Am Rande des Abgrundes
Shuggie BainDouglas Stuart erzählt in seinem Debütroman von „Shuggie Bain“, dem kleinen Jungen, der seine Mutter über alles liebt. Für diesen Roman wurde er mit dem Booker Preis 2020 ausgezeichnet.
Shuggie ist anders, ...
Douglas Stuart erzählt in seinem Debütroman von „Shuggie Bain“, dem kleinen Jungen, der seine Mutter über alles liebt. Für diesen Roman wurde er mit dem Booker Preis 2020 ausgezeichnet.
Shuggie ist anders, das sagen sie alle. Hänseln ihn, drangsalieren ihn. Im Glasgow der 80er Jahre fristen sie ihr Dasein: Agnes, die Mutter - sie ist wunderschön, legt Wert auf ihr Äußeres, in ihrem grauen Alltag setzt sie damit Glanzpunkte, jedoch ist der Alkohol ihr ständiger und liebster Begleiter. Von ihrem zweiter Mann Shug, ein Macho sondersgleichen, der sie schlecht behandelt, kommt sie dennoch nicht los. Dann sind da noch die 17jährige Catherine und der zwei Jahre jüngere Leek. Eine ganz gewöhnliche Arbeiterfamilie sind sie, in der das Geld immer zu knapp ist.
Das Thema Alkohol überlagert das ganze Buch, schwebt gefährlich über allem. Geprägt von Armut und Hoffnungslosigkeit müssen die Kinder den Alkoholexzessen der Mutter hilflos zusehen. Die beiden ältesten können sich mehr oder weniger befreien, dem kleinen Shuggie jedoch fällt immer mehr die Rolle eines Beschützers zu. Seine feminine Art sehen die rabiaten, rauen und prügelnden Kinder in der Nachbarschaft und natürlich kommt er so manches Mal nicht ungeschoren davon. Und Big Shug nimmt sich, wen und was er will, lässt Agnes in ihrem Suff alleine. Sie alle haben mit sich zu tun, jeder lebt in seiner ganz eigenen Welt. Nur Shuggie, der bräuchte jemanden, aber er wird vergessen – von seinem Vater, der die Familie verlässt, von seiner Mutter, die nicht loskommt vom Alkohol.
Zwischendurch habe ich mich schon auch gefragt, warum Shuggie Bain titelgebend ist, da es vordergründig um sie geht, um Agnes und ihre Sucht aber jetzt - im Nachhinein - sehe ich ihn mittendrin, immer Agnes am nächsten. Er war es, der am meisten ertragen musste. Egal ob er ob ihrer Trunksucht hungerte oder von ihr mit Nichtachtung und Vorwürfen bestraft wurde. Er war ihr Begleiter, ihr Retter in der Not. Wenn sie Hilfe brauchte, war keiner da – Shuggie schon. Er war derjenige, der sie ertrug, der sie bedingungslos liebte. Bis zuletzt.
Eine Milieustudie, die betroffen macht und zahlreiche Gefühle auslöst. Man gewöhnt sich an vieles und wahrscheinlich gibt man sich ohne Perspektive irgendwann auf, tröstet sich wie hier mit dem Teufel Alkohol. Ich war tief drin in der Geschichte, konnte mich ereifern, fand sie in ihrer Trostlosigkeit allesamt gefühlskalt und widerwärtig. Das Ende stimmte mich dann trotz all dieser Exzesse letztendlich versöhnlich.
Eine tiefe Innigkeit stahlt das Cover aus, das ich vor dem Lesen als großes, gegenseitiges Verständnis empfunden habe. Und als Liebe, wie es sie nur zwischen Mutter und Kind gibt, in dem nur dieser eine Augenblick zählt. Nachdem das Buch zugeklappt ist und ich mir das Bild nochmals betrachte, das soeben Gelesene mit einwirken lasse, sehe ich diese Zerbrechlichkeit, sehr fragil, sehr zart.
"Niemand kann dir helfen außer du dir selbst" ein treffender Satz, ein weiser Ratschlag, den Leek Shuggie mitgibt. „Shuggie Bain“ ist nicht immer leicht auszuhalten, aber ich würde dieses Buch immer wieder lesen wollen.