Charmant, amüsant und besonders!
What to say next"What to say next" ist eine Neuauflage von Julie Buxbaums gleichnamigem Originalroman, welcher 2018 schonmal in Deutschland unter dem Titel "Mein Herz in allen Einzelteilen" erschienen ist. Obwohl ich ...
"What to say next" ist eine Neuauflage von Julie Buxbaums gleichnamigem Originalroman, welcher 2018 schonmal in Deutschland unter dem Titel "Mein Herz in allen Einzelteilen" erschienen ist. Obwohl ich die Geschichte noch nirgends gesehen habe, hat der Klapptext gleich beim ersten Lesen etwas in mir zum Schwingen gebracht, sodass ich den Roman kurzerhand angefragt habe. Und tatsächlich: dieser wundervolle Roman über Stärke, Außenseiter, Besonderssein, Mut und Liebe ist einfach wunderschön zu lesen, sodass mir mit Kits und Davids Geschichte ein überraschendes, unerwartetes, aber umwerfendes Monatshighlight geschenkt wurde.
David: "Jetzt passt dein Äußeres viel besser zu deinem Inneren, hat Kit vorhin gesagt, aber sie hat sich geirrt- Nein, jetzt ist mein wahres Inneres nach außen gekehrt und alle können es auseinandernehmen und darüber lachen. Ich bin wie ein überfahrenes Tier am Straßenrand. Ich werde angestarrt und jeder findet es spannend, aber essen will mich niemand. So wertvoll bin ich nicht"
Die Gestaltung der Neuauflage ist sehr nah am Originalcover gehalten, was mir wunderbar gefällt, da durch den türkisgrünen Hintergrund mit der abgedruckten Zahlenfolge der Zahl Pi und die beiden sich zugewandten Milchshakes Kits und Davids Annäherung auf spritzige, jugendliche und auch leicht nerdige Weise rübergebracht wird. Auch der Titel wurde dankenswerter Weise übernommen, was mir ebenfalls gut gefällt, da sich Kit nach dem Verlust ihres Vaters genau aus diesem Grund an den stillen David wendet: sie muss sich keine Gedanken darüber machen, was sie als nächstes zu ihm sagen soll...
Erster Satz: "Ein Wunder ist geschehen: Kit Lowell hat sich gerade in der Schulkantine zu mir gesetzt."
Die Geschichte hatte mich schon beim ersten Satz. Julie Buxbaum entwickelt hier in 40 kurzen Kapiteln eine Mischung aus Highschool-Komödie, Coming-of-Age-Drama und Liebesgeschichte. Dadurch, dass sie abwechselnd aus der Sicht von David und Kit erzählt, kann sie geschickt mit der Fremd- und Eigenperspektive der Figuren spielen und gleich zwei schwere Themen ansprechen, ohne dass Gefühle zu kurz kommen. Während Kit erst kürzlich bei einem Autounfall ihren Vater verloren hat und stark mit seiner Abwesenheit, Trauer, Schuld, Wut und Orientierungslosigkeit zu kämpfen hat und sich zwischen all diesen Gefühlen von ihrem Freundinnen entfremdet und selbst verloren hat, lernen wir mit David einen Teenager aus dem Autismus Spektrum kennen. Mit einem überdurchschnittlichen IQ, der Fixation auf kleine Details, Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Umgang und entwaffnend ehrlicher Kommunikation würde er nach der alten Definition als Asperger-Autist gelten, kann sich selbst mit diesem Label aber nicht besonders gut identifizieren.
David: "Meine Mom meint, mein Dad und ich wären uns sehr ähnlich, was mir Anlass zum Optimismus gibt. Wenn er jemanden wie meine Mutter dazu bringen konnte ihn zu lieben - jemanden, der allgemein als supernett und wunderbar klingt -, und nicht nur zu lieben, sondern ihn so sehr zu lieben, dass sie den Rest des Lebens mit ihm verbringen will, dann gibt es vielleicht auch für mich noch Hoffnung."
Fakt ist, dass wir David durch seinen Alltag begleiten, der dank seiner speziellen Weltsicht einige Fallstricke birgt und - mal lustig, mal tragisch, aber immer wahnsinnig einfühlsam dargestellt - beobachten können, wie er versucht, sich durch planerische Kniffe, die Nicht-zu-trauen-Liste seiner großen Schwester, in einem Notizbuch gesammelte Informationen über seine Mitschüler und die Hilfe seines Gitarrenlehrers halbwegs unbeschadet durch den High-School-Dschungel zu manövrieren. Ganz schön durcheinander gewirbelt wird seine Routine, als sich plötzlich die schöne und beliebte Kit an seinen Tisch beim Mittagessen setzt und ihm die Möglichkeit auf Anschluss, Freundschaft und vielleicht auch mehr bietet...
Kit: "Bei ihnen scheint angekommen zu sein, dass die Welt groß und vielfältig ist, und dass anders sein nichts Angsteinflößendes ist. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie viele Leute das nicht begreifen."
Über die Zeit entwickelt sich die anfängliche Charaktervorstellung zu einer süßen, unterhaltsamen Lovestory, die trotz der vielen klischeehaften Stellen überraschend viel Tiefe aufweist. Zwar hatte Julie Buxbaum mit dem "beliebtes Mädchen freundet sich nach einem Schicksalsschlag mit einem Außenseiter an und bald schon flattern die Schmetterlinge"-Konzept nicht gerade eine neue Grundidee und auch typische High-School-Cliquen oder das obligatorische Makeover, nach dem alle bemerken, dass der unscheinbare Nerd doch ein Hottie ist, erinnern an bekannte Highschool-Filme wie "He´s all that" oder "She´s all that". Dennoch erscheint "What to say next" besonders und sticht dadurch hervor, wie viel Herz die Autorin ihren Figuren verleiht.
David: "Ich dachte immer, Einsamkeit wäre, immer nur die eine Stimme im Kopf zu hören. Aber das war falsch. Einsamkeit ist, auch die Stimmen aller anderen zu hören, die nur immer wieder das eine Wort wiederholen: Stirb, stirb, stirb."
Besonders David ist mir über die 368 Seiten wahnsinnig ans Herz gewachsen. Ich habe selten von einem so anbetungswürdigen Young Adult Protagonisten gelesen, den ich am liebsten ganz fest in den Arm genommen und vor der ganzen Welt beschützt hätte. Mit all seinen Eigenheiten ist er kein besonders leichter oder nach der üblichen Definition attraktiver Protagonist, mit seiner wachen Intelligenz, seinem besonderen Blick auf die Welt und der naiven Verletzlichkeit, die er ausstrahlt, muss man ihn aber einfach lieben. Auch Kit ist als Halbinderin, die neben der Trauer um ihren Vater mit dem Schönheitsideal ihrer Mutter zu kämpfen hat und genervt von der Oberflächlichkeit der Highschool ist, eine für einen Young-Adult-Roman sehr komplexe, reflektierte und diverse Figur. Ganz mit David mithalten konnte sie für mich aber nicht, gerade auch weil seine Abschnitte für mich einfach einen besonderen Reiz hatten.
David: "Mein Notizbuch zu lesen, ist wie meinen Kopf zu öffnen und der unverständigen Welt alles offenzulegen, was keinen Sinn ergibt. Alles, was mich zum Freak, Geistesgestörten oder Loser macht, oder was für Worte sie mir auch immer entgegenschleudern. Alles, was mich anders sein lässt. Alles, was mich mich sein lässt."
Neben den Figuren ist vor allem der allgegenwärtige Witz des Schreibstils, der es schafft, die tragischen Inhalte rund um den Verlust von Kits Vater, Mobbing oder die Grausamkeit von Teenagern gegenüber denen, die aus dem Raster fallen, auszugleichen. Die Autorin findet hier ganz wunderbar eine Balance zwischen Ernst und Humor, sodass die Wichtigkeit der angesprochenen Themen nicht verloren geht, sich die jugendlichen Figuren aber nie selbst zu ernst nehmen. Zusätzlich aufgelockert wird die Erzählung außerdem durch eingeschobene Listen, Emails, Briefe oder Aufzählungen, oft mit humoristischem Inhalt. So ist die Geschichte trotz einiger hochemotionaler Szenen, bei denen einem die Spucke wegbleibt, ein absolutes Wohlfühlbuch, das sich wie eine warme Decke übers Herz legt und in dem man sich am liebsten häuslich einrichten würde. Ich hätte also gerne noch ewig weiter über die beiden lesen können, war aber auch sehr zufrieden, als das Ende gekommen ist, denn Julie Buxbaum ist es hier gelungen, ihren Abschluss offen, aber rund und einfach perfekt zu gestalten, sodass sie unbedingt auf die Liste der AutorInnen gerutscht ist, von denen ich dringend Nachschub brauche!
David: "Was sollen wir bloß mit dir machen?", fragt sie, und mein Magen zieht sich zusammen. In der neunten Klasse fan dich mich alle zwei Wochen bei der Direktorin, Ms Hodge, wieder, weil irgendetwas mit mir schiefgelaufen war, und sie hat mir diese Frage, die idiomatisch und rhetorisch zugleich zu verstehen ist, immer wieder gestellt: Was sollen wir bloß mit dir machen? Als wäre ich ein Gruppenprojekt. Wenigstens dieses eine Mal könnte die Antwort doch sein: nichts. Wenigstens dieses einmal Mal könnte die Antwort doch sein: Du bist genau richtig so. Wenigstens dieses eine Mal könnte die Frage doch überhaupt nicht gestellt worden sein."
Fazit:
"What to say next" ist eine Mischung aus Highschool-Komödie, Coming-of-Age-Drama und Liebesgeschichte, die das Rad nicht neu erfindet, aber durch die Figuren charmant, den Schreibstil amüsant und die Einfühlsamkeit der Themen besonders wirkt. Ganz klare Leseempfehlung!