Schwierig
Der KaninchenstallIn einem heruntergekommenen Apartmentkomplex im fiktiven Vacca Vale lebt die 18jährige Blandine mit drei jungen Männern in einer WG. Jeder der Jungs glaubt in das blasse unnahbare Mädchen verliebt zu sein, ...
In einem heruntergekommenen Apartmentkomplex im fiktiven Vacca Vale lebt die 18jährige Blandine mit drei jungen Männern in einer WG. Jeder der Jungs glaubt in das blasse unnahbare Mädchen verliebt zu sein, diese ist allerdings am liebsten für sich und fröhnt ihrer Obsession für die Mystikerinnen und Hildegard von Bingen. Neben der ungewöhlichen WG gibt es noch andere Bewohner im sogenannten "Kaninchenstall", jungen Eltern mit ihrem Baby, ein altes Ehepaar mit Mäuseproblem, oder die einsame 40jährige, mit einer Vorliebe für Maraschino-Kirschen.
Einige der Bewohner lernt der Leser direkt zu Beginn kennen, von manchen erfährt er die Namen, andere bleiben bis zum Schluß namenlos. Manche werden nur kurz erwähnt, Andere bekommen einen längeren Auftritt zugestanden. Nach welchen Kriterien die Autorin die Präsenz der Figuren innerhalb der Geschichte vergeben hat, bleibt leider bis zum Schluß unklar. Genauso ist leider nicht immer erkennbar, welchen Zusammenhang es zwischen den einzelnen Nebenschauplätzen und der Hauptstory gibt, ausser, dass das junge Paar sein Baby in eben dem Hotelzimmer gezeugt hat, in dem später eine der Hauptfiguren absteigt.
Klingt jetzt vielleicht etwas verwirrend, was ich hier gerade von mir gegeben habe, spiegelt aber eigentlich ganz gut den Zustand, in dem ich mich beim Lesen befunden habe, ständige Verwirrung.
Zu Beginn der Geschichte war ich erstmal etwas erschlagen von der Sprachgewalt der jungen Autorin. Schreiben kann sie, gar keine Frage, allerdings fiel es mir zunehmend schwer ihrem Geschriebenem zu folgen. Ich habe es stellenweise als sehr anstrengend empfunden mich durch die verschiedenen Handlungsstränge zu manövrieren, es gibt zwar einen roten Faden, allerdings ist der an vielen Stellen so ausgefranst, dass er zwischen den Zeilen fast nicht mehr zu finden ist. Natürlich bringt die Autorin zum Ende hin einiges zusammen. Da erklärt sich irgendwann die Rolle von Moses, dem Sohn einer gerade verstorbenen Filmdiva, aber auch hier bleibt die Frage, warum die Autorin gerade dieser Figur so viel Raum, soviel Tiefe eingeräumt hat. Die Figuren sind oft sehr skuril gezeichnet, fast überzeichnet. An sich mag ich solche "Freaks" ganz gern, aber hier hatte ich oft ein ungutes Gefühl, so als würde dieses "freakige" zur Lachnummer verkommen. Mit der auf dem Buchrücken erwähnten "beißenden Komik" hat das für mich leider nicht viel zu tun.
Generell finde ich mich in den Pressestimmen, die den Schutzumschlag zieren, nicht wirklich wieder. Ich möchte der Autorin nicht absprechen, dass sie den National Book Award zu Recht gewonnen hat, wie gesagt, schreiben kann sie und ihr Porträt einer sterbenden Industriestadt ist so auf den Punkt, dass es weh tut, aber die Art und Weise ihrer Umsetzung ist mir einfach to much. Ich weiß nicht wirklich, was die Autorin mir jetzt mit ihrer Geschichte sagen will, ja, sie ist eine Gesellschaftskritik, eine Kritik an vielem, was in den USA derzeit im Argen liegt, am Bildungssystem, am Gesundheitssystem, an der Sozialpolitik, am kommunalen Wohnungsbau, an der Umweltpolitik großer Firmen und und und. Zuätzlich werden auch Themen wie Mißbrauch, Vernachlässigung, Einsamkeit und Armut eingebunden. Alles wichtige Themen, Themen, die ohne Probleme mehrer Bücher füllen könnten, hier aber eben in eine einzige Geschichte gequetscht wurden.
Ich bin Leser von der Sorte "ottonormal", natürlich mag ich Bücher mit Tiefgang, mit einer Message, aber es muss mir eben auch möglich gemacht werden diese Message zu verstehen und das ohne das ich vorher Literaturwissenschaften studiert habe. Bei der Lektüre dieses Buches hab ich mich irgendwie fehl am Platz gefühlt, als wäre das Buch eigentlich nicht für mich gemacht. Ich hab mich so ein bisschen gefühlt wie früher in der Schule, wenn ich bei einer Buchinterpretation so überhaupt nichts von dem herausgelesen hatte, was laut Lehrer herauszulesen war.
Ich möchte dem Buch in keinster Weise seine Genialität absprechen, seine Tendenz zum modernen Klassiker, ich bin mir aber sicher, dass das Buch sich letztlich nur einem begrenzten Leserkreis erschließen wird. Wahrscheinlich wird das Buch eins von denen, die man entweder liebt, oder hasst. Während die Einen sich mit immer neuen Interpretationen überschlagen, werden sich die Anderen durchquälen und am Ende mit einer Unmenge an Fragezeichen im Kopf zurückbleiben. Um zu wissen, zu welcher Kategorie man selber gehört muss man das Buch aber erstmal lesen. Viel Spaß im Kaninchenstall.