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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.09.2021

Ein Mann gibt sich preis

Wo fahren wir hin, Papa?
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Jean-Louis Fournier legt in seinem Buch "Wo fahren wir hin, Papa" mit schonungsloser Offenheit sich selbst und anderen gegenüber seine Gefühle und Empfindungen seinen beiden körperlich und geistig schwerstbehinderten ...

Jean-Louis Fournier legt in seinem Buch "Wo fahren wir hin, Papa" mit schonungsloser Offenheit sich selbst und anderen gegenüber seine Gefühle und Empfindungen seinen beiden körperlich und geistig schwerstbehinderten Söhnen gegenüber dar. Dies ist ein freudloses Buch: der Autor hadert mit dem Schicksal seiner Söhne und auch mit seinem eigenen. Fournier schildert auch heitere Szenen, in denen er über und – aus seiner Sicht zu selten – mit seinen Söhnen lachen kann: bspw. als einer der Jungen einen Pullover anziehen möchte und versucht, den Kopf durch ein Loch zu stecken: nicht jedoch das dafür vorgesehene, sondern eine kaputte Stelle. Trotzdem ist es eine traurige Geschichte: auch wenn der Vater die Heiterkeit nicht aus seinem Leben verdrängen will, wirkt diese auf andere oft zynisch und macht ihn einsam. In Gedanken und Träumen konstruiert sich Fournier gelegentlich ein anderes Leben mit gesunden Söhnen – das machen sicher viele, die in einer ähnlichen Situation sind, doch die wenigsten sprechen es offen aus.

Dies ist ein sehr individuelles, subjektives und mutiges Buch, das aufgrund seiner Ungeschminktheit sicher nicht unumstritten sein wird. Der Autor achtet nicht auf politische bzw. soziale Korrektheit, sondern schreibt frei von der Leber weg - der Leser sollte dies als Geschenk betrachten - egal, ob als willkommenes oder unwillkommenes! So klar und offen äußert sich zu diesem Thema kaum jemand.

Mich hat dieses Werk sehr beeindruckt: der Autor findet ehrliche und knappe Worte, um sein Anliegen auszudrücken und schont damit niemanden: weder seine Kinder, noch die Umwelt und am wenigsten sich selbst. Das Buch wird verletzen, es wird anrühren, es wird abstoßen und auch betroffen machen: nur eines wird es nicht: den Leser gleichgültig und unbeteiligt lassen.

Veröffentlicht am 17.09.2021

Göttingen statt Paris

Tödliches Ritual
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...heißt es für den Sonderermittler Christian Beyer und sein Partnerin – privat und immer wieder auch in dienstlichen Belangen – Anna Maybach an Weihnachten, als es darum geht, Christians altem Freund ...

...heißt es für den Sonderermittler Christian Beyer und sein Partnerin – privat und immer wieder auch in dienstlichen Belangen – Anna Maybach an Weihnachten, als es darum geht, Christians altem Freund Markus, Polizeichef in Göttingen, bei der Ermittlung in einer Serien grausamer Morde an jungen Frauen beizustehen. Es zieht sich dann – dies betrifft sowohl die Morde, die nicht so schnell gestoppt werden können wie erhofft als auch die Freundschaft der beiden Ermittler, die arg strapaziert wird, stellt es sich doch heraus, dass Markus’ Leben nach einem schweren privaten Schlag vom Alkohol dominiert wird. Weitere Morde geschehen, unter anderem an der Tochter der Göttinger Oberbürgermeisterin, die von da ab noch stärkeren Anteil an den Ermittlungen nimmt. Als Hauptverdächtige werden aufgrund der Indizienlage die Mitglieder der konservativen schlagenden studentischen Verbindung „Herculania“ gehandelt.


Im Vergleich zu den ersten beiden Bänden von Marina Heibs Serie um den Sonderermittler Christian Beyer „Weißes Licht“ und „Eisblut“ weist „Tödliches Ritual“ viel weniger Thrillerelemente auf und folgt in seinem Aufbau eher der klassischen Krimitradition, die meinem persönlichen Lesegeschmack wesentlich stärker entspricht. So ist dieser dritte Band aus meiner Sicht auch der beste. Göttingen und seine liebenswerte, nicht jedoch immer effiziente Mordkommission drücken dem Buch natürlich ihren Stempel auf, machen es jedoch nicht unbedingt zu einem Regionalkrimi.


Erwähnenswert ist die geschmackvolle, Spannung verheißende Gestaltung des Covers, die sicher den ein oder anderen zufälligen Betrachter zum Kauf verleiten und möglicherweise zum Fan von Marina Heib machen kann.

Hype um Heib? Den wird es in den Reihen der Liebhaber spannender Kriminalliteratur geben, nicht jedoch unter den Freunden nervenzerreißender Thriller.

Veröffentlicht am 17.09.2021

Cilla Hjelm entrinnt nur kurz dem Status einer Staffagefigur

Totenmesse
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..da der Banküberfall, bei dem sie als Geisel genommen wird, nur eines von vielen Puzzleteilen im aktuellen Fall – nunmehr dem siebten – der Stockholmer A-Gruppe um Kerstin Holm ist. Das spurlose Verschwinden ...

..da der Banküberfall, bei dem sie als Geisel genommen wird, nur eines von vielen Puzzleteilen im aktuellen Fall – nunmehr dem siebten – der Stockholmer A-Gruppe um Kerstin Holm ist. Das spurlose Verschwinden der Täter nach der Befreiung der Geiseln – leitet die streckenweise recht verwirrende Handlung in Arne Dahls neuestem Krimi „Totenmesse“ erst so richtig ein. Auch in diesem neuen Teil der Serie geht der Autor oft extrem detailliert auf das Eigenleben seiner Figuren ein – wie immer sucht er sich nicht nur einige wenige aus, sondern konfrontiert den Leser gleich reihenweise mit Schicksalen. Gelegentlich überdeckt dies die durchaus spannende Handlung des eigentlichen Kriminalfalls.

Der Leser wird mit unterschiedlichen Szenarien konfrontiert, die meines Erachtens nicht immer die Handlung bereichern – so wirkt die Rede des amerikanischen Präsidenten zum Irak-Krieg eher deplaziert, vor allem im Hinblick auf die weitere Entwicklung und die wahrhaft fulminante Schlussphase, für die dieser Part aus meiner Sicht komplett ohne Bedeutung ist.. Insgesamt gesehen jedoch strickt Dahl aus den verschiedenen Patchworkflicken einen Fall, den es sich zu lesen lohnt. Aus meiner Sicht ist es beachtlich, dass bei einem Buch mittlerer Länge keiner der maßgeblichen Erzählstränge – auch im Hinblick auf die Personenbeschreibungen – offen bleibt. So ist das eigentliche Ende des Buchs eher unspektakulär, wirkt dadurch jedoch umso eindringlicher.

Veröffentlicht am 14.09.2021

Vietnamesische Tragödie

Der Gesang der Berge
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Man könnte ihn auch als "Eine vietnamesische Tragödie" bezeichnen: den Vietnamkrieg, in dem Brüder gegeneinander antraten in einem Krieg, der (fast) niemandem Gutes brachte. Denn das vietnamesische ...

Man könnte ihn auch als "Eine vietnamesische Tragödie" bezeichnen: den Vietnamkrieg, in dem Brüder gegeneinander antraten in einem Krieg, der (fast) niemandem Gutes brachte. Denn das vietnamesische Volk hat auch andere Tragödien wie die Herrschaft der Franzosen über sich ergehen lassen müssen. In diesem Buch jedoch beschreibt die Autorin Nguyễn Phan Quế Mai konkret den Krieg zwischen Nord und Süd - in Romanform, doch steckt so einiges von Erlebnissen der eigenen Familie darin.

Erzählt wird zunächst aus der Sicht der jungen Thong, die während des Krieges und auch danach bei ihrer Großmutter Dieu Lan lebt, der eigentlichen Heldin, denn diese erzählt der Enkelin ihre Geschichte bzw. die der ganzen Familie - eine Welt, in der die tragischen Ereignisse quasi einander jagen.

Es ist eine Familie, die zunächst im Wohlstand lebt in einem kleinen Ort in der Mitte des langgestreckten Staates Vietnam - in oder nahe dem Bereich, der heute als "entmilitarisierte Zone" bezeichnet wird, also den Kriegsschauplätzen. Der Krieg erreicht Thongs Großmutter jedoch in Hanoi, wohin sie geflohen ist, als sie von ihrem eigenen Land vertrieben wurde. Von den ehemaligen Nachbarn und Arbeitern, mit denen sie jahrzehntelang einträchtig nebeneinander gelebt hatten - bis die Enteignungen durch das neue Regime stattfanden.

Es folgt eine Ära der Verlorenheit, der Verlust, der Verstreuung der Familie über ganz Vietnam. Es ist eine Darstellung des Ausgeliefertseins, der Ohnmacht.

Noch mehr jedoch ist dieser Roman ein Sinnbild der Kraft, vor allem der Kraft der Frauen, die selbst in der größten Verzweiflung ihre Zuversicht zu erhalten und vor allem weiterzugeben versuchen und dadurch Unglaubliches bewirken: Nämlich das Schaffen eines neuen Heimes für die Familie und eines Zusammenhalts derer, die übrig geblieben sind.

Ein Roman, an dessen Stil ich mich erst gewöhnen musste, der mich jedoch bis tief ins Innerste traf - vor allem, da mir die Schauplätze und in Teilen auch deren Geschichte bekannt ist und so während der Lektüre ständig ein innerer Film ablief.

Ein ergreifendes Buch über das Unfaßbare, es wird hier nicht fassbar gemacht, das ist auch meiner Sicht nicht möglich, aber der Leser erhält die Gelegenheit, der Geschichte zu folgen. Einer sehr persönlichen Geschichte, die sich so, ähnlich, oder auch ganz anders, aber mit Sicherheit nicht minder tragisch in unzähligen Familien ereignet hat!

Veröffentlicht am 03.09.2021

Eine Frau mit zwei Leben

Sophies Café
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Gabrielle wird von ihrem Mann mißbraucht, gefoltert und gequält und zwar bereits seit zehn Jahren. Nach einer sehr extremen und schmerzlichen Erfahrung gelingt ihr die Flucht.

In einer Kleinstadt im ...



Gabrielle wird von ihrem Mann mißbraucht, gefoltert und gequält und zwar bereits seit zehn Jahren. Nach einer sehr extremen und schmerzlichen Erfahrung gelingt ihr die Flucht.

In einer Kleinstadt im Süden sitzt Leah in einem Café, dessen Eigentümerin Sophie ihr das Gefühl gibt, angekommen zu sein.

Gabrielle und Leah - ein und dieselbe Person. Leah beginnt mit ihrem zweiten Namen ein neues Leben unter der Obhut Sophies, sie taut auf, findet sich selber - und mit Sophie eine Art neue Familie.

Aber was hat es mit dem wirklich attraktiven, aber doch sehr sperrigen Crowley auf sich? Er mißtraut er - wird es so weit kommen, dass er sie vertreibt aus dem vermeintlich sicheren, geborgenen Nest bei Sophie? Kann sie ihm trauen?

Ein sehr emotionaler Roman, der die verschiedenen Seiten des Lebens so extrem darstellt, wie ich es von Geschichten aus einem christlichen Verlag bisher nicht kannte. Gabrielles/Leahs Weg war mir teilweise zu heftig, doch hat mich das runde Ende - im wahrsten Sinne des Wortes auf Gottes grüner Wiese - dann berührt. Auch wenn der Weg dorthin etwas steinig war. So, wie es viele Lebenswege sind.

Ein lohnenswerter Roman für Leser, die es gerne auch mal dramatisch mögen!