Ein bildgewaltiger Ritt durch den Wilden Westen
Wie viel von diesen Hügeln ist GoldDas Geschwisterpaar Lucy und Sam wachsen im amerikanischen Westen, dem berüchtigten „Wilden Westen“, im ausgehenden 19. Jahrhundert in bitterer Armut und umgeben von Brutalität auf. Der Vater, der mit ...
Das Geschwisterpaar Lucy und Sam wachsen im amerikanischen Westen, dem berüchtigten „Wilden Westen“, im ausgehenden 19. Jahrhundert in bitterer Armut und umgeben von Brutalität auf. Der Vater, der mit seiner Tätigkeit als Goldschürfer und als Tagelöhner kaum die Familie ernähren kann, verfällt nach dem Tod seiner Frau dem Alkohol. Nach dem Tod des Vaters wiederum machen sich die beiden charakterlich sehr ungleich Geschwister auf die Suche nach sich selbst, einem Zuhause und ihrem Platz in einem Land, in dem sie „anders“ sind. Der Ritt durch die Ödnis und Härte des Wilden Westens verändert die beiden von Grund auf…
Der Einstieg in den Roman fiel mir aus zweierlei Gründen nicht leicht: Zum einen setzt die Handlung unmittelbar ein, ohne viel zu erklären; zum anderen wird das Lesevergnügen durch die sehr bildliche und intensive Sprache der Autorin C Pam Zhang beeinflusst, was in den zwei letzten Teilen besonders beeindruckend, im ersten Teil des Buches jedoch äußerst ekelerregend ist. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann mir das letzte Mal beim Lesen fast übel geworden ist aufgrund einer Beschreibung. Dennoch hat mich die Intensität mit der C Pam Zhang das Setting des Wilden Westens vermitteln konnte sehr beeindruckt. Ihre bildgewaltige Sprache stand dabei immer wieder in einem starken Kontrast zur Grausamkeit und Härte der Handlung.
Was mich von Beginn an begeistern konnte, war die Einbettung von chinesischen Wörtern und Eindrücken in den Fließtext, insbesondere in die wörtliche Rede – und zwar auf eine Weise, die es auch allen, die nicht der Chinesischen Sprache mächtig sind, ermöglicht, sich diese Wörter aus dem Kontext zu erschließen. Das habe ich bis jetzt so noch bei keinem anderen Roman gesehen!
Von besonderem Interesse war für mich die literarische Auseinandersetzung mit der chinesischen Diaspora, die im mittleren und ausgehenden 19. Jahrhundert das Kaiserreich verließ und dem Ruf des Goldes und die Vereinigten Staaten folgte. Aufgrund meines sinologischen Hintergrunds hatte ich mir hier mehr Informationen und Bezüge dazu gewünscht, zum Beispiel wie die Nachricht vom Gold die Menschen in China erreicht hat, oder wie sie nach ihrer Ankunft von Menschenhändler-ähnlichen Strukturen als Arbeiter ausgebeutet wurden.
Tatsächlich lag der Fokus des Romans jedoch eher auf der Auseinandersetzung mit aktuellen Diskursen zu Identität, Rassismus und Zugehörigkeit, die anhand von Lucy und Sam, aber auch ihrer Eltern aufgegriffen wird, da sie auf mehreren Ebenen aufgrund ihrer äußeren Merkmale einer bestimmten Herkunft und Gruppe zugeordnet werden, der Anschein jedoch trügt! Das war für mich als Leserin spannend, weil die eigene Meinung immer wieder redigiert werden musste – ähnlich einer Vorurteilsbrille, die mich vorschnell zu einer Tatsache finden lässt, und die mir immer wieder vorgehalten wurde. So gehe ich aus diesem Leseerlebnis mit einem Zitat raus, welches mehrfach im Roman fiel und doch nicht oft genug gefragt werden kann: „Was macht ein Zuhause zu einem Zuhause?“