Handlung: "Stand By Me" ist per Definition der zweite Teil von Helena Huntings "Second Chances"- Reihe. Da diese Reihe inhaltlich aber nicht mehr gemeinsam hat, als dass es sich immer um Geschichten mit ...
Handlung: "Stand By Me" ist per Definition der zweite Teil von Helena Huntings "Second Chances"- Reihe. Da diese Reihe inhaltlich aber nicht mehr gemeinsam hat, als dass es sich immer um Geschichten mit Liebe auf den zweiten Blick handelt, kann man die einzelnen Bände ohne Probleme vollkommen unabhängig voneinander lesen. Für mich war der Roman die erste Begegnung mit der amerikanischen Bestsellerautorin, die mich gut unterhalten hat, mich aber nicht gänzlich überzeugen konnte. Denn leider verbleibt Helena Hunting hier trotz ernster Themen auf emotionaler Schnorcheltiefe, geht den Beginn eher zäh und das Ende dann überstürzt an und kann außerdem nicht gerade mit überraschenden Wendungen glänzen (was den Sorgerechtsfall angeht habe ich den Braten leider schon nach dem ersten Auftauchen der Tante gerochen). Mit der liebenswerten Mischung aus Anwalts-/Office-Roman, Familiendrama inklusive Verlust und Sorgerechtsstreit, dem Enemies-to-Lovers-Trope und einer Menge angestauter Gefühle und Anziehung ist "Stand By Me" aber dennoch genau die richtige Ablenkung für eine anstrengende Woche.
Schreibstil: Dafür sorgt vor allem ihr lockerer, witziger Schreibstil, den man guten Gewissens als "typisch New Adult" charakterisieren kann. Die 27 kurzen Kapiteln werden genau wie der vorangestellte Prolog und der angehängte Epilog mit viel Schwung abwechselnd aus der Ich-Perspektive der beiden Hauptfiguren erzählt und decken dabei den Zeitraum von einigen Wochen ab. So angenehm der Roman aber auch zu lesen ist, so sehr fällt auch auf, dass Helena Hunting das emotionale Spektrum ihrer Geschichte lange nicht ausschöpft, sodass der Eindruck, gemütlich an der Oberfläche zu dümpeln, entsteht und viel Potential ungenutzt bleibt.
Figuren: Ungenutztes Potential sehe ich auch bei den Figuren. Grundsätzlich sind die ehrgeizige, aber mitfühlende Fondsanwältin (mit deren Fangirl-Allüren ich mich übrigens besonders gut identifizieren konnte, haha) und der verwöhnte Teenie-Star, der nach dem Tod seiner Eltern mit seiner neuen Verantwortung zu kämpfen hat, in Kombination ein spannendes Paar, die bald schon eine Dynamik entwickeln, die sowohl von Anziehung als auch von emotionaler Unterstützung geprägt ist. Schade ist aber, dass die Autorin es verpasst, die gemeinsame Vergangenheit von Kailyn und Daxton gewinnbringend durch Rückblicke oder ähnliches zu nutzen. Dass die beiden sich schon auf dem College kennengelernt und durch ein Missverständnis aus den Augen verloren haben, wäre eine spannende Grundlage für ihre Beziehung gewesen. Leider erfahren wir nach dem kurzen Einstieg nicht mehr besonders viel über ihre gemeinsame Vergangenheit und die Chance, den eher zähen Beginn durch einen frühen Rückgriff auf ihre Vorgeschichte aufzupeppen, verpufft ungenutzt. So kommt es, dass ich die beiden zwar grundsätzlich interessant fand, Daxtons kleine Schwester Emma aber die meisten Punkte auf der Sympathieskala einstreichen konnte.
Das Urteil:
Eine unterhaltsame Geschichte über zweite Chancen, Familie, Verantwortung und Liebe, die jedoch bei Handlung, Figuren und emotionaler Tiefe vieles ungenutzt lässt.
Handlung: "Stand By Me" ist per Definition der zweite Teil von Helena Huntings "Second Chances"- Reihe. Da diese Reihe inhaltlich aber nicht mehr gemeinsam hat, als dass es sich immer um Geschichten mit ...
Handlung: "Stand By Me" ist per Definition der zweite Teil von Helena Huntings "Second Chances"- Reihe. Da diese Reihe inhaltlich aber nicht mehr gemeinsam hat, als dass es sich immer um Geschichten mit Liebe auf den zweiten Blick handelt, kann man die einzelnen Bände ohne Probleme vollkommen unabhängig voneinander lesen. Für mich war der Roman die erste Begegnung mit der amerikanischen Bestsellerautorin, die mich gut unterhalten hat, mich aber nicht gänzlich überzeugen konnte. Denn leider verbleibt Helena Hunting hier trotz ernster Themen auf emotionaler Schnorcheltiefe, geht den Beginn eher zäh und das Ende dann überstürzt an und kann außerdem nicht gerade mit überraschenden Wendungen glänzen (was den Sorgerechtsfall angeht habe ich den Braten leider schon nach dem ersten Auftauchen der Tante gerochen). Mit der liebenswerten Mischung aus Anwalts-/Office-Roman, Familiendrama inklusive Verlust und Sorgerechtsstreit, dem Enemies-to-Lovers-Trope und einer Menge angestauter Gefühle und Anziehung ist "Stand By Me" aber dennoch genau die richtige Ablenkung für eine anstrengende Woche.
Schreibstil: Dafür sorgt vor allem ihr lockerer, witziger Schreibstil, den man guten Gewissens als "typisch New Adult" charakterisieren kann. Die 27 kurzen Kapiteln werden genau wie der vorangestellte Prolog und der angehängte Epilog mit viel Schwung abwechselnd aus der Ich-Perspektive der beiden Hauptfiguren erzählt und decken dabei den Zeitraum von einigen Wochen ab. So angenehm der Roman aber auch zu lesen ist, so sehr fällt auch auf, dass Helena Hunting das emotionale Spektrum ihrer Geschichte lange nicht ausschöpft, sodass der Eindruck, gemütlich an der Oberfläche zu dümpeln, entsteht und viel Potential ungenutzt bleibt.
Figuren: Ungenutztes Potential sehe ich auch bei den Figuren. Grundsätzlich sind die ehrgeizige, aber mitfühlende Fondsanwältin (mit deren Fangirl-Allüren ich mich übrigens besonders gut identifizieren konnte, haha) und der verwöhnte Teenie-Star, der nach dem Tod seiner Eltern mit seiner neuen Verantwortung zu kämpfen hat, in Kombination ein spannendes Paar, die bald schon eine Dynamik entwickeln, die sowohl von Anziehung als auch von emotionaler Unterstützung geprägt ist. Schade ist aber, dass die Autorin es verpasst, die gemeinsame Vergangenheit von Kailyn und Daxton gewinnbringend durch Rückblicke oder ähnliches zu nutzen. Dass die beiden sich schon auf dem College kennengelernt und durch ein Missverständnis aus den Augen verloren haben, wäre eine spannende Grundlage für ihre Beziehung gewesen. Leider erfahren wir nach dem kurzen Einstieg nicht mehr besonders viel über ihre gemeinsame Vergangenheit und die Chance, den eher zähen Beginn durch einen frühen Rückgriff auf ihre Vorgeschichte aufzupeppen, verpufft ungenutzt. So kommt es, dass ich die beiden zwar grundsätzlich interessant fand, Daxtons kleine Schwester Emma aber die meisten Punkte auf der Sympathieskala einstreichen konnte.
Das Urteil:
Eine unterhaltsame Geschichte über zweite Chancen, Familie, Verantwortung und Liebe, die jedoch bei Handlung, Figuren und emotionaler Tiefe vieles ungenutzt lässt.
"Das Gewicht der Worte" ist mein erster Roman von Pascal Mercier und hat als Geburtstagsgeschenk zu mir gefunden. Mit über einer Woche habe ich verhältnismäßig lange für diesen 576 Seiten langen Roman ...
"Das Gewicht der Worte" ist mein erster Roman von Pascal Mercier und hat als Geburtstagsgeschenk zu mir gefunden. Mit über einer Woche habe ich verhältnismäßig lange für diesen 576 Seiten langen Roman gebraucht, der zugleich Betrachtung eines Lebens, Studie von Sprache, Worten und Literatur und philosophische Diskussion ist. Dabei ist das Geschilderte vom ersten „Welcome home, Sir“ bis zum letzten „Welcome home, Sir“ zwar durchaus beeindruckend, interessant und anregend, aber leider ohne Spannung und eher ermüdend erzählt, weshalb ein gemischter Gesamteindruck zurückbleibt.
Die Gestaltung des Romans passt ganz hervorragend zu dieser stillen, zurückhaltenden, aber ausgefeilt hintersinnigen Geschichte. Zu sehen ist die Molo Audace in Triest, die eine wichtige Rolle im Roman spielt und ein energisch schreitender Mann im Anzug, der mit seinen grauen Haaren und dem nachdenklich gesenkten Kopf durchaus der Protagonist sein könnte. Auch der Titel passt hervorragend - geht es hier doch vor allem um die Möglichkeiten, die Nuancen und den Stellenwert von Sprache. Pascal Merciers Erzählung ist in 45 Kapitel aufgeteilt, welche zum Teil Briefe und Ausschnitte aus anderen Romanen enthalten, welche kursiv abgedruckt sind.
Erster Satz: "Welcome home, Sir", sagte der Beamte bei der Passkontrolle am Londoner Flughafen."
Wir steigen bei einem wichtigen Einschnitt im Leben von Simon Leyland, dem Hauptprotagonisten in den Roman ein. Nachdem er 11 Wochen mit einer grauenvollen Fehldiagnose gelebt und seine Angelegenheiten zum Abschluss gebracht hat, wagt er nach der erleichternden Nachricht einen Neuanfang und startet in einen neuen Lebensabschnitt. Dazu zieht er nach London in die Stadt seiner Kindheit, wo ihm sein Onkel ein Haus vererbt hat, und beginnt diese neu zu entdecken und dabei sein Leben Revue passieren zu lassen. Gut die erste Hälfte des Romans bringen wir so damit zu, Leylands Vergangenheit kennenzulernen und zu erforschen, wie er an diesem Punkt gelandet ist: alleine in London mit verkauftem Verlag, erwachsenen Kindern und einer überraschend großen Menge restlicher Lebenszeit zum Füllen. Dabei passiert auf der Handlungsebene erschreckend wenig. Im Grunde betrachten wir Leyland, der sein Leben reflektiert, über Übersetzungen brütet, über Nachgedachtes mit seinen Freunden und seiner Familie diskutiert, über Diskutiertes wiederum nachdenkt und seine Schlussfolgerungen dann in Form von Briefen an seine verstorbene Frau festhält. Diese Erzählweise hat zur Folge, dass es viele Wiederholungen gibt und praktisch alle Gedanken mehrmals am Leser vorbeiziehen.
"Es war ein Dunkel nach dem Ende eines Lebens, ein Dunkel, in dem die Zeit nicht mehr floss. Er würde nachher überall Licht machen und sie von neuem zum Fließen bringen. Aber nicht gleich. Er bestellte noch einmal Tee und etwas zu essen. Jetzt, da er wieder eine Zukunft hatte, wollte er verschwenderisch mit seiner Zeit umgehen. Spüren, wie sie verstrich, ohne dass er etwas tat. Spüren, dass er nicht mehr atemlos einem Ende zutrieb. Spüren, dass er Dinge aufschieben konnte, ohne es später zu bereuen."
Diese Reflexion des Kreises von Leylands Lebens hat durchaus seinen Reiz, wenn man zwischen den Seiten versunken ist, sobald man das Buch jedoch zur Seite legt, weiß man nicht so recht, weshalb man weiterlesen sollte. Es gibt keine drängenden Fragen, deren Antwort man erhalten will, keine großartigen Entwicklungen oder Geschehnisse werden in Aussicht gestellt und auch für seine packende Handlung ist Pascal Mercier alles andere als bekannt. Es ist also von Beginn an schlichtweg keine Spannung vorhanden! Während man in der ersten Hälfte des Romans durch aufschlussreiche Rückblicke auf vergangene Geschehnisse wie Leylands Fehldiagnose, seine Kindheit oder seine verstorbene Frau bei Stange gehalten wird und ständig neue Informationen erhält, die das Gesamtbild runder machen, leidet die zweite Hälfte des Romans stärker unter dem Fehlen jeglicher Spannung. Man lässt sich auf das Lesen ein, lässt sich die ein oder andere Formulierung auf der Zunge zergehen und wartet, wohin die Geschichte hinführt. Bis etwa 130 Seiten nach Beginn hat mir das auch gereicht, doch ab dort drängte sich die Frage auf: wohin führt das Ganze?
"Alles, was für ihn jemals gezählt hatte, waren Worte. Etwas existierte erst wirklich, wenn es benannt und besprochen wurde. Er hatte sich das nicht ausgesucht, es war ihm zugestoßen und war von Anfang an so gewesen. Oft hatte er sich gewünscht, ohne Worte bei den Sachen zu sein, bei den Sachen und den Menschen und den Gefühlen und den Träumen - und dann waren ihm doch wieder die Worte dazwischengekommen."
Und die Antwort ist leider: nirgendwohin! Es kommt ein Punkt in der Geschichte, ab wo beinahe alle Geheimnisse gelüftet und viele der kleinen Spannungsbögen ihren Höhepunkt erreicht haben und nur noch schrittweise Neues passiert. Ab hier wird das Buch deutlich schwächer, büßt Lebendigkeit und Antrieb ein. Auch die Wiederholungen, die durch den besonderen Erzählstil mit bedingt sind, werden ab diesem Punkt nochmal mehr, sodass sich das letzte Drittel recht zäh liest. Dazu kommt, dass wir recht ziellos durch die Handlung steuern und ich bald das Gefühl, ich hätte noch 200 Seiten mehr über Simon Leyland lesen können, oder auch 200 Seiten weniger und das hätte keinen großen Unterschied gemacht. Ich habe die zweite Hälfte und auch das Ende also als eher willkürlich gewählt empfunden. Es fehlte mir hier eine klare Struktur, ein erkennbares Ziel, ein Schlusspunkt - so ist die gesamte Gestaltung der Handlung eher unbefriedigend.
"Wir leben ja mit dem Gefühl, in enger, nahtloser Verbindung mit unserer Vergangenheit zu stehen und den Faden unseres Lebens ohne Riss und Unterbruch von Tag zu Tag fortzuspinnen. Es wäre unerträglich, dieses Gefühl zu verlieren. Doch die Wahrheit ist es nicht: Unser Leben ist eine lange, verschlungene Kette von schwimmenden Inseln der Erinnerung umspült von Vergessen, wir springen von der einen zur anderen, hin und zurück, und wir sind Virtuosen darin, die Brüche mit Geschichten zu übertünchen, die den anderen und uns selbst ausgreifend und erfinderisch vorgaukeln, wir stünden auf einem festen Grund durchgängigen Erinnerns."
Doch bewegen wir uns mal von der zweitrangigen Handlungsebene weg und betrachten den Inhalt genauer. Um ehrlich zu sein: rückblickend fällt es mir schwer, genau zu sagen, worum es hier überhaupt ging: um alles und nichts eben. Pascal Mercier unternimmt hier eine Reise durch die Sprachen des Mittelmeerraums, durch die Literatur und stellt einige Fragen zu Tod, Freiheit, dem Wert des Lebens, dem Wesen der Zeit und der Substanz der Poesie. Dabei bleibt er jedoch an eine einzelne Perspektive, ein einzelnes Leben gebunden, das von Hoffnung, Schmerz, Orientierungslosigkeit und intensiven Begegnungen geprägt ist, weshalb die Auseinandersetzung mit den wichtigsten Themen eher einseitig erfolgt und die Reflexion nicht wirklich ins Philosophieren übergeht. Auf einigen Aspekten wie das Recht auf Selbstbestimmung des eigenen Ende werden dabei immer und immer wieder wiederholt, während anderes, was mir selbst zum Thema Freiheit einfallen würde, gar nicht erst zur Sprache kommt.
"Es ist etwas Großes, Gewaltiges, wenn man vor jemanden hintritt und ihn fragt, wie seine eigene, seine ganze besondere Stimme klinge, in der Art, wie seine Worte kämen, und der Art, wie die Bilder seiner Fantasie sich formten. Diese Frage ist geeignet, jemanden aus der Fassung zu bringen"
Einige interessante Anstöße und Gedanken werden hier zwar eingearbeitet, vieles bleibt aber sehr lebensfern und wenig greifbar, sodass ich mit einigem nicht viel anfangen konnte. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die Hauptfigur in einer Blase lebt, in der Geld keine Rolle spielt, stundenlang über Sprachen und Worte philosophiert werden kann und alles Gewöhnliche eine außergewöhnliche Bedeutung hat. Er pendelt zwar zwischen den beiden Städten Triest und London, fährt Tube, sitzt an der Molo Audace, schreitet Straßen entlang und besucht Sehenswürdigkeiten, die ich selbst schon gesehen habe, scheint aber doch auf einem ganz anderen Planeten zu leben als ich. Pascal Leyland gibt uns tiefe Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt seiner Hauptfigur, jedoch ohne wirkliche Nähe zu ihm entstehen zu lassen. Egal ob während der direkten Beschreibung des Geschehens, in Dialogen oder in Briefen - hier spricht nie die Person direkt, sondern da ist immer noch eine trennende Erzählinstanz zwischen Leser und Figur, die somit eher ein spannendes, abstraktes Untersuchungsobjekt blieb und wenig zu Bezügen zur eigenen Person einlud. Grundsätzlich finde ich es wahnsinnig spannend, die Welt aus anderen Augen zu betrachten, aber hier kann man als Leser kaum Spuren seines eigenen Lebens in der Geschichte wiederfinden und bleibt somit über die gesamten 572 Seiten hinweg ein mittelmäßig motivierter Zuhörer.
"Manchmal nimmt das Wort einer Sache den Schrecken, und es ist eine Befreiung, es auszusprechen. Doc manchmal spüren wir: Das Wort würde den Schrecken noch größer machen. Dann halten wir es unter Verschluss. Und manchmal verwechseln wir die beiden Fälle."
Zum Eindruck dieser scheinweltlichen Blase tragen auch die hier auftauchenden Figuren bei. Grundsätzlich hat mir die Gestaltung der Nebenfiguren gut gefallen. Pascal Mercier unterläuft nur ein einziger Fehler: sie sind alle vieeeel zu ähnlich. Von seinen Kindern über seinen Nachbar in London, seine ehemaligen Verlagsmitarbeiter bis hin zu befreundeten Autoren haben wir es hier ausschließlich mit feinsinnigen, aufrichtigen Gutmenschen zu tun, die sich in ihrer Tiefgründigkeit sehr gefallen, ein Geheimnis aus ihren erlebten Abgründen machen, Problemen haben sich zu öffnen und mit einem unübersehbaren Bedürfnis nach Halt und Hilfe der Hauptfigur die Möglichkeit geben, als Held aufzutreten. Entwicklungen finden hier nur statt, wenn sie der Profilierung von Leyland nutzen, alle scheinen immer einer Meinung mit ihm zu sein und bald verschwimmt der englische Apotheker Kenneth Burke mit dem russischen Ex-Häftling Andrej und selbst der vermeintlich etwas einfachere Kellner Pat entpuppt sich schnell als feingeistiger Intellektueller. Eine zupackende, andersdenkende Kontrastfigur, die Leyland aus seiner Blase ab und zu mal heraus holt, hätte der Geschichte also definitiv gut getan.
"Aus verborgenem, verschwiegenem Wissen war ausdrückliches, in Worte fassbares Wissen geworden. Es war kein abstraktes Wissen, es wirkte in das Erleben hinein. Es war wie ein Aufwachen, ein unaufhaltsames Aufwachen, das ich mit den ersten Phantasien und den ersten Sätzen in Gang gesetzt hatte, und ich war am Ende nicht mehr dieselbe wie vorher."
Ich halte also fest: kaum vorhandene Spannung, spannende Anstöße aber fehlende Greifbarkeit und Figuren, die zunehmend zu einem Einheitsbrei verschwimmen - das klingt alles andere als der Stoff, aus dem ein Stück Weltliteratur gemacht ist. Weshalb würde ich "Das Gewicht der Worte" also dennoch als lesenswert einstufen? Das hängt vor allem mit der Sprache des Autors zusammen, die hier ganz dem thematischen Fokus entsprechend leise, zurückhaltend, reflektiert und ausgefeilt ist. Vor allem die vielen Einbezüge anderer Sprachen, vor allem französisch, englisch und italienisch, machen die Erzählung vielschichtig und komplex und durch die wenige Handlung hat der Autor viel Raum, Nicht-Stoffliches in Worte zu kleiden. Dabei ist aber auch nicht die Erzählweise über jede Kritik erhaben. Negativ aufgefallen ist mir, dass man zwar deutlich merkt, wie sehr der Autor an jedem Wort gefeilt hat, aber trotzdem oder gerade deswegen nicht alles natürlich schien. "Das Gewicht der Worte" ist ohne Zweifel sehr schön und feinsinnig geschrieben, an manchen Stellen fast poetisch, aber leider hatten auch viele Worte einen angeberischen Beigeschmack und fügten sich nicht mühelos in die Erzählung ein. Pascal Mercier hat hier viele gewichtige Worte gefunden, wirklich zu berühren und mitzureißen verstehen diese jedoch nicht. Das Lesen bleibt Arbeit und man spürt das Gewicht dieser Worte mit jeder Seite.
"Die Phantasie - das spüre ich so deutlich in diesen Tagen - ist der eigentliche Ort der Freiheit."
Fazit:
Pascal Mercier erzählt leise, zurückhaltend und reflektiert von Wendungen des Lebens, der Gegenwärtigkeit der Poesie, dem Wesen der Zeit und vor allem von Sprache, Wörtern und Literatur. Sprachlich zwar auf hohem Niveau fehlt "Das Gewicht der Worte" aber Spannung, Lebendigkeit und eine klare Struktur.
"Das Gewicht der Worte" ist mein erster Roman von Pascal Mercier und hat als Geburtstagsgeschenk zu mir gefunden. Mit über einer Woche habe ich verhältnismäßig lange für diesen 576 Seiten langen Roman ...
"Das Gewicht der Worte" ist mein erster Roman von Pascal Mercier und hat als Geburtstagsgeschenk zu mir gefunden. Mit über einer Woche habe ich verhältnismäßig lange für diesen 576 Seiten langen Roman gebraucht, der zugleich Betrachtung eines Lebens, Studie von Sprache, Worten und Literatur und philosophische Diskussion ist. Dabei ist das Geschilderte vom ersten „Welcome home, Sir“ bis zum letzten „Welcome home, Sir“ zwar durchaus beeindruckend, interessant und anregend, aber leider ohne Spannung und eher ermüdend erzählt, weshalb ein gemischter Gesamteindruck zurückbleibt.
Die Gestaltung des Romans passt ganz hervorragend zu dieser stillen, zurückhaltenden, aber ausgefeilt hintersinnigen Geschichte. Zu sehen ist die Molo Audace in Triest, die eine wichtige Rolle im Roman spielt und ein energisch schreitender Mann im Anzug, der mit seinen grauen Haaren und dem nachdenklich gesenkten Kopf durchaus der Protagonist sein könnte. Auch der Titel passt hervorragend - geht es hier doch vor allem um die Möglichkeiten, die Nuancen und den Stellenwert von Sprache. Pascal Merciers Erzählung ist in 45 Kapitel aufgeteilt, welche zum Teil Briefe und Ausschnitte aus anderen Romanen enthalten, welche kursiv abgedruckt sind.
Erster Satz: "Welcome home, Sir", sagte der Beamte bei der Passkontrolle am Londoner Flughafen."
Wir steigen bei einem wichtigen Einschnitt im Leben von Simon Leyland, dem Hauptprotagonisten in den Roman ein. Nachdem er 11 Wochen mit einer grauenvollen Fehldiagnose gelebt und seine Angelegenheiten zum Abschluss gebracht hat, wagt er nach der erleichternden Nachricht einen Neuanfang und startet in einen neuen Lebensabschnitt. Dazu zieht er nach London in die Stadt seiner Kindheit, wo ihm sein Onkel ein Haus vererbt hat, und beginnt diese neu zu entdecken und dabei sein Leben Revue passieren zu lassen. Gut die erste Hälfte des Romans bringen wir so damit zu, Leylands Vergangenheit kennenzulernen und zu erforschen, wie er an diesem Punkt gelandet ist: alleine in London mit verkauftem Verlag, erwachsenen Kindern und einer überraschend großen Menge restlicher Lebenszeit zum Füllen. Dabei passiert auf der Handlungsebene erschreckend wenig. Im Grunde betrachten wir Leyland, der sein Leben reflektiert, über Übersetzungen brütet, über Nachgedachtes mit seinen Freunden und seiner Familie diskutiert, über Diskutiertes wiederum nachdenkt und seine Schlussfolgerungen dann in Form von Briefen an seine verstorbene Frau festhält. Diese Erzählweise hat zur Folge, dass es viele Wiederholungen gibt und praktisch alle Gedanken mehrmals am Leser vorbeiziehen.
"Es war ein Dunkel nach dem Ende eines Lebens, ein Dunkel, in dem die Zeit nicht mehr floss. Er würde nachher überall Licht machen und sie von neuem zum Fließen bringen. Aber nicht gleich. Er bestellte noch einmal Tee und etwas zu essen. Jetzt, da er wieder eine Zukunft hatte, wollte er verschwenderisch mit seiner Zeit umgehen. Spüren, wie sie verstrich, ohne dass er etwas tat. Spüren, dass er nicht mehr atemlos einem Ende zutrieb. Spüren, dass er Dinge aufschieben konnte, ohne es später zu bereuen."
Diese Reflexion des Kreises von Leylands Lebens hat durchaus seinen Reiz, wenn man zwischen den Seiten versunken ist, sobald man das Buch jedoch zur Seite legt, weiß man nicht so recht, weshalb man weiterlesen sollte. Es gibt keine drängenden Fragen, deren Antwort man erhalten will, keine großartigen Entwicklungen oder Geschehnisse werden in Aussicht gestellt und auch für seine packende Handlung ist Pascal Mercier alles andere als bekannt. Es ist also von Beginn an schlichtweg keine Spannung vorhanden! Während man in der ersten Hälfte des Romans durch aufschlussreiche Rückblicke auf vergangene Geschehnisse wie Leylands Fehldiagnose, seine Kindheit oder seine verstorbene Frau bei Stange gehalten wird und ständig neue Informationen erhält, die das Gesamtbild runder machen, leidet die zweite Hälfte des Romans stärker unter dem Fehlen jeglicher Spannung. Man lässt sich auf das Lesen ein, lässt sich die ein oder andere Formulierung auf der Zunge zergehen und wartet, wohin die Geschichte hinführt. Bis etwa 130 Seiten nach Beginn hat mir das auch gereicht, doch ab dort drängte sich die Frage auf: wohin führt das Ganze?
"Alles, was für ihn jemals gezählt hatte, waren Worte. Etwas existierte erst wirklich, wenn es benannt und besprochen wurde. Er hatte sich das nicht ausgesucht, es war ihm zugestoßen und war von Anfang an so gewesen. Oft hatte er sich gewünscht, ohne Worte bei den Sachen zu sein, bei den Sachen und den Menschen und den Gefühlen und den Träumen - und dann waren ihm doch wieder die Worte dazwischengekommen."
Und die Antwort ist leider: nirgendwohin! Es kommt ein Punkt in der Geschichte, ab wo beinahe alle Geheimnisse gelüftet und viele der kleinen Spannungsbögen ihren Höhepunkt erreicht haben und nur noch schrittweise Neues passiert. Ab hier wird das Buch deutlich schwächer, büßt Lebendigkeit und Antrieb ein. Auch die Wiederholungen, die durch den besonderen Erzählstil mit bedingt sind, werden ab diesem Punkt nochmal mehr, sodass sich das letzte Drittel recht zäh liest. Dazu kommt, dass wir recht ziellos durch die Handlung steuern und ich bald das Gefühl, ich hätte noch 200 Seiten mehr über Simon Leyland lesen können, oder auch 200 Seiten weniger und das hätte keinen großen Unterschied gemacht. Ich habe die zweite Hälfte und auch das Ende also als eher willkürlich gewählt empfunden. Es fehlte mir hier eine klare Struktur, ein erkennbares Ziel, ein Schlusspunkt - so ist die gesamte Gestaltung der Handlung eher unbefriedigend.
"Wir leben ja mit dem Gefühl, in enger, nahtloser Verbindung mit unserer Vergangenheit zu stehen und den Faden unseres Lebens ohne Riss und Unterbruch von Tag zu Tag fortzuspinnen. Es wäre unerträglich, dieses Gefühl zu verlieren. Doch die Wahrheit ist es nicht: Unser Leben ist eine lange, verschlungene Kette von schwimmenden Inseln der Erinnerung umspült von Vergessen, wir springen von der einen zur anderen, hin und zurück, und wir sind Virtuosen darin, die Brüche mit Geschichten zu übertünchen, die den anderen und uns selbst ausgreifend und erfinderisch vorgaukeln, wir stünden auf einem festen Grund durchgängigen Erinnerns."
Doch bewegen wir uns mal von der zweitrangigen Handlungsebene weg und betrachten den Inhalt genauer. Um ehrlich zu sein: rückblickend fällt es mir schwer, genau zu sagen, worum es hier überhaupt ging: um alles und nichts eben. Pascal Mercier unternimmt hier eine Reise durch die Sprachen des Mittelmeerraums, durch die Literatur und stellt einige Fragen zu Tod, Freiheit, dem Wert des Lebens, dem Wesen der Zeit und der Substanz der Poesie. Dabei bleibt er jedoch an eine einzelne Perspektive, ein einzelnes Leben gebunden, das von Hoffnung, Schmerz, Orientierungslosigkeit und intensiven Begegnungen geprägt ist, weshalb die Auseinandersetzung mit den wichtigsten Themen eher einseitig erfolgt und die Reflexion nicht wirklich ins Philosophieren übergeht. Auf einigen Aspekten wie das Recht auf Selbstbestimmung des eigenen Ende werden dabei immer und immer wieder wiederholt, während anderes, was mir selbst zum Thema Freiheit einfallen würde, gar nicht erst zur Sprache kommt.
"Es ist etwas Großes, Gewaltiges, wenn man vor jemanden hintritt und ihn fragt, wie seine eigene, seine ganze besondere Stimme klinge, in der Art, wie seine Worte kämen, und der Art, wie die Bilder seiner Fantasie sich formten. Diese Frage ist geeignet, jemanden aus der Fassung zu bringen"
Einige interessante Anstöße und Gedanken werden hier zwar eingearbeitet, vieles bleibt aber sehr lebensfern und wenig greifbar, sodass ich mit einigem nicht viel anfangen konnte. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die Hauptfigur in einer Blase lebt, in der Geld keine Rolle spielt, stundenlang über Sprachen und Worte philosophiert werden kann und alles Gewöhnliche eine außergewöhnliche Bedeutung hat. Er pendelt zwar zwischen den beiden Städten Triest und London, fährt Tube, sitzt an der Molo Audace, schreitet Straßen entlang und besucht Sehenswürdigkeiten, die ich selbst schon gesehen habe, scheint aber doch auf einem ganz anderen Planeten zu leben als ich. Pascal Leyland gibt uns tiefe Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt seiner Hauptfigur, jedoch ohne wirkliche Nähe zu ihm entstehen zu lassen. Egal ob während der direkten Beschreibung des Geschehens, in Dialogen oder in Briefen - hier spricht nie die Person direkt, sondern da ist immer noch eine trennende Erzählinstanz zwischen Leser und Figur, die somit eher ein spannendes, abstraktes Untersuchungsobjekt blieb und wenig zu Bezügen zur eigenen Person einlud. Grundsätzlich finde ich es wahnsinnig spannend, die Welt aus anderen Augen zu betrachten, aber hier kann man als Leser kaum Spuren seines eigenen Lebens in der Geschichte wiederfinden und bleibt somit über die gesamten 572 Seiten hinweg ein mittelmäßig motivierter Zuhörer.
"Manchmal nimmt das Wort einer Sache den Schrecken, und es ist eine Befreiung, es auszusprechen. Doc manchmal spüren wir: Das Wort würde den Schrecken noch größer machen. Dann halten wir es unter Verschluss. Und manchmal verwechseln wir die beiden Fälle."
Zum Eindruck dieser scheinweltlichen Blase tragen auch die hier auftauchenden Figuren bei. Grundsätzlich hat mir die Gestaltung der Nebenfiguren gut gefallen. Pascal Mercier unterläuft nur ein einziger Fehler: sie sind alle vieeeel zu ähnlich. Von seinen Kindern über seinen Nachbar in London, seine ehemaligen Verlagsmitarbeiter bis hin zu befreundeten Autoren haben wir es hier ausschließlich mit feinsinnigen, aufrichtigen Gutmenschen zu tun, die sich in ihrer Tiefgründigkeit sehr gefallen, ein Geheimnis aus ihren erlebten Abgründen machen, Problemen haben sich zu öffnen und mit einem unübersehbaren Bedürfnis nach Halt und Hilfe der Hauptfigur die Möglichkeit geben, als Held aufzutreten. Entwicklungen finden hier nur statt, wenn sie der Profilierung von Leyland nutzen, alle scheinen immer einer Meinung mit ihm zu sein und bald verschwimmt der englische Apotheker Kenneth Burke mit dem russischen Ex-Häftling Andrej und selbst der vermeintlich etwas einfachere Kellner Pat entpuppt sich schnell als feingeistiger Intellektueller. Eine zupackende, andersdenkende Kontrastfigur, die Leyland aus seiner Blase ab und zu mal heraus holt, hätte der Geschichte also definitiv gut getan.
"Aus verborgenem, verschwiegenem Wissen war ausdrückliches, in Worte fassbares Wissen geworden. Es war kein abstraktes Wissen, es wirkte in das Erleben hinein. Es war wie ein Aufwachen, ein unaufhaltsames Aufwachen, das ich mit den ersten Phantasien und den ersten Sätzen in Gang gesetzt hatte, und ich war am Ende nicht mehr dieselbe wie vorher."
Ich halte also fest: kaum vorhandene Spannung, spannende Anstöße aber fehlende Greifbarkeit und Figuren, die zunehmend zu einem Einheitsbrei verschwimmen - das klingt alles andere als der Stoff, aus dem ein Stück Weltliteratur gemacht ist. Weshalb würde ich "Das Gewicht der Worte" also dennoch als lesenswert einstufen? Das hängt vor allem mit der Sprache des Autors zusammen, die hier ganz dem thematischen Fokus entsprechend leise, zurückhaltend, reflektiert und ausgefeilt ist. Vor allem die vielen Einbezüge anderer Sprachen, vor allem französisch, englisch und italienisch, machen die Erzählung vielschichtig und komplex und durch die wenige Handlung hat der Autor viel Raum, Nicht-Stoffliches in Worte zu kleiden. Dabei ist aber auch nicht die Erzählweise über jede Kritik erhaben. Negativ aufgefallen ist mir, dass man zwar deutlich merkt, wie sehr der Autor an jedem Wort gefeilt hat, aber trotzdem oder gerade deswegen nicht alles natürlich schien. "Das Gewicht der Worte" ist ohne Zweifel sehr schön und feinsinnig geschrieben, an manchen Stellen fast poetisch, aber leider hatten auch viele Worte einen angeberischen Beigeschmack und fügten sich nicht mühelos in die Erzählung ein. Pascal Mercier hat hier viele gewichtige Worte gefunden, wirklich zu berühren und mitzureißen verstehen diese jedoch nicht. Das Lesen bleibt Arbeit und man spürt das Gewicht dieser Worte mit jeder Seite.
"Die Phantasie - das spüre ich so deutlich in diesen Tagen - ist der eigentliche Ort der Freiheit."
Fazit:
Pascal Mercier erzählt leise, zurückhaltend und reflektiert von Wendungen des Lebens, der Gegenwärtigkeit der Poesie, dem Wesen der Zeit und vor allem von Sprache, Wörtern und Literatur. Sprachlich zwar auf hohem Niveau fehlt "Das Gewicht der Worte" aber Spannung, Lebendigkeit und eine klare Struktur.
"Das Gewicht der Worte" ist mein erster Roman von Pascal Mercier und hat als Geburtstagsgeschenk zu mir gefunden. Mit über einer Woche habe ich verhältnismäßig lange für diesen 576 Seiten langen Roman ...
"Das Gewicht der Worte" ist mein erster Roman von Pascal Mercier und hat als Geburtstagsgeschenk zu mir gefunden. Mit über einer Woche habe ich verhältnismäßig lange für diesen 576 Seiten langen Roman gebraucht, der zugleich Betrachtung eines Lebens, Studie von Sprache, Worten und Literatur und philosophische Diskussion ist. Dabei ist das Geschilderte vom ersten „Welcome home, Sir“ bis zum letzten „Welcome home, Sir“ zwar durchaus beeindruckend, interessant und anregend, aber leider ohne Spannung und eher ermüdend erzählt, weshalb ein gemischter Gesamteindruck zurückbleibt.
Die Gestaltung des Romans passt ganz hervorragend zu dieser stillen, zurückhaltenden, aber ausgefeilt hintersinnigen Geschichte. Zu sehen ist die Molo Audace in Triest, die eine wichtige Rolle im Roman spielt und ein energisch schreitender Mann im Anzug, der mit seinen grauen Haaren und dem nachdenklich gesenkten Kopf durchaus der Protagonist sein könnte. Auch der Titel passt hervorragend - geht es hier doch vor allem um die Möglichkeiten, die Nuancen und den Stellenwert von Sprache. Pascal Merciers Erzählung ist in 45 Kapitel aufgeteilt, welche zum Teil Briefe und Ausschnitte aus anderen Romanen enthalten, welche kursiv abgedruckt sind.
Erster Satz: "Welcome home, Sir", sagte der Beamte bei der Passkontrolle am Londoner Flughafen."
Wir steigen bei einem wichtigen Einschnitt im Leben von Simon Leyland, dem Hauptprotagonisten in den Roman ein. Nachdem er 11 Wochen mit einer grauenvollen Fehldiagnose gelebt und seine Angelegenheiten zum Abschluss gebracht hat, wagt er nach der erleichternden Nachricht einen Neuanfang und startet in einen neuen Lebensabschnitt. Dazu zieht er nach London in die Stadt seiner Kindheit, wo ihm sein Onkel ein Haus vererbt hat, und beginnt diese neu zu entdecken und dabei sein Leben Revue passieren zu lassen. Gut die erste Hälfte des Romans bringen wir so damit zu, Leylands Vergangenheit kennenzulernen und zu erforschen, wie er an diesem Punkt gelandet ist: alleine in London mit verkauftem Verlag, erwachsenen Kindern und einer überraschend großen Menge restlicher Lebenszeit zum Füllen. Dabei passiert auf der Handlungsebene erschreckend wenig. Im Grunde betrachten wir Leyland, der sein Leben reflektiert, über Übersetzungen brütet, über Nachgedachtes mit seinen Freunden und seiner Familie diskutiert, über Diskutiertes wiederum nachdenkt und seine Schlussfolgerungen dann in Form von Briefen an seine verstorbene Frau festhält. Diese Erzählweise hat zur Folge, dass es viele Wiederholungen gibt und praktisch alle Gedanken mehrmals am Leser vorbeiziehen.
"Es war ein Dunkel nach dem Ende eines Lebens, ein Dunkel, in dem die Zeit nicht mehr floss. Er würde nachher überall Licht machen und sie von neuem zum Fließen bringen. Aber nicht gleich. Er bestellte noch einmal Tee und etwas zu essen. Jetzt, da er wieder eine Zukunft hatte, wollte er verschwenderisch mit seiner Zeit umgehen. Spüren, wie sie verstrich, ohne dass er etwas tat. Spüren, dass er nicht mehr atemlos einem Ende zutrieb. Spüren, dass er Dinge aufschieben konnte, ohne es später zu bereuen."
Diese Reflexion des Kreises von Leylands Lebens hat durchaus seinen Reiz, wenn man zwischen den Seiten versunken ist, sobald man das Buch jedoch zur Seite legt, weiß man nicht so recht, weshalb man weiterlesen sollte. Es gibt keine drängenden Fragen, deren Antwort man erhalten will, keine großartigen Entwicklungen oder Geschehnisse werden in Aussicht gestellt und auch für seine packende Handlung ist Pascal Mercier alles andere als bekannt. Es ist also von Beginn an schlichtweg keine Spannung vorhanden! Während man in der ersten Hälfte des Romans durch aufschlussreiche Rückblicke auf vergangene Geschehnisse wie Leylands Fehldiagnose, seine Kindheit oder seine verstorbene Frau bei Stange gehalten wird und ständig neue Informationen erhält, die das Gesamtbild runder machen, leidet die zweite Hälfte des Romans stärker unter dem Fehlen jeglicher Spannung. Man lässt sich auf das Lesen ein, lässt sich die ein oder andere Formulierung auf der Zunge zergehen und wartet, wohin die Geschichte hinführt. Bis etwa 130 Seiten nach Beginn hat mir das auch gereicht, doch ab dort drängte sich die Frage auf: wohin führt das Ganze?
"Alles, was für ihn jemals gezählt hatte, waren Worte. Etwas existierte erst wirklich, wenn es benannt und besprochen wurde. Er hatte sich das nicht ausgesucht, es war ihm zugestoßen und war von Anfang an so gewesen. Oft hatte er sich gewünscht, ohne Worte bei den Sachen zu sein, bei den Sachen und den Menschen und den Gefühlen und den Träumen - und dann waren ihm doch wieder die Worte dazwischengekommen."
Und die Antwort ist leider: nirgendwohin! Es kommt ein Punkt in der Geschichte, ab wo beinahe alle Geheimnisse gelüftet und viele der kleinen Spannungsbögen ihren Höhepunkt erreicht haben und nur noch schrittweise Neues passiert. Ab hier wird das Buch deutlich schwächer, büßt Lebendigkeit und Antrieb ein. Auch die Wiederholungen, die durch den besonderen Erzählstil mit bedingt sind, werden ab diesem Punkt nochmal mehr, sodass sich das letzte Drittel recht zäh liest. Dazu kommt, dass wir recht ziellos durch die Handlung steuern und ich bald das Gefühl, ich hätte noch 200 Seiten mehr über Simon Leyland lesen können, oder auch 200 Seiten weniger und das hätte keinen großen Unterschied gemacht. Ich habe die zweite Hälfte und auch das Ende also als eher willkürlich gewählt empfunden. Es fehlte mir hier eine klare Struktur, ein erkennbares Ziel, ein Schlusspunkt - so ist die gesamte Gestaltung der Handlung eher unbefriedigend.
"Wir leben ja mit dem Gefühl, in enger, nahtloser Verbindung mit unserer Vergangenheit zu stehen und den Faden unseres Lebens ohne Riss und Unterbruch von Tag zu Tag fortzuspinnen. Es wäre unerträglich, dieses Gefühl zu verlieren. Doch die Wahrheit ist es nicht: Unser Leben ist eine lange, verschlungene Kette von schwimmenden Inseln der Erinnerung umspült von Vergessen, wir springen von der einen zur anderen, hin und zurück, und wir sind Virtuosen darin, die Brüche mit Geschichten zu übertünchen, die den anderen und uns selbst ausgreifend und erfinderisch vorgaukeln, wir stünden auf einem festen Grund durchgängigen Erinnerns."
Doch bewegen wir uns mal von der zweitrangigen Handlungsebene weg und betrachten den Inhalt genauer. Um ehrlich zu sein: rückblickend fällt es mir schwer, genau zu sagen, worum es hier überhaupt ging: um alles und nichts eben. Pascal Mercier unternimmt hier eine Reise durch die Sprachen des Mittelmeerraums, durch die Literatur und stellt einige Fragen zu Tod, Freiheit, dem Wert des Lebens, dem Wesen der Zeit und der Substanz der Poesie. Dabei bleibt er jedoch an eine einzelne Perspektive, ein einzelnes Leben gebunden, das von Hoffnung, Schmerz, Orientierungslosigkeit und intensiven Begegnungen geprägt ist, weshalb die Auseinandersetzung mit den wichtigsten Themen eher einseitig erfolgt und die Reflexion nicht wirklich ins Philosophieren übergeht. Auf einigen Aspekten wie das Recht auf Selbstbestimmung des eigenen Ende werden dabei immer und immer wieder wiederholt, während anderes, was mir selbst zum Thema Freiheit einfallen würde, gar nicht erst zur Sprache kommt.
"Es ist etwas Großes, Gewaltiges, wenn man vor jemanden hintritt und ihn fragt, wie seine eigene, seine ganze besondere Stimme klinge, in der Art, wie seine Worte kämen, und der Art, wie die Bilder seiner Fantasie sich formten. Diese Frage ist geeignet, jemanden aus der Fassung zu bringen"
Einige interessante Anstöße und Gedanken werden hier zwar eingearbeitet, vieles bleibt aber sehr lebensfern und wenig greifbar, sodass ich mit einigem nicht viel anfangen konnte. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die Hauptfigur in einer Blase lebt, in der Geld keine Rolle spielt, stundenlang über Sprachen und Worte philosophiert werden kann und alles Gewöhnliche eine außergewöhnliche Bedeutung hat. Er pendelt zwar zwischen den beiden Städten Triest und London, fährt Tube, sitzt an der Molo Audace, schreitet Straßen entlang und besucht Sehenswürdigkeiten, die ich selbst schon gesehen habe, scheint aber doch auf einem ganz anderen Planeten zu leben als ich. Pascal Leyland gibt uns tiefe Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt seiner Hauptfigur, jedoch ohne wirkliche Nähe zu ihm entstehen zu lassen. Egal ob während der direkten Beschreibung des Geschehens, in Dialogen oder in Briefen - hier spricht nie die Person direkt, sondern da ist immer noch eine trennende Erzählinstanz zwischen Leser und Figur, die somit eher ein spannendes, abstraktes Untersuchungsobjekt blieb und wenig zu Bezügen zur eigenen Person einlud. Grundsätzlich finde ich es wahnsinnig spannend, die Welt aus anderen Augen zu betrachten, aber hier kann man als Leser kaum Spuren seines eigenen Lebens in der Geschichte wiederfinden und bleibt somit über die gesamten 572 Seiten hinweg ein mittelmäßig motivierter Zuhörer.
"Manchmal nimmt das Wort einer Sache den Schrecken, und es ist eine Befreiung, es auszusprechen. Doc manchmal spüren wir: Das Wort würde den Schrecken noch größer machen. Dann halten wir es unter Verschluss. Und manchmal verwechseln wir die beiden Fälle."
Zum Eindruck dieser scheinweltlichen Blase tragen auch die hier auftauchenden Figuren bei. Grundsätzlich hat mir die Gestaltung der Nebenfiguren gut gefallen. Pascal Mercier unterläuft nur ein einziger Fehler: sie sind alle vieeeel zu ähnlich. Von seinen Kindern über seinen Nachbar in London, seine ehemaligen Verlagsmitarbeiter bis hin zu befreundeten Autoren haben wir es hier ausschließlich mit feinsinnigen, aufrichtigen Gutmenschen zu tun, die sich in ihrer Tiefgründigkeit sehr gefallen, ein Geheimnis aus ihren erlebten Abgründen machen, Problemen haben sich zu öffnen und mit einem unübersehbaren Bedürfnis nach Halt und Hilfe der Hauptfigur die Möglichkeit geben, als Held aufzutreten. Entwicklungen finden hier nur statt, wenn sie der Profilierung von Leyland nutzen, alle scheinen immer einer Meinung mit ihm zu sein und bald verschwimmt der englische Apotheker Kenneth Burke mit dem russischen Ex-Häftling Andrej und selbst der vermeintlich etwas einfachere Kellner Pat entpuppt sich schnell als feingeistiger Intellektueller. Eine zupackende, andersdenkende Kontrastfigur, die Leyland aus seiner Blase ab und zu mal heraus holt, hätte der Geschichte also definitiv gut getan.
"Aus verborgenem, verschwiegenem Wissen war ausdrückliches, in Worte fassbares Wissen geworden. Es war kein abstraktes Wissen, es wirkte in das Erleben hinein. Es war wie ein Aufwachen, ein unaufhaltsames Aufwachen, das ich mit den ersten Phantasien und den ersten Sätzen in Gang gesetzt hatte, und ich war am Ende nicht mehr dieselbe wie vorher."
Ich halte also fest: kaum vorhandene Spannung, spannende Anstöße aber fehlende Greifbarkeit und Figuren, die zunehmend zu einem Einheitsbrei verschwimmen - das klingt alles andere als der Stoff, aus dem ein Stück Weltliteratur gemacht ist. Weshalb würde ich "Das Gewicht der Worte" also dennoch als lesenswert einstufen? Das hängt vor allem mit der Sprache des Autors zusammen, die hier ganz dem thematischen Fokus entsprechend leise, zurückhaltend, reflektiert und ausgefeilt ist. Vor allem die vielen Einbezüge anderer Sprachen, vor allem französisch, englisch und italienisch, machen die Erzählung vielschichtig und komplex und durch die wenige Handlung hat der Autor viel Raum, Nicht-Stoffliches in Worte zu kleiden. Dabei ist aber auch nicht die Erzählweise über jede Kritik erhaben. Negativ aufgefallen ist mir, dass man zwar deutlich merkt, wie sehr der Autor an jedem Wort gefeilt hat, aber trotzdem oder gerade deswegen nicht alles natürlich schien. "Das Gewicht der Worte" ist ohne Zweifel sehr schön und feinsinnig geschrieben, an manchen Stellen fast poetisch, aber leider hatten auch viele Worte einen angeberischen Beigeschmack und fügten sich nicht mühelos in die Erzählung ein. Pascal Mercier hat hier viele gewichtige Worte gefunden, wirklich zu berühren und mitzureißen verstehen diese jedoch nicht. Das Lesen bleibt Arbeit und man spürt das Gewicht dieser Worte mit jeder Seite.
"Die Phantasie - das spüre ich so deutlich in diesen Tagen - ist der eigentliche Ort der Freiheit."
Fazit:
Pascal Mercier erzählt leise, zurückhaltend und reflektiert von Wendungen des Lebens, der Gegenwärtigkeit der Poesie, dem Wesen der Zeit und vor allem von Sprache, Wörtern und Literatur. Sprachlich zwar auf hohem Niveau fehlt "Das Gewicht der Worte" aber Spannung, Lebendigkeit und eine klare Struktur.