Gut komponiert, aber gewollt
Ich hatte das Buch angefordert, weil die Protagonistinnen älter sind und ich mir eine erwachsene Geschichte erhofft habe. Letztlich ist der Text eine tolle Empowerment-Geschichte, die typische Liebesroman-Klischees ...
Ich hatte das Buch angefordert, weil die Protagonistinnen älter sind und ich mir eine erwachsene Geschichte erhofft habe. Letztlich ist der Text eine tolle Empowerment-Geschichte, die typische Liebesroman-Klischees vermeidet. Allerdings hat er ähnliche Schwächen.
Rezi enthält Spoiler.
Worum geht es?
Josie ist schwanger - von Bengt, der seine Frau nicht verlassen will und sie vor die Wahl stellt - entweder sie treibt ab oder er beendet die Beziehung. Kathie wiederum ist kürzlich Witwe geworden und steht nun vor der Frage, ob sie ihren Laden, den sie wegen ihres Mannes aufgab, wieder eröffnen soll. Und auch mit Sohn Max gibt es Probleme.
Themen
Alter: Josie und Kathie merken, dass es ihnen noch gut geht, aber ungewiss ist, ob es so bleibt. Sie vergleichen sich z.B. mit einer älteren Freundin, die dement in einem Pflegeheim sitzt. Es ist ein Bereich, der immer mitschwingt, aber nur wenig ausgeführt wird. Kathie hat keine körperlichen Probleme, Josie keine Midlife-Crisis - ohnehin scheint sie mit ihrem Beruf zufrieden. Ich fand die Figuren in diesem Punkt zu sehr fokussiert auf ihre Probleme. Der Charakter ist verloren gegangen. Z.B. zählt Josie gern, aber sie hat keine weiteren Macken und man sieht nicht, was das in ihr auslöst. Es muss keine Zwangsstörung sein, aber meistens ist das eine Technik, um Anspannung loszulassen.
Homosexualität: Kathis Sohn offenbahrt sich als schwul und sie hat große Probleme damit. Sie gibt sich die Schuld und hofft bei jeder Frau, dass sich ihr Sohn "umentscheidet" Der Prozess zieht sich im Buch lange hin und ich empfand das als schmerzhaft - aber real. Leider wird nicht klar, wie Kathie lernt, das zu akzeptieren. Irgendwann nähern sich beide wieder an. Ich fand das sehr schade, weil es ein Prozess ist, der von beiden Seiten ein Umstellen, Hinterfragen bedeutet. Ich habe gehofft, dass das Buch den Lesern in diesem Punkt Lösungsmöglichkeiten aufzeigt.
Down-Syndrom: Dieses Thema ist so zentral, dass die Autorin sogar im Nachwort darauf eingeht. Es gibt ein junges Mädchen, das das Down-Syndrom hat - was mir nicht aufgefallen ist. Außerdem fragt sich Josie, ob sie den Test machen soll, mit dem sie herausfindet, ob ihr Kind eine Behinderung hat. Und eine weitere Figur hat einen Berührungspunkt. Ich fand das Thema gut aufgelöst und versöhnlich zuende gebracht. Und die Autorin bemüht sich, sowohl die positiven wie negativen Seiten zu zeigen. Trotzdem wirkt es ein bisschen zu durchdacht, zu erklärt.
Mütter: Sowohl Josie als auch Kathie haben Probleme mit ihren (Ersatz-)Müttern. Kathie wuchs bei ihren Großeltern auf, wurde von der Oma geschlagen und hatte zum Opa den größten Bezug. Sie spürt, dass sie diese Härte, die Kälte, auch als Erwachsene mit-nimmt und daher Probleme hat, Verständnis für ihren Sohn zu zeigen. Josies Mutter verdrängt das Familiengeheimnis, obwohl es sie belastet. Daher ist Josies Bezugsperson ihr Bruder. Beide Frauen schaffen es nicht, sich von ihren Müttern zu lösen. Ganz im Gegenteil: Im flotten Ende nähern sich Josie und ihre Mutter an. Ich fand das nicht gut nachvollziehbar, weil sich eine Bindung, die über Jahrzehnte gelitten hat, nicht mit ein paar Gesprächen bereinigen lässt.
Männer: Die ersten beiden Jahren mit Bengt empfand Josie als schön, die folgenden sieben nicht. Auch, weil Bengt weniger Zeit für sie hat. Ich fand das bedrückend, weil Josie viel Zeit für eine Beziehung aufgewendet hat, die nur 1/7 einer Woche stattfand. Sie hätte einen Partner finden können, fühlte sich aber durch die Affäre gebunden. Ich mochte, dass das so betont wurde, weil es ein Aspekt ist, der selten behandelt wird. Kathie redet über ihren verstorbenen Mann wenig, es kommt mir vor, als ob sie die Beziehung verdrängt bzw. sich nicht damit auseinandersetzen will. Prägnant für Werner war, dass er immer gegen den Laden war, aber Geld beiseite geschafft hat. Und dass der Sohn auf der Seite des Vaters stand, weil seine Mutter gearbeitet hat. Die beiden scheinen nebeneinander gelebt zu haben und ich frage mich, ob Kathie sich von ihrem Großvater und dessen Traum lösen konnte. Kathie und Josie hängen an Männern, die sie nicht halten - einer will nicht, der andere kann nicht (mehr). Vielleicht fehlte beiden Frauen eine Vaterfigur, die ihnen Halt gab.
Fazit
"Wir für uns" ist ein unaufgeregter Frauen-Roman mit einer starken Botschaft. Einige Themen, besonders das Down-Syndrom, fand ich zu gewollt dargestellt, auch wenn es wichtig ist, dass das in der Belletristik stattfindet, damit "Behinderungen" normal werden. Die Autorin hat beide Frauen gut nebeneinander montiert und ich konnte mit beiden mitfühlen. Letztlich ein Roman mit ein paar prägnanten Momenten, das aber nur mäßig in Erinnerung bleibt.