Geschichte kann so weh tun
Ritchie GirlDas Ende des zweiten Weltkriegs ist zugleich die Geburtsstunde des Kalten Krieges, der Bundesrepublik und der DDR, viele europäischen Grenzen wurden neu gesetzt. Mit diesem Hintergrundwissen gewinnt der ...
Das Ende des zweiten Weltkriegs ist zugleich die Geburtsstunde des Kalten Krieges, der Bundesrepublik und der DDR, viele europäischen Grenzen wurden neu gesetzt. Mit diesem Hintergrundwissen gewinnt der Roman an Brisanz. Es kommen viele historisch verbürgte Personen darin vor, fast könnte man sagen „leider“, denn es handelt sich um Hitlers Schergen die offen oder im Verborgenen den Völkermord und das Tausendjährige Reich erst ermöglicht haben. Und auch die Siegermächte werden im wahren Licht gezeigt. Einerseits haben sie heimlich, während dem NS-Regime und auch nach Kriegsbeginn noch mit deutschen Unternehmen kooperiert und am Weltkrieg mitverdient, andererseits sind sie nach 1945 eine Kooperation mit den Nazis eingegangen im gemeinsamen Krieg gegen den neuen alten Feind – die Sowjetunion unter Stalin. In diese Konstellation kehrt eine junge Deutsch-Amerikanerin in den letzten Kriegstagen nach Europa zurück. Sie arbeitet beim US-Geheimdienst, wird in Italien schwer verwundet, wird dann über Umwege nach Frankfurt versetzt. Sie soll herausfinden, ob Johann Kupfer in der Tat der Superspion für Canaris war, als der er sich jetzt ausgibt.
Wir erfahren immer mehr über die Verstrickungen der amerikanischen und deutschen Wirtschaft, über geheime Gespräche zwischen ranghohen Politikern auf beiden Seiten des Atlantiks, über den Verrat, der hüben wie drüben geübt wurde. Das Buch hat mir einen bitteren Geschmack hinterlassen.
Der Historienthriller ist sehr spannend geschrieben, in verhältnismäßig kurzen Kapiteln gehalten, wobei jedes Kapitel mit einem Satz endet, der dem Leser den Atem stocken lässt. Entweder ist das ein kurzer Hinweis über gesuchte Personen, eine sehr persönliche Angabe zu einer der Hauptgestalten des Buches, eine Information oder ein Detail über Kriegs- oder Spionagehandlung. Dadurch werden wir regelrecht gezwungen weiterzulesen, mehr zu erfahren über Georg, IG Farben, Gaswagen oder Kaltenbrunner.
Paula, die Hauptgestalt ist sehr schlagfertig, mit einer gesunden Prise Ironie gesegnet, scheut sie sich nicht auch ihre Vorgesetzten in ihre Schranken zu weisen. Sie kann den Deutschen nicht verzeihen aber auch sich selbst nicht. Sie hat zwar niemanden denunziert aber ihre Handlungen und Worte haben ohne ihr Wissen im Hintergrund zu Verhaftungen und Deportationen geführt. Das erfuhr sie erst später, als sie nach Deutschland zum Kriegsende zurückkehrte. Ihre große Liebe Georg, den sie nun, als der Frieden da war, überall sucht und alle nach ihm befragt, entpuppt sich als ein gewissenloser Mittäter und Nazischerge.
Paula kann nicht verzeihen, nicht so lange kein einziger Deutscher Reue zeigt, beweist dass ihm das Geschehene leid tue. Kein einziger Deutscher ist bereit Verantwortung für seine Kriegstaten zu übernehmen. Alle haben nur Befehle ausgeführt, haben nicht gewusst, wo die Nachbarn über Nacht verschwanden. Und jetzt, als Deutschland ein Trümmerhaufen ist, lamentieren und jammern sie, sehen sich als Opfer und sind blökende Unschuldslämmer. Dies ist für Paula und für Sam, ihr Mitstreiter, unverzeihlich.
Das Buch selbst ist wunderschön gestaltet, Schutzeinband, Lesebändchen, rot angeschnittene Seiten, mit einem sehr suggestiven Bild auf dem Einband das einerseits das Pentagon sein könnte, andererseits aber auch an das Reichsparteigelände in Nürnberg erinnert.