Ein Roman wie das Leben selbst: ehrlich und ungeschönt, komisch und tragisch
„Ich bin wie eine Raststätte auf der Autobahn. Jeder weiß, da bekommt man immer einen Tee und ein Käsesandwich. Bei mir weiß man, was man kriegt. Ich wirke vertraut. Und Männer mögen alles, was vertraut ...
„Ich bin wie eine Raststätte auf der Autobahn. Jeder weiß, da bekommt man immer einen Tee und ein Käsesandwich. Bei mir weiß man, was man kriegt. Ich wirke vertraut. Und Männer mögen alles, was vertraut ist. Sie wissen das selbst nicht, aber so ist es.“
Nina ist gerade 32 Jahre alt geworden. Viele ihrer Freundinnen sind mittlerweile verheiratet oder Mütter. Da die Beziehung zu ihrem langjährigen Freund Joe gescheitert ist - aus Liebe wurde Freundschaft- meldet sich Nina bei einer Dating-App an. Auf diese Weise lernt sie Max kennen. Zunächst scheint es zwischen den beiden wunderbar zu laufen, bis Max eines Tages einfach aus Ninas Leben verschwindet. Und nicht nur das bereitet Nina Kummer, ihr Vater leidet an Demenz und zu einer früheren guten Freundin verliert sie den Draht.
Autorin Dolly Alderton erzählt unkompliziert und flüssig aus Ninas Perspektive in Ich-Form. Sie schreibt herrlich direkt, erfrischend ehrlich und voller Humor. Da finden sich reihenweise amüsante Stellen wie diese: „Wenn ich mich besonders verzweifelt fühlte, rechnete ich mir manchmal aus, wie viele Minute meiner verbleibenden Lebenszeit ich, sollte ich fünfundachtzig werden, damit verbringen würde, die Härchen von meiner Oberlippe zu zupfen, und anschließend stellte ich mir vor, wie viele Fremdsprachen ich in derselben Zeit hätte lernen können.“
Nina ist eine sympathische Figur, die nachvollziehbar und authentisch geschildert wird und mit der ich mich gut Identifizieren konnte. Sie steht stellvertretend für viele Singles Anfang dreißig, die darauf warten „anzukommen“. Nina wird permanent mit den anstrengenden Eigenarten ihrer Mitmenschen konfrontiert. Ninas Freundin Katherine sieht, seit sie Mutter geworden ist, nur noch sich und ihre eigene Situation, ihren eigenen Kosmos. Da verhält sie sich oft rücksichtslos und unsensibel. Nina nimmt das relativ gelassen und denkt sich meist ihren Teil. Auch die Launen und kleinen Verrücktheiten ihrer Mutter, die urplötzlich mit einem neuen Namen angesprochen werden möchte, erträgt sie irgendwie. Mit der fortschreitenden Demenz ihres Vaters hat die zupackende, pragmatische Nina allerdings große Probleme. Es tut ihr weh, ihren Vater, der früher mit Leidenschaft unterrichtet hat und so feinfühlig, sanft und neugierig war, so verändert zu erleben, verschwinden zu sehen. Dolly Alderton hat sehr unterhaltsame Figuren konstruiert, sie sind grundsätzlich stimmig und glaubwürdig, an einigen Stellen bewusst auch etwas klischeehaft übertrieben und überzeichnet. Lola, Ninas letzte Singlefreundin, benimmt sich oft so überdreht und absurd, dass es nicht ganz realistisch wirkt, aber gerade diese Überdrehtheit macht sie zu so einem witzigen und unterhaltsamen Charakter. Vor allem die männlichen Figuren haben mit den Geistern der Vergangenheit und Beziehungsängsten zu kämpfen.
„Gespenster“ stellt auf amüsante Art die Probleme der Generation der Frauen um die Dreißig dar. Jede in der Geschichte vorkommende Frau wünscht sich anzukommen. Aber egal, welchen Weg sie gewählt hat, ihr Ziel hat bisher keine der Frauen erreicht. Nina macht von allen noch den ausgeglichensten Eindruck. Den Konflikt, der zwangsläufig auftritt, wenn Frauen unterschiedliche Lebensmodelle führen, schildert Alderton sehr anschaulich und realistisch. Die Autorin zeigt sehr treffend, wie Frauen sich entwickeln, sobald sie eine Familie gründen. Zu glauben, man könnte einfach so weiterleben wie vorher, bleibt da meist nur Illusion. Mit Kindern ändern sich zwangsläufig die Beziehungen zu anderen. Aber auch die verkrampfte Suche nach einer Partnerschaft gestaltet das Leben von Frauen kompliziert. Die richtige Balance und Entspannung zu finden, ist für Frauen in den Dreißigern eine besondere Herausforderung. Hinzu kommt, dass manche Männer mit sich und ihrer Geschichte hadern, was den Frauen zusätzliche Probleme bereitet. Wiederholt wird in „Gespenster“ das neue und in letzter Zeit häufig zu beobachtende Phänomen „Ghosting“ thematisiert, in dem sich die Bindungsunfähigkeit mancher Personen sehr deutlich offenbart.
Alderton schildert auf den ersten Blick „nur“ Ninas 33. Lebensjahr, ihr Buch liefert aber gleichzeitig einen ungeschönten, ehrlichen, witzigen, aber auch tragischen Blick auf eine ganze Generation und überzeugt durch seine sympathische Heldin. Ein Roman mitten aus dem Leben und genau wie das Leben, mit seinen ständigen Aufs und Abs.