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Veröffentlicht am 03.09.2021

Tolle Milieustudie, ein Roman mit Längen

Harlem Shuffle
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Colson Whitehead kann meisterhaft erzählen. Er kann sich in eine Zeit einfühlen und darin schwelgen, unfassbar detailreich Zeitkolorit und Atmosphäre erschaffen. Leider macht Atmosphäre allein noch kein ...

Colson Whitehead kann meisterhaft erzählen. Er kann sich in eine Zeit einfühlen und darin schwelgen, unfassbar detailreich Zeitkolorit und Atmosphäre erschaffen. Leider macht Atmosphäre allein noch kein gutes Buch.

Hier sind wir in Harlem in den 60er Jahren, wo eigene Regeln herrschen und sich Kleinkriminelle oder auch Größere tummeln und wo man sich behaupten muss.

Carney hat ein Geschäft für Gebrauchtmöbel und ab und an auch andere Gebrauchtwaren. Er möchte ein rechtschaffener Geschäftsmann sein, aber das ist nicht so leicht, wie man meint. Immer wieder kommt sein Cousin Freddie mit Ideen oder heißer Ware. Schnell wird man in krumme Dinge hineingezogen, manchmal kann man sich auch freikaufen, bis man sich schließlich freikaufen muss.

In Harlem ist es schwer, ein ehrlicher Mann zu sein und zu bleiben. Die Gesellschaft dort bildet ein kompliziertes Geflecht aus Abhängigkeiten, die sich nach Einfluss, Hautfarbe, Familie oder Muskelkraft richten. Da gibt es nicht nur schwarz und weiß, sondern auch kaffeebraun in allen Schattierungen.

Das ist hoch interessant, so etwa 150 Seiten lang, dann hat man es verstanden, hat aber noch nicht einmal die Hälfte des Buches gelesen. Immer mehr zwielichtige Gestalten treten auf, deren Background beleuchtet wird, aber es passiert nicht so wirklich was.
Es gibt zahlreiche Rückblenden, Hintergründe, familiäre Befindlichkeiten, historische und politische Analysen oder Anekdoten, nur Handlung gibt es kaum.

Vielleicht muss man dieses Buch als Milieustudie betrachten. In dieser Hinsicht ist es grandios. Als Roman hat es Längen. Zu viel Drumherum verschleiern die sparsame Handlung und dem Helden kommt man nicht so recht nahe.

Dieses Buch hat mich anfangs beeindruckt, dann aber sehr gelangweilt.

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Veröffentlicht am 03.09.2021

Weder Zeitverschwendung noch Mustread

Im Reich der Schuhe
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Eigentlich ist dieses Buch hoch interessant. Da kennt sich jemand aus und erzählt glaubhaft, wie es ist, in China zu leben.

Es geht um eine Schuhfabrik, um skrupellose Industrielle, die das Volk ausbeuten. ...

Eigentlich ist dieses Buch hoch interessant. Da kennt sich jemand aus und erzählt glaubhaft, wie es ist, in China zu leben.

Es geht um eine Schuhfabrik, um skrupellose Industrielle, die das Volk ausbeuten. So wie Alex Vater, der sein Unternehmen extra in China aufbaute, weil die politischen Strukturen höchst profitable Produktionsbedingungen bieten. Die Arbeiter werden mit gnadenloser Menschenverachtung behandelt, wogegen Alex etwas unternehmen möchte. Im Untergrund brodelt es eh schon.

Hier lernt man beide Seiten kennen. Alex, seinen Vater und familiären Hintergrund, aber auch die Arbeiterin Ivy, die Alex zeigt, wie ihr Leben aussieht, nur leider wird hier niemand lebendig.
Mit einiger Weitschweifigkeit aber nahezu ohne Emotionen berichtet Alex von den Ereignissen, von seiner Vergangenheit und von seinen Gedanken, aufschlussreich aber langweilig. Es ist erstaunlich, wie man ein hoch spannendes Thema so öde präsentieren kann. Der Erzählstil ist schön, aber man hat lange das Gefühl, man kommt gar nicht vom Fleck.

Im letzten Drittel des Buches nimmt die Handlung dann Fahrt auf, verliert aber auch jede Glaubwürdigkeit, wenn Alex trotz sorgfältig angelegter Hilflosigkeit zum Superhelden mutiert und mit einem neuen Schuhmodell die chinesische Politik reformieren will.

Dieses Buch hat gute Anlagen, schafft es aber nicht den Leser zu fesseln und geht zum Ende hin auch noch im Pathos unter. Es ist keine Zeitverschwendung, aber auch kein Mustread, immerhin ein aufschlussreicher Ausflug nach China.

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Veröffentlicht am 11.08.2024

Viel Leid und viel Geisterzauber

So gehn wir denn hinab
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„Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt“ hat mich schwer beeindruckt und ich war mir sicher, dass dieses Buch mindestens so umwerfend sein müsste. Es ist auf jeden Fall intensiv und atmosphärisch, aber ...

„Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt“ hat mich schwer beeindruckt und ich war mir sicher, dass dieses Buch mindestens so umwerfend sein müsste. Es ist auf jeden Fall intensiv und atmosphärisch, aber für meinen Geschmack ein bisschen viel davon.

Annis ist ein Sklavenmädchen, das zusammen mit ihrer Mutter in einem Herrenhaus Sklavendienste verrichtet und ein trauriges Sklavendasein führt, voller Schikanen und Grausamkeiten. Sie werden getrennt, werden verkauft, gequält und gedemütigt. Jesmyn Ward versteht es meisterhaft, höchst plastisch Leid zu schildern.

Allein und hungrig in einem fremden Haus hält Annis nur noch die Erinnerung an die Liebe ihrer Mutter aufrecht und die Erinnerungen an deren Geschichten von Oma Aza, die einst eine afrikanische Kriegerin war, bevor sie verschleppt wurde und ihrer Familie die Versklavung vererbte. In höchster Verzweiflung kann sie sogar deren Geist anrufen, oder ist es ein anderer Geist, der die Gestalt der Großmutter angenommen hat?

An dieser Stelle wird das Buch für mich schwierig. Es hat natürlich einen mystischen Charme, wenn Annis von Elementargeistern aus der Vergangenheit begleitet wird, die eine Verbindung zu ihren Ahnen bilden, ihr sogar beistehen und gleichzeitig Zeugen von Leid durch Jahrhunderte sind. Nur öffnet das auch Tür und Tor für überbordende Schlenker, die mir dann deutlich zu viel wurden. Irgendwann wird Annis nur noch von allerlei Elementarem durchgeschüttelt.

„Ich will schon aufstehen und winken, mich auf den Rückweg in die wohlbekannte Hölle machen, doch da rauscht ein Strom durch meine Eingeweide, durch die weichen Körperteile, die nach meinem Tod als Erstes verfaulen werden. Brausend steigt er hoch in meinen Brustkorb, bis in den Schlauch meiner Kehle, bis in meinen Kopf. Auch hier ist das WASSER.“

So etwas beschreibt kunstvoll und plastisch den Vorgang des Ertrinkens, natürlich, beeindruckt wahrscheinlich auch viele, nur mein Geschmack ist das nicht.

Diese Geschichte verliert im letzten Drittel des Buches die Bodenhaftung, erstickt eine schöne Idee in pathetischem Geisterzauber. Jammerschade.

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Veröffentlicht am 21.05.2024

Langweilig und bemüht

Tiberius Rex 1: Mein Freund, der Dino
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Gut möglich, dass bei diesem Buch die Illustrationen einiges rausreißen. Ich habe die Hörbuchversion gehört und fand es enttäuschend, inhaltlich dürftig und sprachlich gewollt putzig. Auch Kinder haben ...

Gut möglich, dass bei diesem Buch die Illustrationen einiges rausreißen. Ich habe die Hörbuchversion gehört und fand es enttäuschend, inhaltlich dürftig und sprachlich gewollt putzig. Auch Kinder haben ein Recht auf gute Geschichten, das hier ist gar keine.

Leo ist mit ihrer Klasse im Museum. Sie ist immerhin alt genug, um sich bei Referaten zu langweilen. Da sieht sie einen riesigen Schatten. Als echte Geheimnisforscherin muss sie der Sache nachgehen und trifft Tiberius Rex, einen echten, lebendigen Dino, der sprechen kann und uralt ist. Die Welt außerhalb des Museums kennt er kaum, deshalb bringt er Leo abends nach Hause.

Das ist im Grunde die Handlung. Unterwegs passiert natürlich noch dies und das, Tiberius ist riesengroß und ängstlich, Leo zeigt ihm die Welt, nur leider ist das an Harmlosigkeit nicht zu überbieten und sterbenslangweilig. Wer dieses Buch kauft, möchte ein Dinoabenteuer erleben, bekommt aber nur Tiberuis, den liebenswerten Trottel serviert. Über Dinosaurier lernt man hier nichts, was man nicht schon weiß.

Sprachlich möchte das Buch Humor beweisen durch Knaller wie: „Mein Hirn ist nur noch Wackelpudding.“ Der Mathelehrer heißt Herr Zahlenfreund, die Klassenlehrerin Frau Krokus und der nervige Nachbar Herr Grumpler. (Der nennt doch Tiberius glatt „Walross“!) Das mag vielleicht manch einer lustig finden, ich fand es bemüht.

Das Hörbuch liest Ilka Teichmüller sehr schön, kann aber auch nichts am verunglückten Sujet retten. Es dauert zum Glück nur zwei Stunden.

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Veröffentlicht am 30.03.2024

Schöne Idee, halbherzig ausgearbeitet

Der Wald
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Ich weiß nicht, was hier passiert ist. Ich habe „Die Gestirne“ sehr geliebt und dachte, Bücher von Eleanor Catton sind garantierte Volltreffer. In diesem Buch finde ich keine der Qualitäten wieder, die ...

Ich weiß nicht, was hier passiert ist. Ich habe „Die Gestirne“ sehr geliebt und dachte, Bücher von Eleanor Catton sind garantierte Volltreffer. In diesem Buch finde ich keine der Qualitäten wieder, die ihr erstes Buch auszeichneten. Wo ist ihr Humor geblieben? Ihre Raffinesse? Ihr Einfühlungsvermögen?

Das einzig Beeindruckende ist das Thema: Öko-Guerillas unterwandern heimlich das System und kommen damit durch, das hat was und ist innovativ. Die Umsetzung bleibt allerdings eher halbherzig.

Erst einmal muss man sich an Endlossätze und Weitschweifigkeit gewöhnen. Hier wird jede Figur gründlich eingeführt, mit einer Geschichte und familiärem Hintergrund versehen, nur komischerweise wird dabei niemand lebendig. Man kämpft sich durch schier endlose Schlenker, Erinnerungen und Befindlichkeiten, langweilt sich trotzdem und fragt sich, was wollen sie denn, diese Menschen?

Nehmen wir mal Mira, die die Gruppe Birnam Wood gegründet hat. Sie gärtnert gerne und hat Ideale, lehnt sich auf gegen das Establishment. Aber beim ersten Milliardär, der ihr begegnet knickt sie ein und findet es toll, gesponsert zu werden, zu expandieren, bekannt und berühmt zu werden. Dass sich das mit ihrem Grundprinzip, heimlich brach liegende Flächen zu bepflanzen, nicht vereinbaren lässt, ist egal.

Ihre Freundin Shelley, die sich um Verwaltungsdinge und Organisatorisches kümmert, will die Gruppe verlassen und entwirft dazu eine alberne Intrige, statt einfach zu gehen. Was sie eigentlich will, bleibt auch unklar. Will sie Anerkennung, die Führung der Gruppe, Miras Exfreund oder ein bisschen von allem? Jedenfalls geht sie dann doch nicht, nur um bei jeder Gelegenheit mit ihrem Weggang drohen zu können.

Ich könnte hier eigentlich jeden zerlegen, aber das führt wohl zu weit. Mir kam diese Geschichte durch und durch unausgegoren vor. Die ersten 300 Seiten sind im Grunde nur die Einführung ins Geschehen, eine reichlich zähe Angelegenheit. Dann eskaliert das Ganze, bekommt eine gute Portion Thrill, wobei man dabei auch nicht allzu viel hinterfragen sollte.

Für mich war dieses Buch ein Flopp, eine schöne Idee, halbherzig ausgearbeitet, mit langweiligen bis hysterischen Figuren und ein bisschen müdem Thrill am Schluss.

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