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Veröffentlicht am 14.10.2021

Per pedes unterwegs im Elsass

Mit Geist & Füßen. Im Elsass
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Viele Jahre galt Wandern als ein wenig angestaubt, jedenfalls so lange man nicht zu einem hippen Trecking-Ziel unterwegs war. Corona hat das verändert. In Zeiten von Lockdown, Kontaktverboten, Abstandsregeln ...

Viele Jahre galt Wandern als ein wenig angestaubt, jedenfalls so lange man nicht zu einem hippen Trecking-Ziel unterwegs war. Corona hat das verändert. In Zeiten von Lockdown, Kontaktverboten, Abstandsregeln und geschlossenen Fitness-Studios gewann Bewegung in der eigenen Region plötzlich an Bedeutung. Die Zahl der regionalen Wanderführer hat sich innerhalb von Monaten gefühlt verdoppelt. Auch ich habe so Ziele im Nahbereich erstmals entdeckt und, ja, erwandert und festgestellt, wie entschleunigend das sein kann.

Nachdem nun wieder mehr Mobilität möglich ist, habe ich mich sehr gefreut, Felicitas Wehnerst Buch "Mit Geist und Füßen im Elsaß" kennenzulernen. In dem mit zahlreichen ansprechenden Fotografien und gut lesbaren Routen versehenen Buch - der Einband wirkt praktischerweise ausreichend solide um auch an einem Regentag eine Weile durchhalten zu können - sind 17 Wanderungen aufgeführt.

Angesichts des Titels hatte ich zunächst gedacht, dass die Beschreibungen der Wege im Dreiländereck zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz ein wenig esoterisch angehaucht sein könnten, das ist allerdings nicht der Fall. Das "Geist" im Titel bezieht sich eher auf das Kulturprogramm, das mit dem Wandern verknüpft werden kann, Abstecher zu Museen, Burgen und anderen Sehenswürdigkeiten, die ebenfalls erklärt werden. Die Wanderungen sind daher auch nicht auf Extremmärsche angelegt, sondern auch leicht zu bewältigende Strecken von ca acht bis zwölf Kilometern. Also alles eher kurz und daher leicht mit Besichtigungen ausbaubar. Außerdem - der Elsass steht schließlich für Gaumenfreuden. Auch Wanderer wollen sicher die Zeit für lokale Spezialitäten und Schmankerl haben.

Die Wegerklärungen sind ausführlich und nachvollziehbar und angereichert mit historischem Hintergrund in der geschichtsträchtigen Region. Ich bin noch keine der Strecken gelaufen, da die Region nicht vor meiner Haustür liegt, will das aber bei nächster Gelegenheit gerne nachholen. Einen Wermutstropfen gibt es dabei allerdings für alle, die wie ich kein Auto haben: Die ganz überwiegende Zahl der Wanderungen enthält nur Anfahrtswege/Startpunkte für Autofahrer, nach ÖPNV-Angebote sucht man, abgesehen von zwei Wanderungen, vergeblich. Nun mag es ja sein, dass gerade in der Grenzregion der ÖPNV-Ausbau zu wünschen übrig lässt. Dennoch würde ich erwarten, dass bei einer umweltfreundlichen Art der Freizeitgestaltung auch mehr Nachhaltigkeit in Sachen Verkehr und Mobilität berücksichtigt wird.

Veröffentlicht am 29.09.2021

Ein klassiker kommt als Hörspiel zurück

Krabat
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Ich vermute, jeder von uns hat ein paar Bücher, die ihn oder sie von Kindheit an durchs Leben begleiten, immer wieder mal erneut aufgenommen oder an die eigenen Kinder weitergereicht werden in der Hoffnung, ...

Ich vermute, jeder von uns hat ein paar Bücher, die ihn oder sie von Kindheit an durchs Leben begleiten, immer wieder mal erneut aufgenommen oder an die eigenen Kinder weitergereicht werden in der Hoffnung, dass sie dieses Buch genauso lieben werden. Und/oder sie sind so zeitlos, dass sie auch im fortgeschrittenen Erwachsenenalter noch Freude bereiten, weil sie so alterslos gut sind. Eines dieser Bücher ist für mich "Der kleine Prinz" von Antoune de Saint-Exupery, das andere Ottfried Preußlers "Krabat"

zum 50. Jahr der Ersterscheinung (ist Krabat tatsächlich schon so alt???) ist nun ein Hörbuch erschienen. Für mich war ganz klar, ungeachtet des existierenden Bücherstapels und noch nicht gehörter Hörbücher muss das gleich gehört werden. Mit einer Länge von 181 Minuten handelt es sich ohnehin um eine kompakte Angelegenheit. Tatsächlich wurde wohl einiges gestrafft, aber die Geschichte über den sorbischen Müllerburschen Krabat, der bei einem geheimnisvollen Meister nicht nur sein Handwerk lernt sondern auch in einer "schwarzen Schule" in die Zauberei eingeführt wurde, entfaltet immer noch ihre Magie.

Jahrzehnte bevor Harry Potter Zauberfans in aller Welt inspirierte, geht es auch in der alten Legende bereits um den Kampf zwischen Gut und Böse, um den Preis, der ganz faustisch für Wissen und die Möglichkeit von Macht gezahlt werden muss. Der Waisenjunge Krabat, dem erst nach und nach und beinahe viel zu spät klar wird, dass er als Musterschüler des Meisters in tödlicher Gefahr schwebt, kann nur auf die Liebe der Kantorka vertrauen, deren Stimme ihn bereits verzauberte, ehe er den Versuch machte, die Vorsängerin der jungen Frauen des nahen Dorfes kennenzulernen.

Max Mauff gibt als Ich-Erzähler Krabat die Stimme, lässt ihn zweifeln und wundern, innere wie äußere Kämpfe ausfechten und vollzieht die Wandlung vom Jungen zum Mann glaubwürdig. Michael Mendl spricht den Meister mit einem aggressiven Timbre, das klar macht, das von diesem Mann nichts Gutes zu erwarten ist und Wanja Mues bringt als Altgesellse Tonda sowohl die Ruhe zu Ausdruck, die Tonda Krabat in der schweren Anfangszeit in der Mühle vermittelt, als auch den traurigen Ernst, dessen Grund Krabat erst spät klar wird.

Da es sich um ein Hörspiel und nicht um ein klassisches Hörbuch hamdelt, dürfte diese Krabat-Version wohl auch mit Blick auf die neueste Generation von Preußler-Lesern und Hörern erarbeitet worden sein. Aber auch für mich war es eine angenehme Erinnerung an das erste Lese-Erlebnis mit Krabat. Mit 50 Jahren kann man sicher sagen: ein moderner Klassiker

Veröffentlicht am 10.09.2021

Schulden, Immmobilienblase, Korruption

Todsünde
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Touristen aus aller Welt wollen im südafrikanischen Stellenbosch malerisch gelegene Weingüter und heile Welt am Kap kennenlernen. Für die Menschen vor Ort kann die Idylle trügerisch sein. So auch in Deon ...

Touristen aus aller Welt wollen im südafrikanischen Stellenbosch malerisch gelegene Weingüter und heile Welt am Kap kennenlernen. Für die Menschen vor Ort kann die Idylle trügerisch sein. So auch in Deon Meyers neuem Roman "Todsünde" um die Ermittler Bernie Griessel und Cupido Vaughn. Auch diesmal bewegt sich die Handlung in zwei Strängen, die sich erst weit inmitten des Buches verbinden. Griessel und Vaughn sind bei einem hochrangigen Beamten in Ungnade gefallen wegen ihrer Ermittlungen gegen Korruption. Eigentlich sollen sie nicht nur degradiert. sondern in die entlegene Provinz abgeschoben werden - für Griessel Grund zu Sorge. Der trockene Alkoholiker befürchtet, er könnte vor lauter Frust einen Rückfall erleben, Dann allerdings machen andere Offiziere ihren Einfluss geltend - die beiden Ermittler kommen nach Stellenbosch, einem wesentlich angenehmeren Einsatzort.

Für die Immobilienmaklerin Sandra Steenberg allerdings ist das idyllyische Stellenbosch allerdings zu einer Sackgasse geworden, seit der kriminelle Geschäftsmann Jasper Boonstra mit einem Scheinimperium Träume vom schnellen Reichtum platzen ließ. Die Luxusimmobilien, die Sandra vermittelte, sind plötzlich nicht mehr loszuwerden - und die junge Mutter taumelt selbst immer tiefer in die Schuldenfalle, ausgerechnet in einer Zeit, als ihr Mann ein Sabbatical genommen hat, um einen Roman zu schreiben, Sandra, die aus ärmlichen Verhältnissen stammt und sich von ihren Schwiegereltern nicht akzeptiert wird, will das Steuer unbedingt aus eigener Kraft herumreißen. Als ausgerechnet Boonstra die attraktive Frau mit dem Verkauf eines Weinguts beauftragt, hofft sie auf die ersehnte Wende. Doch Boonstra zeigt nicht nur geschäftliches Interesse an ihr. Die Situation eskaliert.

Bernie und Cupido sollen unterdessen in Stellenbosch einen Vermisstenfall aufklären. Ein Student ist verschwunden, seine Mutter in höchster Sorge. Der junge Mann ist ein Computergenie, konnte mit Hilfe eines Stipendiums studieren und hatte angeblich keine anderen Interessen außer der Universität. Keine Freundin, keine Drogen, keine Parties. Doch was bedeutet die hochwertige Kleidung in seinem Zimmer, die er sich von seinem Stipendium nicht hätte kaufen können? Wieso fehlt seinem Computer die Festplatte und wer ist der Unbekannte, der kurz vor der Vermisstenanzeige mit der Schlüsselkarte des Studenten dessen Zimmer betrat?

Wie die Erzählstränge am Ende zusammenführen, kann hier nicht angedeutet werden, ohne zu spoilern. Doch soviel kann verraten werden: Deon Meyer hat einmal mehr Spannung mit einem kritischen Blick auf das moderne Südafrika verknüpft, ohne dabei in Schwarz-Weiß-Malerei zu verfallen. Die Tatsache, dass auch diesmal die meisten Protagonisten weiß sind und die Mehrheitsgesellschaft Südafrika eher am Rande vorkommt, hat sicher ebenso mit der Tatsache zu tun, dass Meyer weiß und seine Muttersprache Afrikaans ist, zum anderen mit der Zusammensetzung der Bevölkerung in der western Kap-Provinz.

Für leichtere und persönlichere Töne sorgt das Privatleben der beiden Ermittler, die ihre Hochzeit beziehungsweise Verlobung planen. Während Cupido mit Gewichtsproblemen zu kämpfen hat, seit er Backen als Hobby entdeckt hat, versucht Bernie das Verhältnis zu seinem Sohn zu verbessern, das unter seiner Trinkerei schwer gelitten hat.

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Veröffentlicht am 06.09.2021

Wahrheitssuche und Enthüllungen

Russische Botschaften
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Journalisten sind eitel und hungrig nach Anerkennung - ganz besonders in der speziellen Blase der Hauptstadt- und Investigativjournalisten. Das ist die Welt, die Yassin Mussarbash in seinem Thriller "Russische ...

Journalisten sind eitel und hungrig nach Anerkennung - ganz besonders in der speziellen Blase der Hauptstadt- und Investigativjournalisten. Das ist die Welt, die Yassin Mussarbash in seinem Thriller "Russische Botschaften" beschreibt und die er aus eigener Erfahrung - der Mann arbeitet schließlich in dem Milieu, über das er schreibt - gut kennen dürfte. Merle Schwalb, die Protagonistin des Buches, ist da keine Ausnahme. Dass sie in das elitäre Investigativteam aufgenommen ihrer Zeitung aufgenommen wird, ist gewissermaßen der Ritterschlag für die ehrgeizige Journalistin. Wie weit die Investigativen von der Allgemeinheit der Redaktion entfernt sind, zeigt sich schon allein am gesiezten Umgang - und das in einer Branche, in der üblicherweise Duzkultur herrscht.

Als in einem Neuköllner Restaurant ein Mann von einem Balkon stürzt und buchstäblich neben ihr aufschlägt, wittert Merle eine Story. Erst geht sie von Clan-Kriminalität aus - Neukölln eben. Dann stellt sich heraus, der Tote was Russe und als Techniker an der Botschaft beschäftigt. Durch Zufall erfährt sie vom Kollegen eines Konkurrenzblatts, dass auch dieser im Fall eines toten Russen recherchiert, der eine geheimnisvolle, chiffrierte Liste verbreiten wollte mit Namen deutscher Persönlichkeiten, die sich von Russland haben kaufen lassen. Schnell ahnt Merle - es geht um den gleichen Russen, sie und der Kollege haben lediglich unterschiedliche Quellen und Einstiege in die Story.

Nun könnte ein Rattenrennen drohen - zwei Konkurrenten, die schneller als der andere mit der exklusiven Geschichte herauskommen müssen. Doch unter denjenigen, die sich für russische Einflussnahme instrumentalisiert haben sollen, sind pikanterweise auch Journalisten der beiden konkurrierenden Blätter. Als Neumitglied des Investitgativteams hat Merle nicht nur eine Geschichte, die explosiv sein dürfte, sie muss auch ihre Kollegen überreden, mit der Konkurrenz gemeinsam zu recherchieren und zu arbeiten. Egos und Eitelkeiten müssen einmal hintenangestellt werden - für manche Edelfeder eine ausgesprochen schwierige Herausforderung.

Schnell finden die Journalisten heraus, dass sie mit russischen Ermittlerteams zusammenarbeiten müssen und bei aller Diskretion nicht ausbleibt, dass man auf sie aufmerksam wird. Trolle, Fake News-Vorwürfe auf social Media und Angriffe unter der Gürtellinie müssen ebenso bewältigt werden wie der Aufbau von Vertrauen in einem Team, in dem Konkurrenzgeist und persönlicher Ehrgeiz den Geist der Zusammenarbeit immer wieder stören. Hinzu kommt die Frage - sind die Journalisten auf einer echten Spur oder werden sie manipuliert? Faktencheck ist schwer, wenn alles heimlich und konspirativ erfolgen muss. Doch gleichzeitig wissen sie spätestens seit dem Sündenfall eines mehrfach preisgekrönten Kollegen, der sich seine Reportagen aus den Fingern gesogen hat, dass sie sich an ihren eigenen Ansprüchen messen lassen müssen.

"Russische Botschaften" verbindet Spannung und Insiderwissen. Das gilt ebenso für das Schaulaufen von Eitelkeiten bei Redaktionskonferenzen wie dem mitunter verkrampften Versuch mancher Medien, sich für Diversität stark zu machen, auch wenn diese Diversität innerhalb der eigenen Reihen nicht unbedingt verkörpert wird. Da passt es auch durchaus, dass Merle aus begütertem Elternhaus stammt und dank finanzieller Privilegien sich auf den beruflichen Fortschritt konzentrieren kann.

Was ist man bereit, für die Suche nach der Wahrheit zu opfern? Und wie weit würden andere gehen, um eine Enthüllung zu verhindern? Das ist die eigentliche Frage, vor der Merle und ihre Kolleg*innen stehen. "Russische Botschaften" bietet spannende Unterhaltung und Einblicke in die Hauptstadtblase von Medien und Politik, in die Macht soizialer Medien und Gerüchte, gegen die auch Fakten nicht immer angehen können.

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Veröffentlicht am 12.08.2021

Entscheidung für den Rest des Lebens

Dreieinhalb Stunden
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Die meisten lebensverändernden Entscheidungen werden gerne überschlafen, reiflich überlegt und abgewogen, vielleicht noch mit anderen diskutiert, deren Meinung einem wichtig ist. Nicht so in Robert Krauses ...

Die meisten lebensverändernden Entscheidungen werden gerne überschlafen, reiflich überlegt und abgewogen, vielleicht noch mit anderen diskutiert, deren Meinung einem wichtig ist. Nicht so in Robert Krauses "Dreieinhalb Stunden". Den Protagonisten dieses Episodenromans fährt die Zeit buchstäblich davon. Sie sind Passagiere im Interzonenzug, der sich am 13. August 1961 von München nach Berlin in Bewegung setzt. Ein, wie wir heute wissen, historisches Datum, das für den Bau der Berliner Mauer und die Abriegelung der DDR steht.

Erst sind es nur Gerüchte, dann überschlagen sich die Berichte im Radio, und auch im Zug verbreitet sich die Nachricht, die Ängste auslöst: Wird es nun nie wieder einen Weg in den Westen geben? Ist das die Antwort des Staates auf die Menschen, die der DDR den Rücken gekehrt haben. Und die Reisenden aus der DDR haben dreieinhalb Stunden Zeit, um zu einer lebensverändernden Entscheidung zu kommen: Bleiben oder gehen? Zurück in das Bekannte, oder an einem der drei verbleibenden Bahnhöfe im Westen den Zug verlassen, eine ungewisse Zukunft wählen und Freunde und Familie zurücklassen?

Für manche ist die Entscheidung sofort klar, andere quälen sich, sind hin- und hergerissen. Familien drohen zu zerbrechen, Freundschaften auseinander zu gehen. Allen ist klar - wie immer sie sich entscheiden, es wird ihr ganzes weiteres Leben beeinflussen.

Tanja Fornaro und Robert Frank geben den Menschen im Zug eine Stimme und angesichts der zahlreichen Personen, um die es hier geht, macht diese Aufteilung auf zwei Sprecher viel Sinn. So wie die Stimmen wechseln auch die Szenen in den Abteilen, aber auch im DDR-Eisenbahndepot, wo eine junge Lokführerin sich darauf vorbereitet, den Zug zu unternehmen und in Berlin, wo ein Beamter der Volkspolizei bangt, ob seine Tochter die Loyalität zu ihm und zum Staat über die Liebe zu ihrem Mann stellen wird, der sich in der DDR auf dem Abstellgleis sieht.

Das alternde Ehepaar, dessen Sohn in den Westen geflohen ist, die Musiker, die von der großen Freiheit träumen, die Patchworkfamilie, die Tochter des Offiziers, eine junge Leistungssportlerin und ihre Trainerin, sie alle stehen vor einer Weichenstellung für den Rest ihres Lebens.

Der Autor konzentriert sich auf das Menschliche und Zwischenmenschliche, Lageberichte stehen für den historischen Hintergrund. Doch die Reaktionen des damaligen Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt oder der Alliierten sind eher Nebensache angesichts des Dilemmas der Menschen im Zug. Mit jeder Station, mit jeder neuen Zeitangabe wächst der Druck, bis von den dreieinhalb Stunden kaum noch etwas übrig ist. Das ist sowohl rasant als auch für die Betroffenen quälend: Welche Entscheidung ist die Richtige? Als Leser beziehungsweise Hörer fiebert man mit, ahnt bei manchem den Entschluss, täuscht sich bei anderen und weiß im Rückblick ja genau, dass alle Hoffnungen, die Grenze könnte nur vorübergehend geschlossen sein, jahrzehntelang vergeblich waren. Das ist gute und spannende historische Unterhaltung, ohne Kitsch und Vergangenheitsverklärung. Auch jüngere Menschen, die keine persönlichen Erinnerungen an die deutsche Teilung haben, können sich mit diesem Roman sicher besser vorstellen, was die Grenze für Familien und Freunde bedeutete, die plötzlich in Ost und West aufgeteilt waren.

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