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Veröffentlicht am 13.12.2021

Mord in der Literaturwelt

In ewiger Freundschaft (Ein Bodenstein-Kirchhoff-Krimi 10)
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Bereits seit zehn Bänden verfolgen wir die Fälle von Pia Sander und Oliver von Bodenstein. Für diesen "Jubiläumsband" hat sich die Autorin ein besonderes Setting ausgesucht.

Eine verschwundene Frau läßt ...

Bereits seit zehn Bänden verfolgen wir die Fälle von Pia Sander und Oliver von Bodenstein. Für diesen "Jubiläumsband" hat sich die Autorin ein besonderes Setting ausgesucht.

Eine verschwundene Frau läßt das Ermittlerteam tief in die Welt der Bücher, Autorinnen und des Verlagswesens eintauchen. Aus dem Vermisstenfall wird sehr schnell ein Mordfall und jedes Gespräch mit der Polizei scheint neue Ungereimtheiten ans Licht zu bringen. Abhängigkeiten, alte Rechnungen, Liebe und Hass wurden lange unter den Teppich gekehrt, bis Pia und Oliver den Verlag, die Verlegerfamilie und zahlreiche andere Personen aus deren Umfeld genau unter die Lupe nehmen. Wer hat was zu verbergen? Es bleibt nicht bei einem Mord, um das Geheimnis zu hüten.

Zunächst macht das Setting des Romans unheimlich Spaß. Es gibt skurrile Typen (der einbeinige Kranich) und reichlich Anspielungen auf tatsächliche Kritiker, Autoren etc. Da Henning, Pias Ex-Mann und Leiter der Rechtsmedizin in Frankfurt, selbst unter die Krimiautoren gegangen ist, gibt es zahlreiche Querverbindungen. So wird Henning mit Prof. Boerne aus dem "Tatort" verglichen und Hennings Bücher haben die Titel von Taunus-Romanen von Nele Neuhaus. Da geht es kreuz und quer und Realität und Fiktion sind auf verschiedenen Ebenen verzahnt, ebenso wie Fiktion und Fiktion. Da wird z.B. Oliver Bodenstein eine Ähnlichkeit mit dem Schauspieler Tim Bergmann nachgesagt, der ja auch in den Verfilmungen die Rolle des Oliver spielt. Indem Henning in seinen Kriminalromanen Fälle von Pia und Oliver "verarbeitet", haben die beiden Charaktere quasi in Hennings Büchern ein zweites literarisches Leben als Baron von Buchwaldt und Kommissarin Gevenkamp. Kurz und gut, es gibt im ersten Teil reichlich Stoff zum Schmunzeln. In der Mitte des Romans nehmen einige Längen das Tempo raus, das aber zum Ende hin mit einem rasanten Showdown wieder deutlich anzieht. Es gibt lediglich eine Szene, die für mich über das Ziel hinausgeschossen ist (Stichwort: Brot).

Insgesamt unterhält der Krimi sehr gut. Nele Neuhaus schreibt gewohnt flott und glaubhaft, so dass man der Geschichte gerne folgt. Aber es gibt dieses Mal wirklich reichlich Charaktere und Beziehungen, daher ist das vorangestellte Personenregister sehr hilfreich. Gelegentlich muss man sich veranschaulichen, wer wer ist, wer was weiß und wer mit wem wie befreundet oder verwandt ist. Der Kriminalfall ist nahezu durchweg spannend und wendungsreich. Die Literaturszene sorgt für den nötigen Humor und das Privatleben von Oliver für einige heftige Aufreger.

Der Krimi läßt sich auch ohne Vorkenntnisse lesen, aber Fans haben sicherlich Freude an den Hinweisen auf die alten Fälle. Die Erwartungen an den 10. Band der Taunus-Reihe hat Nele Neuhaus für mich voll erfüllt, dafür gibt es fünf Sterne.


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Veröffentlicht am 22.11.2021

Durch Zeiten und Geschichten

Wolkenkuckucksland
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Der neue Roman von Pulitzer-Preisträger Anthony Doerr ist eine Hommage an die Werke der Antike, an Bibliotheken und Bücher, die Natur, an unsere Welt - großartig!

1453 wird das christliche Konstantinopel ...

Der neue Roman von Pulitzer-Preisträger Anthony Doerr ist eine Hommage an die Werke der Antike, an Bibliotheken und Bücher, die Natur, an unsere Welt - großartig!

1453 wird das christliche Konstantinopel belagert und nach fast 1000 Jahren werden die starken Mauern erstmals fallen. Hinter diesen Mauern lebt die kleine Waise Anna, die als Stickerin arbeitet. Draußen vor der Mauer muss Omier die Osmanen bei der Eroberung der Stadt unterstützen.

2020 kann Seymour die Zerstörung der Umwelt nicht mehr ertragen und will ein Bauunternehmen in Idaho schädigen, indem er in der benachbarten Bibliothek eine Bombe platziert.

In einer fernen Zukunft ist Konstance in einem Raumschiff unterwegs, um gemeinsam mit ihren Eltern und anderen Passagieren, einen neuen Planeten zu besiedeln.

Diese Schicksale sind durch einen antiken Roman verbunden, in welchem der (Anti-)Held auf der Suche nach der Stadt in den Wolken ist.

Wow, was für ein Buch. So viele Geschichten, so viele Charaktere und so eine unglaublich breit gefächerte Handlung.

Der Roman ist komplex angelegt, da nicht nur die drei Erzählstränge abwechselnd aufgegriffen werden, sondern diese auch noch durch Einschübe aus dem antiken Roman gegliedert werden. Zudem gibt es noch Zeitsprünge innerhalb der einzelnen Erzähltstränge, die Abschnitte werden nicht chronologisch erzählt.

Was zunächst etwas verwirrt, entfaltet bald eine unglaubliche Sogwirkung, denn Doerrs Charaktere sind so tief, besonders und glaubwürdig gezeichnet, dass man ihnen und ihren Geschichten einfach folgen muss. Wir können bis in das Innerste der Figuren schauen. Der dichte, atmosphärische Schreibstil und die Detailfreunde des Autors lassen das mittelalterliche Konstantinopel ebenso vor dem geistigen Auge lebendig werden, wie die Zustände im Raumschiff.

Die antike Mythologie, ihre Romane und Helden spielen als Unterbau eine wichtige Rolle im Roman. Es gibt viele Anspielungen, die das Lesevergnügen noch steigern. So heißt z.B. die künstliche Intelligenz im Raumschiff Sybil, nach der antiken Seherin/Prophetin Sibylle. Daneben werden Umweltzerstörung und globale Technologie thematisiert.

Im Mittelpunkt stehen aber die jungen Protagonisten in den verschiedenen Jahrhunderten, die alle an einem Wendepunkt in ihrem Leben stehen.

Das Buch ist wahrlich umwerfend konstruiert und geschrieben, ein Leckerbissen für Literaturfans. Man sollte aber gerade zu Beginn nicht der Versucherung erliegen, immer nur kleine Häppchen zu lesen, da sich dies wegen der kurzen Kapitel anbietet. Lieber für den Einstieg etwas Zeit nehmen und sich mit allen Erzählsträngen vertraut machen, dann kann man das Buch kaum noch aus der Hand legen.

Eine absolute Leseempfehlung und fünf Sterne für Wolkenkuckucksland in seinem wunderschönen Cover.

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Veröffentlicht am 20.10.2021

Von der Kraft der Liebe

Vom Ende der Einsamkeit
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"Du bist nicht schuld an deiner Kindheit und am Tod deiner Eltern. Aber du bist schuld daran, was diese Dinge mit dir machen. Du allein trägst die Verantwortung für dich und dein Leben. Und wenn du nur ...

"Du bist nicht schuld an deiner Kindheit und am Tod deiner Eltern. Aber du bist schuld daran, was diese Dinge mit dir machen. Du allein trägst die Verantwortung für dich und dein Leben. Und wenn du nur tust, was du immer getan hast, wirst du auch nur bekommen, was du immer bekommen hast." (S. 185)

Drei Geschwister, die unterschiedlicher nicht sein könnten, kommen in ein Internat, nachdem ihre Eltern tödlich verunglückt sind. Jeder der drei versucht auf seine Art, mit dem Verlust und der neuen Situation umzugehen. Liz, die Älteste, nimmt das Leben gierig an und läßt nichts aus. Marty, der mittlere Sohn, wird zum Eigenbrötler und der sensible Jules verliert sein Selbstbewusstsein und trauert dem verlorenen Familienglück hinterher. In Alva findet er eine Freundin, die weißt, was Verlust bedeutet. Erst als die Kinder erwachsen sind, können sie über ihre Gefühle sprechen und die Vergangenheit annehmen.

Benedikt Wells hat einen tieftraurigen und zugleich wunderschönen Roman über das Erwachsenwerden, über Familie, Freundschaft und Einsamkeit geschrieben. Über dreißig Jahre verfolgt man die Geschichte der Geschwister, wobei immer einige Jahre in Kapiteln zusammengefaßt werden, um einen einschneidenden Lebensabschnitt aufzuzeigen. Die Handlung wird aus der Sicht von Jules in der Ich-Perspektive geschildert, dadurch fühlt man sich ihm besonders nahe und verfolgt gebannt wie sich seine Beziehung zu Liz und Marty und vor allem zu Alva entwickelt. Wells erzählt die Geschichte eindringlich und auf scheinbar ganz leichte Weise. Die Protagonisten sind alle, trotz ihrer Schwächen, sympathisch und ebenso glaubhaft wie die Dialoge. Obwohl das Geschehen quasi zu Ende erzählt wird, hätte ich noch ewig weiterlesen können, die Handlung hat mich tief berührt.

Nach "Hard Land" hat mich auch "Vom Ende der Einsamkeit" von Benedikt Wells begeistert; wirklich schön geschrieben, mit tollen Figuren und einer Geschichte, die einem mehr als einmal die Tränen in die Augen treibt. Dafür vergebe ich gerne fünf Sterne und eine Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 15.09.2021

Komödie und Drama in einem

Barbara stirbt nicht
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Die wohl geordnete Welt von Walter Schmidt steht Kopf, denn eines Morgens gibt es keinen Kaffee. Seine Frau Barbara liegt im Bad, umgefallen - einfach so. Er verfrachtet sie zurück ins Bett und muss sich ...

Die wohl geordnete Welt von Walter Schmidt steht Kopf, denn eines Morgens gibt es keinen Kaffee. Seine Frau Barbara liegt im Bad, umgefallen - einfach so. Er verfrachtet sie zurück ins Bett und muss sich allein um den Kaffee kümmern. Eine Herkulesaufgabe, wenn man nicht mal weiß, wo der Kaffee steht. Das ist aber erst der Beginn eines häuslichen Dramas ungeahnten Ausmaßes, denn Barbara steht auch zum Mittagessen nicht auf.

Herr Schmidt ist der wahr gewordene Alptraum eines miesepetrigen, pedantischen und rechthaberischen Rentners. Ein Unsympath, der seinesgleichen sucht! Dabei sind die Dialoge und seine Gedanken in ihrer Ernsthaftigkeit (und häufigen Kürze) einfach irre komisch. Es kommt zudem zu den verrücktesten Szenarien: Wie er z.B. als Fremdkörper in der Küche hantiert und sich das für den Schäferhund Helmut reservierte Hackfleisch mit diesem teilt - einfach groß.
Was zunächst wie "Szenen einer Ehe" aus der Feder von Loriot daherkommt, entwickelt sich ganz langsam, Stückchen für Stückchen zum Porträt eines Mannes, der sich immer mehr seiner selbst, seiner Umwelt und auch seiner Fehler bewußt wird. Alina Bronsky macht das meiner Meinung nach ganz hervorragend, denn die Geschichte wird nur aus der Perspektive von Herrn Schmidt erzählt. Was er nicht sehen will, gibt es auch nicht. Durch die Begegnungen und Gespräche mit anderen Personen und Walters eigene Gedanken erfahren die Leser*innen immer mehr über ihn und Barbara, über ihre Vergangenheit und ihre Ehe. Die Charaktere nehmen langsam Gestalt an. Herr Schmidt, anderen gegenüber höchst unsensibel, wird zwar nicht unbedingt sympathischer, ich bin ihm aber mit etwas mehr Verständnis begegnet.
Das Buch ist mit 256 Seiten recht schnell gelesen, auch wegen der flotten Schreibe. Die teils bitterbösen Kommentare von Herrn Schmidt, die absurden Situationen und die immer neuen, winzigen, manchmal nur angedeuteten Details aus seinem Leben, machen das Buch zu einem Lesevergnügen, das aber auch nachdenklich stimmt. Die Andeutungen lassen Platz für eigene Interpretationen.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen, weil die eigentliche Geschichte unterschwellig erzählt wird. Es ist irre komisch, stimmt nachdenklich und macht auch traurig. Das Ende ist vielleicht etwas dicke, aber Herr Schmidt ist ja auch ein extremer Charakter. Das leuchtend gelbe Cover des Buches ist nicht zu übersehen und der übervolle Kaffeefilter paßt perfekt. Nach "Baba Dunjas letzter Liebe" habe ich auch "Barbara stirbt nicht" sehr gerne gelesen. Fünf Sterne und eine Leseempfehlung für alle, die "Besser geht's nicht" mit Jack Nicholson gerne gesehen haben.

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Veröffentlicht am 12.09.2021

Coming-of-Age in den 70er - Irre witzig und einfühlsam!

Blackbird
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"Aber bei mir war ein Schalter umgelegt worden. Das passierte neuerdings dauernd. Und das, was mir eben noch egal gewesen war, war von einem Moment auf den anderen nicht mehr auszuhalten." (S. 112) Hier ...

"Aber bei mir war ein Schalter umgelegt worden. Das passierte neuerdings dauernd. Und das, was mir eben noch egal gewesen war, war von einem Moment auf den anderen nicht mehr auszuhalten." (S. 112) Hier geht es übrigens um den Friseurbesuch bei Herrn Huhloh. Die Aussage trifft aber auf die Gesamtsituation des Protagonisten zu:

Mitte der 70er Jahre in Deutschland trifft es Morten "Motte" Schumacher so unvorbereitet wie so viele 15-Jährige: die Pubertät rollt an, saugt das Gehirn weg und macht aus ehemals lieben Kinderlein, stumme und ständig flüchtende oder zumindest geistig komplett abwesende Personen. Motte erwischt es mit voller Wucht, die Eltern trennen sich gerade, ein Umzug steht an, sein bester Kumpel Bogi erkrankt schwer und dann verliebt er sich auch noch. Wären da nicht Walki, Jan, Frau Standfuss und ein gewisses Mädchen, wäre Motte am Ende.

Ich habe lange nicht mehr so gelacht. Das Buch hat mich total abgeholt, es ist voller Post-its. Matthias Brandt (ja, der Schauspieler) schreibt für mein Empfinden großartig aus der Sicht des verzweifelten Motte, der mit seinen Gefühlen nicht weiß wohin. Da wurden Erinnerungen an die späten 70er wach und das war so klasse. Es kann vielleicht nicht mehr jede*r was mit "Der 7. Sinn" in Verbindung mit Dummies anfangen oder weiß wer Heinz Schenk war, ohne es zu googeln, egal. Den Kindern der 70er wird es irre Spaß machen, diese Zeitreise zu lesen und vielen anderen auch.

Matthias Brandt schreibt unglaublich flott und seine "Jugendsprache" klingt keineswegs aufgesetzt, sondern trifft immer den Punkt. Dialoge und Gedanken sind direkt, ungeschminkt, politisch nicht korrekt und voller Humor. Er haucht den Charakteren Leben ein, so dass man die Lehrer (Herr Kragler!!!) und alle anderen Personen, die Mottes Weg kreuzen, direkt vor sich sieht.

Motte läßt uns fast ein Jahr an seinem Leben teilhaben, ganz dicht und wir hassen, wen er hasst und wir leiden mit ihm und fühlen mit ihm, wenn er nicht weiß, wie er sich seinem kranken Freund Bogi gegenüber verhalten soll.

Mich hat das Buch unheimlich gut unterhalten und ich habe mich selbst in einigen Szenen wiedergefunden und werden auch versuchen, meinen pubertierenden Sohn nicht mehr so oft zu nerven! Eine absolute Leseempfehlung und fünf Sterne. ("Der haut total rein, der Blackbirdfielder." S. 8)

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