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Veröffentlicht am 05.09.2021

Die Schuld der Paula Bloom

Ritchie Girl
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Halbamerikanerin Paula Bloom floh einst aus Nazideutschland in die USA, und wurde dort in der Army im Camp Ritchie ausgebildet. Jetzt kehrt sie in das kapitulierte Deutschland zurück, soll bei der Befragung ...

Halbamerikanerin Paula Bloom floh einst aus Nazideutschland in die USA, und wurde dort in der Army im Camp Ritchie ausgebildet. Jetzt kehrt sie in das kapitulierte Deutschland zurück, soll bei der Befragung eines vermeintlichen Spions helfen. Die Identität von „Sieben“ ist unklar, hat man den großen Spion festgesetzt oder doch nur einen Hochstapler? Während in Nürnberg der große Kriegsverbrecherprozess vorbereitet wird, versucht Paula Siebens, aber auch ihre ganz persönliche Vergangenheit aufzuarbeiten.
Pflügers Roman ist kein netter, seichter Roman über die Nachkriegszeit, sondern oft auch mal schwere Kost. Die Frage, wer sich etwas zuschulden hat kommen lassen, sei es als hochrangiger Funktionär in SS oder SA, oder als ganz normaler Bürger, der über das Verschwinden der Nachbarn hinweggesehen hat, tja diese Frage treibt Bloom und damit den Leser um. Paula ist eine wahnsinnig interessante Figur. Sie ist von Schuld und Hass zerfressen, ihr innerer moralischer Kompass durcheinander. Immer wieder hinterfragt sie sich selbst, ihr Handeln jetzt und vor Jahren, das ihrer Mitmenschen. Allzu schnell ist sie manchmal mit ihrem Urteil, geradezu selbstgerecht; das macht sie zutiefst menschlich, unvorstellbar wie man selbst in der entsprechenden Situation reagiert hätte. Ich fand auch das Zusammenspiel mit ihrem Freund Sam sehr gelungen, der sie immer wieder zu norden versucht. In Paulas Umfeld finden sich neben fiktiven Figuren immer wieder bekannte Persönlichkeiten: von Marlene Dietrich über Stan Lee bis hin zu Willy Brandt. Wie man auch dem Nachwort entnehmen kann, sind einige dieser Berühmtheiten wirklich im entsprechenden Umfeld zugange gewesen, bei anderen hatte ich mehr und mehr das Gefühl das der bekannte Name nur gefallen ist, damit er halt mal gefallen war. Kuriose Zufälle gibt es immer, aber hier wirkte es auf mich übertrieben gehäuft, weil jeder, aber auch wirklich jeder aufgeführt wurde. Der Handlung selbst lässt sich nicht immer ganz leicht folgen, auch aufgrund der vielen Beteiligten. Dranbleiben lohnt sich aber auf jeden Fall, denn der Leser bekommt einen vielschichtigen, hervorragend recherchierten Roman, der sich mit den Themen Schuld und Reue auf seine ganz spezielle Art und Weise auseinander setzt. Wer zeitgeschichtlich interessiert ist, sollte hier definitiv zugreifen.

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Veröffentlicht am 29.08.2021

Teuflisch

Der Tod und das dunkle Meer
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An Bord der Saardam geht der Teufel um, zumindest glauben das viele von Crew und Passagieren gleichermaßen. Dabei befindet sich auf ihr nicht nur kostbare Fracht und ein hochrangiger Würdenträger, sondern ...

An Bord der Saardam geht der Teufel um, zumindest glauben das viele von Crew und Passagieren gleichermaßen. Dabei befindet sich auf ihr nicht nur kostbare Fracht und ein hochrangiger Würdenträger, sondern auch noch Samuel Pipps, hochgelobter Detektiv, der jetzt trotzdem eingekerkert auf den Strang wartet. Er könnte das Rätsel um die höllischen Teufelsfratzen lösen, die überall auftauchen, doch er darf sein Gefängnis quasi nicht verlassen. Nun liegt es an seinem Assistent und Leibwächter Arent Hayes nicht nur Augen und Ohren offen zu halten, sondern auch das Rätsel zu lösen, bevor an Bord endgültig Panik und Chaos ausbrechen.
Turton hat einen unglaublich atmosphärischen historischen Roman geschaffen, einen Schauerroman, einen spannenden Krimi… so recht lässt sich die Geschichte in keine Schublade stecken. Ich mochte den Roman wirklich gerne, auch wenn die ganz, ganz große Begeisterung ausgeblieben ist. Turton nimmt seinen Leser mühelos mit auf sein (verfluchtes?) Schiff, bildgewaltig und sehr lebendig erzählt er vom Alltag. Man bekommt ein gutes Bild wie es wohl auf einem so großen Segelschiff zugegangen ist, inklusive sämtlicher Querelen und Machtstreitereien. Ausdrücklich weist der Autor im Nachwort darauf hin, dass er mitnichten sämtliche kleinsten Details historisch genau abbilden wollte, trotzdem bekommt man einen sehr guten Eindruck was es bedeutete monatelang und unter Einsatz seines Lebens auf den sieben Weltmeeren unterwegs zu sein.
Die Kombination von Pipps & Hayes hat vieles der typischen Holmes-Watson-Beziehung: der geniale, aber egozentrische Pipps löst mithilfe des gutmütigen Hayes knifflige Fälle, welche letzterer zur Unterhaltung der Allgemeinheit niederschreibt. Auch wenn es sich bei dieser Konstellation um ein bewährtes Rezept handelt, kann Turton den Figuren doch ein neues Gesicht geben und weiß damit zu punkten. Pipps ist keine sympathische Figur, Hayes dagegen sehr. Ich mochte seine Art von Anfang an, auch seine Entwicklung in der Geschichte ist sehr stimmig. Weitere Figuren in großen und kleinen Rollen sind vielgestaltig und interessant, viele verbergen zunächst ihr wahres Gesicht, was der Handlung zusätzlich Pepp gibt. Die ist spannend und wendungsreich, mal humorvoll, mal schaurig-brutal. Leider war ich von der Auflösung doch eher enttäuscht, was meiner Begeisterung einen Dämpfer verpasst hat. Trotzdem empfehle ich das Buch gerne weiter, da der Autor für mich vorher fast alles richtig gemacht hat.

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Veröffentlicht am 25.08.2021

Raffiniert

Der Kolibri
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Marco Carrera war als Kind lange der allerkleinste von allen, seitdem hängt ihm der Spitzname Kolibri nach. Jetzt als Erwachsener arbeitet er als Augenarzt in Florenz und staunt nicht schlecht, als statt ...

Marco Carrera war als Kind lange der allerkleinste von allen, seitdem hängt ihm der Spitzname Kolibri nach. Jetzt als Erwachsener arbeitet er als Augenarzt in Florenz und staunt nicht schlecht, als statt dem nächsten Patienten, der Psychoanalytiker seiner Frau vor der Tür steht. Diese wolle ihn verlassen, eröffnet er Marco. Der fühlt sich an andere dunkle Stunden seines Lebens erinnert und beginnt zurückzudenken.
Veronesis Roman ist raffiniert und verschachtelt erzählt, was ihn gleichzeitig faszinierend, aber eben manchmal auch etwas verwirrend macht. Briefe von und an Marco, Telefonate und Gedichte wechseln sich mit episodenhaften Szenen seines Lebens ab, alles chronologisch weitgehend ungeordnet. Man muss am Ball bleiben, um nicht den Überblick über die knapp 60 erzählten Jahre zu verlieren. Vieles klärt sich erst im Nachhinein, Charaktere lassen sich doppelt schwer einschätzen. Sätze, die sich über mehrere Seiten ziehen, machen es manchmal schwerer, aber auch deutlich interessanter. Veronesis Stil ist eigenwillig, aber sehr ansprechend und hat mich mehr als einmal überrascht.
Marco ist ein Allerweltstyp, der aber in seinem gutbürgerlichen Leben viel Pech gehabt hat. Zumindest wirkt es in der Summe der Dinge zunächst so, was dem Roman eine etwas depressive Grundstimmung gibt. Trotzdem gibt es auch Hoffnungsschimmer, und die liegen oft in der Familie. Familie ist das Grundthema dieses Romans, mal auf traurige oder beschämende Weise, mal auf skurrile und humorvolle. Ich mochte den Kolibri ganz gerne, auch wenn sich der Autor in der ein oder anderen Abschweifung verflattert hat.

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Veröffentlicht am 15.08.2021

Carney's Furniture

Harlem Shuffle
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Ray Carney ist der Sohn eines zwielichtigen Vaters, und gerade deswegen bemüht ein sauberes Leben zu führen. Sein kleiner Möbelladen in Harlem läuft gut, Frau und Kind sind glücklich mit den doch eher ...

Ray Carney ist der Sohn eines zwielichtigen Vaters, und gerade deswegen bemüht ein sauberes Leben zu führen. Sein kleiner Möbelladen in Harlem läuft gut, Frau und Kind sind glücklich mit den doch eher einfachen Verhältnissen. Doch immer wieder werden Rays gute Vorsätze auf die Probe gestellt, dann nämlich, wenn Cousin Freddie mal wieder einen fabrikneuen Fernseher vorbeibringt, der vom Laster gefallen ist; oder eine Halskette aus recht undurchsichtiger Herkunft. Bis Freddie den Falschen bestiehlt, und die harten Jungs plötzlich den beschaulichen Möbelladen ins Visier nehmen.
Whiteheads Roman lässt Harlem vor dem geistigen Auge lebendig werden, über gut fünf Jahre begleitet man Ray und sein Viertel. New York hat mit einem immer größer werdenden Drogenproblem zu kämpfen, mit Aufständen und Rassenunruhen, und auch das spiegelt sich im Roman wieder. Zeitgeist steckt reichlich zwischen den Seiten, für mich einer der großen Pluspunkte der Handlung. Die verliert sich zwischenzeitlich leider ein wenig in Zusammenhängen, Hintergründen und Lebensläufen von Figur xyz; nicht uninteressant, aber nicht unbedingt immer nötig.
Ray verkauft Möbel aus Leidenschaft, ich fand es charmant wie man nebenbei noch so einiges über die Branche im Kleinen mitbekommt. Mir hätte er mit seiner Begeisterung auf jeden Fall etwas verkaufen können. Ich mochte ihn ganz gerne, auch wenn nicht alle Entscheidungen für mich nachvollziehbar waren. Er kann manchmal nur schwer aus seiner Haut und auch sein Gefühl, er würde Freddie etwas schulden nimmt für mich irgendwann Überhand. Trotzdem ist er eine stimmige Figur, die zu Ort und Zeit gut passt.
Harlem Shuffle ist ein interessanter gesellschaftlicher Roman aus dem Harlem der 60er, Kleingangstermilieu und Möbelfachberatung gibt es gratis dazu.

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Veröffentlicht am 08.08.2021

Verloren im Osten

Raumfahrer
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Jan lebt mit seinem Vater am Rande von Kamenz, einer Stadt in Ostdeutschland, die schon bessere Tage gesehen hat. Immer mehr Häuser und Geschäfte stehen leer, das Krankenhaus in dem Jan arbeitet, wird ...

Jan lebt mit seinem Vater am Rande von Kamenz, einer Stadt in Ostdeutschland, die schon bessere Tage gesehen hat. Immer mehr Häuser und Geschäfte stehen leer, das Krankenhaus in dem Jan arbeitet, wird demnächst geschlossen. Einer der letzten Patienten dort, Herr Kern, scheint mehr über Jans Familie zu wissen als dieser selbst, sodass Jan selbst nun auch immer mehr unbequeme Fragen zu stellen beginnt.
Mit Rietzschels Debütroman hatte ich so meine Schwierigkeiten, doch Raumfahrer hat mich sehr positiv überrascht. Um den Künstler George Baselitz und dessen Familie entspinnt der Autor eine fiktive Handlung, die den Leser schnell fesselt. Auf zwei Zeitachsen werden langsam Zusammenhänge sichtbar, die sich gut zu einem Ganzen zusammenführen lassen. Die Nachwendezeit, das Gefühl vieler nicht mehr so richtig dazuzugehören, die Spuren der gesellschaftlichen Umbrüche, all das nimmt großen Raum im Roman ein und wird so greifbar für alle Leser. Die Handlung kommt ohne große Gefühle, ohne große Dramatik aus, und sagt doch mit ganz leisen Tönen so viel aus. Raumfahrer ist kein ganz leichter Roman, aber einer der einiges zum Grübeln beim Leser hinterlässt.

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