vorgestellt, als würde man Steckbriefe in einer Computerdatei lesen: stets ungefähres Alter, Frisur, mögliche Herkunft, etc. Alles klingt so hölzern und schematisiert, aber eventuell ist genau das der Effekt, der erzielt werden soll, um die systematische Ordnung der künftigen Vereinigten Staaten Europas zu charakterisieren. Dennoch geht der Kern der Handlung um Mallmanns Ermordung und die Auslöschung einiger virtueller Identitäten verloren in langatmigen Schilderungen der künftigen Lebenswelt. Immer wieder schweift der Autor ab und zerfasert den roten Faden, wodurch etliche Strecken entstehen, die nichts mit den Kriminalfällen zu tun haben.

Allein die dystopische Zeichnung einer Welt, in der wir uns vielleicht in wenigen Jahren tatsächlich befinden, ist bedrückend und regt zum Nachdenken an.



Titel Network

Autor Ansgar Thiel

ISBN 978-3-8392-0065-0

Sprache Deutsch

Ausgabe Flexibler Einband, 505 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook

Erscheinungsdatum 4. August 2021

Verlag Gmeiner

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.08.2021

Eine verstörende Geschichte

Bonuskind
0

Lies, 15, und ihr um zwei Jahre jüngerer Bruder Luuk leben wochenweise abwechselnd bei ihren geschiedenen Elternteilen. Eines Morgens ist alles anders, Lies hat das Gefühl, dass ihrer Mutter Jet etwas ...

Lies, 15, und ihr um zwei Jahre jüngerer Bruder Luuk leben wochenweise abwechselnd bei ihren geschiedenen Elternteilen. Eines Morgens ist alles anders, Lies hat das Gefühl, dass ihrer Mutter Jet etwas Schlimmes zugestoßen ist und tatsächlich ist diese verschwunden. Handtasche und Handy stehen noch im Vorzimmer, Hund Wammes ist ebenfalls daheim. Während die Polizei und alle anderen Erwachsenen von Jets psychischer Instabilität und einem Selbstmord ausgehen, ist Lies überzeugt davon, dass ihre Mutter sie und Luuk niemals alleine gelassen hätte und beginnt mit eigenen Nachforschungen.

Ein interessantes Titelbild und ein spannender Klappentext inspirieren zum Lesen dieses Buches, das sich jedoch recht bald als enttäuschend herausstellt. Überwiegend wird aus Lies Perspektive in Ich-Form und im Präsens erzählt, dazwischen liest man Jets Gedanken in Kursivdruck, welche aber nicht im Tagebuchstil verfasst sind (wie auf der Buchrückseite vermerkt), sondern als Dialog. Immer mehr wirkt die Handlung konstruiert und unrealistisch, die Figuren unsympathisch. Inhaltlich wechseln vulgäre Tinder-Sex-Szenen mit den Problemen von Trennungskindern ab, Jugendwörter wie „grammen“ sollen wohl Authentizität schaffen.

Auch wenn das Ende für Überraschung sorgt, so sind doch die etwa 250 Seiten bis dahin weder besonders spannend noch logisch aufgebaut. Für eine Empfehlung reicht es leider nicht.



Titel Bonuskind

Autor Saskia Noort

ISBN 978-3-95890-391-3

Sprache Deutsch

Ausgabe Flexibler Einband, 272 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook

Erscheinungsdatum 29. Juli 2021

Verlag Europa Verlag

Originaltitel Bonuskind

Übersetzer Annette Wunschel