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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.04.2017

Schöpft Potential nicht aus

Mit jedem Jahr
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Simon Van Booy erzählt in "Mit jedem Jahr" die Geschichte von Harvey und ihrem Onkel Jason, der sie nach dem Tod ihrer Eltern adoptiert. Jason, dessen Vergangenheit von Gewalt, Alkohol, einer Haftstrafe ...

Simon Van Booy erzählt in "Mit jedem Jahr" die Geschichte von Harvey und ihrem Onkel Jason, der sie nach dem Tod ihrer Eltern adoptiert. Jason, dessen Vergangenheit von Gewalt, Alkohol, einer Haftstrafe und wenig menschlichen Bezugspersonen geprägt war, fällt es nicht leicht, die Vaterrolle für ein kleines​ Mädchen zu übernehmen, dennoch nimmt er sich der Aufgabe gewissenhaft an.
In Rückblenden wird episodenhaft das gemeinsame Leben der beiden erzählt.

Hierbei ist die Geschichte insgesamt vorhersehbar und klischeehaft, hin und wieder an der Grenze zum Kitsch. Es ist eigentlich eine schöne, ungewöhnliche Familiengeschichte, die leider das Potential nicht ganz ausschöpft. Die Stärke des Romans liegt deshalb eben nicht in der Rahmengeschichte, sondern in den kleinen Situationen im alltäglichen Familienleben von Jason und Harvey, die für sich genommen einfühlsam beschrieben werden. Insgesamt gesehen ergeben sie allerdings ein zu perfektes Bild ab.

Vor allem Jason wuchs mir mit der Geschichte ans Herz, während die Jugendliche und Erwachsene Harvey etwas farblos blieb und es so schwer war, mich in sie hinein zu versetzen. Vielleicht ist das auch Absicht von Simon Van Booy, der den Fokus auf Jason legen wollte? Bei beiden Personen hätte die Darstellung der Persönlichkeit und ihrer Entwicklung aber gerne mehr in die Tiefe gehen können.

Der Schreibstil ist flüssig und das Buch lässt sich sehr gut lesen. Sprachlich ist es (im besten Sinne) einfach verfasst. Kleine Zeitsprünge innerhalb der einzelnen Episoden haben mich manchmal stutzen lassen, gehören aber wohl bewusst zum Erzählstil des Autors.

Fazit: Eine schöne Geschichte über eine ungewöhnliche Vater-Tochter-Beziehung, leider mit deutlich​en Schwächen.

Veröffentlicht am 31.03.2017

Walerian in Wien

Der Mann, der Luft zum Frühstück aß
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Radek Knapps schmaler Erzählband mit dem langen Titel "Der Mann, der Luft zum Frühstück aß" ist die Coming-of-age-Geschichte des polnischstämmigen Walerian. Als Jugendlicher kam er mit seiner Mutter nach ...

Radek Knapps schmaler Erzählband mit dem langen Titel "Der Mann, der Luft zum Frühstück aß" ist die Coming-of-age-Geschichte des polnischstämmigen Walerian. Als Jugendlicher kam er mit seiner Mutter nach Wien und schlägt sich als junger Erwachsener mit allen möglichen Jobs durch. Dabei behält er immer eine Gelassenheit, vielleicht sogar Zufriedenheit.
Die Person Walerian ist auf jeden Fall ungewöhnlich. Irgendwie scheint er aus der Zeit und der modernen Realität gefallen.

Sprachlich gekonnt und gewitzt umgesetzt - nie übertrieben, selten nah am abgedroschenen Wortwitz.

Für Radek-Knapp-Fans sicher eine schöne Lektüre, Lesern, die Rade Kann noch nicht kennen, würde ich aber erstmal einen seiner Romane empfehlen.

Veröffentlicht am 31.03.2017

Fünf Geschichten aus Frankreich

Ab morgen wird alles anders
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Die fünf Kurzgeschichten in Anna Gavaldas "Ab morgen wird alles anders" unterscheiden sich stark in Thema, Sprache und Umfang. Gemeinsam ist ihnen die Erzählperspektive: alle Geschichten verfügen über ...

Die fünf Kurzgeschichten in Anna Gavaldas "Ab morgen wird alles anders" unterscheiden sich stark in Thema, Sprache und Umfang. Gemeinsam ist ihnen die Erzählperspektive: alle Geschichten verfügen über einen Ich-Erzähler.
Die Geschichten spielen in Frankreich - teilweise in Paris, teilweise ist die Stadt nicht weiter erwähnt. Anders als das Cover vermuten lässt, handelt es sich also nicht um ein typisches Paris-Buch.

So unterschiedlich die Protagonisten in Alter, Beruf und sozialer Herkunft, so verschieden auch ihre Sprache. Das ist für mich das Highlight dieses Buches: Anna Gavalda gibt jedem Ich-Erzähler seine eigene Ausdrucksweise und Sicht auf die Welt. Dabei trifft sie den Nerv der Zeit: Menschen auf der Suche nach sich selbst und auf ihrem Weg durch unsichere Zeiten. Interessanterweise spielt Terror hier keine Rolle - vielleicht auch, weil die Originalausgabe bereits 2014, also vor den großen Anschlägen in Frankreich, erschienen ist. Stattdessen sind wirtschaftliche Sorgen, prekäre Arbeitsverhältnisse, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie Thema. Wem das zu düster klingt, dem sei gesagt, dass Anna Gavalda diese Themen keinesfalls in deprimierenden Texten verpackt.

Insgesamt kann ich sagen, dass Sprache und Gedankengänge der Protagonisten vor der eigentlichen Handlung stehen. Hier gibt es schöne Sätze und Absätze. Wer sich an Sprache erfreut, vielleicht sogar gerne Passagen anstreicht oder herausschreibt, dem gefällt dieses Buch bestimmt.

Ich finde es aber schade, dass dafür der Plot der Geschichten hintenan steht. Wer große Überraschungen und Action erwartet, wird hier enttäuscht. Manche Geschichte ließ mich etwas ratlos zurück. So ist die Geschichte eines Familienvaters in "Meine Kraftpunkte" schon ziemlich lapidar.
Die beiden längeren Geschichten "Mathilde" und "Yann" (jeweils ca. 100 Seiten) gefielen mir hingegen gut. Liegt es daran, dass mir diese beiden Protagonisten am sympathischsten waren und nahe stehen oder eventuell auch daran, dass ich (im Vergleich zu den drei weitaus kürzeren Geschichten) mehr als doppelt so viele Buchseiten Zeit hatte, sie so gut kennen zulernen? Trotz der reduzierten Handlung fieberte ich hier mit den Protagonisten und konnte mich gut in sie hinein versetzen. Beide sind Anfang/Mitte zwanzig und sehen trotz Studium wenig Perspektive für ihre Zukunft.

Ein nicht ganz runder Geschichten-Band, bei dem es sich aber lohnt auf die Feinheiten zu achten.

Veröffentlicht am 31.03.2017

Solider Unterhaltungsroman

Dein perfektes Jahr
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"Dein perfektes Jahr" von Charlotte Lucas erzählt im Wechsel ein Jahr im Leben von Hannah und Jonathan. Beide kennen sich zunächst nicht, sind sehr unterschiedliche Persönlichkeiten und leben verschiedene ...

"Dein perfektes Jahr" von Charlotte Lucas erzählt im Wechsel ein Jahr im Leben von Hannah und Jonathan. Beide kennen sich zunächst nicht, sind sehr unterschiedliche Persönlichkeiten und leben verschiedene Leben. Der Leser erlebt mit den beiden ein Jahr mit Höhen und vor allem Tiefen.
Der Klappentext verspricht, dass das Buch sich mit den 'wirklich wichtigen Fragen im Leben' beschäftigt. Das kann ich nur teilweise bestätigen. Die behandelten Fragen sind doch eher übersichtlich. Einerseits ist das positiv: das Buch bzw die Autorin nimmt sich nicht zu viel vor und das Buch ist nicht überfrachtet mit Themen. Andererseits werden die Fragen, die aufgegriffen werden, oft etwas oberflächlich behandelt.
Wer psychologische Erörterungen oder ähnliches sucht, wird enttäuscht.
Die Geschichte der von Hannah und Jonathan beginnt interessant und überraschend unkitschig. Zwischendurch manchmal Längen und gegen Ende wird es dann leider doch etwas kitschig und vorhersehbar.
Insgesamt aber ein solider Unterhaltungsroman mit weiblicher Zielgruppe. Auch sprachlich alles in Ordnung.

Veröffentlicht am 31.03.2017

Im japanischen Selbstmordwald

SUICIDE FOREST
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Geplant als Ausflug auf den Fuji führt der Weg eine Gruppe junger Ausländer in den Aokigahara Jukai, den berüchtigten Selbstmordwald Japans. Halb abenteuerlustig, halb sensationslüstern machen sie sich ...

Geplant als Ausflug auf den Fuji führt der Weg eine Gruppe junger Ausländer in den Aokigahara Jukai, den berüchtigten Selbstmordwald Japans. Halb abenteuerlustig, halb sensationslüstern machen sie sich auf die Suche nach Leichen von Selbstmördern. Sie werden fündig und fühlen sich spätestens nach der ersten Nacht immer unwohler im Aokigahara Jukai - wie sich herausstellt zu Recht!

Sprachlich ist das aus dem Englischen übersetzte "Suicide Forest" oft nicht ganz rund - ob dies schon am Ursprungswerk oder an der Übersetzung liegt, vermag ich nicht zu beurteilen. Zusätzlich leider einige orthografische Fehler.

Wer bei dem als ersten Band einer 'halbdokumentarischen Horror-Roman-Reihe' angekündigten Werk verlässliche Fakten oder einen konkreten Bezug zur Realität erwartet, wird leider enttäuscht. Der einzige dokumentarische Bezug ist die Tatsache, dass es den Selbstmordwald Aokigahara Jukai wirklich gibt. Hier hätte ich mir eine Einleitung oder ein Nachwort gewünscht, wo erklärt würde, was genau im Aokigahara Jukai wirklich passiert und ob das Buch auf einen realen Fall anspielt oder nicht.

Der Autor Jeremy Bates versetzt den Leser nach Japan - auf einige landestypische Besonderheiten wird eingegangen. Man fühlt sich hineinversetzt ohne dass zu viele Klischees bedient werden.

Die aufgebaute durchaus unheimliche Spannung hielt das Buch leider nicht durchgehend - es gibt ein paar Passagen, die sich etwas in die Länge ziehen.

Insgesamt fühlte ich mich aber gut unterhalten.