Wenn der Sommer unvollendet bleibt
Es mag sein, dass ich hier zum Advocatus Diaboli werde, da dieses Buch anscheinend vielfach Begeisterungsstürme auslöst, aber mich konnte es nicht überzeugen. Sicher, die Sprache des Romans ist wunderbar, ...
Es mag sein, dass ich hier zum Advocatus Diaboli werde, da dieses Buch anscheinend vielfach Begeisterungsstürme auslöst, aber mich konnte es nicht überzeugen. Sicher, die Sprache des Romans ist wunderbar, fast lyrisch, gefühlsbetont ohne ins Kitschige abzudriften, und lebt von ihren überaus detailreichen und bezaubernden Naturbeschreibungen. Ebenso faszinierend und überaus gelungen ist die nostalgische Stimmung eines verlorenen Englands, die die gesamte Erzählung durchströmt - sie ist so greifbar, das man sich fast in einem Gedicht von Philip Larkin, einem Country-House-Roman oder einem Heritage Film wähnt. Wenn es also um die sprachlichen Aspekte, das Setting und die Atmosphäre geht, muss man diesem Roman ein absolut goldenes Händchen bescheinigen - auf diesen Ebenen stimmt fast alles.
Allerdings - und dies ist leider ein größeres "allerdings" - bleibt der Text inhaltlich ziemlich auf der Strecke. Bereits ab der Hälfte - wenn nicht schon gar davor - begann ich mich zu fragen, ob es sich hier überhaupt um eine Geschichte handelt, die erzählenswert bzw. lesenswert sei. Die Autorin setzt eine unzuverlässige Erzählerin ein, die aber zu unvollendet, zu wenig ausformuliert und zu wenig charakterisiert wird, als dass der notwendige Prozess der Naturalisierung (also der Auflösung der Unzuverlässigkeit durch den Leser) abschließend gelingen könnte. Den gesamten Roman über schwebt man als Leser an den Rändern des Fassbaren, sieht sich mit losen Enden und wackligen Hypothesen konfrontiert, gibt sich Vermutungen hin und am Ende wird dann schließlich nichts aufgelöst. Noch dazu ist die Geschichte trotz einiger dramatischer Momente nicht wirklich faszinierend, es passiert zu wenig und die vielen Innensichten in Edies Seelenleben können wegen des mangelnden Verständnisses, dass in der zu vagen Kontextualisierung ihres Zustands begründet wird, nicht wirklich tragen.
Mir gefällt es nicht, dies zu sagen, aber ich habe mich tatsächlich über weite Strecken gelangweilt und war schlussendlich fast enttäuscht, denn auch das große Geheimnis um Constance wird nicht wirklich gelüftet. Geradezu ärgerlich war für mich, dass Edies Schicksal durch ein nichtfiktionales Nachwort zu (mehr) Bedeutung verholfen werden sollte - immer ein ungünstiger Moment für einen Roman.
Fazit: ein sprachlich überragend schöner Roman, der durch die Lobpreisung der Nostalgie eine ganz besondere Saite zum Schwingen bringt, aber leider inhaltlich ziemlich wenig liefert.