Im freien Fall
Jasmin Schreibers Debütroman Marianengraben steht ungelesen in meinem Bücherregal. Der Grund liegt nicht darin, dass der Roman mich nicht anspricht. Ganz im Gegenteil. Es war nur bis jetzt nicht ...
Jasmin Schreibers Debütroman Marianengraben steht ungelesen in meinem Bücherregal. Der Grund liegt nicht darin, dass der Roman mich nicht anspricht. Ganz im Gegenteil. Es war nur bis jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für mich, mich mit dem Thema Tod und Sterben auseinandersetzen. Dieser ist jetzt gekommen. Ich habe allerdings zu ihrem neuesten Roman gegriffen. Auch in Der Mauersegler schreibt die Autorin über Krankheit, Tod, Schuld und der Suche nach Vergebung. Es ist aber auch ein wundervolles Buch über eine innige Freundschaft und die heilende Kraft der Natur.
Prometheus, der eigentlich Marvin heißt, arbeitet als Onkologe an einer Krebsstudie. Als Prometheus bester Freund Jakob an Blasenkrebs erkrankt, nimmt in dieser in die Studie auf. Besessen vom Erfolg der Behandlung ist Prometheus blind für die Wahrheit. Und Jakob stirbt. Prometheus, dem die Schuld zu erdrücken droht, sieht als einzigen Ausweg die Flucht in den Norden, wo er am dänischen Strand unerwartete Hilfe und eine Zuflucht findet.
Jasmin Schreiber konnte mich richtig begeistern. Der Mauersegler ist berührend und traurig, liest bzw. hört sich aber mit einer unglaublichen Leichtigkeit. Die Autorin hat eine wunderbar lockere Art zu erzählen. Malerisch mit einem Hauch Poesie, aber auch einem ganz feinen Humor, der die ernste und bedrückende Thematik auflockert. Gekonnt verwebt sie Elemente aus der griechischen und nordischen Mythologie in ihrem Roman. Prometheus, der den Göttern das Feuer entwendet und den Menschen bringt und daraufhin einer qualvollen Götterstrafe ausgesetzt wird. Aber auch Helle und Aslaug, die beiden Damen, die Prometheus auf ihrem Pferdehof aufnehmen, haben ihre Namen und Charakterzüge der Sagenwelt zu verdanken. Die eine offenherzig und fröhlich, die andere resolut und mürrisch, führen eine ganz besondere Beziehung miteinander. Im Gegensatz zu Prometheus, der sich als schwieriger Protagonist entpuppt, habe ich Helle und Aslaug sofort ins Herz geschlossen.
Prometheus hat viele Gefühle in mir ausgelöst. Ich wollte ihn wirklich nicht mögen und doch habe ich es getan. Die Autorin lässt ihren Protagonisten Prometheus nahezu am Tod seines besten Freundes zu Grunde gehen. Während Prometheus einen Kreislauf aus Wut, Angst und Schuldgefühlen durchlebt, erhalten wir durch Rückblenden in die Kindheit und nahe Vergangenheit von ihm und Jakob ein Bild der innigen Freundschaft. Wir erfahren aber auch nach und nach was sich tatsächlich zugetragen hat und welche Schuld sich Prometheus aufgeladen hat. Und ja, ich habe Prometheus tatsächlich verstanden, konnte seine Handlungen nachvollziehen. Verständnis hatte ich aber keines für ihn, habe ihn zwischendurch hart verurteilt. Und doch konnte ich ihm am Ende seine Fehler vergeben.
Und auch die Natur spielt eine große Rolle. Jasmin Schreiber gibt selbst den Tieren und Pflanzen eine Stimme. So auch dem namensgebenden Mauersegler, der Prometheus und Jakob durchs ganze Leben begleitet. Mit ganz wunderbaren Metaphern und Vergleichen mit dem Verhalten und Leben des Mauerseglers, stimmt einem Jasmin Schreiber nachdenklich und verleiht dem ganzen einen philosophischen Ansatz.
Absolute Leseempfehlung!
Fazit
Der Mauersegler ist ein sanfter und berührender Roman, der sich mit Krankheit, Tod, Schuld und der Suche nach Erlösung und Vergebung auseinandersetzt. Jasmin Schreiber hat einen unverkennbaren und einzigartigen Stil. Ernste Themen werden mit einer Klarheit und Leichtigkeit behandelt. Gleichzeitig ist Der Mauersegler aber auch sehr philosophisch. Für mich ein absolutes Lesehighlight und durch Jona Mues angenehme Stimme ein wahrer Hörgenuss.