REZENSION – Der Tod eines Menschen ist das natürliche Ende eines mehr oder minder aufregenden Lebens. Ebenso nüchtern und mit dem intellektuellen Abstand eines Schriftstellers vergleicht Stefan Slupetzky (59) in seiner im September beim Picus Verlag erschienenen Sammlung fiktiver Grabreden unser Leben mit einem Buch. Dessen vorderer Deckel entspricht einer sachlich gehaltenen Geburtsurkunde mit Namen des Neugeborenen (Buchtitel) und Angabe der Eltern (Verfasser, Verlag, ISBN). Nach Abschluss eines Lebens (Handlung) endet das Buch auf seinem hinteren Deckel mit einer kurzen, natürlich positiv klingenden Zusammenfassung des Inhalts, gewissermaßen mit einem Nachruf oder einer Grabrede.
In seiner Sammlung teils längerer, oft nur kurzer, in jedem Fall aber fiktiver Grabreden, was man beim Lesen leicht übersehen könnte, lässt Slupetzky natürlich, wie sollte es auch anders sein, seine Trauerredner die Verstorbenen nur in bestem Licht erscheinen. Dennoch macht er uns dabei voller Raffinesse und Humor sowie gelegentlich mit einer kräftigen Prise Sozialkritik auf unsere unliebsamen Eigenarten, Eitelkeiten und Schwächen aufmerksam. Meistens sind es nicht die Verstorbenen, sondern vielmehr die Trauerredner selbst, die uns mit dem Gesagten mal nachdenklich, sehr oft aber auch amüsiert zurücklassen.
Denn selbst im Tod wie im Falle des beamteten Sachbearbeiters, der so gar keine erkennbaren Spuren auf seinem Lebensweg hinterlassen hat – keine Freunde, keine Hobbys, keine Eigenarten –, findet der Autor eine Spur Komik, wenn er den Grabredner folgern lässt: „Falls er in die Hölle kommen sollte, stehen seine Chancen gut, vom Teufel übersehen zu werden.“ Lebensnah wirkt die Grabrede der Ehefrau, die nach jahrzehntelanger und seine Marotten geduldig ertragener Ehe am Tag der Beisetzung ihres Mannes nicht nachsichtig, sondern zürnend zurückbleibt: „Heute wird keiner schnarchen neben mir, und heut nimmt keiner meine Hand. Nicht heute, wo ich's wirklich brauchen tät.“
Genüsslich liest man Slupetzkys Grabrede – natürlich ebenso fiktiv wie alle anderen! – auf den viel gerühmten und preisgekrönten Autor: Aus jedem Satz eines Schriftstellerkollegen quillt Neid auf den aus dessen Sicht unverdient erfolgreicheren Verstorbenen und tief empfundene Kränkung. Dem Grabredner gelingt es, „den gelobten Menschen …. liebevoll ins Licht [zu] rücken, dass ein paar Lichtstrahlen auch auf ihn, den Lobenden, zurückfallen“, wie Slupetzkys on seiner Vorbemerkung zum Text schreibt, und geschickt die Verdienste des Verstorbenen kritisch zu hinterfragen: „…., dass ich kein Byzantiner bin, der die Gesellschaft der Juroren sucht, um sich bei einem Gläschen Wein lieb Kind zu machen, und so blieb mir dieser – ohnehin weit überschätzte – Preis versagt.“
Mag der Tod eines Menschen für die Trauernden noch so tragisch sein, „Slupetzky findet das Komische im Tragischen“, wie der Verlag sein Buch rühmt – und dies trifft es genau. Manchmal scheint dem Autor beim Schreiben seiner nicht nur philosophisch intelligenten, sondern auch stilistisch beeindruckenden Grabreden förmlich der Schalk im Nacken gesessen zu haben – wie bei der kürzesten Grabrede für den verstorbenen Padre Lorenzo, den der Prior des Schweigeklosters mit „...“ (übersetzt aus dem Italienischen) folgerichtig „totschweigt“. Hier bleibt dem Leser sogar Gelegenheit zur eigenen Deutung des umfänglich Verschwiegenen. Denn ein Schweigen sagt doch mehr als tausend Worte.
„Ob wir ihm [dem Tod] glücklich folgen oder uns dagegen stemmen, macht nicht den geringsten Unterschied. Nur dass das eine viel mehr Spaß macht als das andere“, lässt uns Slupetzky an seinen Schlussgedanken zum Tod teilhaben. Nach der Lektüre seines Buches wünscht man sich ihn als Grabredner. Doch erst viel später. Denn noch sollten wir seiner Erkenntnis aus dem vorher Gesagten folgen: „Trinkt und singt und tanzt, … lebt und liebt.“