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Venatrix

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Veröffentlicht am 15.08.2021

Eine sehr detailreiche Biografie

Helmholtz
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nlässlich des 200. Geburtstags von Hermann von Helmholtz bringt der Verlag WBG-Theiss diese knapp 1.000 Seite dicke, sehr ausführliche Biografie heraus.

Geboren 1821 als Sohn eines preußischen Gymnasialprofessors ...

nlässlich des 200. Geburtstags von Hermann von Helmholtz bringt der Verlag WBG-Theiss diese knapp 1.000 Seite dicke, sehr ausführliche Biografie heraus.

Geboren 1821 als Sohn eines preußischen Gymnasialprofessors und erklärtem Franzosenhassers in der Garnisonsstadt Potsdam, stellt sich schon früh sein Interesse an den Naturwissenschaften heraus.

In drei Teilen beleuchtet der Autor das Leben Hermann von Helmholtz‘:

Teil 1 - Die Geburt eines Wissenschaftlers
Teil 2 - Der Weg zu wissenschaftlichem Renommee
Teil 3 - Ein großer Wissenschaftler

Die Stationen seines (Privat)Lebens und seiner wissenschaftlichen Karriere werden sehr ausführlich und akribisch dargestellt. Der Leser erfährt, dass Hermann von Helmholtz vielseitig interessiert war. So hält er zum Beispiel Vorträge zu Johann Wolfgang von Goethes „Farbenlehre“.

Wir lesen von seiner Liebe zu Musik, zur Malerei sowie zu Theater und Literatur. Er pflegte intensive Freundschaften zu zahlreichen Kapazitäten wie Werner von Siemens (seine Tochter Ellen wird Arnold von Siemens heiraten), Johann Georg Halske oder dem Staatswissenschaftler Robert von Mohl, dem Vater seiner zweiten Ehefrau, seiner Zeit.

Hermann von Helmholtz ist so etwas wie ein Universalgelehrter, der anders als andere, auch über den Tellerrand seiner eigenen wissenschaftlichen Disziplin hinausschaut.

Was ist von ihm geblieben? Am bekanntesten ist wohl die Erfindung des Ophtalmometers zur Bestimmung des Krümmungsradius der Augenhornhaut. Auch in der Physik („Helmholtz-Spule“, „Helmholtz-Resonator“) und Mathematik („Helmholtz-Differentialgleichung“).

In zahlreichen erkenntnistheoretischen Diskussionen setzt sich Helmholtz mit den Problemen des „Zählens und Messens“ auseinander. Auch das „Vier-Phasen-Modell des kreativen Prozesses“ geht auf Beobachtungen von Helmholtz (1884) zurück.

Meine Meinung:

Der Autor ist ein echter Spezialist für Hermann von Helmholtz. Das ist zugleich Segen und Fluch. Der Leser erfährt unzählig viele Details aus Helmholtz‘ Leben, was manche bestimmt überfordert. Nicht alles, was ein Autor selbst weiß, muss dem Leser nahegebracht werden.

Der Schreibstil ist einem Sachbuch angemessen. Dazu gibt es zahlreiche Abbildungen, die das Buch auflockern. Der Epilog und der Anhang umfassen gleich noch einmal 200 Seiten.

Leider hat das Lektorat gleich auf Seite 30 einen groben Schnitzer übersehen: Napoleons Truppen haben Potsdam 1796-1798 besetzt gehalten und nicht wie angegeben 1896-1898. Da war Napoleon schon lange bei Waterloo (1815) endgültig geschlagen, auf Sankt Helena verbannt und 1821 verstorben. Solche Fehler dürfen einem wissenschaftlichen Verlag einfach nicht passieren. Das kostet jedenfalls einen Stern.

Fazit:

Wer sich für die Naturwissenschaft im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Fachgebieten wie Medizin, Physik und Chemie interessiert, und sich von den 992 Seiten nicht abschrecken lässt, wird hier viele Informationen erhalten. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.

Veröffentlicht am 14.08.2021

Ein gelungener biografischer Roman

Die Hebamme
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Der norwegische Autor Edvard Hoem erzählt in diesem Buch die Lebensgeschichte seiner Ururgroßmutter Marta Kristine Andersdatter, die 1821 aus ihrem Heimatdorf an der Westküste Norwegens aufbricht, um in ...

Der norwegische Autor Edvard Hoem erzählt in diesem Buch die Lebensgeschichte seiner Ururgroßmutter Marta Kristine Andersdatter, die 1821 aus ihrem Heimatdorf an der Westküste Norwegens aufbricht, um in Christiana eine Ausbildung als Hebamme zu machen.

Wir lernen Marta Kristine und ihren harten Alltag kennen. Die Menschen leben ein einfaches Leben, die kargen Böden können sie kaum ernähren. Der Fischfang bietet sowohl Nahrung als auch Einkommen. Mit einprägsamen Worten schildert Hoem die Mühen, über die Runden zu kommen.

Ich habe viele interessante Details zu Norwegens Geschichte gelernt. Die Auswirkungen der Napoleonischen Krieg sind mir bekannt, aber dass zur Senkung der Säuglings- und Müttersterblichkeit ein Gesetz erlassen wurde, dass bei einer Geburt eine ausgebildete Hebamme verpflichtend vorgeschrieben wurde, war mir neu. Viele Frauen verstoßen gegen dieses Gesetz, weil sie sich schlichtweg die Gebühren nicht aufbringen konnten (oder wollten). Interessant, dass Marta Kristine sogar vor Gericht gehen muss, um ihre Forderungen einzutreiben. Das verhilft ihr zwar zu den ihr zustehenden Einnahmen, verbessert aber ihren Standpunkt nicht wirklich.

Feinfühlig erzählt Edvard Hoem Marta Kristines Beziehung zu ihrem Mann Hans und den Alltag mit ihren elf Kindern.

Fazit:

Ein einfühlsamer biografischer Roman, der nicht nur die Person Marta Kristin, sondern auch das Leben in Norwegen vor 250 Jahren beschreibt. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.

Veröffentlicht am 13.08.2021

Eine gelungene Fortsetzung

Donaumelodien - Totentaufe
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Sebastian Zach entführt seine Leser in diesem zweiten Kriminalfall für Hieronymus Holstein in das Wien von 1876. Mehrere Ärzte werden zunächst gefoltert und dann grausam ermordet. Da eine Spur an deren ...

Sebastian Zach entführt seine Leser in diesem zweiten Kriminalfall für Hieronymus Holstein in das Wien von 1876. Mehrere Ärzte werden zunächst gefoltert und dann grausam ermordet. Da eine Spur an deren früheren Arbeitsplatz, den „Guglhupf“, wie die Wiener ihre von Joseph II. errichtete Irrenanstalt, liebevoll nennen, führt, soll Hieronymus im Auftrag des Polizeipräsidenten Erkundigungen einziehen.

Recht bald müssen Hieronymus und sein Freund, der nach einem Kutschenunfall beeinträchtigte Franz, einsehen, dass sich der Auftrag nicht so einfach gestaltet, wie angenommen. Auf der Suche nach dem Täter müssen sie nicht nur in menschliche Abgründe, sondern auch in jene der Stadt, nämlich in die Kanalisation absteigen, denn dort finden die Ärmsten der Armen Zuflucht und Schutz. Schutz vor den Gläubigern, Verbrechern und der Polizei, denn die wagt sich nicht in das unterirdische Labyrinth.

Nebenher suchen Hieronymus und Franz noch Leo, den verschwundenen Ehemann ihrer Vermieterin Anezka Svoboda, der eine lukrative Anstellung bei einem reichen Mann angetreten haben soll.

Meine Meinung:

Hieronymus Holstein, der als Geisterfotograf seinen Lebensunterhalt verdient, ist ein freundliches Schlitzohr. Gemeinsam mit dem „Buckligen Franz“ unterstützt er die Wiener Polizei bei delikaten Recherchen. Nicht ganz uneigennützig wie wir lesen. Zum einen erhält Anezka auf diese Weise eine „Fratschlerinnen-Konzession“, d.h. Sie darf auf dem Wiener Naschmarkt Waren feilbieten und zum anderen spannt Hieronymus den Polizeiapparat für seine höchst privaten Ermittlungen nach Caroline ein.

Gut gelungen ist wieder die Schilderung des „Milieus“, also die Lebensbedingungen der nicht-adeligen Bevölkerung. Einen tieferen Einblick erhält der geneigte Leser in die Welt der „Ziegel-Behm“, jenen böhmischen Zuwanderern, die in den Ziegelfabriken am Wienerberg die Ziegel für die Ringstraßenpalais der High Society herstellten. Alois Miesbach, der Gründer der Ziegelwerke, fühlte sich anders als der aktuelle Eigentümer Heinrich von Drasche-Wartinberg, für seine Arbeiter verantwortlich und verwendete einen Teil des Gewinns für soziale Zwecke. Er ließ Kinderbetreuungseinrichtungen und ein Krankenhaus errichten. Nach seinem Tod 1857 wurden die Ziegelfabriken „gewinnoptimiert“ und an die Wiener Börse gebracht und führten zu dem beschriebenen Elend der Ziegelarbeiter. Der Lohn wurde, wie im Buch erwähnt, teilweise in Metallmarken ausbezahlt, die nur innerhalb des Ziegelimperiums Gültigkeit hatten. Dadurch gerieten die Arbeiter immer mehr in Armut und Abhängigkeit, denn für dieses Scheingeld erhielten sie nur überteuerte, aber dafür minderwertige Ware.

Einen zweiten interessanten Einblick gewährt uns der Autor, wenn über die Behandlungsmethoden von Geisteskranken schreibt. Viele wurden einfach als „Versuchskaninchen“ für andere medizinische Zwecke behandelt. Auch missliebige Verwandte - vorzugsweise intelligente Erbinnen, die sich der Autoritäten der Brüder widersetzt haben - werden unter dem Vorwand, Geisteskranke zu sein, in die Irrenanstalt abgeschoben. Es gibt ein kurzes Wiedersehen mit Prof. Carl von Rokitansky, der als Pathologe schon im ersten Band (s)einen Auftritt hat.

Der Schreibstil ist dem 19. Jahrhundert angepasst. So spricht der Polizeipräsident mit Hieronymus immer in der dritten Person. Veraltete Ausdrücke sowie Bezeichnungen im Wiener Dialekt werden als Fußnote erklärt.

Erwähnen möchte ich noch den abgedruckten Plan von Wien, der bereits die Donauregulierung (1870-1875) beinhaltet.

Fazit:

„Totentaufe“ ist die gelungene Fortsetzung von „Praterglück“. Ich habe mich gut unterhalten gefühlt. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.

Veröffentlicht am 13.08.2021

Auf zu neuen Ufern

Niemandsmeer
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Dieser historische Roman basiert auf Tatsachen. Er handelt von der Schiffsreise straffällig gewordener Frauen aus England, die nach Tasmanien deportiert werden. Rund 200 Frauen, die wegen geringer Vergehen ...

Dieser historische Roman basiert auf Tatsachen. Er handelt von der Schiffsreise straffällig gewordener Frauen aus England, die nach Tasmanien deportiert werden. Rund 200 Frauen, die wegen geringer Vergehen wie Diebstahl verurteilt worden sind, werden aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen und von ihren Familien getrennt, vorgeblich um ihnen eine zweite Chance zu geben, aber eigentlich, um die Besiedlung von Tasmanien voranzutreiben. Einige wenige dürfen ihre Kinder mitnehmen.

Wir beschäftigen uns hauptsächlich mit einer kleinen Gruppe von Frauen, die von Kezia Heyer auserwählt sind, während der langen Überfahrt, an einem Quilt zu nähen. Wir lernen die einzelnen Frauen und ihre Vergangenheit kennen. Die meisten haben aus Not heraus Verbrechen begangen und haben ihre Schicksalspäckchen zu tragen. Doch eine von ihnen ist eine Mörderin, die sich unter falschem Namen an Bord geschlichen hat, um der Hinrichtung zu entgehen.

Als dann eine Frau ermordet wird, muss die Täterin ausgeforscht werden, was gar nicht so einfach ist. Gemeinsam mit dem Kapitän, dem Schiffsarzt und dem Seelsorger, beginnt Kezia die Frauen zu befragen. Dabei stößt sie auf vorgefasste Meinungen und Vorverurteilungen.

Meine Meinung:

Das Buch lässt sich leicht und flüssig lesen. Die Charaktere sind gut dargestellt. Hin und wieder handeln sie, wie im echten Leben, widersprüchlich. Es ist sehr interessant zu lesen, wie aus der zusammengewürfelten Schar doch so etwas wie eine Gemeinschaft entsteht.

Zwei kleine Kritikpunkte muss ich anbringen: Erstens erschließt sich mir der deutsche Titel nicht ganz. Der englische Originaltitel „Dangerous Women“ ist viel griffiger. Zweitens können die Leser stellenweise den Eindruck haben, dass es sich hier um eine „Vergnügungsreise“ handelt. Wenig ist vom beschwerlichen Alltag der Seeleute, den Unwettern und der rauen See zu lesen.

Fazit:

Ein interessanter historischer Roman, dem ich gerne 4 Sterne gebe.

Veröffentlicht am 07.08.2021

Ein gelungener hist. Roman

Das Auktionshaus (Die Auktionshausserie 1)
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Amelia Martin entführt ihre Leser in das London von 1910. Sarah lebt mit ihrer Familie in ärmlichen Verhältnissen in Soho. Der Vater Alkoholiker, der seinen Lohn versäuft, die Mutter arbeitet als Näherin ...

Amelia Martin entführt ihre Leser in das London von 1910. Sarah lebt mit ihrer Familie in ärmlichen Verhältnissen in Soho. Der Vater Alkoholiker, der seinen Lohn versäuft, die Mutter arbeitet als Näherin im Modeatelier von Mrs. Weaver, um die Kinder durchzubringen. Sarah, die älteste, noch dazu ein Bastard, träumt davon, die Armut hinter sich zu lassen. Auch sie arbeitet bei Mrs. Weaver. Die Chance ergibt sich, als Lady Sudbury eines Tages in das Modeatelier kommt.

„...Die kostbare Brosche lag auf dem Tisch direkt vor ihr. Sarah zögerte nicht und griff das Schmuckstück und auch die Handtasche, die Lady Sudbury gehörten...“

Lady Sudbury nimmt Sarah unter ihre Fittiche und stellt sie als Gesellschafterin an. Damit hat Sarah das große Los gezogen, allerdings sitzt sie zwischen zwei Stühlen. Die anderen Bediensten begegne ihr mit Neid und Missgunst.

„...Denk ja nicht, dass du was Besseres bist als wir. Du bist nur ein einfaches Dienstmädchen, sonst nichts!...“

Erst als sie durch Lady Sudbury eine Anstellung im Londoner Auktionshaus erhält, bekommt sie Anerkennung und Wertschätzung. Doch auch hier neidet man ihr den Erfolg, den sie sich durch harte Arbeit erwirtschaftet. Sie selbst vergisst ihre Herkunft aus Soho niemals.

Meine Meinung:

Dieser historische Roman ist ein interessanter Einblick in die Welt der Auktionshäuser. Wir Leser erfahren viel über die Arbeit in einer solchen Institution, die vornehmlich im Hintergrund abläuft. Das Katalogisieren, Beschreiben von Objekten, die versteigert werden sollen, ist mir bislang nicht so bekannt gewesen. Das ist das Schöne am Lesen: Man lernt immer etwas dazu!

Die aktuelle politische Lage vor und während des Ersten Weltkriegs wird ebenso beleuchtet wie die Klassenunterschiede der Gesellschaft. Das Dilemma der Frauen, die während des Krieges als die Männer an der Front sind, deren Arbeit übernehmen, um dann wieder an den Herd zurückgedrängt werden, wird ebenso thematisiert, wie das Leiden der Kriegsinvaliden, zu denen auch ein Bruder Sarahs gehört. Ohne Sozialversicherung und Krankenfürsorge, wie wir es heute kennen, bleibt für viele nur das Betteln um Almosen und der Schnaps.

Geschickt wird auch eine zarte Liebesgeschichte eingeflochten. Da ist zum einen Charles aus Soho, der Sarah schon immer liebt, aber auf keine Erfüllung hoffen kann, und zum anderen der Fotograf Maynard, der aus Familienräson eine reiche Erbin heiraten muss.

Sarahs Geschichte wird flüssig erzählt. Der zweite Band, der Anfang 2022 erscheinen wird, wird in Wien spielen. Darauf freue ich mich besonders. Denn Wien hat mit dem 1707 von Kaiser Joseph I. Gegründeten Auktionshaus „Dorotheum“ eine lange Tradition.

Fazit:

Ein gelungener historischer Roman, dem ich gerne 4 Sterne gebe.