Hat mir gut gefallen
Gleich vorweg, einfache Erzählungen sind Clementine Skorpils Sache nicht. Ich kenne alle ihre Bücher und komme daher mit ihrem Schreibstil gut zurecht.
Worum geht’s hier?
Philippine soll Seppel, einen ...
Gleich vorweg, einfache Erzählungen sind Clementine Skorpils Sache nicht. Ich kenne alle ihre Bücher und komme daher mit ihrem Schreibstil gut zurecht.
Worum geht’s hier?
Philippine soll Seppel, einen Bauernsohn, heiraten. Das haben sich die Väter am Stammtisch so ausgemacht. Doch Philippine weigert sich, da der Seppel ein gewalttätiger und ungehobelter Bursche ist und flieht in Männerkleidung aus ihrem Dorf in Niederösterreich.
Sie wird auf dem Weg ins Wien des 18. Jahrhunderts von einem Jesuitenpater aufgelesen und Zögling in einem katholischen Gymnasium. Immer wieder entgeht sie nur knapp der Entdeckung als Frau. Sie interessiert sich für die Heilkunde, geht nach Rom, um dort Medizin und anschließend nach an die Universität nach Coimbra (Königreich Portugal) um hier Kartografie zu studieren. Anschließend reist sie nach China, wie zahlreiche Jesuitenpatres vor und nach ihr.
Meine Meinung:
Clementine Skorpil selbst hat Sinologie studiert, daher haben ihre Romane immer eine Affinität zu China.
Das Buch besteht aus zwei unterschiedlich langen Teilen: “Wo die Sonne untergeht“ (=Abendland) und „Wo die Sonne aufgeht“ (=Morgenland). Dazwischen treffen wir gemeinsam mit Philippine/Philipp zahlreiche Größen der Zeit. In Wien z.B. Antonio Salieri, Mozart oder den Arzt Leopold Auenbrugger oder in Coimbra den Marquês de Pombal, der als großer Aufklärer und Reformer gilt.
In Wien treffen wir aber nicht nur die „gute Gesellschaft“ sondern auch die Unterprivilegierten wie die „Rote Grete“, eine bekannte Prostituierte, aus dem Crobotendörfl am Spittelberg. So erhalten wir ein Lokalkolorit aus dem Wien des 18. Jahrhunderts und Philippine Unterricht im Frau-Sein.
Das ist vielleicht auch gleichzeitig das Manko der Erzählung, denn für historisch Nicht-Versierte und Nicht-Wiener sind diese Begriffe Crobotendörfl (Dorf der kroatischen Einwanderer) oder Bancozettel (Vorläufer des Papiergeldes) ohne Unterstützung von Lexikon oder Internet, aus dem Kontext kaum zu erraten. Auch ein Personenverzeichnis könnte der Mehrheit der Leser dienlich sein.
Gut gefällt mir, dass jedes Kapitel des ersten Teils mit einem Zitat aus Fei Lipus Feder beginnt. Das Cover ist ansprechend und die Haptik des Schutzumschlages bzw. des Vorsatzblattes erinnern an handgeschöpftes Papier.
Dieser historische Roman gefällt mir sehr gut, denn er zeigt deutlich, wie sehr Bildung und Macht in den Händen der Männer liegen und das nicht nur im 18. Jahrhundert.
„Noch bevor ich aus dem Bauch getrieben wurde, ein zweites Mal geatmet habe, war mein Leben bestimmt - und es ist nicht nur der Stand, es war etwas Kleines zwischen den Beinen. Es hat gefehlt. Und nun? Kaum vorstellbar, dass sich der eine Geist an solch ein Zipfelchen hängt. Ist er ohne Geschlecht?“ (S. 204)
Die Figuren sind facettenreich und entwickeln sich. Besonders an der Sprache von Philippine/Philipp erkennt man die Veränderung. Sind die Dialoge und Gedanken der jugendlichen Protagonistin noch in einfacher Sprache gehalten, so steigern sich Sprachstil und Vokabular mit dem Fortgang der Studien.
Fazit:
Ein historischer Roman, der vermutlich nicht jedem Leser zusagen wird. Mir hat er sehr gut gefallen, daher gibt es 5 Sterne.