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Veröffentlicht am 23.08.2021

Wenn Rassismus das Leben bestimmt

Ein anderes Land
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Rufus, ein junger begabter Jazzmusiker aus Harlem, nimmt sich das Leben, weil er mit dem rassistischen Alltag nicht mehr klar kommt. Seine besten Freunde und seine Familie sind entsetzt, haben jedoch mit ...

Rufus, ein junger begabter Jazzmusiker aus Harlem, nimmt sich das Leben, weil er mit dem rassistischen Alltag nicht mehr klar kommt. Seine besten Freunde und seine Familie sind entsetzt, haben jedoch mit ihren eigenen Problemen schwer zu kämpfen. Rufus' bester Freund Vivaldo, ein erfolgloser Schriftsteller aus armen Verhältnissen, hat sich in dessen Schwester Ina verliebt, doch diese ist trotz ihrer Beziehung zu Vivaldo völlig von ihrem Hass auf Weiße erfüllt. Cass und Richard, ein gut situiertes Paar Ende Dreißig mit zwei Kindern, wirken wie das Ideal einer glücklichen Familie. Doch auch ihr Leben zeigt Risse, sie scheinen sich auseinanderzuleben. Und da ist Eric, ein früherer Geliebter Rufus', der mittlerweile zufrieden in Frankreich lebt und jetzt plant, gemeinsam mit seinem französischen Freund Yves nach New York zurückzukehren.

Baldwin zeigt eindringlich, wie der alltägliche Rassismus es den davon betroffenen Menschen fast unmöglich macht, sich selbst zu lieben geschweige denn einen anderen Menschen. Ihm gelingen beeindruckende Beschreibungen von Zärtlichkeit, der Sehnsucht nach Nähe, aber auch von Wut und Zorn. Wir, die solchen Rassismus zum Glück nie erleben mussten, erfahren von dem Schmerz und den Wunden, die dadurch verursacht werden und nicht so ohne weiteres zu heilen sind.

1962 wurde dieses Buch erstmals veröffentlicht, doch es könnte kaum einen besseren Zeitpunkt für die jetzige Neuerscheinung geben. Heute, wo Rassismus in aller Munde ist, aber vermutlich Viele gar nicht richtig wissen, was er für die Einzelnen bedeutet und welche Auswirkungen er hat, hilft dieses Buch beim Verstehen. Aber auch die Probleme von queeren Menschen hat Baldwin in diesem Buch bereits aufgegriffen, zu einer Zeit, als dieser Begriff noch lange nicht verwendet wurde.

Wer die gesellschaftlichen Probleme der USA (und auch die anderer Länder) besser verstehen möchte, sollte dieses Buch lesen.

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Veröffentlicht am 23.08.2021

Ob wahr oder nicht - einfach eine schöne Geschichte!

Die Dame mit der bemalten Hand
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Auf nicht einmal 160 Seiten erzählt uns Christine Wunnicke von einer Begegnung zwischen Ost und West, wie sie schöner kaum sein kann.

1764 strandet der persische Astrolabienbauer und Astronom Musa al-Lahuri ...

Auf nicht einmal 160 Seiten erzählt uns Christine Wunnicke von einer Begegnung zwischen Ost und West, wie sie schöner kaum sein kann.

1764 strandet der persische Astrolabienbauer und Astronom Musa al-Lahuri auf einem kleinen Eiland vor Bombay, wo er einen offenbar schwer kranken Europäer findet. Es ist Carsten Niebuhr, ein Forschungsreisender aus Norddeutschland, der am Sumpffieber (Malaria) leidet und erneut einen Fieberanfall hat. Auf der kleinen Insel wollte er einen Tempel erforschen und wurde von seinem Schiff bei der Abfahrt schlicht vergessen. Musa al-Lahuri nimmt sich des Kranken an und zwischen den beiden Zurückgelassenen entsteht fast so etwas wie eine Art Freundschaft. Ihre Gespräche finden auf Arabisch statt, das Beide beherrschen und sowohl Musa al-Lahuri wie auch der wissbegierige Niebuhr erfahren und staunen über das Gesagte des jeweils Anderen. Man versteht sich im sprachlichen Sinne, aber der Sinn bleibt oft genug nebulös, sehr zur Freude der Lesenden, für die diese oft genug aneinander vorbeilaufenden Unterhaltungen ein wahrer Genuss sind.

Während die Figur des Carsten Niebuhr tatsächlich existierte und die Autorin sich weitestgehend an die historischen Begebenheiten hält, entspringt Musa al-Lahuri, der nicht weniger real wirkt als sein Gegenüber, jedoch ihrer Phantasie. In dieser glaubwürdigen fiktiven Begegnung wird deutlich, wie relativ vermeintliche Tatsachen doch sind wie beispielsweise in ihrem Gespräch über das Sternbild Kassiopeia.

„So klein“, seufzt Musa, „Ihr seht das ganze Weibsbild in den paar Sternen. Wir sehen dort nur ihre bemalte Hand“. (Seite 124)

Oder die Beschreibung der Frau, die den Weg aller Beteiligten kreuzt. Für Niebuhr ist sie

"Ein Mädchen, vielleicht fünfzehn, vielleicht achtzehn Jahre alt, hoch gewachsen, mit langem Hals und langen Fingern und Zehen. Ihr Gesicht war rund wie ein Apfel und schmutzig, die Züge weich, die Brauen dramatisch geschwungen. Ihr Haar war zu Zotteln verfilzt und eine weiße Kette … zog sich kreuz und quer hindurch …. Als Kleid trug sie nur ein Tuch, das ihre Brüste kaum bedeckte." (Seite 78)

Für Malik, den Diener Musas, ist sie hingegen

"… seine Zuflucht geworden, seine Helferin und Wohltäterin und der Gegenstand seiner Liebe. … Wäre sie kein Bettlermädchen gewesen, man hätte sie der Hoffart bezichtigen können, wie sie dort stolz einherschritt, als sei sie die Herrin der Insel." (Seite 117)

Und als endlich ein britisches Trüppchen auf der Insel landet, sehen sie

"Ein großes, hageres Frauenzimmer in Lumpen … ; … die jüngere Frau sah verhärmt und auf tragische Weise verlaust aus;" (Seite 140)

Herrlich auch die Sprache, in der die Autorin den Deutschen Niebuhr Arabisch sprechen lässt. Das Märchen ‚Tischlein deck dich‘ wird zu ‚Deck dich selbst, oh kleiner Tisch des Wunders.‘ oder Zufall zu ‚Welch lustvolle Gleichzeitigkeit der Ereignisse.‘

Heiterer und unterhaltsamer als in dieser wunderbaren Geschichte mit ihren liebenswerten Figuren sind Unterschiede und Missverständnisse der Kulturen wohl selten beschrieben worden.

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Veröffentlicht am 29.06.2021

Von Frauen und Männern

Letzte Ehre
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Ein 17jähriges Mädchen ist nach einer Party im Haus des Freundes ihrer Mutter verschwunden, die Oberkommissarin Nasri ermittelt. Was wie eine herkömmliche Vermisstengeschichte beginnt, entwickelt sich ...

Ein 17jähriges Mädchen ist nach einer Party im Haus des Freundes ihrer Mutter verschwunden, die Oberkommissarin Nasri ermittelt. Was wie eine herkömmliche Vermisstengeschichte beginnt, entwickelt sich zu einem Alptraum männlicher Gewalt und Brutalität gegenüber Frauen, der auch Nasris Privatleben berührt.

Während der Vermisstenfall bereits nach weniger als einem Drittel des Buches aufgeklärt ist und man sich fragt, was da noch kommen soll, findet man sich beinahe unbemerkt bereits mit Oberkommissarin Nasri in der nächsten Ermittlung wieder, die nicht weniger spannend und überraschend ist. Damit nicht genug, geschieht auch in ihrem privaten Umfeld ein grausames Verbrechen, das sie fast aus der Bahn wirft.

Nasri ist die Ich-Erzählerin dieses Buches und lest uns Lesende detailliert an ihren Gedanken und Gefühlen teilhaben. Sie ist kein einfacher Mensch, sie liest in den Menschen und erkennt mehr, als diesen und auch insbesondere ihren Kollegen lieb ist. Doch dieses Erkennen hat seinen Preis – sie fühlt und leidet mit, wo Abstand vielleicht vonnöten wäre.

Der Autor schildert das Auftreten und Seelenleben der Figuren durch seine Protagonistin so detailliert und empathisch, als wäre man unmittelbar dabei. Und obwohl er auf jegliche Gewaltszenen verzichtet, ist das Grauen überdeutlich spürbar – es lauert praktisch an jeder Ecke.

Friedrich Ani hat mit diesem Buch ein unmissverständliches Zeichen gesetzt, dass Gewalt gegen Frauen noch immer Alltag ist – auch bei uns.

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Veröffentlicht am 06.06.2021

Grausam, magisch, voller Liebe - ein echter Schmöker

Der Junge, der das Universum verschlang
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Eli, 12 Jahre alt, lebt mit seinem ein Jahr älteren Bruder Gus bei der Mutter und deren Freund, den er wie einen Vater liebt. Die Beiden dealen mit Heroin, währenddessen Slim auf die Jungs aufpasst: ein ...

Eli, 12 Jahre alt, lebt mit seinem ein Jahr älteren Bruder Gus bei der Mutter und deren Freund, den er wie einen Vater liebt. Die Beiden dealen mit Heroin, währenddessen Slim auf die Jungs aufpasst: ein ehemaliger Häftling, der wegen Mordes nach 30 Jahren vor kurzem aus dem Knast entlassen wurde. Doch trotz dieses nicht gerade kindgerechten Umfeldes ist Elis Leben geprägt von Liebe, Freundschaft und Zuwendung, selbst in den schwierigsten Momenten.

Obwohl die schrecklichsten Dinge geschehen, die selbst in Eli einen Todeswunsch auslösen, findet er immer wieder zurück zu seinem Vertrauen und dem Glauben an das Gute im Leben und im Menschen. Dabei helfen ihm nicht nur seine Familie und Freunde, sondern auch seine Phantasie, die ihn selbst in den übelsten Momenten nicht verlässt.

Eli ist der Ich-Erzähler dieser rund 550 Seiten und als Lesende begleiten wir ihn bis zu seinem 18. Lebensjahr. Er ist der geborene Geschichtenerzähler und hat einen Blick für die kleinsten Details:

Wahres Wissen besteht aus Einzelheiten, sagt Slim. Und Wissen ist Macht.
Seite 136


Einigen mag dies zu ausufernd sein, doch Eli erzählt witzig und durchaus selbstironisch, wobei es für einen 12-, 13jährigen manchmal aber etwas sehr erwachsen klingt. Bedenkt man jedoch, unter welchen Umständen er lebt, mag es nicht weiter verwundern

Dad lächelt und nickt. Nächtliche Panikattacken. Suizidal-depressive Phasen. Dreitägiges Komasaufen. Von Fäusten aufgerissene Augenbrauen. Gallige Kotze. Dünnschiss. Braune Pisse. Das ist unsere Wirklichkeit.
Seite 342


Einerseits ist es ein hartes, brutales Buch, in dem auch Kinder nicht von Gewalt verschont werden (wie auch, wenn sie in einem solchen Milieu aufwachsen); andererseits spürt man auf beinahe jeder Seite, mit wieviel Wärme und Zuneigung sich die Menschen um Eli und seinen Bruder kümmern (wollen), um ihnen ein besseres Leben und die Verwirklichung ihrer Träume zu ermöglichen.

Für den Autor Trent Dalton ist Eli eine Art alter Ego, denn auch er ist unter solchen Umständen aufgewachsen und sein bester Freund war zeitweise tatsächlich Slim, der Ausbrecherkönig. Durch Daltons beeindruckenden Schreibstil war ich fast das ganze Buch hindurch fest überzeugt, dass ihm all die schlimmen Dinge ebenso zugestoßen sind und machte mich auf die Suche, u.a. nach Zeigefingern 😉 Mehrere Interviews in diversen australischen Zeitungen (u.a. beispielsweise hier) machen jedoch klar, dass der reale Teil bei ca. 50% liegt – was immer noch eine Menge ist bei einer solchen Geschichte.

Ein richtiger Schmöker aus einem fast wirklichen Leben.

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Veröffentlicht am 06.06.2021

Spannend und überaus realistisch

Weiße Finsternis
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Anfang September 1918 befinden sich die norwegischen Seeleute Peter Tessem und Paul Knutsen an Bord der Maud, dem neuen Expeditionsschiff von Roald Amundsen, der sich damit durchs Packeis Richtung Nordpol ...

Anfang September 1918 befinden sich die norwegischen Seeleute Peter Tessem und Paul Knutsen an Bord der Maud, dem neuen Expeditionsschiff von Roald Amundsen, der sich damit durchs Packeis Richtung Nordpol treiben lassen will. Doch bereits kurz nach der Abfahrt steckt die Maud an der nördlichsten Festlandstelle der Erde im Eis fest und es dauert ein Jahr, bis sie Mitte September 1919 ihre Reise fortsetzen kann – allerdings ohne die beiden Seeleute. Tessem hat gesundheitliche Probleme, weshalb er zurückkehren will und Knutsen soll ihn begleiten. Als die Maud ihre Reise wieder aufnimmt, machen sich die beiden Männer westwärts auf nach Dikson, 1000 km entlang der vereisten Küste.
Da man bis zum folgenden Sommer keine Nachricht von den Beiden hat, startet im August 1920 eine Rettungsexpedition, die jedoch frühzeitig in Dikson endet – schweres Eis erlaubt kein Durchkommen weiter nach Osten. Erst neun Monate später, im Mai 1921, macht sich eine norwegisch-sowjetische Gruppe mit Rentieren und Schlitten auf den Weg.

Vom Weg der beiden Seeleute, ihrer gemeinsamen Vergangenheit sowie der Suche nach den Beiden auf dem Landweg wird abwechselnd in den Kapiteln erzählt. Während Letzteres aufgrund entsprechender Unterlagen ziemlich genau belegt ist, entspringt der Rest der Geschichte der Phantasie des Autors. Doch dieser ‚Rest‘ wirkt so authentisch und überzeugend wie das tatsächlich Geschehene, so dass man während des Lesens nicht daran zweifelt, dass sich tatsächlich Alles so zugetragen haben könnte. Insbesondere die Beschreibungen des Rückweges der beiden Männer nach Dikson mit den erbarmungslosen Bedingungen von Kälte und kaum passierbarer Landschaft tragen dazu bei wie auch die geschilderten Gedanken und Gefühle von Tessem, der durch seine gesundheitlichen Probleme noch zusätzlich beeinträchtigt war.

Vermutlich um die Verbundenheit der Männer deutlicher zu machen und durch eine Art Konkurrenzsituation mehr Dramatik aufzubauen, wird auch ihr gemeinsames vergangenes Leben erzählt, das eng verknüpft ist mit dem Leben der gleichaltrigen Liv. Eine verschworene Dreiergemeinschaft bildeten sie, was mit zunehmendem Alter immer schwieriger wurde. Auch Livs Sicht ist ein eigener Erzählstrang gewidmet – vielleicht um die Spannung zwischen den beiden Männern noch deutlicher darzustellen.

Meiner Meinung nach hätte die Geschichte auch ohne die Darstellung dieser privaten Beziehung (die in der Realität nicht existierte) sehr gut funktioniert, denn der Überlebenskampf von Tessem und Knutsen wie auch die Suchexpedition sind so gut und packend erzählt, dass dies völlig ausgereicht hätte. Abenteuer pur!

Mich hat die Lektüre so fasziniert, dass ich mich auf die Suche nach den beiden Protagonisten gemacht habe und tatsächlich fündig geworden bin: Peter Tessem https://frammuseum.no/polar-history/explorers/peter-lorents-tessem-1875-1919/ und Paul Knutsen https://frammuseum.no/polar-history/explorers/paul-knudsen-1889-1919/ – so hat man sogar noch ein Bild der Beiden vor Augen.

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