Fulminantes und kraftvolles Debüt!
Der VerdachtAuf den ersten 50 Seiten musste ich mich ein wenig an den Stil gewöhnen. Denn der Roman ist als eine Art Brief der Ich-Erzählerin Blythe an ihren Mann verfasst. Dadurch spricht sie ihn in der Du-Form an ...
Auf den ersten 50 Seiten musste ich mich ein wenig an den Stil gewöhnen. Denn der Roman ist als eine Art Brief der Ich-Erzählerin Blythe an ihren Mann verfasst. Dadurch spricht sie ihn in der Du-Form an – eine im Präteritum selten genutzte Form. Das liest sich anfangs sehr ungewohnt, aber wenn man erst einmal in die Geschichte gefunden hat, ist diese besondere Form schnell vergessen.
Denn Ashley Audrain serviert ihren Lesern hier eine kraftvolle, emotional aufwühlende Geschichte mit einem großen Tabuthema. Es ist ein Familiendrama über drei Generationen hinweg, es geht um Mutterschaft und die Unzulänglichkeiten als Mutter. Psychische Probleme und um Partnerschaften im Alltagstrott werden angesprochen. Die Probleme einer traditionellen Familie, in der der Vater der Geldverdiener ist und die Frau als Hausfrau und Mutter in ihre Rolle gezwungen wird, rücken ebenfalls in den Fokus. Und letztlich geht es auch um die Frage, ob ein Kind von Natur aus bösartig sein kann oder diese Bösartigkeit nur durch Erziehung und Erfahrung entsteht.
Es sind schwierige Themen, die Audrain in ihrem Roman bespricht. Aber sie setzt jedes einzelne davon sensibel, behutsam und ohne erhobenen Zeigefinger um. Dabei liest sich das Drama beinahe so spannend wie ein Thriller: Nicht nur Blythes Leben wird unter die Lupe genommen, es gibt auch immer wieder Rückblicke in Cecilias und Ettas Leben. Unbarmherzig werden die Verfehlungen dieser drei Mütter aufgezeigt, und gleichzeitig deutet Audrain Erklärungen und Begründungen an.
Und über allem steht diese toxische Mutter-Tochter-Beziehung zwischen Blythe und Violet, erzählt in einem wunderbar fesselnden, leichten Stil, der in krassem Kontrast zu den schwierigen Themen steht. Es ist faszinierend, wie die Figuren psychologisch durchleuchtet werden – dem Roman geht es weniger darum, Schuldige zu finden, sondern Verhaltensmuster aufzuzeigen, die einen Sog entwickeln und aus denen man sich nur schwer lösen kann.