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Veröffentlicht am 22.08.2021

Familie und andere Schwierigkeiten

Die Dorfärztin - Wege der Veränderung
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1928. Endlich verläuft in Helene „Lenis“ Leben alles so, wie sie es sich gewünscht hat. Als Landärztin wird sie im westfälischen Dorf Bockhurst endlich respektiert. Die Patienten geben sich die Klinke ...

1928. Endlich verläuft in Helene „Lenis“ Leben alles so, wie sie es sich gewünscht hat. Als Landärztin wird sie im westfälischen Dorf Bockhurst endlich respektiert. Die Patienten geben sich die Klinke in die Hand und wollen sich von ihr behandeln lassen. Und mit ihrer Jugendliebe Matthias ist sie verheiratet, so dass die gemeinsame Tochter Marie endlich in geordneten Familienverhältnissen aufwächst. Aber dennoch gibt es wieder Probleme, denn Matthias findet einfach keine Anstellung, und Lenis Mutter meint immer noch, allen Familienmitgliedern in ihr Leben hineinpfuschen zu können…
Julie Peters hat mit „Wege der Veränderung“ den zweiten Teil ihrer unterhaltsamen historischen Dorfärztin-Dilogie vorgelegt. Der flüssige Erzählstil lässt den Leser ins Westfalen des vergangenen Jahrhunderts reisen, um dort erneut auf Leni Wittmann zu stoßen, die sich inzwischen im dörflichen Bockhurst als Landärztin etabliert hat. Nachdem sie anfänglich unter Misstrauen und dem Mangel an Patienten zu leiden hatte, hat sich die Situation nun ins Gegenteil verkehrt. Die Menschen kommen gern zu ihr und vertrauen ihrer Heilkunst. Die Beziehung zu Matthias scheint sich gefestigt zu haben, doch bleibt beim Leser immer ein gewisses Zweifeln, ob dieser sich nicht im nächsten Moment wieder auf und davon macht, sobald es Schwierigkeiten gibt. Über unterschiedliche Zeitebenen werden dem Leser immer wieder Perspektivwechsel angeboten, so dass er nicht nur die Beziehung zwischen Leni und Matthias besser verstehen lernt, sondern auch Lenis Beziehung zu ihrer eigenen Familie. Ihre Mutter hat ein sehr einnehmendes Wesen, muss sich in alles einmischen und meint, allen ihr Leben diktieren zu müssen. Da verwundert es nicht, dass Leni sich freigeschwommen und eine völlig andere Richtung eingeschlagen hat, um Abstand zu ihrer Mutter zu bekommen, wenn es auch nicht einfach war. Leni hat sich trotz ihrer körperlichen Beeinträchtigung niemals klein kriegen lassen und ihre Ziele fokussiert. Der Spannungslevel ist auch in diesem Band recht niedrig, die Geschichte plätschert so vor sich hin, bleibt dabei aber unterhaltsam.
Die Charaktere sind einfach gehalten, aber mit den nötigen menschlichen Eigenschaften ausgestattet. Der Leser steht an ihrer Seite, ist aber mehr Beobachter als Teilhaber. Leni ist eine patente, mutige und kämpferische Frau, die sich nicht unterkriegen lässt und sich Widerständen in den Weg stellt. Sie hat sich den Respekt der Menschen hart verdient, gerade weil sie sich auf Gebiete vorwagt, die zu jener Zeit sonst nur Männern vorbehalten sind. Matthias ist zwar ein gutmütiger Mann, aber ein wankelmütiger Zeitgenosse, auf den man sich nicht verlassen kann. Dies trägt nicht gerade dazu bei, dass Leni sich bei ihm sicher fühlt und ihm vertrauen kann. Lenis Mutter ist eine wahre Pestbeule, die sich überall hineindrängt und die Menschen zu manipulieren versucht, während der Vater farblos und blass bleibt, um nur ja nicht aufzufallen.
„Wege der Veränderung“ ist eine kurzweilige Reise ins vergangene Jahrhundert. Familiengeschichte, Liebe und das Leben auf dem Land vor geschichtlichem Hintergrund ist unterhaltsam zu lesen, wenn auch ohne große Spannung. Eingeschränkte Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 07.08.2021

Erneuter Besuch in Ligurien

Der Jasminblütensommer
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Seit einem Jahr lebt Giulia nun im ligurischen Levanto in der Jasminvilla ihres Großvaters. Nun steht die erste Ernte an und zum Einstand wird ein großes Fest gefeiert, bei dem nicht nur ihr neuer Familienzweig ...

Seit einem Jahr lebt Giulia nun im ligurischen Levanto in der Jasminvilla ihres Großvaters. Nun steht die erste Ernte an und zum Einstand wird ein großes Fest gefeiert, bei dem nicht nur ihr neuer Familienzweig aus Frankreich anreist, sondern ihr Marco sogar einen Heiratsantrag macht. Doch das Fest wird überschattet von schlechten Nachrichten. Marcos Schwester Laura, die von ihrer Mutter gerade erst eine Niere gespendet bekommen hat, liegt wieder im Krankenhaus, weil ihr Körper das Organ abstößt. Die Sorge um Laura bestimmt fortan den Alltag von Marco, Giulia und Lauras Tochter Aurora, zumal deren Vater auf einmal auf der Bildfläche erscheint. Aber auch Marcos Vater Alessandro sorgt für Aufregung, denn um Laura zu unterstützen, will er seinen Olivenhof an den Immobilienhändler Paolo Messi verkaufen. Es brauen sich große Wolken über der Jasminvilla zusammen…
Elena Conrad hat mit „Der Jasminblütensommer“ den zweiten Teil ihrer Jasminblüten-Saga vorgelegt, der den Leser nicht nur ins malerische italienische Ligurien entführt, sondern ihn auch über die neuesten Entwicklungen bei Giulia und Marco auf dem Laufenden hält. Der flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Schreibstil lässt den Leser zum Jasminblütenfest in Giulias alte Villa einziehen, um dort die weiteren Ereignisse hautnah mitzuerleben. Um die gesamten Vorgänge zu verstehen und weiterfolgen zu können, empfiehlt es sich auf jeden Fall, den ersten Band vorab zu lesen. Auch in diesem Roman spiegelt die bildhafte Sprache der Autorin die wunderschöne Landschaft Liguriens wieder, die wie durch Zauberhand während der Lektüre vor dem inneren Auge des Lesers Gestalt annimmt. Die italienische Lebensfreude, der familiäre Zusammenhalt sowie einige Gaumenfreuden werden ebenso transportiert, so dass der Duft nach Jasmin, Tomaten und Kräutern die Nase erreicht und der Leser schon den Geschmack der wunderbaren Gerichte auf der Zunge spürt. Kochen und genießen ist in diesem Buch ebenso wichtig wie die Lösung privater Probleme innerhalb des Familienkreises. Die Beziehung von Giulia und Marco wird ein ums andere Mal auf die Probe gestellt und sorgt für einige kleine Dramen. Trotz allem kann der zweite Teil weder spannungsmäßig, vom Inhalt und vom Gefühl her an den ersten Band heranreichen. Der Leser hat oftmals den Eindruck, auf der Stelle zu treten und alles schon einmal gelesen zu haben. Auch die Spannung ist in diesem Roman völlig zum Erliegen gekommen, die Effekthascherei mit dem Brand war dafür zu kurz und schnell abgehandelt.
Die Charaktere sind lebendig und authentisch in Szene gesetzt, doch hat sich eine Barriere zwischen ihnen und dem Leser aufgebaut, die ihn eher auf den Platz des stillen Beobachters verweist, als aktiv am Geschehen teilzunehmen. Giulia hat alle Hände voll zu tun, ihren Verlobten und dessen Sorgen unter Kontrolle zu halten. Marco ist oftmals aufbrausend, lässt sein Gegenüber gar nicht ausreden, zieht voreilige Schlüsse und gibt sich ganz seinen Vorbehalten hin. Dabei hat er eigentlich ein gutes Herz. Paolo ist weiterhin ein undurchsichtiger Typ, der mit der Macht spielt, um seinen Willen zu bekommen. Seine Freundin Michelle ist wesentlich weitsichtiger und pragmatischer, durchschaut die Zusammenhänge sofort. Ebenfalls spielen Aurora, Alessandro, Fulvio, Trixi und Loretta eine Rolle in der Geschichte.
„Der Jasminblütensommer“ ist ein leichter, kurzweiliger Lesegenuss, der leider nicht an den Vorgängerband heranreicht. Zwar geben sich Liebe und Drama hier die Klinke in die Hand, aber es fehlt der besondere Kick, deshalb nur Mittelmaß. Eingeschränkte Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 31.07.2021

„Dunkelheit kann Dunkelheit nicht vertreiben, das kann nur Licht. Hass kann Hass nicht vertreiben, das kann nur die Liebe.“ (Martin Luther King)

Gute Nachbarn
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Im kleinen Vorort Oak Knoll in North Carolina leben die Bewohner friedlich miteinander, die Hautfarbe des Nachbarn spielt keine Rolle. Hier wohnt auch die farbige Ökologie-Professorin Valerie Alston Holt ...

Im kleinen Vorort Oak Knoll in North Carolina leben die Bewohner friedlich miteinander, die Hautfarbe des Nachbarn spielt keine Rolle. Hier wohnt auch die farbige Ökologie-Professorin Valerie Alston Holt gemeinsam mit ihrem 17-jährigen Sohn Xavier, der bald sein Musikstudium in San Francisco beginnen wird. Die Welt der Bewohner, allen voran die von Valerie und Xavier, ändert sich schlagartig, als die neureichen Whitmans als direkte Nachbarn in ihr neues Haus einziehen. Die Whitmans sind weiß, arrogant, überheblich und scheren sich nicht um anderer Leute Besitz, Hauptsache sie bekommen, was sie wollen, was zu erheblichen Beschädigungen in Valeries Garten führt und sich zu einem Rechtsstreit zwischen Valerie und den Whitmans auswächst. Während die Eltern gegenseitig die Klingen kreuzen, verlieben sich ausgerechnet Xavier und die älteste Whitman-Tochter Juniper ineinander, was schon bald ungewollt zu einer Tragödie führt, die die gesamte Nachbarschaft in Mitleidenschaft zieht…
Theresa Ann Fowler hat mit „Gute Nachbarn“ einen unterhaltsamen Gesellschaftsroman vorgelegt, der sich neben einer Vielfalt von Themen vor alle mit Rassismus beschäftigt und dabei jegliches Klischee bedient, das man in diesem Zusammenhang überhaupt aufzählen kann. Der flüssige, farbenfrohe und ungewöhnliche Erzählstil aus der Sicht der Nachbarschaft bleibt zum einen unpersönlich, versteht dennoch den Leser mitzuziehen. So quartiert sich der Lesende in Oak Knoll ein, lernt neben der farbigen Valerie und ihrem Mischlingssohn Xavier auch die erzkonservativen weißen Whitmans kennen, durch deren Zuzug die vorher friedlich anmutende Gemeinde aufgemischt wird. Was als typischer Nachbarschaftsstreit beginnt und vor Gericht landet, entpuppt sich immer mehr zu einem Drama. Der neureiche Whitman, der mit seiner Arroganz nicht nur das Eigentum anderer missachtet, sondern auch seine Familie mit seinem ausgeprägten Moralgehabe tyrannisiert, spaltet mit seinen Ansichten auch die Nachbarschaft, die vorher einträglich miteinander gelebt hat, in unterschiedliche Lager. Aber ebenso schuldig macht sich Valerie, die mit der eingereichten Klage ihren neuen Nachbarn sofort auf die Palme und gegen sich aufbringt, anstatt erst einmal persönlich miteinander zu reden. In diesem Buch ist nicht alles nur schwarz oder weiß, dazwischen finden sich Graustufen in allen Schattierungen. Doch wird das Ganze noch durch die unschuldige und vorbehaltlose Liebelei der verfeindeten Familienkinder auf die Spitze getrieben. Eine unterschwellige Spannung ist allgegenwärtig, doch auf den Leser wirkt es eher wie Effekthascherei vor dem großen, fast vorhersehbaren Knall.
Auch die Charaktere rufen gemischte Gefühle hervor. Sie besitzen zwar realistische, menschliche Züge, jedoch wirkt alles etwas sehr überspitzt, um den Leser Richtung Sympathie oder Antipathie zu lenken, der lieber auf Distanz bleibt und nur beobachtet. So sieht man in Brad Whitman den überheblichen, schmierigen, egoistischen und gefährlichen Tyrannen, während Valerie die allseits beliebte Professorin ist, die kein Wässerchen trüben kann. Betrachtet man die in Rückblenden eingearbeitete Vergangenheit der beiden, kann man als Leser viele ihrer Verhaltensweisen davon ableiten ohne sie gut zu heißen.
„Gute Nachbarn“ ist thematisch zwar hochaktuell, doch aufgrund der Distanz zu den Protagonisten sowie der bedienten Klischees bleibt vieles auf der Strecke. Am Ende bleibt es nur eine spannende Geschichte ohne Mehrwert, da es doch sehr an einer ausgereiften Darstellung hapert. Eingeschränkte Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 11.07.2021

Die heimliche Liebe zu Worten

Dein Herz in tausend Worten.
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Als „Allrounderin“ arbeitet die schüchterne Millie in dem kleinen Verlag Anderson & Jones und kümmert sich rührend um die Mitarbeiter, die sie allerdings kaum bemerken. Neben ihrer Tätigkeit kann sie ihrer ...

Als „Allrounderin“ arbeitet die schüchterne Millie in dem kleinen Verlag Anderson & Jones und kümmert sich rührend um die Mitarbeiter, die sie allerdings kaum bemerken. Neben ihrer Tätigkeit kann sie ihrer Leidenschaft frönen, abgelehnte Manuskripte vor der Vernichtung zu bewahren und heimlich zu lesen. Als sie eines mit dem Titel „Dein Herz in tausend Worten“ liest, ist sie so bewegt von der Geschichte, dass sie beschließt, wenigstens einzelne Zitate aus dem Roman in Umlauf zu bringen und den Findern damit ein kleines Trostpflaster zu schenken. Allerdings hat sie die Rechnung ohne den Autor William Winter gemacht, denn der fühlt sich betrogen und will den Übeltäter auf jeden Fall finden. Doch dann trifft er auf Millie…
Judith Pinnow hat mit „Dein Herz in tausend Worten“ einen ganz netten Roman vorgelegt, der einem modernen Märchen gleichkommt und dem Leser einige unterhaltsame Momente beschert. Der flüssige, leicht melancholische Erzählstil gewährt dem Leser schnell Einlass in Millies Welt, wo er ihre Welt kennenlernt, in der sie sich aufgrund ihrer Schüchternheit in Bücher und Worte verliert, die ihre Einsamkeit für eine kurze Zeit in den Hintergrund schieben. Neben eingestreuten Auszügen aus dem abgelehnten Manuskript lässt die Autorin ganz langsam eine Romanze aus einer Zufallsbekanntschaft entstehen und ihre Hauptprotagonistin von Schritt zu Schritt immer mehr aus ihrem selbstgewählten Schneckenhaus heraustreten. Die muss erst einmal lernen, die Welt nicht nur auf sich wirken zu lassen, sondern auch an ihr teilzunehmen. Millies enge familiäre Bande zu ihrem Bruder sind empathisch in die Geschichte integriert und tragen viel zum Verständnis für Millies Verhalten bei. William, der Autor des Manuskripts, versucht mit seinen hingeschriebenen Worten seiner Seele Luft zu machen und seine Verletztheit damit irgendwie zu kompensieren, wenn es bisher auch nicht viel geholfen zu haben scheint. Die erst zufällige und dann intensiver werdende Begegnung der beiden trägt zur beidseitigen Heilung bei, mehr noch finden sich zwei Seelen, die vieles gemeinsam haben. Mit ihrem Setting greift die Autorin zu einem bewährten Ort zurück, denn der Londoner Stadtteil Knotting Hill steht nicht nur für eine schöne Umgebung, sondern ruft auch Assoziationen bezüglich des gleichnamigen Films hervor. Auch wenn die Geschichte etwas Zauberhaftes hat, so fehlt es ihr doch an einem Schuss mehr Romantik. Zudem verlaufen einige Dinge einfach so im Sande und man fragt sich, warum sie überhaupt erwähnt wurden. Insgesamt bedient die Handlung das Klischee eines modernen Märchens.
Die Charaktere sind lebhaft und glaubwürdig in Szene gesetzt, leider schaffen sie es nicht, den Leser mit ins Boot zu holen, der den Posten als stiller Beobachter bezieht und von dort dem Treiben zusieht, ohne jedoch groß mitzufühlen und zu fiebern. Millie ist eine sehr zurückhaltende und schüchterne junge Frau, was ihrer verständlichen Verlustangst zuzuschreiben ist. Sie hat nicht nur ein Herz für andere, die sie liebevoll, aber unauffällig, umsorgt, sondern vor allem für Bücher und Geschichten, für Worte, die ihr einsames Herz berühren. Bruder Felix kümmert sich rührend um sie, ist ihr Fels in der Brandung und immer für sie da. Ebenso ist Kollegin Rebecca mit ihrer impulsiven und fröhlichen Art schon fast sowas wie eine Freundin. William Winter ist ein zutiefst verletzter Mann, der den Glauben an die Liebe aufgegeben hat. Und dann gibt es noch Mrs. Crane, die wie die gute Fee aus dem Märchen wirkt.
„Dein Herz in tausend Worten“ ist märchenhaft, surreal, romantisch, aber auch manchmal schon fast so klebrig wie Zuckerwatte. Ganz nett zu lesen, allerdings ohne den Leser nachhaltig zu beeindrucken. Eingeschränkte Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 06.07.2021

"Die Baukunst soll ein Spiegel des Lebens und der Zeit sein." (Walter Gropius)

Die Architektin von New York
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1865 New York. Die Stadtteile Manhattan und Brooklyn sind durch den East River getrennt und nur durch den Fährbetrieb miteinander verbunden. Dass die Überquerung des Flusses gerade im Winter eine große ...

1865 New York. Die Stadtteile Manhattan und Brooklyn sind durch den East River getrennt und nur durch den Fährbetrieb miteinander verbunden. Dass die Überquerung des Flusses gerade im Winter eine große Herausforderung und nicht ganz ungefährlich ist, bekommt die jung verheiratete Emily Roebling am eigenen Leib zu spüren. Als die Stadt den Bau einer Hängebrücke von Brooklyn nach Manhattan plant, bekommt Emilys Schwiegervater, der Architekt John Augustus Roebling, den Auftrag für den Entwurf und den Bau der Brücke. Sein Sohn Washington reist mit Emily sogar nach Europa, um Emily nicht nur seine alte thüringische Heimat zu zeigen, sondern sich vor allem viele Brückenkonstruktionen anzusehen. Als John Roebling 1870 stirbt, übernimmt Washington die weitere Durchführung zur Fertigstellung der Brücke, doch als er schwer erkrankt, will Emily ihm seinen größten Wunsch erfüllen und leitet entgegen jeglichen Widerstand die Baustelle der Brücke…
Petra Hucke hat mit „Die Architektin von New York“ einen unterhaltsamen und informativen historischen Roman mit einem Mix aus Fiktion und belegten Personen vorgelegt, der sich mit dem Bau der Brooklyn Bridge befasst. Jeder, der diese Hänge- und Schrägseilbrücke schon einmal überquert hat, ist von ihrer Konstruktion und Schönheit beeindruckt. Der flüssige und farbenfrohe Erzählstil lässt den Leser eine Zeitreise antreten, um sich im New York des 19. Jahrhunderts wiederzufinden, wo er auf Emily, ihren Ehemann Washington und Schwiegervater John Roebling trifft und im Zeitraum von 1865 bis 1883 so einiges erleben darf. Gerade noch einem winterlichen Fährunglück entkommen, darf man als Leser an der Seite von Emily die Planungen und Vorbereitungen zum Bau der Brücke hautnah miterleben. Emily ist ihrer Zeit weit voraus, interessiert sich für technische Ausführungen, Statik und Architektur, was bei ihren Mitmenschen damals eher ein Naserümpfen hervorrief, denn die Rolle der Frau sollte die einer Ehefrau und Mutter sein. Umso interessanter zu beobachten, wie Emily sich immer mehr Fertigkeiten und Ingenieurskenntnisse aneignet, um dann in die Rolle ihres erkrankten Mannes zu schlüpfen und den Bau fertigzustellen. Die Autorin hat die damalige Zeit sehr gut eingefangen und lässt beim Leser ein ansprechendes Kopfkino entstehen. Jedoch nehmen die vielen technischen Informationen oftmals überhand, werden langatmig ausgeführt, so dass nach und nach bei der Lektüre Langeweile aufkommt. Interessant sind dagegen Schilderung der damaligen Wohnverhältnisse der Bevölkerung, der Kampf um das Frauenwahlrecht, der Besuch der Weltausstellung sowie Emilys Engagement in Frauen- und Wohltätigkeitsorganisationen, gerade diese Einschübe lockern die Handlung etwas auf. (Wenn man selbst weiter recherchiert, erfährt man übrigens, dass Emily sogar 1899 sogar einen Abschluss in Jura absolvierte.) Der Buchtitel ist zudem recht irreführend, denn Emily war keine ausgebildete Architektin.
Die Charaktere bleiben leider durchweg recht blass und gehen in der Geschichte fast unter. Der Leser ist dazu verdammt, auf Distanz und in der Rolle des Beobachters zu bleiben. Emily ist eine offene, selbstbewusste und starke Frau, die sich nicht in Schubladen einsortieren lässt, sondern ihren eigenen Weg geht, auch wenn sich ihr immer wieder Widerstände in den Weg legen. Sie hat einen wachen Verstand und saugt alle nötigen Informationen auf. Washington ist ein heller Kopf, der sich einiges bei seinem Vater abgeschaut und dessen Liebe zum Planen und Bauen geerbt hat.
„Die Architektin von New York“ ist für all jene, die sich sehr für historische Bauwerke und Architektur interessieren, eine wahre Fundgrube an Informationen. Farblose Charaktere sowie fehlende Emotionalität ergeben dagegen nur eine mäßig unterhaltsame Geschichte, auch wenn geschichtlich belegte Persönlichkeiten mit eingebracht werden. Eingeschränkte Leseempfehlung!