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Nilchen

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.12.2021

Schwedische Familienaufstellung

Gesammelte Werke
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Man könnte meinen, dass die Autor:innen während der Pandemie zu viel Zeit zum Schreiben hatten, wenn solche dicken Wälzer das Endergebnis sind wie „Gesammelte Werke“ (874 Seiten) von Lydia Sandgren, erschienen ...

Man könnte meinen, dass die Autor:innen während der Pandemie zu viel Zeit zum Schreiben hatten, wenn solche dicken Wälzer das Endergebnis sind wie „Gesammelte Werke“ (874 Seiten) von Lydia Sandgren, erschienen im Mare Verlag. Aber ich kann dem entschieden entgegensetzen, dass an dem Debüt der nun praktizierenden Psychologin 10 Jahre lang gefeilt wurde! Hier steckt jede Menge Herzblut drin. Noch dazu, ist dieses Buch ein Erstlingswerk und Lydia Sandgren erlaubt sich den ersten Schabernack mit dem Titel, denn es sind nicht „Gesammelte Werke“ sondern der Titel des Romans lautet so.
Es geht um einen Göteborger Verleger namens Martin Berg und dessen Familie. Er und seine Frau Cecilia haben 2 Kinder miteinander, Rakel und Elis. Cecilia ist das glatte Gegenteil ihres Mannes, eine Wissenschaftlerin mit Struktur und Hang zum Rationalen. Nach Elis Geburt wurde Cecilia depressiv und verschwand eines Tages. Mit Mitte 20 findet Rakel ein eingesendeten Manuskript, in dem ihre Mutter verschriftlich wieder auftaucht und beginnt die Spur zu diesem Autor aufzunehmen.
Das ist der Hauptstrang des Romans. Der Roman hat diese Gegenwartsebene, die im Jahr 2012 angesiedelt ist, dann ein weiterer in der Vergangenheit zu Martins Gymnasialzeiten. Eingestreut ist ein dritter Part mit Interviews. Neben der Familienkonstellation gibt es noch eine Schlüsselfigur im Roman und zwar Gustav, ein befreundeter Künstler des Paares.
Die Schwedin hat diesen Roman mit erstaunlicher Detailtiefe geschrieben, aber bei weitem nicht alles wird beschrieben! Trotz der Länge gibt es Interpretationsspielraum. Ich habe mich gefragt, wie die Autorin das geschafft hat in 10 Jahren hier nicht den Faden zu verlieren und so rund zu schreiben. Zum Ende hin ging der Autorin eventuell schon die Puste aus, da wird es dann nicht mehr so stringent und hätte vielleicht noch mal etwas Nacharbeit Bedarf mit dem Lektorat.
Fazit: Ein schönes Geschenk für Literaturliebhaber, denn auch die Literatur selbst ist hier allgegenwärtig ein Thema und zudem ein schöner Roman.

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Veröffentlicht am 12.11.2021

Wo ist meine Stulle?

Sauerteig. Gutes Brot backen
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Ich bin ja der Meinung, dass ein richtig gutes Brot nicht mehr braucht als Butter oder eine vegane Alternative. Frisch gebackenes Brot ohne Zusätze ist einfach eine Offenbarung und die Krönung ist – natürlich: ...

Ich bin ja der Meinung, dass ein richtig gutes Brot nicht mehr braucht als Butter oder eine vegane Alternative. Frisch gebackenes Brot ohne Zusätze ist einfach eine Offenbarung und die Krönung ist – natürlich: ein Sauerteigbrot!
Und hier in diesem Buch mit dem einfachen, aber treffenden Titel ‚Sauerteig – Gutes Brot backen‘ geht es genau darum :Sauerteig. Nicht viel Schnickschnack, nicht erschlagend mit zu viel links und rechts.
Und wenn man so will, das Auge isst ja immer mit, ich fand dieses Buch gehalten im minimalistischen clean chic zum Anbeißen. Keine Sorge, mein Brot war dann doch verführerischer. Wirklich tolle atmosphärischen Bilder und das bei einem Brotbackbuch!
Hier lernt man das Grundprinzip von der Pike auf, wie setzt man einen Sauerteig an, was brauch ich, welche Zutaten in welcher Qualität sollte ich nutzen (hierzu fand ich die Mehlproduzentenliste hinten um Buch hilfreich). Einfach, mit überzeugender Qualität und Zeit, dass braucht man zum guten Sauerteigbrot backen. Auch die Tipps beim Nicht-Gelingen - die Pannenhilfe – habe ich zu Rate ziehen können und siehe da, wieder was gelernt!
Natürlich sind noch mehrere Rezepte drin und was ich ganz charmant fand, auch Rezepte mit nicht alltäglichen Getreidesorten, wie Emmer, Einkorn oder Kamut. Unser Favorit ist das Brot mit dem gerösteten Hafer….einfach lecker!
Die beiden Autoren, Casper André Lugg und Martin Ivar Hveem Fjeld, sind zwei engagierte Bio-Bäcker aus Norwegen, die sich dem traditionellen Brothandwerk verschrieben haben.
So, nun muss ich aber mal nach unserem Anstellgut schauen, bei uns heißt er Berthold und ist mittlerweile voll ins Familienleben integriert!

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Veröffentlicht am 20.10.2021

Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft

Wenn ich wiederkomme
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Es gibt diese gegensätzlichen Ausrichtungen, die sich scheinbar gut ergänzen, aber Lücken aufreißen um welche zu schließen. Die einen haben Zeit und Kraft zum Anpacken bei den Alten und Kleinen, aber kein ...

Es gibt diese gegensätzlichen Ausrichtungen, die sich scheinbar gut ergänzen, aber Lücken aufreißen um welche zu schließen. Die einen haben Zeit und Kraft zum Anpacken bei den Alten und Kleinen, aber kein Geld. Und die anderen haben das Geld, aber keine Zeit zum Betreuen und Kümmern.
Auch hier in „Wenn ich wiederkomme“ geht es um Daniela, die aus Rumänien kommt mit vielen Hoffnungen im Gepäck nach Italien aufbricht um Geld zu verdienen. Sie hinterlässt mit gutem Zureden ihr eigenes Leben, der Mann und die beiden Kinder, für eine Weile und wird schmerzlich vermisst, vor allem von ihrem Sohn Manu. Aus dessen Perspektive wir die Geschichte zuerst geschildert bekommen. Er klagt an und durch die Unwissenheit glaubt er seine Mutter führt ein tolles Leben ohne sie in der Ferne Italiens. Aber das ist mit Nichten so, sie rackert und arbeitet 24h am Tag als Altenpflegerin. Wird förmlich ausgebeutet. Und für was? Das die Großeltern die Kinder erziehen und die Kernfamilie sich immer fremder wird. Die Heimat irgendwann keine mehr ist?
Marco Balzano beschreibt dieses Einzelschicksal grandios und richtet das Augenmerk so auf die Herr scharren von Osteuropäerinnen ohne die Mitteleuropa schon lange im Pflegechaos versunken wäre. Er kombiniert diese strukturelle Misere literarisch gekonnt mit einer spannenden und gut erzählten Geschichte. Wirklich lesenswert und macht nachdenklich, was wir für unsere Gesellschaft der humanere, der richtige Weg wäre mit dem Thema Pflege umzugehen.

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Veröffentlicht am 16.09.2021

Das Inselleben West-Berlins

Treue Seelen
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Wir schreiben das Jahr 1986. Die Republik ist weiterhin geteilt. In diesem Frühjahr machen sich Achim und seine Frau Barbara auf nach Berlin. Sie nehmen alle Vorteile mit, die man damals bekam, wenn man ...

Wir schreiben das Jahr 1986. Die Republik ist weiterhin geteilt. In diesem Frühjahr machen sich Achim und seine Frau Barbara auf nach Berlin. Sie nehmen alle Vorteile mit, die man damals bekam, wenn man nach West-Berlin zog: Beamtenstatus beim Bundesamt für Materialprüfung, Zulagen von 8% (!) und sie erhoffen sich ein wenig mehr Glamour als in Bonn/Bad Godesberg. Tja, aber dann sollte man vielleicht nicht nach Zehlendorf ziehen und bequem bleiben, sondern eher nach Kreuzberg….nur eines der differenziellen Aspekte des Romans!
Aber keine Sorge, es wird anderweitig spannend, denn da gibt es die aus Ostberlin stammende Marion in der Nachbarschaft, die Achim, dem Protagonisten, den Kopf verdreht und damit auch vieles unerwartete ins Rollen bringt, Achim landet sogar in Hohenschönhausen und über allem hängt die dicke Tschernobylwolke – je nach Osten und Westen anders interpretiert.
Till Raether hat mit ‚Treue Seelen‘ aus meiner Sicht einen sehr gelungenen Roman über das Leben auf der Insel West-Berlin geschrieben und auch den Osten aus der Westbrille beleuchtet (soweit ich das beurteilen kann, bin auch eine West-Berliner Kind). Wie ein Krimiplot im Berlin der 80er Jahre geht er hier mit seinem Protagonisten durch die Straßen.
Eingängig, gut und unterhaltsam geschrieben. Es ist für mich auch ein Roman der Perspektiven, sei es die Innenansicht aus Ostberlin oder Westberlin. Auch Marions Perspektive, die als Teenager aus dem Osten kam und dann wurde just die Mauer gebaut, ist eine andere Perspektive als die des Wessis Achim aus Bonn.
Wiedermal ein deutsch/deutscher Roman, aber er ergänzt vorhandene Lektüren gut und natürlich erfreut es einen das selbst erlebte noch einmal Revue passieren zu sehen, auch wenn es damals aus Kinderaugen war. Ich bin gespannt wie meine Eltern den Roman lesen/erleben werden!
Taugt für die „breite Masse“ und ist zugleich aber doch sehr speziell. Gelungen!

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Veröffentlicht am 10.09.2021

Unbequeme Ansichten auf ein Mutterdasein

Der Verdacht
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Wenn euch die beiden Bücher: ‚We need to talk about Kevin‘ (Wir müssen über Kevin sprechen) von Lionel Shriver und Leila Slimanis ‚Dann schlaf auch du‘ begeistern konnte, dann lasst euch auch auf ‚Der ...

Wenn euch die beiden Bücher: ‚We need to talk about Kevin‘ (Wir müssen über Kevin sprechen) von Lionel Shriver und Leila Slimanis ‚Dann schlaf auch du‘ begeistern konnte, dann lasst euch auch auf ‚Der Verdacht‘ von Ashley Audrain ein! Für mich fallen alle 3 Bücher in eine Kategorie von Büchern, die das Glück Kinder zu haben in ein anderes Licht rückt, wenn es manches Mal weh tun kann und bitter ehrliche Gedanken zutage fördert!
Zunächst eine kleine Familie – Mutter, Vater & Wunschkind. Das ist die Ausgangsbasis. Aber Mutter Blythe ist nach der Geburt ihrer Tochter Violet nicht überflutet mit positiven Glücksgefühlen, nein, sie spürt regelrecht eine Abneigung gegen das Kind. Der Vater Fox wacht mit Argusaugen über den Beiden und ihr Leben nimmt seinen Lauf. Es passiert Jahre später etwas und die Tragödie ist da und es gibt noch viel mehr zu erzählen und das tut Blythe. Sie erzählt Fox retroperspektivisch was passiert ist und arbeitet dabei das ‚Warum‘ auch für sich auf.
Das Buch behandelt diese Tochter-Mutter-Beziehung auf eine brutal ehrliche Weise und leuchtet schamlos aus was Blythe empfindet und wie es im Kontext ihrer Mutter-Tochter-Beziehung steht und den davor liegenden. Wie man unbewusst Dinge von Generation zu Generation voranschleppt und den Nachkommen in die Gefühlswelt kippt.
Großartig geschrieben von Ashley Audrain, die es gut versteht sich in diese Situation hineinzudenken. Ich stelle mir das sehr schwer vor und musste beim Lesen auch ab und an Schlucken. Der Stil ist fast unterkühlt, hart, im Stakkato gehen wir durch die Geschichte, aber es passt.
Erstaunt hat mich als ich nach der Lektüre erfahren habe, dass dies ihr Erstlingswerk ist und freue mich, dass wieder einmal eine neue tolle Autorin das internationale literarische Parkett betreten hat!
Dieses Buch wühlt auf und lässt einen auch Tage später noch sinnieren über so viele Beziehungen, die von außen perfekt wirken, vor allem wenn es um die Eltern und deren selbstverständliche Liebe zu ihren Kindern geht. Aber sollten wir als Gesellschaft nicht auch Ehrlichkeit schätzen und zulassen, dass es auch andere Empfindungen gibt?
Absolut lesenswert – wirkt horizonterweiternd und unterstützt mehr Verständnis zu Gewinnen für das „Warum“ der Anderen.

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