Ein sanftes, aber zugleich sprachgewaltiges Debüt voller Tragik und Poesie
„Greta und Jannis. Vor acht oder in einhundert Jahren“ – schon der Titel dieses wunderbaren Debütromans von Sarah Kuratle drückt aus, was uns das ganze Buch über begleitet: eine surrealistisch angehauchte ...
„Greta und Jannis. Vor acht oder in einhundert Jahren“ – schon der Titel dieses wunderbaren Debütromans von Sarah Kuratle drückt aus, was uns das ganze Buch über begleitet: eine surrealistisch angehauchte Liebes- und Familiengeschichte in überaus poetischer Sprache. Kein leichtes Buch, aber ein unglaublich lohnenswertes Leseerlebnis, das noch lange nachhallt.
Greta und Jannis sind im letzten Dorf im Gebirge groß geworden und durch ein besonderes Band miteinander und mit der wilden Natur verbunden. Greta wächst mit drei Ziehgeschwistern bei ihrer Großtante auf, Jannis als Einzelkind eines alleinerziehenden Vaters. Im Erwachsenenalter zieht Jannis in die Stadt, Greta kehrt immer wieder in die Heimat zurück, aber das Band zwischen ihnen bleibt bestehen. In langsamen, nachdenklichen Episoden erzählt der Roman im stetigen Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart von ihrer Kindheit, ihrer Jugend, ihrem Jetzt. Im Zentrum stehen immer diese beiden, aber sie sind umgeben von anderen Schicksalen – ihren Familien, dem geheimnisvollen Nachbarn Cornelius und der stets präsenten gewaltigen Natur, die wie eine eigene Figur in Form von Feuervögeln, Steinböcken und Goldäpfeln in Erscheinung tritt.
Der poetische Stil des Romans entwickelt einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann, voller Schönheit und Anmut, aber auch Tragik und Verzweiflung. Die sanfte, ästhetische Sprache täuscht über die Tragweite der teils dramatischen Entwicklungen hinweg, lullt mich als Leserin beinahe ein, sodass die Realisierung des Unaussprechlichen, wenn sie dann kommt, umso erschütternder ist. Kuratle reizt die Grenzen dessen, was in der deutschen Sprache möglich ist, auf enorm ästhetische Art und Weise aus und erreicht damit eine Sprachgewalt, die vor allem durch ihre Zartheit gekennzeichnet ist. Mensch und Natur sind in traumschönen Metaphern untrennbar miteinander verbunden, und über der Szenerie schwebt stets die Frage nach der Realität, denn Raum und Zeit scheinen im letzten Dorf im Gebirge irgendwie anders zu funktionieren.
Märchenhaft, teils surreal, dabei poetisch und von einer tragischen Ästhetik durchzogen bietet „Greta und Jannis“ ein ungewöhnliches Leseerlebnis, das sowohl auf sprachlicher als auch auf inhaltlicher Ebene sehr tief berührt und beeindruckt. Eine unbedingte Leseempfehlung!