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Veröffentlicht am 06.09.2017

„einen Fuß drin und einen draußen“

Heute leben wir
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„einen Fuß drin und einen draußen“
Zitat von S. 131

Mann begegnet Kind, beide Einzelgänger, desillusioniert, es entsteht eine wechselseitige Anziehung. Es ist die Zeit der Ardennenoffensive: Der Mann ...

„einen Fuß drin und einen draußen“
Zitat von S. 131

Mann begegnet Kind, beide Einzelgänger, desillusioniert, es entsteht eine wechselseitige Anziehung. Es ist die Zeit der Ardennenoffensive: Der Mann ist Matthias, 35, SS-Tätowierung, ein Soldat im „Unternehmen Greif“; in Feinduniform agiert er als Spion für Hitlers Otto Skorzeny hinter den feindlichen Linien. https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Skorzeny
In US-Uniform verkleidet, treffen er und sein Kamerad auf ein kleines Mädchen, den vermeintlichen Rettern anvertraut vom Pfarrer, einer ihrer vielen Zwischenstationen, weil sie Jüdin ist, vermutlich sieben Jahre alt, Renée. Statt sie wie geplant zu erschießen, erschießt der Soldat den Kameraden – weil sie ihn ansieht, weil sie Schnee gegessen hat, weil…er weiß es selbst nicht so genau. Wenn sie da ist, kann er schlafen: „…die seinen Schlaf bewacht und ihm etwas verschafft, was er nie erlebt hat und nicht begreifen kann. Es ist noch zu konfus, in seinem Geist wie in seinem Körper. Es ist konfus, aber da, es existiert und erfüllt ihn nach und nach mit einer Art stiller Freude.“ S. 30

Soweit hatte ich mich richtig auf dieses Buch gefreut und mir viel versprochen, empfand das Buch aber in weiten Teilen als ziemlich trivial; bewegend nur in den Teilen, in denen ich das Naive, Klischeehafte zu ignorieren vermochte. Das beginnt damit, dass Renées Fähigkeiten nicht nur sehr überhöht werden, die Beschreibung wiederholt sich auch noch ständig im Tenor von: „Matthias stand in der Tür. Er beobachtete das Kind, völlig vertieft in das, was es gerade tat, unbekümmert, wie es schien, um alles Übrige. Dabei konnte sie so aufmerksam für ihre Umgebung sein, so umsichtig. Sie hatte eine unerhörte Fähigkeit, Dinge vorauszusehen, wie Matthias sie bisher nur bei den Indianern gefunden hatte.“ S. 39 Ich hätte das hier gerne zarter gemocht, nur die Beschreibungen von Renées auf der Flucht geschulter Intuition, ohne dass die Autorin gleich das Schild „Achtung, das hier ist Intuition“ daneben setzt.

Ähnliches folgt für Matthias, dessen Einschätzungen zur jeweiligen Lage gerne in eine universelle Gesellschaftstheorie münden, so zum „echten“ US-Soldaten Dan: Matthias kannte das alles auswendig, immer dieselben Früchte des Zorns bei Typen wie dem. Und sowieso war dieser Dan die Selbstgefälligkeit des konformistischen Amerika in Person. Einer von der Sorte, die sich im Bus nicht neben einen Schwarzen setzten, die fanden, dass Massaker an den Indianern durchaus deren armseliges Stückchen Land wert seien, sich aber für den bewaffneten Arm der Gerechtigkeit und der Freiheit hielten, die Inkarnation des Guten.“ S. 93 (ja, Früchte des Zorns konnte Matthias 1944 gekannt haben – aber war eine derart differenzierte USA-Kritik zu der Zeit wirklich gängig, immerhin hatte Matthias selbst nur eher isoliert für kürzere Zeit in Kanada gelebt).

Es soll wohl darum gehen, welchen Wandel, welche Läuterung wir als Leser einem der Täter der NS-Zeit zugestehen, inwiefern wir Verzeihen erlauben, wie wir Schuld werten, auch und gerade bei jemanden, der sich der Ideologie eher nicht zugehörig fühlt, aber gerne die Möglichkeiten für Aufstieg und „Abenteuer“ nutzt, wie ihm auch von seinem Vorgesetzten vorgeworfen wird, er habe „einen Fuß drin und einen draußen“ S. 131. Genauso fühlte ich mich auch bei der Lektüre. Zwischendurch bewegte mich das ganze, wollte ich mich einfach auf die beiden Einsamen einlassen, die ineinander Rettung zu finden begannen. Doch dann gab immer wieder diese anderen Momente des Buches, gipfelnd in der wundersamen Rettung à la Robin Hood. Das wird als Film sicher ein Erfolg werden, ist mir aber leider insgesamt im besten Falle zu naiv. Ich mag nicht einmal mehr 3 Sterne geben, es tut mir leid.

Veröffentlicht am 09.08.2017

Willkommen in der Matrix

Swing Time
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Hm. Den Matrix-Film mochte ich übrigens nicht, zu überzogen, zu düster – aber er wird im Buch oft zitiert, wohl als Bild dafür, dass die Ich-Erzählerin jemanden neben sich wahrnimmt, der anscheinend fast ...

Hm. Den Matrix-Film mochte ich übrigens nicht, zu überzogen, zu düster – aber er wird im Buch oft zitiert, wohl als Bild dafür, dass die Ich-Erzählerin jemanden neben sich wahrnimmt, der anscheinend fast in einer Art Paralleluniversum lebt.

Laut Klappentext erzählt Zadie Smith von der Freundschaft zweier Mädchen bis ins Erwachsenenalter, wobei Freundschaft hier „Ferrante-mäßig“ daher kommt: beide Mädchen leben unterhalb der Mittelschicht und Freundschaft bedeutet ein sehr merkwürdiges aufeinander-Bezogensein, mit Phasen der Unzertrennlichkeit, aber auch der Entzweiung, mit merkwürdiger Unterordnung der einen gegenüber der anderen; das ist der Part der mich auch schon bei Ferrantes „Genialer Freundin“ genervt hat. Auch!

Das ist ein Buch über Träume und Hoffnungen – die beiden Mädchen lernen sich beim Ballettunterricht kennen, doch nur Traceys Talent reicht für die Akademie. Die Ich-Erzählerin hat schulische Begabung, doch wegen des Widerstandes gegen ihre ehrgeizige Mutter führt sie das nicht immer weiter. In der Realisierung von Träumen dürfte man dennoch am ehesten dieser Mutter Gewinner-Punkte zusprechen, wenn auch eher für sich selbst.

Dies ist ein Buch über das Leben eines modernen internationalen Stars, dessen Assistentin die Ich-Erzählerin ist: Aimee reist durch die Welt für Konzerte mit einem Tross an Mitarbeitern, denen sie das Privatleben aussaugt: Dauer-Erreichbarkeit, ein goldener Gruppen-Käfig, wohltätige Projekte und ein Misstrauen gegenüber denen, die sie nur ausnutzen wollen, der „Kundschaft“, was sich auf ihr Personal überträgt (da es ja absichtlich oder ungewollt Informationen preisgeben könnte): Freunde, Partnerschaften, Kinder? Eher selten. Die Abgehobenheit dieses Lebens wird nachvollziehbar beschrieben, ja, als geradezu zwingend.

Das ist ein Buch über irgendetwas wie schwarze Identität: Die Mutter von Tracey ist weiß, ihr meist abwesender Vater schwarz. Bei ihrer Freundin ist es „falsch herum“, wie sie sagt. Mit Aimee reist die Ich-Erzählerin später nach Afrika: trotz des Besuchs an den Stätten des Ursprungs der Sklaverei und damit auch des Ursprungs ihrer eigenen Geschichte (die Mutter wurde auf Jamaika geboren) scheitert sie, immer wieder, an ihren Missverständnissen und Vorannahmen. Vielleicht geht es auch um Identität generell – um Ziele, um das, was einen ausmacht. Vielleicht.

Dies ist ein Buch über die Achtziger und Neunziger Jahre in Großbritannien, erst mit den typischen Spielsachen, später mit dem Rausch des Booms der privaten TV-Sender, an dem die Ich-Erzählerin als Angestellte teilnimmt.

Dies ist ein Buch vom Scheitern (wieder Klappentext) – die Ich-Erzählerin arbeitet sich unermüdlich mit Andeutungen darauf hin, dass es sowohl einen Bruch mit Tracey geben wird als auch einen mit Aimee. Ich hatte da mit so einigem gerechnet – die Gründe kommen so spät, dass ich eher entnervt war und auch enttäuscht ob ihrer Nichtigkeit. „Später hieß es, ich sei Aimee eine schlechte Freundin gewesen, schon immer, ich hätte die ganze Zeit nur auf die richtige Gelegenheit gewartet, sie zu verletzen, sogar zu zerstören.“ S. 281 „Sie hat mir etwas furchtbares angetan. Als wir zweiundzwanzig waren.“ S. 204

Und entnervt trifft es insgesamt: Ich weiß nicht so recht, was für ein Buch von den vielen oben es denn nun sein soll – am ehesten über die Identität, aber dafür gibt es so verdammt viele breit ausgeführte Nebenansätze. Dann braucht zwar auch Ferrante insgesamt vier Bände für ihre Geschichte und zeigt damit Längen, für mich besonders im ersten Buch, aber auch bei Zadie Smith wurden mir die 640 Seiten oft seeehr lang (fast noch nervender, dass es zwischendurch immer wieder fesselte). Sie spricht viele aktuelle Themen an, bis zum „hintenrum“ aus Afrika ‘raus (= über Lampeduse), über die Unfähigkeit des britischen Erziehungswesens, das Kindern armer Eltern Aufsätze über Ferienerlebnisse oder Gartenprojekte aufbrummt (in Abwesenheit von Ferienfahrten und Gärten) – kratzt dabei aber nur an sehr vielen Oberflächen. Und dann diese Andeutungen im Buch zu dem, was kommen wird, das sich im kapitelweisen Wechsel durch Vergangenheit und Jetztzeit arbeitet, dabei immer und immer und immer wieder ein Stückchen vom Ohr des Kaninchens zeigt, das es letztlich aus dem Hut zieht.

Sprachlich gelingt das durchaus immer wieder schön: „In der stetig wachsenden Lücke zwischen ihnen [meinen Eltern] spielte sich meine Kindheit ab.“ S. 33 Oder: „Sie maß die Zeit in Buchseiten. Eine halbe Stunde, das waren für sie zehn gelesene Seiten oder auch vierzehn, je nach Schriftgröße, und wenn man sich die Zeit so vorstellt, dann bleibt davon nichts übrig für irgendetwas anderes, es bleibt keine Zeit, in den Park zu gehen, oder sich ein Eis zu holen…“ S. 278 Solche Bilder sind toll, häufig wird es jedoch überzogen „Wie ist es wohl den Mädchen auf den Baumwollfeldern ergangen – oder denen in den viktorianischen Armenhäusern?“ S. 94 Nun, man vergebe mir die Plattitüde: wohl nicht gut. Auch die anscheinend ernstgemeinte Sicht der Ich-Erzählerin, ihr eigenes Leben für sehr „brav“ zu halten, während sie beschreibt, wie sie mit 15 und unter Einverständnis ihrer Mutter bis nach Mitternacht allein ausgeht, mit der Wodka-Flasche dabei, wobei sie dann mit einem völlig Unbekannten im Nebenzimmer ungeschützten Sex hat. Ja, gibt’s alles, die meisten Teenager machen Alkohol-Experimente, aber: das Selbstbild?

Ich musste mich durch’s Buch quälen, von wenigen Passagen ausgenommen, blieb ratlos zurück. Und: warum der „Rebecca“-Touch, der die Ich-Erzählerin namenlos lässt? Warum wird das afrikanische Land für Aimees Projekt nie genannt – ich war irgendwann ganz fixiert auf die Identifikation (wohl Gambia, auf S. 303 wird dessen Hauptstadt Banjul genannt, die Beschreibung des Königs passt https://de.wikipedia.org/wiki/Yahya_Jammeh). Nein, ich denke, dass muss man nicht lesen. Es blieb mir fern, war mir zuletzt zu viel Gejammer aus den Perspektiven von drei Protagonistinnen, denen es eigentlich doch hätte gut gehen können. Nur zwei Sterne von fünf, trotz der Sprache.

Veröffentlicht am 28.05.2017

Leider nix – letztlich selbstmitleidiger Protagonist und laue Geschichte

Die sieben Tode des Max Leif
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Bis gut über die Mitte des Buches habe ich mich gelangweilt und hätte abgebrochen, wäre es nicht um ein Leseexemplar gegangen. Nach etwas mehr als der Hälfte der Seiten gab es dann eine Erkenntnis – und ...

Bis gut über die Mitte des Buches habe ich mich gelangweilt und hätte abgebrochen, wäre es nicht um ein Leseexemplar gegangen. Nach etwas mehr als der Hälfte der Seiten gab es dann eine Erkenntnis – und dann war ich eher sauer: Max Leif erschien mir jetzt als selbstmitleidiger verwöhnter Feigling – er stellt seine Ängste, damit seine Bedürfnisse, vor alles, auch bezüglich der letztlichen Ursache seiner Ängste. Probleme löst er mit Geld – ja, bei bestimmten Dingen ist das gut – aber man sollte dann auch mit Rückgrat selbst involviert sein. Aber von vorne.

Max Leif hat sein eigenes Music-Label gegründet, „LeifMusic“, und sich als Produzent von Mainstream-Titeln eine goldene Nase verdient. Er liebt Musik, denn: „Ich spiele ganz gut Gitarre und Klavier, aber mit meiner Stimme könnte ich Fliegen tot von der Wand fallen lassen.“ S. 8 Damit haben er und ich schon etwas gemein dachte ich, ich kann nur keine Gitarre spielen und kein Klavier. Max erleidet einen Herzinfarkt, sein bester Freund stirbt plötzlich: Thrombose, dann Lungenembolie, dann tot. Daraufhin schlägt auch er sich mit diversen Beschwerden herum, die er einzuschätzen versucht: müde – also gestochen von der Tsetsefliege, Fieber unbekannter Ursache – bestimmt HIV, und ein Tumor kann doch fast überall sein. Seine Ärztin besucht er an ihrem Geburtstag daheim – bei einem Notfall völlig logisch.

Ich kenne ein paar Hypochonder, sowohl überängstliche als auch recht selbstverliebte, bin selbst nicht völlig unängstlich und hatte auch schon den einen oder anderen Fall von schwerer „Männer-Grippe“ vor mir – also hatte ich mir eine gute Lektüre versprochen, bissig, witzig, unterhaltsam, vielleicht mit ein paar tieferen Gedanken. Witzig fand ich’s jetzt nicht – was steht auf dem Grabstein einer Putzfrau, eines Zahnarztes etc. ist ein running gag, den ich so mit zwölf lustig gefunden hätte, eher harmlos. Die Nebenfiguren wie Hund Hannibal oder die russische Putzfrau sind interessanter gezeichnet als der Hauptcharakter, bleiben aber dennoch Klischees, mit sich wiederholenden Handlungen (der dauerschlabbernde chaotische Hund etc.)

Den Part mit dem Selbstmitleid Max‘ kann ich jetzt leider nicht erklären, ohne zu spoilern. Auch die Liebesgeschichte, die irgendwann noch mit in die Geschichte kommt, ist reichlich vorhersehbar und mir zu oberflächlich. Am ehesten bewegte mich noch die Seiten gegen Ende zum Hund – auch wenn ich genau damit gerechnet hatte.

Immerhin ist die Sprache ordentlich, das Buch ist gut lektoriert, auch logisch, wenn es zum Beispiel um Fahrzeiten geht (da hatte ich unlängst völlig unwahrscheinliche Zeiten). Die Struktur der Überschriften ist witzig, aber mich erreicht das alles schlicht nicht. Wer einen eher unterhaltsamen Roman sucht, nicht völlig kitschig, aber emotional, mit ernsterer Geschichte dahinter und einem eher sperrigen Helden und witzigen Momenten, der sollte eher zu den ‘Klassikern‘ greifen: „Ein Mann namens Ove“ oder „Das Rosie-Projekt“ oder, neuer, „Mr. Peardews Sammlung der verlorenen Dinge“.

Veröffentlicht am 16.04.2017

Mir viel zu überzogen und unlogisch, obwohl Grundplot, Figuren, Schreibe toll sind

Post Mortem - Tage des Zorns
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Gesucht wird ein Serienmörder. Besondere Kennzeichen:
• tötet Ehepaare in alleinstehenden Bauernhäusern
• Leichen liegen nebeneinander im Bad
• mehrere Stichverletzungen, aufgeschlitzter Hals
• keine Blutspuren
• ein ...

Gesucht wird ein Serienmörder. Besondere Kennzeichen:
• tötet Ehepaare in alleinstehenden Bauernhäusern
• Leichen liegen nebeneinander im Bad
• mehrere Stichverletzungen, aufgeschlitzter Hals
• keine Blutspuren
• ein alter Füller bleibt am Tatort
• Täter scheint Schutzkleidung zu tragen
• am Tatort: A6 Zettel, kariert, ohne Rand, aus Ringbuch; mit Stecknadeln fixiert, mit Sprüchen aus Dantes „Göttlicher Komödie“ aus dem vermischten Blut der Opfer
 neu: sehr kurzer Abstand, Waffen in den Händen der Opfer. Baumwollfasern am Stuhl, nur Blut eines Opfers, der Frau, verwendet, ein anderes Messer – mit Zacken oben
Ermittlerin: Emilia Ness, Interpol – sie koordiniert polizeiliche Ermittlungen bei grenzüberschreitenden Schwerverbrechen S. 239. Besondere Verbindung zum Täter: NOCH keine – zumindest keine, die ihr bewusst ist. Doch da sollte sie vielleicht ihre Tochter Becky fragen. Becky wird nämlich vermisst. Doch das weiß Emilia noch nicht…

An anderer Stelle erledigt Profi-Killer Avram Kuyper einen Job – was man halt in der Branche so tut. Aber nicht nur hier läuft es nicht so wie geplant – auch der nächste potentielle Kunde hat ein etwas anderes Anliegen.

So spannend beginnt das Buch, der dritte Band der Post Mortem – Reihe. Hatte ich noch eher zufällig Band 1 vor Band 2 gelesen, denke ich jetzt, dass man mit Nummer 3 Probleme haben dürfte ohne Vorkenntnisse (schon allein, warum Emilia zu einem gewissen Grade Avram vertraut – und zu einem alten Bekannten).

Doch leider bin ich ab etwa der Hälfte des Buches ausgestiegen – wörtlich; ich habe dann nur beendet, weil ich ein Leseexemplar habe. Es gibt so diverse Fehler, Logiklücken oder schlicht „zu viel des Guten“. Zu viel? Nun ja, auch hier ist wieder mal die Familie der Protagonisten mit dran, unter Bedrohung. Das ist inzwischen so ein Trend in der Thriller-Literatur, der mich nervt (kein Mensch wäre noch bei Polizei und Co., wenn jedes Mal die Familie von den Kriminellen bedroht wäre). Dann hat „Tage des Zorns“ so ein paar Settings zwischen Lara Croft, Indiana Jones und ähnlichen Abenteuer-Filmen: da gibt es Gemäuer mit vielen Gängen, alte Burgen, Geheimzugänge… getoppt hier von der Kelleretage der Fabrik, die – natürlich – wie ein Labyrinth ist. Ich will eine Lagerhalle bauen, in der ich mich gezielt NICHT zurechtfinde, so baut doch jeder von uns, oder???

Da ist ein Mann in besagter Lagerhalle eingesperrt - und er findet den Meißel, mit dessen Hilfe er die Tür seines Raums öffnet, erst NACHDEM er zuvor die Botschaft des gestörten Verbrechers im selben Raum gefunden hat (klar, denn NACH dem Fund des Meißels würde er ja nicht mehr weiter suchen). Da darf Emilia im letzten Drittel weiter ermitteln TROTZ persönlicher Betroffenheit (den Alleingang zum Ende einmal ausgeklammert). Da wird im Keller der Lagerhalle eine Schnitzeljagd organisiert, die irgendwie an Computerspiele à la Lemminge erinnert – erfülle die Aufgabe und gelange auf das nächste Level (es gab mal eine Criminal Minds-Folge, da zwang man den Opfern auf, wie Akteure eines Computerspiels zu agieren – das hier erinnert schwer daran). Wer schluckt freiwillig Betäubungsmittel, wenn es gilt, ein Kind zu retten – falls man stirbt an der unbekannten Substanz KÖNNTE man niemanden mehr retten??? Wozu überhaupt die ganze Aktion des gestörten Verbrechers mit der Schnitzeljagd – ja, er will die beiden leiden sehen – aber wenn er einfach still die Kinder entführt hätte und die beiden Leidenden nie wieder etwas von ihnen gehört hätten, das hätte nicht gereicht??? Ach ja, dann wäre ja der Showdown nicht möglich gewesen. Generell bin ich ja bei Krimis und Thrillern da insgesamt toleranter als bei Romanen, aber das hier ist zu viel. Und noch so am Rande – was war mit Sinas Vater oder mit Dante am Ende – beide waren ja im Anfang einmal wichtig. Da stört dann fast ein Satz wie "Ich kenne niemanden, der sich mehr ans Leben krallt W I E du" S. 235 noch am wenigsten.

Schade. Und gerade Avram finde ich so eine tolle Hauptfigur. Leider reicht mir der Rest in der Häufung dann nicht mal für ein „Mittelmäßig“. 2 Sterne von 5.

Veröffentlicht am 14.03.2017

„Mia, sagen Sie, komm zur Sache.“

Der Sommer ohne Männer
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S. 211 „Mia, sagen Sie, komm zur Sache.“

Nach dreißig Ehejahren wünscht sich Boris eine Pause von Ehefrau Mia – die „Pause“ ist
zwanzig Jahre jünger als letztere und eine kultivierte Neurowissenschaftlerin, ...

S. 211 „Mia, sagen Sie, komm zur Sache.“

Nach dreißig Ehejahren wünscht sich Boris eine Pause von Ehefrau Mia – die „Pause“ ist
zwanzig Jahre jünger als letztere und eine kultivierte Neurowissenschaftlerin, seine Kollegin. Die prämierte Dichterin Mia dreht durch, landet für eineinhalb Wochen in der Psychiatrie und zieht sich danach für den Sommer in die Nähe ihrer Mutter, 90, zurück in die Kleinstadt ihrer Jugend.

Mia kommt gefühlt nicht wirklich zu Sache, auch wenn die Ich-Erzählerin den Leser teils direkt anspricht wie eingangs zitiert – der Roman plätschert so dahin mit seinen verschiedenen Themen – von Mias Kindheit (distanzierter Vater, liebende Mutter), über Ehemann Boris (vöööööllig überraschend: ebenfalls distanziert; Mia scheint dabei dummerweise überspannt), zu den alternden Freundinnen der Mutter in diesem sehr speziellen Mikrokosmos eines Seniorenwohnheims, über das temporäre Domizil Mias in einem gemieteten Haus mit jungen Nachbarn (in der Krise, seinetwegen, natürlich), inklusive der Ränkespiele der frühpubertierenden Mädchen in dem Kurs, den Mia abhält…. .

Das alles wirkt auf mich in den besten Momenten wie einer der kopflastigsten Filme Woody Allens, am ehesten aus der Perspektive Diane Keatons – auch wenn die erklärte New Yorkerin Siri Hustvedt die erklärte New Yorkerin Mia früh nach Minnesota schickt, an die Stätte beider Jugend. Phasenweise nervt das: da werden nacheinander genannt Filme mit Cary Grant, Jane Austen, Heisenberg und Leibniz‘ Monadologie – und das ist nur eines von vielen vielen vielen Beispielen, die ich häufig als bloße Phrasen und aufgesetzt empfand, von den vielen Text-Fetzen aus Lyrik und Prosa zu schweigen oder seitenweise Geschlechtertheorien zitiert durch alle Jahrhunderte.

Wäre das Buch denn nicht so beruhigend kurz gewesen, ich hätte wohl abgebrochen, wenn, ja wenn es nicht gleichzeitig mit so wunderschönen Aphorismen gespickt gewesen wäre.
S. 61 „Zeit ist nicht außerhalb von uns, sondern in uns. Nur leben wir mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, und die Gegenwart ist zu kurz, um überhaupt erfahren zu werden; sie wird nachher behalten, und dann ist sie entweder kodifiziert oder fällt der Amnesie anheim.“

Dummerweise reicht mir das nicht, wenn es mich schwer nervt, wie Mia „ihrem“ (ja, das ist -leider – wörtlich, ihrem) Boris mangelnde Dankbarkeit vorwirft, manifestiert im Ehebruch – ernsthaft? Und das neben der ganzen pseudofeministischen Phrasendrescherei und dem mir seltsam verklemmt anmutenden Darstellen eigener Lust-Erfahrungen? Das reißen dann leider auch die an sich schönen Nebengeschichten zu Abigails verborgenen Stickereien oder dem Trick, eine jugendliche Mobbingerfahrung aus mehreren Perspektiven zu erleben zu lassen, nicht mehr heraus.

S. 248 "Ein Buch ist eine Zusammenarbeit von demjenigen, der liest, und dem, was gelesen wird, und bestenfalls ist dieses Zusammentreffen eine Liebesgeschichte wie jede andere."

Ich habe mich nicht verliebt. Ich habe nicht einmal geflirtet.


Folgebuch: Jane Austen. Überredung (Persuasion)