Starkes, emotional berührendes Debüt von Abi Daré mit wichtiger Botschaft
Das Mädchen mit der lauteren Stimme ist geprägt von kurzen Kapiteln, in denen Abi Daré ihre junge Protagonistin Adunni ihre Geschichte in einer ganz eigenen, ungewöhnlichen Sprache erzählen lässt. So heißt ...
Das Mädchen mit der lauteren Stimme ist geprägt von kurzen Kapiteln, in denen Abi Daré ihre junge Protagonistin Adunni ihre Geschichte in einer ganz eigenen, ungewöhnlichen Sprache erzählen lässt. So heißt der Fernseher etwa Fernseh, die Fernbedienung Fernbediener und DVD heißt Devaude.
So schildert Abi Daré etwa eindringlich, wie Adunni den alten Morufu mit dem Ziegenbockgesicht nicht heiraten will, was niemand in ihrem Dorf verstehen kann. Sogar Adunnis beste Freundin Enitan freut sich für die junge Braut, der sie bei ihrem Hochzeits Makeup helfen möchte. Nur als Leser teilt man natürlich Adunnis Sichtweise und hofft, dass sie sich ihren Traum von einer weiterführenden Schulbildung wird verwirklichen können. Denn Adunni hat von ihrer zu früh verstorbener Mutter Idowu gelernt, dass nur Schulbildung gegen die Zwänge und Unterdrückung der Mädchen und Frauen in Nigeria hilft, um insbesondere nicht in zu jungen Jahren gegen seinen Willen verheiratet zu werden.
Adunni ist ein sympathisches, aufgewecktes und wissbegieriges Mädchen, das schon als kleines Kind davon geträumt hat, später Lehrerin zu werden. Denn Adunni hat einen guten Kopf zum Lernen, wie jedem in ihrem Heimatdorf bekannt ist. Adunnis Hingabe für die Schule und ihre Liebe zu Büchern finde ich ebenso rührend wie inspirierend.
Adunnis Neugierde treibt sie dazu viele Fragen zu stellen. Auch kann Adunni ziemlich vorlaut sein und einem manchmal sogar ein wenig auf die Nerven gehen. Aber gerade diese Ecken und Kanten, die Abi Daré ihrer Protagonistin zugesteht, lassen ihre Charakterisierung glaubwürdig und authentisch werden. Und wenn Adunni einmal wieder eines ihrer selbst ausgedachten Lieder singt, dann ist sie einfach nur das Mädchen, das sie mit ihren erst vierzehn Jahren noch ist.
Besonders stark ist das Mädchen mit der lauteren Stimme meist dann, wenn Adunni einmal die engen vier Wände des Zuhauses, indem sie als Drittfrau bzw. Hausmädchen leben muss, verlassen darf. Leider gibt es viel zu wenig Kapitel wie die, in denen Adunni ihre neue Freundin und Englischlehrerin Ms Tia auf den großen Markt in Lagos begleiten darf, um für sie das Feilschen zu übernehmen, oder Adunni für einen Tag im prächtigen Geschäft von Big Madam in Lagos auszuhelfen darf, das ihr wie ein Palast vorkommt. Nigeria und insbesondere Lagos, in dem Abi Daré selbst aufgewachsen ist, so durch die staunenden Augen eines Kindes entdecken und erleben zu dürfen, hat mir ausgesprochen gut gefallen - und ist ein starker, gelungener Kontrast zu den Qualen und dem Leid, das Adunni sonst zu ertragen hat.
Das Mädchen mit der lauteren Stimme ist ein ziemlich starkes Debüt von Abi Daré, das jedoch leider auch seine Schwächen hat:
Abi Daré schildert die Ereignisse in ihrem Roman ausschließlich aus Sicht von Adunni und Adunni ist mit ihren erst vierzehn Jahren noch recht kindlich und sehr naiv. Das äußert sich nicht nur in der gewöhnungsbedürftigen Sprache, die mit Sicherheit nicht jedermanns Sache sein wird, sondern auch darin, dass Adunni viele Worte nicht kennt bzw. nicht richtig versteht.
Erst mit Adunnis fortschreitender Bildung wird dies ein klein wenig besser. Aber da das Mädchen mit der lauteren Stimme zwar den ein oder anderen kleinen Zeitsprung von wenigen Monaten enthält, wird insgesamt leider nur eine zu kurze Zeitspanne aus Adunnis Leben erzählt, als dass sich wirklich eine größere Entwicklung Adunnis beobachten ließe. Gegen Ende dieses Romans ist Adunni natürlich ein bisschen weniger naiv, stattdessen gebildeter und selbstbewusster - aber auch dann kennt Adunni viele Worte nicht bzw. versteht diese höchstens im Kontext. So hätte es mir weit besser gefallen, eine deutlichere Entwicklung Adunnis in diesem Roman verfolgen zu können, die etwa durch größere Zeitsprünge und somit die Erzählung eines längeren Abschnitts aus Adunnis Leben gegeben wäre.
Da die anderen Charaktere im Mädchen mit der lauteren Stimme ausschließlich aus Sicht von Adunni betrachtet werden, fällt deren Darstellung leider recht einseitig aus - abhängig davon, ob Adunni diese Personen mag bzw. diese freundlich zu ihr sind - wie etwa Morufus zweite Frau Khadija oder auch ihre Freundin in Lagos Ms Tia - oder eben nicht. So sind Morufu, Morufus erste Frau Labake und auch Big Daddy in Adunnis Augen einfach nur böse. Einzig der Big Madam, für die Adunni als Hausmädchen in Lagos tätig ist, wird zum Schluss dieses Romans eine gewisse Ambivalenz zugestanden, wenn Adunni erkennt, dass diese große Frau nicht einfach nur böse und gemein ist, obwohl sie nie ein nettes Wort für Adunni übrig hat und sie schlägt, sondern dass Big Madam selbst geschlagen wird und unter ihrem Mann zu leiden hat.
Von mir gibt es eine klare Empfehlung für das Mädchen mit der lauteren Stimme, da Abi Daré in ihrem beeindruckenden, berührenden Debütroman mit der authentisch geschilderten Geschichte der noch so jungen Protagonistin Adunni, die eine lautere Stimme erlangen möchte, ein eindringliches Plädoyer dafür verfasst hat, wie nur mehr Bildung Mädchen und Frauen in Nigeria in ihren schwierigen, von Unterdrückung geprägten Verhältnissen helfen und diese für sie verbessern kann. Damit ist Abi Daré ein Stück Literatur gelungen, dass sich vor allen Dingen durch seine so wichtige Botschaft auszeichnet.
Zuletzt möchte ich eine Warnung aussprechen, dass das Mädchen mit der lauteren Stimme nichts für ganz Zartbesaitete ist. Denn auch wenn dessen grausame Szenen - so wie etwa Adunnis Vergewaltigung durch Morufu - nicht sonderlich explizit geschildert werden, wirken diese Szenen viel intensiver und brutaler, da Adunni erst vierzehn Jahre alt ist, was einem als Leser aufgrund ihrer kindlichen Sprache und naiven Sichtweise stets präsent ist.