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Veröffentlicht am 29.08.2021

Das Verständnis für den anderen hört da auf, wo der eigene Schmerz unerträglich wird

Eine Familie in Berlin - Paulas Liebe
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19. Jh. Berlin. Die 16-jährige Paula Oppenheimer wächst gemeinsam mit ihren Geschwistern Franz, Carl und Elise wohlbehütet bei ihren Eltern am Rand von Berlin auf. Die Familie lebt zwar in ärmlichen Verhältnissen, ...

19. Jh. Berlin. Die 16-jährige Paula Oppenheimer wächst gemeinsam mit ihren Geschwistern Franz, Carl und Elise wohlbehütet bei ihren Eltern am Rand von Berlin auf. Die Familie lebt zwar in ärmlichen Verhältnissen, da der Vater als Rabbiner von der Gemeinde nur ein kleines Gehalt bezieht, doch durch an Gäste vermietete Zimmer verdient sie sich nebenbei ein Zubrot. Als Paulas wohlhabende Tante Auguste anbietet, Paula als Gesellschafterin zu sich zu nehmen, ist Paulas Mutter Antonia erst einmal nicht begeistert, lässt ihre Älteste dann aber doch ziehen, weil sie ihr ein besseres Leben ermöglichen will. Paula kann bei Auguste ihr Klavierspiel verfeinern, lernt aber auch vieles über Literatur und die anderen schönen Künste. So wächst sie zu einer klugen und gebildeten jungen Frau heran. Durch ihren Bruder Franz lernt sie dessen Studienkollegen Richard Dehmel kennen, der sich lieber dem Dichten und Reklamieren von Versen verschreibt als sein Studium zu beenden. Nach und nach verlieben sich Paula und Richard ineinander, aber Paulas Familie ist von der Verbindung gar nicht begeistert, zu sehr widerstreben ihnen Richards Sprunghaftigkeit und Ziellosigkeit. Trotzdem gelingt es Paula, dass sie einer Heirat zustimmen und sie mit Richard eine Familie gründet…
Ulrike Renk hat mit „Paulas Liebe“ den ersten Band ihrer neuen historischen Saga „Eine Familie in Berlin“ vorgelegt, in dem sie teils fiktiv, teils biografisch den Weg von Paula Dehmel geb. Oppenheimer nachzeichnet, die sich als Schriftstellerin für Märchenbücher einen Namen gemacht hat. Der flüssige und bildhafte Erzählstil lässt den Leser in der Zeit reisen, um es sich erst im Oppenheim-Haushalt, später bei Tante Auguste gemütlich zu machen und Paulas Werdegang genauestens zu beobachten. Als Älteste ist Paula schon früh von ihren Eltern zur Verantwortung für ihre Geschwister herangezogen worden, auch hat man ihr eine gewisse Bildung zugestanden, wenn sie auch als Frau nicht studieren konnte. Das Verhältnis zu ihrem Bruder Franz war sehr innig, während es gegenüber ihrer Schwester Elise eher unbeteiligt war. Das Leben bei Auguste war im Gegensatz zu den Oppenheimers fast schon luxuriös zu nennen und eröffnete Paula einige Möglichkeiten. Sie war eine virtuose Klavierspielerin, besaß aber auch ein großes Talent, Verse und Reime aus dem Stehgreif zu formulieren. Obwohl Paula eher ein Kopfmensch war, die sich sehr intensiv mit ihrer Gefühlslage und ihrem zukünftigen Leben beschäftigt hat, ist sie doch auf den sehr von sich selbst eingenommenen Richard Dehmel hereingefallen, der sie bis zur Hochzeit regelrecht angebetet und mit Gedichten bombardiert, sie als seine Muse angesehen und sich ihre Kritik zu Herzen genommen hat. Doch der instabile und egoistische Dehmel war wie ein Kind, das immer das haben wollte, was ihm verlockend erschien und Paula somit in eine Situation brachte, die schon für damalige Verhältnisse als skandalös zu bezeichnen war. Trotz ihrer angeschlagenen Gesundheit hat sie ihren Ehemann mit Raffinesse und Logik lange Zeit bei der Stange halten können, doch irgendwann schwinden auch ihre Kräfte, dass sie einsehen muss, dass Richard ihre Gutmütigkeit über alle Maßen überstrapaziert und sie nicht mehr bereit ist, ihm alles zu geben, nachdem ihm verlangt. Renk zeichnet den Alltag der damaligen Zeit gut wieder, lässt den Leser mit in die Sommerfrische reisen und an künstlerischen Salons teilhaben. Die Geschichte spiegelt das Leben von Paula sehr intensiv wieder, so dass man sie sich vor dem inneren Auge regelrecht vor sich sieht. Der Geschichte fehlt neben großen Emotionen allerdings auch ein Spannungsbogen, vielmehr ist es als teil-fiktive Biografie zu sehen.
„Paulas Liebe“ überzeugt durch akribische Recherche und einem sehr guten historischen Hintergrund. Paula Dehmel wird durch diesen Roman ein Denkmal gesetzt. Jeder der sich für Biografien von starken Frauen interessiert, ist hier wunderbar aufgehoben. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 28.08.2021

Abschied von den Hansens

Der große Aufbruch
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1897. Seit ihre 2-jährige Tochter Viktoria ums Leben kam, besteht Luises Leben nur noch aus einer unbändigen Trauer. In ihrer Verzweiflung reist sie nach Kamerun, um möglichst viel Abstand zwischen sich ...

1897. Seit ihre 2-jährige Tochter Viktoria ums Leben kam, besteht Luises Leben nur noch aus einer unbändigen Trauer. In ihrer Verzweiflung reist sie nach Kamerun, um möglichst viel Abstand zwischen sich und Hamburg zu bringen, aber auch, um dort ihrer Seele die Möglichkeit zu geben zu gesunden. Nach und nach erholt sie sich etwas von den hinter ihr liegenden Ereignissen und auch das Zusammentreffen mit ihrer ehemals großen Liebe Hamza trägt einiges dazu bei. Eigentlich wollte Luise Hamburg und das Kontor für immer hinter sich lassen, doch dann erfordern dringende Ereignisse ihre umgehende Rückkehr nach Deutschland. Ihr Ehemann Hans hat nicht nur die Scheidung verweigert, sondern ist im Begriff, sich Luises Besitz am Kontor anzueignen. Das kann Luise nicht zulassen und setzt alle Hebel in Bewegung, dies zu verhindern…
Ellin Carsta hat mit „Der große Aufbruch“ den achten Band ihrer historischen Hansen-Saga vorgelegt, in dem sie den Leser in ein spannendes Finale über das familiengeführte Kaffeeunternehmen führt, an dessen Ende er endgültig Abschied nehmen muss von liebgewordenen Charakteren und einer spannenden und unterhaltsamen Geschichte. Der flüssig-leichte, farbenfrohe und gefühlsbetonte Erzählstil lädt ein letztes Mal zu einer Reise in die Vergangenheit ein, wo der Leser sich sofort an Luises Fersen heftet und ihre überstürzte Abreise nach Afrika miterlebt. Luises Verzweiflung und ihr Schmerz über den großen Verlust ist spürbar und lässt auch den Leser nicht kalt. Die Autorin zeichnet die Zeit in Kamerun lebendig nach, mal als Ruhepol und Rückzugsort für Luise, aber auch die Gefahr, der Luisa als weiße Frau in dem Land ausgesetzt ist. Während Luise trauert, spinnt ihr Noch-Ehemann eine böse Intrige und zeigt sein wahres Gesicht einmal mehr ganz deutlich. Nebenbei erlaubt die Autorin dem Leser erneut Einblicke in den Familienableger in Wien, was zur Auflockerung beiträgt, während sich in Hamburg die Lage mehr und mehr zuspitzt. Luises Gedanken- und Gefühlswelt ist gut nachvollziehbar, ihre Trauer, aber auch Zerrissenheit gegenüber ihrer Heimat dabei durchgängig spürbar. Der Spannungsbogen wird immer wieder angefacht und strebt während des Finales noch einmal zum Höhepunkt.
Die Charaktere wurden erneut weiterentwickelt und nehmen den Leser mit ihren realistischen menschlichen Eigenschaften sofort in Beschlag. Luisa muss einen furchtbaren Schicksalsschlag verkraften. Sie, die sonst durch Stärke und Lebendigkeit glänzt, ist kraftlos und am Boden. Doch mit Hilfe lieber Menschen erholt sie sich und findet ihren alten Kampfgeist wieder. Robert Hansen ist ein integrer Mann mit Einfühlungsvermögen und Empathie. Luises Schwester Margarete ist eine arrogante und verwöhnte Egoistin, deren Welt sich nur um sie selbst dreht. Aber auch Hans, Florentinus und Hamza haben wichtige Rollen besetzt, denen die Handlung die eine oder andere spannenden Wendung verdankt.
„Der große Aufbruch“ ist ein gelungener Abschluss der fesselnden historischen Familiensaga. Liebe, Verlust, Trauer, Intrigen, interessante Charaktere und deren Entwicklungen sowie ein gut präsentierter historischer Hintergrund sorgen für kurzweilige und unterhaltsame Lektüre. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 14.08.2021

Nichts ist lauter, als der Schrei der Stille

Wildtriebe
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Seit ihre Brüder im Krieg gefallen sind, hat die alte Lisbeth Bethches ihr ganzes Leben auf dem Großbauernhof verbracht, ihn erhalten und mit harter Arbeit gehegt und gepflegt, ist es doch das Familienerbe, ...

Seit ihre Brüder im Krieg gefallen sind, hat die alte Lisbeth Bethches ihr ganzes Leben auf dem Großbauernhof verbracht, ihn erhalten und mit harter Arbeit gehegt und gepflegt, ist es doch das Familienerbe, das von Generation zu Generation getragen wird. Als Sohn Konrad mit seiner Ehefrau Marlies eine neue Frau auf den Hof bringt, geht Lisbeth natürlich davon aus, dass Marlies bei der Arbeit mit anpackt. Marlies jedoch hat ganz andere Pläne und denkt gar nicht daran, Lisbeth entgegen zu kommen, was schon bald zu größeren Konflikten führt. Dann wird Marlies ungewollt schwanger und mit Enkelin Joanna zieht die dritte Generation auf den Bethches-Hof. Die Konflikte zwischen den Frauen und der heranwachsenden Joanna verschärfen sich, denn sowohl Lisbeth als auch Marlies wollen diese auf ihre Seite ziehen. Aber Joanna hat eigene Pläne…
Ute Mank hat mit „Wildtriebe“ ein tiefgründiges Romandebüt vorgelegt, das nicht nur den Generationenkonflikt eindrucksvoll herausstellt, sondern auch die Protagonistinnen mit ihren unterschiedlichen Lebensentwürfen wunderbar in den Fokus stellt. Der flüssige und atmosphärische Erzählstil lässt den Leser auf den Bethches-Hof einziehen, um dort durch wechselnde Perspektiven mal Lisbeths Gedanken- und Gefühlswelt, mal die von Marlies präsentiert zu bekommen. Die beiden Frauen sind so verschieden wie Tag und Nacht, sie stammen nicht nur aus unterschiedlichen Generationen, sie haben auch völlig verschiedene Ansichten. Lisbeth, durch den Krieg und den Verlust der Brüder geprägt und mit viel Verantwortungsgefühl ausgestattet, ist es nie in den Sinn gekommen, den Hof hinter sich zu lassen. Der Hof musste weitergeführt werden, was sie mit Ehemann Karl über Jahrzehnte klaglos gemacht hat, sie kennt es gar nicht anders. Marlies entstammt der Nachkriegsgeneration, ihr Einzug auf den Hof lässt sie in die zweite Reihe rutschen, denn dort hat Lisbeth das Sagen, alles soll so bleiben, wie es immer schon war und Marlies soll sich fügen bzw. einordnen in das Hofleben. Doch Marlies hat eigene Träume, eine Stelle als Verkäuferin in einem Kaufhaus, ein Führerschein und ein Jagdschein stehen an oberster Stelle. Die Schwierigkeiten sind vorprogrammiert, denn Lisbeth kann nicht aus ihrer Haut und Marlies will nicht in solch eine gesteckt werden. Joanna ist das Bindeglied zwischen Mutter und Oma, obwohl sie für ihr eigenes Leben sehr moderne und unangepasste Entscheidungen trifft. Gekonnt bringt die Autorin die unterschiedlichsten Frauensichtweisen an den Leser, der sowohl die eine als auch die andere Weise ohne Wertung nachvollziehen kann.
Die Charaktere der Frauen sind lebendig gezeichnet, die menschlichen Ecken und Kanten sehr gut eingefangen, so dass der Leser ihren Spuren folgt und jede Sichtweise nachvollziehen kann. Lisbeth ist verantwortungsvoll und fleißig, allerdings wirkt sie hart und belehrend, man kann es ihr nicht recht machen. Marlies wird von Lisbeth regelrecht erdrückt, doch das will sie nicht zulassen. Sie hat Träume, einige verwirklicht sie. Sie sieht sich immer in Konkurrenz zu Lisbeth, stellt sich ihr entgegen, doch richtig gelingen will es ihr nie. Joanna ist tierlieb, abenteuerlustig und will sich und die Welt ausprobieren. Sie hat ihren ganz eigenen Kopf, setzt sich durch. Karl und Konrad sind nur Randfiguren, die neben den drei Frauen regelrecht verblassen.
„Wildtriebe“ ist eine tiefgründige Geschichte über unterschiedliche Lebensentwürfe, Generationenkonflikte und die durch das Schweigen herrschende Stille innerhalb einer Familie, die dem Leser an manchen Stellen regelrecht in die Ohren schreit. Verdiente Empfehlung!

Veröffentlicht am 08.08.2021

"Die Kirschen in Nachbars Garten, die waren so süß und so rot" (Peter Alexander)

Die Zeit der Kirschen
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Seit einem Jahr sind Köchin Aurélie und Bestsellerautor André ein Paar, der Valentinstag soll nun die Krönung sein, denn André plant, seiner Herzdame endlich einen Heiratsantrag zu machen. Doch dann kommt ...

Seit einem Jahr sind Köchin Aurélie und Bestsellerautor André ein Paar, der Valentinstag soll nun die Krönung sein, denn André plant, seiner Herzdame endlich einen Heiratsantrag zu machen. Doch dann kommt alles völlig anders, als geplant. Aurélies Restaurant „Le Temps des Cerises“ ist nicht nur extem gut besucht, sondern bekommt ausgerechnet an dem Tag einen Michelin-Stern verliehen, was sich kurze Zeit später als Verwechslung herausstellt und den eigentlichen Gewinner Jean-Marie Marronnier auf den Plan ruft, der Aurélie anruft und diskreditiert. Bei einem gemeinsamen Fototermin mit Marronnier muss Aurélie sich eingestehen, dass der Mann gar nicht so übel ist. André kann seine Eifersucht kaum zügeln und sieht seine Felle davon schwimmen…
Jeder, der sich damals in die Geschichte von André und Aurélie verliebte, hat sich bestimmt oftmals die Frage gestellt, wie es mit den beiden wohl weiterging. Nun hat Nicolas Barreau mit „Zeit der Kirschen“ die Geschichte seines romantischen Bestsellers „Das Lächeln der Frauen“ fortgeschrieben und als Leser darf man erneut in die Stadt der Liebe reisen, um den weiteren Verlauf der Liebesgeschichte hautnah mitzuverfolgen. Flüssig, farbenfroh, charmant und mit viel französischem Flair bestellt der Autor seine Leserschar in Paris ein, um dort in Aurélies Restaurant den besten Platz zu ergattern und von dort die Geschicke der Protagonisten zu verfolgen. Durch wechselnde Perspektiven steckt man mal im Kopf von André, mal in dem von Aurélie, verfolgt ihre Gedankengänge und erlebt so auch die Missverständnisse, die bei den beiden immer wieder zu Irritationen führen. Aus dem Off wird mit einigem Witz kommentiert, was die Handlung noch lebendiger und nahbarer macht. Gekonnt verwebt Barreau Romantik mit Problematik, facht dabei das Gefühlsbarometer des Lesers an, der sich mal auf die eine, mal auf die andere Seite schlägt und dem Ausgang regelrecht entgegenfiebert, während er sich vom Pariser Flair vereinnahmen lässt und allerlei Köstlichkeiten Nase und Gaumen in Entzücken versetzen. Die Fortsetzung ist zwar gelungen, doch es fehlt ihr an dem Überraschungseffekt und dem Bittersüßen, das der erste Band durch und durch verkörperte. Diese Geschichte ist zwar romantisch, kurzweilig und unterhaltsam, doch kann sie nicht ganz an „Das Lächeln der Frauen“ heranreichen.
Die Charaktere sind lebendig und authentisch in Szene gesetzt, ihre glaubwürdigen Ecken und Kanten nehmen den Leser sofort für sich ein, der sie auf Schritt und Tritt beobachtet. André ist beruflich erfolgreich, aber ohne richtiges Durchsetzungsvermögen und bei all seiner Schüchternheit ein Genießer. Aber er ist auch seiner bei Aurélie nicht sicher, was ihm so allerlei Kopfschmerzen bereitet und ihn oftmals wie einen Chaoten dastehen lässt. Zu lange hat er ihre Beziehung als selbstverständlich hingenommen und es im Alltag schleifen lassen. Aurélie ist eine wunderbare, liebenswerte Frau, die ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht hat. Sie hat ein großes Herz, das sie gern mit allen teilt. Jean-Marie versteckt hinter seiner arroganten Manier ein ganz annehmbares Wesen, doch sollte man immer genauer hinschauen.
Keine Frage: „Zeit der Kirschen“ ist romantisch, konfliktbeladen und durchaus lesenswert, beschert es dem Leser nicht nur eine wunderbare unterhaltsame Geschichte, bei der die Zeit dahinfliegt und man sich gedanklich ins zauberhafte Paris träumt. Doch diesem Roman fehlt das Bittersüße und die Magie von „Das Lächeln der Frauen“, deshalb nur eine verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 08.08.2021

"Schicksal ist nie eine Frage der Chance, sondern eine Frage der Wahl." (Isaac Newton)

Drei Frauen und ein Sommer
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Schon wieder hat die knapp 40-jährige Architektin Kiki kein glückliches Händchen, was Männer betrifft, denn für den Letzten war sie eine Affäre, bevor es zum Traualtar geht. Um ihr Mütchen zu kühlen, lässt ...

Schon wieder hat die knapp 40-jährige Architektin Kiki kein glückliches Händchen, was Männer betrifft, denn für den Letzten war sie eine Affäre, bevor es zum Traualtar geht. Um ihr Mütchen zu kühlen, lässt sie sich von ihrer herrischen Mutter Helga zu einer Reise in die Schwäbische Alb überreden, um dort ihrer 91-jährigen Tante Elsie einen Besuch in der Rehaklinik abzustatten. Doch schon die Fahrt wird zum Albtraum aufgrund der Fahrkünste von Helga, die den Wagen mitten in der Pampa zum Streiken bringen. Auf der Suche nach Hilfe stranden die beiden Frauen in dem kleinen Dörfchen Ehrenweiler, wo Schreiner Jakob bald Kikis Herz höher schlagen lässt. Überhaupt strahlt der Ort was Magisches aus und Kiki das Gefühl gibt, schon einmal dort gewesen zu sein. Aber erst nach und nach offenbart sich Kiki, was es mit Tante Elsies Verbindung zu Ehrenweiler auf sich hat…
Lucinde Hutzenlaub hat mit „Drei Frauen und ein Sommer“ einen witzig-unterhaltsamen Roman mit tiefgründiger Note vorgelegt, in den sich der Leser erst einleben muss, um dann gern zu verweilen und sich als Teil der illustren Protagonistenrunde zu betrachten. Der locker-flockige, bildreiche und warmherzige Erzählstil lädt dazu ein, sich Kiki, Helga und Elsie anzuschließen auf eine Reise, die sowohl in die Vergangenheit als auch in die Gegenwart und am Ende in die Zukunft führt. Schon der Prolog, der von der Trennung von Elsie und Kurt im Zweiten Weltkrieg 1944 erzählt, die sich inniglich lieben, macht neugierig auf die Handlung, die nun folgt. Während Elsie sich in der Gegenwart von einem Bruch in einer Klinik erholt und das dortige Personal auf Trab bringt mit ihren Eigenheiten, ist das gegensätzliche Mutter-Tochter-Paar auf dem Weg zu ihr und landen ungewollt in dem Örtchen Ehrenweiler, das so viel mit Elsies Vergangenheit zu tun hat, was die beiden allerdings noch nicht ahnen. Die illustre Dorfbewohnerschar mit ihrer lebhaften Warmherzigkeit lässt Helga auftauen und in ihrem Element sein, derweil Kiki ihr Leben reflektiert und sich Hals über Kopf genau dem Mannsbild gegenüber sieht, der eigentlich der Richtige wäre, wäre er nicht der Falsche. Verrückte Welt, doch nach und nach lässt die Autorin den Leser Einzelheiten entdecken, bringt Elsies Vergangenheit mit ins Spiel und lüftet so alte Geschichten und Geheimnisse, die für alle nicht nur eine Überraschung, sondern vor allem auch für deren eigenes Seelenwohl von Bedeutung sind. Schlagfertige Dialoge mit Witz, Gefühlschaos und vor allem die zwischenmenschlichen Beziehungen sind in diesem Roman so gut gelungen, so dass der Leser neben einem schönen Kopfkino auch das Gefühlschaos der einzelnen Protagonisten hautnah miterlebt.
Die lebendig gestalteten Charaktere überzeugen durch glaubhafte menschliche Eigenheiten, die dem Leser das Gefühl geben, sie schon lange zu kennen und so mit ihnen eine Einheit zu bilden, die mitfiebern sehr einfach macht. Elsie ist eine spannende Frau, die schon als junges Mädchen so einiges erlebt hat, ein interessantes Leben führte und nun im Alter erkennen lässt, dass es immer nur den einen gegeben hat, dem ihr Herz gehört. Kiki wirkt für ihr Alter zu Beginn eher nervtötend naiv und ohne Antrieb. Sie ist unzufrieden mit ihrem Leben, benötigt aber noch den nötigen Schubs in die richtige Richtung, um endlich etwas zu ändern. Helga lernt man mit Haaren auf den Zähnen kennen, nur um dann festzustellen, dass die Frau nur resolut und lebenserfahren ist, sich nicht so leicht die Butter vom Brot nehmen lässt und ein Herz besitzt, das weicher ist, als ihr niederstarrender Blick vermuten lässt. Jakob und Tochter Mia sind ein eingespieltes Team, zu dem auch „Little Richard“ gehört. Roswitha ist der Knaller, die ihren Theo voll im Griff hat. Überhaupt sind die Dorfbewohner das Tüpfelchen auf dem i.
„Drei Frauen und ein Sommer“ ist spritzig und voller Witz, warmherzig, lebendig und gefühlvoll, mitten aus dem Leben und doch irgendwie magisch. Und wer wünscht sich nicht ein wenig Magie gerade in diesem Sommer? Verdiente Empfehlung!