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Veröffentlicht am 17.09.2021

Die ganze Affenbande brüllt? Nein, sie spricht!

Das Affenhaus
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Zunächst tut sie das in einem Sprachlabor, wo sie von den Mitarbeitern liebevoll gefördert wird: vor allem durch die Wissenschaftlerin Isabel Duncan, die ihre Wünsche erfüllt, trotzdem darauf achtet, dass ...

Zunächst tut sie das in einem Sprachlabor, wo sie von den Mitarbeitern liebevoll gefördert wird: vor allem durch die Wissenschaftlerin Isabel Duncan, die ihre Wünsche erfüllt, trotzdem darauf achtet, dass die Gesundheit nicht leidet und sie vor allem vor einer zu großen Öffentlichkeit abschottet, die ihnen zu sehr auf den Leib rückt und die Privatsphäre verletzt. Ausgewählt werden nur wenige vertrauenserweckende Journalisten - hier bestimmen die Affen mit, indem sie ihre Zuneigung signalisieren und der von ihnen am meisten geschätzte ist John Thigpen, dem sie auch nach der Explosion des Labors und dem Verlust der Affen an einen Reality-Fernsehsender die Treue hält.

Sara Gruens Romane handeln von Menschen mit ungewöhnlichen Lebenswegen. Diesmal stehen die junge Wissenschaftlerin Isabel Duncan und der vom Unglück gebeutelte Journalist John Thigpen im Mittelpunkt: Isabel erforscht die sprachliche Kommunikation von Bonobos, ausgesprochen intelligenten Affen - eine Person, die für ihre Arbeit und mit "ihren" Affen lebt, sich im Umgang mit ihren Mitmenschen jedoch recht schwer tut. Sie erhält im Labor Besuch von John, der von den Affen, ohne es zu merken, auf die Schippe genommen wird und von der Kommunikation Isabels mit den Affen - diese verstehen Englisch und können in der amerikanischen Gebärdensprache ASL antworten - mehr als beeindruckt ist. Doch nicht alle sind so positiv gegenüber Isabels Arbeit eingestellt - täglich wird das Labor von Demonstranten belagert, die gegen Tierquälerei protestieren.

Während sich die John noch auf dem Heimflug befindet, fliegt das Labor in die Luft! Isabel wird schwer verletzt, die Affen finden sich nach längerer Suche in der o.g. Reality-Show. Wer ist schuld an dem Dilemma? Johns Leben, seine berufliche Laufbahn, die unter einem unglücklichen Stern zu stehen scheint und seine Ehe mit der liebevollen, aber beruflich ebenfalls erfolglosen Schriftstellerin Amanda bildet den zweiten Erzählstrang.

Sara Gruen schreibt so faszinierend, dass der Leser quasi nach der weiteren Entwicklung des Romans lechzt. Wie geht es nach der Katastophe weiter, welche Rolle spielt John, der Journalist, der von Isabels Arbeit so beeindruckt war?

Bei "Wasser für die Elefanten" konnte ich die allgemeine Begeisterung nicht so recht nachvollziehen - hier dagegen bin ich Feuer und Flamme. Ein fulminanter Einstieg in die Story, ein grandioser Roman - einzig die nicht immer bis zum Ende ausführten Erzählstränge, die mich als Leserin ein kleines bisschen unbefriedigt zurückließen, sind Anlass für eine - allerdings geringfügige - Beeinträchtigung des Lesegenusses.

Veröffentlicht am 17.09.2021

Todesdrohungen

Blutstein
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Gleich vorneweg: die Lektüre dieses Krimis lohnt sich! Johan Theorins dritter Öland-Krimi "Blutstein" startet dramatisch - Per Mörner droht in der Walpurgisnacht verbrannt zu werden. So brutal geht es ...

Gleich vorneweg: die Lektüre dieses Krimis lohnt sich! Johan Theorins dritter Öland-Krimi "Blutstein" startet dramatisch - Per Mörner droht in der Walpurgisnacht verbrannt zu werden. So brutal geht es gottseidank nicht durchgehend weiter: eher subtil werden die Ereignisse aufgerollt, die Erzählstränge miteinander verquickt.

Es sind deren drei, bei denen es sich um eine neu entstehende Konstellation von Nachbarn handelt, die jeder auf ihre eigene Art und Weise mit der Insel Öland verbunden sind. Zunächst lernen wir den fast 85jährigen pensionierten Kapitän zur See Gerlof Davidsson kennen - den Lesern der beiden vorherigen Öland-Bände ist er allerdings bereits bekannt - der die Rückkehr aus dem Pflegeheim in sein eigenes Haus durchsetzt. Er meint, bald sterben zu müssen und möchte den Rest seines Lebens nach seinen eigenen Vorstellungen genießen.

In seiner Nachbarschaft lebt - zumindest zeitweise - der alleinerziehende, geschiedene Per Mörner, der sich Sorgen um seine kranke Tochter Nilla macht - es lässt sich einfach nicht herausfinden, was ihr fehlt. Während sie auf dem Festland in Kalmar im Krankenhaus zu Untersuchungszwecken weilt, fährt Per mit seinem Sohn, Nillas Zwillingsbruder Jesper auf die Insel: der Öland-Aufenthalt von Vater und Sohn Mörner beginnt mit einem Knall - einem Unfall, der den Leser gespannt auf den weiteren Erzählverlauf werden lässt. Dabei lernt der Leser gleich die Protagonisten des dritten Erzählstrangs, Vendela und ihren unsympathischen Mann, den Psychologen und Buchautor Max kennen. Mehr und mehr verbindet sich die Handlung mit der Insel, mit ihrer Natur und mit den alten Sagen, mit Drohungen und alten Geschichten, bis Pers Vater, ein Mann mit Vergangenheit, überfahren wird. Sein Sohn beobachtet den Unfall und ihm ist nach den vorherigen Ereignissen klar, dass dieser mit Absicht herbeigeführt wurde.

Und wie ein Damoklesschwert schwebt das Wissen über die folgende, unglücksselige Walpurgisnacht und die damit verbundene Todesdrohung für Per Mörner über dem Leser, der zum Abwarten verdammt ist...

Theorin ist auch mit seinem dritten Öland-Krimi wieder ein Geniestreich geglückt ist. Seine wiederkehrenden Themen: das Aufeinandertreffen sowohl verschiedener Generationen als auch der "Ureinwohner" Ölands und der Städter, die die Insel als Feriengäste bevölkern ziehen sichauch durch seinen dritten Roman wie ein roter Faden. Dazu gesellen sich die Beschreibungen von Ölands Natur und alten Sagen und Naturgeistern, die häufig auf ergreifende, mitreißende Weise die Stimmung der Handlung aufgreifen und verstärken.

Johan Theorin hat einen eigenen, überaus spannenden Stil: wer wie ich bereits "Öland" und "Nebelsturm" mit Begeisterung verschlungen hat, wird den dritten Band kaum erwarten können. Und ich kann hier wiederum eine Steigerung feststellen: war "Nebelsturm" schon um einiges packender als das durchaus spannende "Öland", setzt der Autor mit Blutstein noch einen drauf. Doch auch für neue Leser ist ein schneller Einstieg möglich, da sich die Bücher auch recht gut isoliert lesen lassen. Ein Muss für jeden Liebhaber skandinavischer Krimis, der offen für Neues ist: sowohl im Hinblick auf die landschaftliche Einbettung als auch auf den Erzählstil.

Veröffentlicht am 17.09.2021

"Auch die Guten werden ermordet"

Gotteszahl
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Das sagt Kriminalkommissar Yngvar Stubo zu seiner Frau Inger Johanne, als beide spät am Heiligabend von dem Mord an der sympathischen Bischöfin Eva Karin Lysgaard erfahren. Doch was verbindet die gütige ...

Das sagt Kriminalkommissar Yngvar Stubo zu seiner Frau Inger Johanne, als beide spät am Heiligabend von dem Mord an der sympathischen Bischöfin Eva Karin Lysgaard erfahren. Doch was verbindet die gütige Bischöfin, die sich sowohl für Homosexuelle als auch gegen den Schwangerschaftsabbruch einsetzt, den Strichjungen und den drogensüchtigen "Penner, beide am unteren Ende der sozialen Hierarchie stehend, den egozentrischen Künstler und die gutaussehende Australienreisende? Sie alle werden ermordet, möglicherweise von ein und demselben Täter. Wer sind hier die "Guten", wer hat hier Deck am Stecken und wie, um Himmels willen, fügen sich all die Lebensläufe, die uns von der Autorin vorgesetzt werden, zusammen?

Anne Holt legt mit "Gotteszahl" den vierten Krimi mit Ermittler Yngvar Stubo vor. Er ist nicht nur im Hinblick auf die Spannung, sondern auch auf die sprachliche und stilistische Gestaltung ein wahrer Lesegenuss. Die Autorin ist eine Meisterin der Übergänge: Humorvoll die Überleitung von der schaurigen Beschreibung der Bergung einer aufgedunsenen Wasserleiche zum Weihnachtsessen bei Kommissar Stubo und seiner Familie: vom Gruselfisch, der aus dem Auge der Leiche in den Mund des schockierten Augenzeugen fällt, leitet die Autorin nahtlos über zum Kabeljau-Augen essenden Kommissar und dem familiären Geplänkel am festlich gedeckten Tisch. An anderer Stelle werden Gedanken über das Nicht-Wissen, die ein Kapitel abschliessen, zu Beginn des nachfolgenden wieder aufgenommen. Die doch sehr vielschichtigen und weitläufigen Handlungsstränge werden so ineinander übergeleitet und der Leser hat angesichts der spannenden Handlung kaum eine Chance, den Faden zu verlieren.

Yngvar Stubo und seine Frau Inger Johanne, von Yngvars Kollegen als "the reluctant detective", die widerwillige, zögernde Ermittlerin bezeichnet, sind eine originelle und warmherzige Bereicherung der ermittelnden Teams der Krimi-Szene. Ihr Leben als Patchwork-Familie mit den beiden Töchtern Kristiane und Ragnhild, Kristianes Vater Isak, den Eltern/Schwiegereltern und Yngvars Enkel, wird immer wieder aufgegriffen und in die Handlung eingefügt und hat sich so als fester Bestandteil dieser Krimireihe etabliert. Diesmal spielt Kristiane im aktuellen Kriminalfall sogar eine entscheidende Rolle.

Anne Holt schreibt für ihre Fangemeinde - als langjähriger Leserin und Kennerin ihres Gesamtwerks fällt es mir schwer zu sagen, ob es ebenso leicht fällt, der Handlung zu folgen, wenn man vorher keines ihrer Werke gelesen hat, doch die vielen Bezüge auf frühere Werke legen die Empfehlung nahe, sich zunächst einmal mit den vorhergehenden Bänden der Stubo-Reihe auseinanderzusetzen.

Keine Sorge, es lohnt sich auf jeden Fall! Wen die teilweise doch etwas düstere, eben nordische Atmospäre bei Anne Holt, die doch immer wieder von humorvollen Elementen - sei es in Form von skurrilen Figuren, sei es durch das Einfügen einer heiteren Episode - durchsetzt wird, nicht schreckt, der könnte rasch zum Anne-Holt-Fan werden und in Zukunft wie ich jedem neuen Krimi dieser Autorin entgegenfiebern!

Veröffentlicht am 17.09.2021

Anfang und Ende in Hongkong

Leopard
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Doch was liegt dazwischen? Eine spannungsreiche, mit vielen Nuancen durchsetzte Jagd nach einem Serienkiller, die keinen Freund härterer skandinavischer Kriminalliteratur kalt lässt.

Harry Hole, der sich ...

Doch was liegt dazwischen? Eine spannungsreiche, mit vielen Nuancen durchsetzte Jagd nach einem Serienkiller, die keinen Freund härterer skandinavischer Kriminalliteratur kalt lässt.

Harry Hole, der sich nach dem aufwühlenden Schneemann-Fall aus dem Ermittler-Geschäft zurückgezogen hat und in Hongkong mehr oder weniger dahinvegetiert und von den dortigen Triaden gejagt wird, wird zurück nach Norwegen katapultiert, um einen brutalen Serienmörder zu fassen, der scheinbar sinnlos und ohne Zusammenhang Menschen umbringt.

Daheim erwartet ihn auch nichts Angenehmes: sein sterbender Vater, Kollegen, die überhaupt nicht auf ihn gewartet haben und die Lösung des Falls für sich verbuchen wollen, vielfältige emotionale Verwicklungen und Verwirrungen der komplizierten Art und natürlich die Erinnerungen, vor denen er fliehen wollte.

Nesbo kredenzt uns reihenweise verkrachte Existenzen, die - jeder auf seine Art - in die brutalen Serienmorde verwickelt sind. Diese werden meist mit Hilfe eines Leopoldsapfels, der das Opfer an seinem eigenen Blut ersticken lässt, durchgeführt und sind nichts für zartbesaitete Leser. Die Spur führt zu einer Skihütte in einsamer Landschaft, doch wie sind die Zusammenhänge?

Die unerwarteten Wendungen und (Ver)Wirrungen erinnern gelegentlich an die Lincoln-Rhyme-Serie von Jeffery Deaver, doch ein maßgeblicher Unterschied liegt in der tiefen inneren Zerissenheit der Hauptperson, des Ermittlers Harry Hole. Man könnte es fast als das Skandinavische an diesem Thriller bezeichnen - Hole wird immer wieder als Loser präsentiert: So zu Beginn des Romans in Hongkong, wo er finanziell und seelisch am Ende ist, doch auch im Rahmen der Mörderjagd: bei Fehlverhaftungen, falschen Verdächtigungen etc. und nicht zuletzt in der emotionalen Auseinandersetzung mit seinen Nächsten: als Partner und Sohn. Doch er verliert nie die Sympathie des Lesers.

"Leopard" ist ein packender, spannend und anspruchsvoll geschriebener Thriller auf höchstem Niveau, der sehr zu empfehlen ist. Ein wenig gestört hat mich der machohafte Ansatz: stets sind es Frauen, die Männern hörig sind, immer sind es Männer, die mit Liebe und Zuneigung spielen. Doch das ist eine Kleinigkeit, die das Lesevergnügen, wenn überhaupt, dann nur kurzfristig schmälert.

Veröffentlicht am 17.09.2021

Ein Mann gibt sich preis

Wo fahren wir hin, Papa?
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Jean-Louis Fournier legt in seinem Buch "Wo fahren wir hin, Papa" mit schonungsloser Offenheit sich selbst und anderen gegenüber seine Gefühle und Empfindungen seinen beiden körperlich und geistig schwerstbehinderten ...

Jean-Louis Fournier legt in seinem Buch "Wo fahren wir hin, Papa" mit schonungsloser Offenheit sich selbst und anderen gegenüber seine Gefühle und Empfindungen seinen beiden körperlich und geistig schwerstbehinderten Söhnen gegenüber dar. Dies ist ein freudloses Buch: der Autor hadert mit dem Schicksal seiner Söhne und auch mit seinem eigenen. Fournier schildert auch heitere Szenen, in denen er über und – aus seiner Sicht zu selten – mit seinen Söhnen lachen kann: bspw. als einer der Jungen einen Pullover anziehen möchte und versucht, den Kopf durch ein Loch zu stecken: nicht jedoch das dafür vorgesehene, sondern eine kaputte Stelle. Trotzdem ist es eine traurige Geschichte: auch wenn der Vater die Heiterkeit nicht aus seinem Leben verdrängen will, wirkt diese auf andere oft zynisch und macht ihn einsam. In Gedanken und Träumen konstruiert sich Fournier gelegentlich ein anderes Leben mit gesunden Söhnen – das machen sicher viele, die in einer ähnlichen Situation sind, doch die wenigsten sprechen es offen aus.

Dies ist ein sehr individuelles, subjektives und mutiges Buch, das aufgrund seiner Ungeschminktheit sicher nicht unumstritten sein wird. Der Autor achtet nicht auf politische bzw. soziale Korrektheit, sondern schreibt frei von der Leber weg - der Leser sollte dies als Geschenk betrachten - egal, ob als willkommenes oder unwillkommenes! So klar und offen äußert sich zu diesem Thema kaum jemand.

Mich hat dieses Werk sehr beeindruckt: der Autor findet ehrliche und knappe Worte, um sein Anliegen auszudrücken und schont damit niemanden: weder seine Kinder, noch die Umwelt und am wenigsten sich selbst. Das Buch wird verletzen, es wird anrühren, es wird abstoßen und auch betroffen machen: nur eines wird es nicht: den Leser gleichgültig und unbeteiligt lassen.