Spannend, aber zu viele Themen
Ein erhabenes KönigreichYaa Gyasi „Ein erhabenes Königreich“, übersetzt von Anette Grube
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Dieser Roman erscheint mir wie ein unvollendeter Wandteppich, auf dessen Stramin ...
Yaa Gyasi „Ein erhabenes Königreich“, übersetzt von Anette Grube
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Dieser Roman erscheint mir wie ein unvollendeter Wandteppich, auf dessen Stramin eine erkennbar komplexe Mustervorlage gedruckt ist, aus dem aber viele lose Fäden hängen.
Besonders das doch recht abrupte, unverbundene Ende ließ mich etwas enttäuscht zurück...
Gifty wächst als Kind einer aus Ghana eingewanderten Familie im weißen Alabama auf. Zu ihrem früh abwesenden Vater, den sie nur den Chin-Chin-Mann nennt, hat sie eine sporadische Telefonbeziehung. Die Mutter schuftet sich im Haushalt anderer krumm und hat wenig Zeit für ihre Kinder. Als Giftys Bruder Nana mit 16 nach einer Sportverletzung medikamenten- und später heroinabhängig wird und an einer Überdosis stirbt, wird zwischen der Zwölfjährigen und ihrer tief religiösen Mutter "aus Sachlichkeit (...) Grausamkeit". Die Depressionen der Mutter lassen das Mädchen allzu schnell erwachsen werden.
Als die Romanhandlung einsetzt, erforscht die Ich-Erzählerin Gifty als Wissenschaftlerin in New York neuronale Prozesse, die im Zusammenhang mit Belohnungsstreben bei Depression und Suchtverhalten stehen. Sie ist auf der Suche nach Heilung, als ein Anruf des Pfarrers ihrer Heimatstadt sie dazu bringt, die erneut in schwere Depression versunkene Mutter zu sich zu holen. Die Arbeit im Labor, eine sich anbahnende Beziehung zu ihrem Kollegen und die Sorge um die schweigende Mutter bilden den Haupterzählstrang. Rückblenden bringen Stück für Stück die ganze tragische Familiengeschichte und mit ihr viele Themen aufs Tapet, aber leider die Handlung nicht voran.
Alles liest sich wunderbar interessant, spannend und leicht, was sicher auch an der geschmeidigen Übersetzung liegt, aber eben wie gut geschriebene Erinnerungen, die lediglich erklären, was Gifty längst für sich entschieden hat: Religion ist keine Lösung.
„Früher sah ich die Welt durch eine christliche Linse, und als diese Linse beschlug, wandte ich mich der Wissenschaft zu. Beide wurden für mich zu wertvollen Sichtweisen, aber letztlich versagten beide dabei, das gesetzte Ziel voll zu erreichen: deutlich zu machen, Sinn zu stiften.“
Wir folgen ihr durch die evangelikale Erziehung zur Angst vor der eigenen Weiblichkeit, Religion als Drohung, Strafe und Begrenzung auch des eigenen Verstandes. Dann die Phase der "Errettung" und des herablassenden Mitleids gegenüber all den nicht geretteten Seelen bis hin zur Enttarnung der Scheinheiligkeit der Kirchgemeinde, die Nana liebt, solange er Basketballsiege einspielt, aber angesichts seiner Drogenprobleme ihr wahres, rassistisches Gesicht zeigt.
"Sie sahen uns nur neugierig zu. Wir waren drei Schwarze in Not. Nichts zu sehen."
Um einen Konflikt zwischen Glaube und Wissenschaft geht es hier also meines Erachtens nicht. Um ethische Bedenken bei Tierversuchen? Um die Verantwortung von Ärzten und Pharmaindustrie, was die leichtfertige Verschreibung von Oxycodon angeht? Ankommen im Exil? Identität? Alltäglicher und institutionalisierter Rassismus? Um einen Mutter-Tochter-Konflikt, um die Fähigkeit zu lieben und die Suche nach Heilung? Von allem etwas und von letzterem am meisten. Gifty ringt trotz aller Abweisung bewunderswert um ihre Mutter, deren Perspektive leider völlig fehlt, was ich als großes Manko des Romans empfinde. Und dann kommt ein plötzliches Ende, auf das lange hinerzählt wurde, aber letztlich von uns nur Akzeptanz verlangt, ohne Erklärung, wie es zustande kam.
Dennoch besteht kein Zweifel daran, dass die Autorin wunderbar schreiben kann und viel zu sagen hat. Da die Kritik Yaa Gyasis Erstlingsroman hochgelobt hat, freue ich mich auf die Lektüre.