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Veröffentlicht am 12.05.2022

Ein selbstbestimmtes Lebensende in Würde

Die sieben Schalen des Zorns
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„Umkehr der Hierarchien -das war gut. Die eigene Unterordnung drehte sich zur Überordnung. Maria erweckte das nicht wieder zum Leben. Aber in diesem Licht betrachtet, war ihr Leiden auch nicht mehr in ...

„Umkehr der Hierarchien -das war gut. Die eigene Unterordnung drehte sich zur Überordnung. Maria erweckte das nicht wieder zum Leben. Aber in diesem Licht betrachtet, war ihr Leiden auch nicht mehr in Gottes Hand gewesen. Max hatte Gott um einen Trumpf gebracht. Endlich.“

Inhalt

Die beiden Freunde Max und Jonas haben sich zwar in den letzten Jahren aus den Augen verloren, doch ihre langjährige Freundschaft und ein einschneidendes Schlüsselerlebnis aus ihrer Jugend binden sie nach wie vor aneinander. Während Jonas als Staatsanwalt die Karriereleiter weit hinaufgeklettert ist, hält sich Max nur notdürftig mit seiner Arztpraxis über Wasser. Doch ob er in Zukunft überhaupt noch seine Berufserlaubnis behalten darf, liegt in den Händen anderer. Max wird beschuldigt, seine Tante getötet zu haben. Zwar ausdrücklich auf deren Wunsch, aber dennoch eigenmächtig. Er wendet sich in seiner Notlage an den alten Freund und erinnert diesen an eine längst fällige Schuldbegleichung. Da Jonas aber genau auf der falschen Seite der Gesetzbarkeit steht und nicht die Verteidigung, sondern die Anklage leiten müsste, gerät er in einen Gewissenskonflikt. Und der Ausgang des Prozesses könnte auch das Ende seiner Karriere bedeuten.

Meinung

Da ich bereits die Romane „Echo des Schweigens“ und „Die Wahrheit der Dinge“ des deutschen Autors Markus Thiele gelesen habe und beide Bücher absolut lesenswert fand, konnte ich natürlich das aktuelle Werk nicht verpassen. Immer sind es die wichtigen Dinge des Lebens, die hier anhand eines ganz konkreten Falls betrachtet werden und sich auf tatsächliche Ereignisse (wenn auch in abgewandelter Form) berufen. Dadurch bekommt der Leser einen sehr umfassenden Einblick in die Tatbestände und den Ablauf hiesiger Gerichtsprozesse.

Was aber der eigentliche Knackpunkt ist und damit den Mehrwert des Romans darstellt, ist die Erörterung der menschlichen Ansichten, Überzeugungen und Handlungen in Anbetracht moralischer Entscheidungen, die sich nicht mit den geltenden Gesetzen vertragen. Dazu bedient sich der Autor eines geschickten Elements, indem er als auktorialer Erzähler auftritt und jeden Beteiligten mit dessen entsprechender Sicht auf die Dinge ernst nimmt, ohne irgendeine Wertung vorzunehmen. Die reine Handlungsebene ist spannend geschrieben, fast wie ein Kriminalfall, im Grunde genommen sind es aber die Hintergründe, die den Reiz des Buches für mich ausmachen.

Außerdem wirkt alles sehr authentisch und realistisch, denn der Autor ist Rechtsanwalt und kennt die Abläufe vor Gericht sehr genau. Er scheint außerdem ein guter Beobachter zu sein und bewahrt sich eine große Portion Neutralität, trotz einer so polarisierenden Thematik, wie die der Sterbehilfe. Und was könnte in einem fiktiven Roman besser funktionieren als die Schilderung aus nächster Nähe, mit viel Empathie und Verständnis aber auch mit klaren Grenzen und ohne Schönfärberei?

Fazit

Ein sehr empfehlenswertes Buch, dem ich gerne 5 Lesesterne gebe. Die verschiedenen Wahrheiten regen schon während des Lesens zum Nachdenken an und immer wieder begeben sich die eigenen Gedanken auf die Reise zu den Geschehnissen vor Ort. Dadurch das hier die Perspektivenvielfalt einen so großen Raum einnimmt, beginnt man selbst, die Dinge zu hinterfragen. Unabhängig von der persönlichen Überzeugung kann man sich förmlich nebenbei mit diversen Gesetzmäßigkeiten vertraut machen, ohne tatsächlich irgendein relevantes Wissen bezüglich der Rechtssprechung zu besitzen.

Sehr gut gefallen hat mir auch die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Glaubens oder der Umgang mit der Abwesenheit desselben. Alle Ansätze greifen wie kleine Rädchen ineinander und hinterlassen nachhaltig Eindruck.

Ich freue mich jetzt schon auf weitere Bücher des Autors - die Ideenvielfalt erwächst vielleicht aus aktuellen Fällen und deren Rechtslage und solange es Menschen gibt, die Fehler machen und lebensverändernde Entscheidungen treffen, dürfte diese Quelle auch nicht versiegen.

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Veröffentlicht am 27.02.2022

Jeder geht den Weg, der für ihn bestimmt ist

Tell
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„Ich muss zugeben, dass mich sein Besuch beglückt hat. Wenn man an Menschen erinnert wird, die man einst geliebt hat, fühlt man nicht bloß Kummer.“

Inhalt

Eine Bauernfamilie hoch in den Bergen der Schweizer ...

„Ich muss zugeben, dass mich sein Besuch beglückt hat. Wenn man an Menschen erinnert wird, die man einst geliebt hat, fühlt man nicht bloß Kummer.“

Inhalt

Eine Bauernfamilie hoch in den Bergen der Schweizer Alpen, weit weg von der Zivilisation, leben sie ein bescheidenes Leben, ausgerichtet auf die täglichen Bedürfnisse. Die beiden Brüder Peter und Wilhelm Tell halten zusammen, auch wenn der eine ein munterer Zeitgenosse ist und der andere ein schweigsamer Eigenbrötler. Als ein Lawinenunglück dem jüngeren Bruder zum Verhängnis wird, sieht sich der ältere in der Verpflichtung, die Familie des Bruders durchzubringen. Doch am Himmel ziehen dunkle Wolken auf, schließlich durchpflügen die Mannen der Habsburger die Orte in der näheren Umgebung, schänden Frauen und Kinder und plündern, wo sie nur können. Spurlos wird der Feind auch nicht am Haus der Familie Tell vorbeiziehen, doch Wilhelm ist nicht gewillt, sich kampflos zu ergeben. Seine Ehrfurcht vor dem König und dessen Vasallen ist nicht existent, die Armbrust sein bester Freund und wenn er schon nicht den Bruder retten konnte, dann wenigstens die noch Lebenden.

Meinung

Dies war mein erster Roman aus der Feder des in Island lebenden Autors, der sich hier mit der Sage des berühmten Wilhelm Tell auseinandersetzt und sie in moderner Sprache und komprimierter Handlung zu Papier bringt. Der Klappentext des Buches verspricht einen Blockbuster und genau so habe ich diesen Roman auch empfunden, denn während des Lesens läuft vor dem inneren Auge eine sehr stimmungsvolle, glaubwürdige Handlung ab, die man szenengenau wahrnehmen kann. Doch weniger die Historie selbst steht im Zentrum der Erzählung als vielmehr die familiäre Situation eines einfachen Mannes, der bemüht ist, die Seinen zu beschützen.

Das Besondere an diesem belletristischen Unterhaltungsroman ist wohl die gewählte Perspektive, denn die Erzähler des Buches wechseln in kurzen, prägnanten Kapiteln und stellen allesamt Zeitgenossen von Wilhelm Tell dar. Jeder Beteiligte schildert auf seine Art und Weise die Begegnung mit Tell und das Zusammenspiel der Ereignisse. Er selbst kommt dabei zwar nicht zu Wort, doch das tut dem Lesevergnügen keinerlei Abbruch, wird er doch als ein wortkarger, harter, prinzipientreuer Mann beschrieben, der am liebsten allein mit sich und seinen Gedanken war.

Besonders gut gefallen hat mir die Vielschichtigkeit in der Charakterisierung des Hauptprotagonisten, denn der Leser erfährt viel über seine Hintergründe und wird ebenso umfassend über seine Handlungen informiert. Es sind die zahlreichen Facetten, die hier ein stimmiges Bild ergeben und die auch über das Leben des Legende hinaus eine Aussagekraft besitzen. Denn obwohl es ausschließlich um ebenjenen Schweizer Freiheitskämpfer geht, beleuchtet die Erzählung auch generalistische Aussagen bezüglich des Menschseins. Mut, Rache, Vergebung, Hass und Liebe, Glück und Versagen – alles Themen, die zwar nicht explizit genannt werden, aber dank des authentischen Erzählstils eben trotzdem ihre Spuren hinterlassen und die Aussage des Romans sehr vielfältig und nachdenklich erscheinen lassen.

Fazit

Ich vergebe 5 Lesesterne für diesen starken, wichtigen Roman, der ungeachtet seines Handlungsortes eine angenehme Zeitlosigkeit besitzt. Hier funktioniert beides: die Einbettung der Geschichte in die ursprünglichen zeitlichen Hintergründe, geprägt von Armut und Unterdrückung, Kampf mit dem Feind und gegen die Widrigkeiten der Umwelt. Aber ebenso die beispielhafte Schilderung menschlicher Charakterzüge und ihre Auswirkungen auf das direkte Umfeld und die nächsten Angehörigen. Sehr gern hätte dieses Buch noch ein paar hundert Seiten mehr haben dürfen, einfach weil man sich so schön in der Erzählung wiederfinden konnte und die Personen des Buches einem nach und nach ans Herz gewachsen sind. Eine große Leseempfehlung für dieses erste Jahreshighlight und ich werde nun „Kalmann“ direkt auf meine Wunschliste setzen.

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Veröffentlicht am 28.11.2021

Der weiße Tod und seine späten Opfer

FROST
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„Unterm Strich passte es ihr auch ganz gut, dass sich die Aufmerksamkeit auf den armen Mann richtete. Niemand wollte bei Mordermittlungen im Rampenlicht stehen.“

Inhalt

Helgi Reykdal arbeitet noch an ...

„Unterm Strich passte es ihr auch ganz gut, dass sich die Aufmerksamkeit auf den armen Mann richtete. Niemand wollte bei Mordermittlungen im Rampenlicht stehen.“

Inhalt

Helgi Reykdal arbeitet noch an seiner Arbeit über einen Cold-Case am alten Tuberkulose Sanatorium, bevor er als Nachfolger von Hulda in den Polizeidienst der isländischen Behörden einsteigen wird. Aus purem Interesse und einer unterschwelligen Intuition befragt er in seiner Freizeit die ehemaligen Arbeitskräfte der Heilanstalt, an was sie sich noch erinnern und ob die Ermittlungen vor fast 30 Jahren ordentlich zum Abschluss gebracht wurden.

Die Befragten sind mittlerweile alle entsprechend betagt und erinnern sich dennoch sehr genau an die mörderischen Ereignisse. Eine junge Schwester namens Tinna, hatte 1983 beide Mordopfer gefunden und lebt mittlerweile zurückgezogen mit ihrem Mann, dem ehemaligen Ermittlungsleiter zusammen in der Großstadt. Helgi wird stutzig, weil sich das Ehepaar jede Kontaktaufnahme mit ihm verbittet – und der Fall damals mit Mord und anschließendem Selbstmord zu den Akten gelegt wurde, möglicherweise verbirgt sich hinter der Mauer des Schweigens doch eine brauchbare Information für die Aufklärung des Verbrechens …

Meinung

Nachdem ich zu Beginn des Jahres kurz hintereinander die Fälle der Hulda-Hermannsdóttir-Trilogie des isländischen Autors Ragnar Jónasson kennengelernt habe, war ich natürlich sehr gespannt, auf seinen neuen Thriller, der sowohl optisch als auch inhaltlich angenehme Erinnerungen an bereits Gelesenes weckt.

Zunächst einmal bin ich großer Fan von Mordermittlungen, die sich auf Grund eines Cold-Cases ergeben, gerade weil dort neue Spuren in der Gegenwart zu alten Verbrechen führen und Dinge ans Tageslicht kommen, die man schon längst nicht mehr vermutet hätte. Auch der Schauplatz des Geschehens in einem alten Sanatorium, welches selbst eine dunkle Vergangenheit hat, konnte mich überzeugen und sofort fesseln.

Für einen Thriller ist mir dieses Buch etwas zu blutarm, dafür empfinde ich es als gelungenen Spannungsroman, der zwar keinerlei mystische Elemente aufweist aber sehr verlassene Schauplätze, seltsame, rätselhafte Zusammenhänge und Menschen, die alle irgendetwas zu verbergen scheinen. Es entsteht beim Lesen eine ganz eigene Szenerie mit zahlreichen Nebeninformationen und Begebenheiten, deren Verbindung man immer knapp unter der Oberfläche vermutet. Dadurch konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen und hoffe stark auf weitere Fälle des neuen Ermittlers, die nicht so lange auf sich warten lassen.

Einzig das schwierige Privatleben von Helgi und seiner Frau war ein für mich unrelevanter Handlungsstrang, auf den ich hätte verzichten können, wobei er möglicherweise der Ausgangspunkt für den Verlauf der Reihe sein wird, und damit spätere Berechtigung erfährt, da lasse ich mich gern überraschen.

Fazit

Ein sehr kurzweiliger, dunkler Spannungsroman mit einem engagierten, konsequenten Ermittler, der nicht nur Fan von alten Kriminalromanen ist, sondern zielgerichtet seinen Dienst bei der Polizei antritt. Die nordisch-kühle Atmosphäre und das ungelöste Rätsel der Vergangenheit konnten mich auf ganzer Linie überzeugen. Empfehlenswert für alle, die es eher unblutig mögen und dafür Wert auf die Motivation des Täters legen.

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Veröffentlicht am 05.11.2021

In meinem Leben, wie es hätte sein sollen

Kleine Paläste
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„Susanne sah ihn nicht mehr an, sprach kein Wort mehr mit ihm. Die halbe Stunde blieb ihm ein Rätsel. Ein ganzer Mensch schien darin verschwunden zu sein, eine Zeitspalte, in die Susanne durch seine Schuld ...

„Susanne sah ihn nicht mehr an, sprach kein Wort mehr mit ihm. Die halbe Stunde blieb ihm ein Rätsel. Ein ganzer Mensch schien darin verschwunden zu sein, eine Zeitspalte, in die Susanne durch seine Schuld gestürzt war, durch irgendetwas, was er getan oder nicht getan hatte.“

Inhalt

Susanne Dreyer hat geduldig gewartet, bis in ihrem Nachbarhaus endlich jener Zustand eintritt, bei dem sie in Erscheinung treten kann, nachdem sie im Sommer 1986 der Familie von außen gesehen den Rücken gekehrt hat, während sie innerlich nie Abstand nehmen konnte. Jetzt ist Sylvia Holtz, ihre Nachbarin, die Frau von Carl gestorben und deren einziger Sohn Hanno kehrt zurück, um sich um den im Rollstuhl sitzenden Vater, der mittlerweile an Demenz leidet zu kümmern. Und Susanne ist da, wie all die Jahre zuvor, als ihr Leben an einem Sommerabend eine alles verändernde Wendung genommen hat, die sie bis heute dazu veranlasst, die Familie Holtz durchs Fenster heimlich zu beobachten. Aber Hanno ist einfach nur froh, dass Susanne ihm nun ihre Hilfe anbietet, nicht ahnend, dass sie eine ganz persönliche Rechnung begleichen möchte …

Meinung

Von diesem Buch bin ich tatsächlich schwer begeistert, nicht nur wegen der Story an sich, die so ganz alltäglich und nebensächlich wirkt, aber bereits auf den ersten Seiten eine immense Dichte und Intensität erreicht. Eigentlich überzeugt mich hier das Gesamtpaket, angefangen bei einem leichten, prägnanten Schreibstil, der mehr beobachtend und distanziert wirkt und dennoch jedwede Gefühlsregung vermitteln kann, über die sich langsam entfaltende Geschichte mit ihren deutlichen Prämissen und klaren Strukturen, bis hin zu einer höchst feinfühligen Persepektivenvielfalt, die selbst Stimmen aus dem Jenseits aktiviert. Äußerst selten kann mich ein Buch so dermaßen in seinen Bann ziehen, dass ich es immer weiterlesen möchte, insbesondere wenn es sich um eine Erzählung der Gegenwartsliteratur handelt, die eine so greifbare, realistische Handlung vorzuweisen hat, die rein theoretisch genau so hätte stattfinden können.

In Erinnerung bleibt nicht nur die Anfangsszene, in der ein Hund zum Mörder wird, sondern auch die schleichende Beklemmung, die sich mit jeder Seite weiter manifestiert und so genau nicht in Worte zu fassen ist. Die Thematiken des Buches sind tatsächlich sehr umfassend, fast schon willkürlich gewählt und folgen keinem bestimmten Ablauf, so dass die Spannung irgendwo zwischen den Zeilen feststeckt und man gezwungen ist, dort weiterzustochern, wo man die Leichen im Keller vermutet. Sehr hilfreich sind in diesem Zusammenhang die Stimmen aus der Vergangenheit, die immer wieder kleine Episoden in ein anderes Licht tauchen und die Zusammenhänge umso deutlicher hervorheben.

Fazit

Für mich ein absolutes Jahreshighlight, dem ich begeisterte 5 Lesesterne gebe. So genau kann ich meine Faszination gar nicht beschreiben, denn allein die literarische Umsetzung und der Schreibstil sind zwar top aber durchaus nicht so ungewöhnlich.

Auch die Handlung hat keinen wahnsinnigen Reiz, verliert sie sich doch zwischen zwei Einfamilienhäusern, deren Bewohnern und einer langen, langen Zeit.

Und dennoch ist es der rote Faden, dem ich hier nur zu gern um jede Ecke gefolgt bin, mit genau der richtigen Distanz zwischen den Protagonisten und dem Leser, mit dem Zeigefinger auf der Wunde, die immer noch schmerzt, bis zum bitteren Ende. Ein Roman der bei mir sehr lange nachhallt und dem ich viele Leser wünsche, denen es nicht vordergründig um eine spektakuläre Story geht, sondern um die leisen Zwischentöne, bei denen die Melodie aus Vergangenheit, Gegenwart, Schuld und Vergebung zu einem Ohrwurm wird.

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Veröffentlicht am 21.09.2021

Claras unbekannte Vergangenheit

Tiefer Fjord
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„Ich dachte, ich bekäme genügend Zeit, etwas zu bewirken, aber jetzt könnte es vorbei sein, nachdem es noch gar nicht richtig angefangen hat.“

Kurzrezension

Die Pressestimmen, die der Auftakt aus der ...

„Ich dachte, ich bekäme genügend Zeit, etwas zu bewirken, aber jetzt könnte es vorbei sein, nachdem es noch gar nicht richtig angefangen hat.“

Kurzrezension

Die Pressestimmen, die der Auftakt aus der Trilogie um Clara Lofthus ausgelöst hat, führen diesmal nicht in die Irre sondern beschreiben ganz gut die Wirkung, die dieser Spannungsroman auch bei mir ausgelöst hat. Maja Lunde empfiehlt einen erfrischend anderen Thriller, der eine fesselnde Geschichte kunstvoll erzählt. Und genau dieses Resümee ziehe ich ebenfalls aus der Lektüre.

Wer einen nervenaufreibenden Thriller mit viel Blut und perfiden Mördern sucht, ist hier leider an der falschen Adresse, denn sowohl die norwegische Kulisse, die Einsamkeit, Stille und Entschleunigung vermittelt als auch die unaufgeregte Erzählweise tragen dazu bei, dass dieses Buch viel mehr auf der psychologischen Ebene punkten kann als mit reinem Actionpotential. Selbst die reine Handlungsebene erscheint eher unspektakulär, denn beim Ehepaar Haavard und Clara hat sich die große Liebe längst verflüchtigt. Zwar halten die beiden gemeinsamen Söhne das Familienleben aufrecht, doch prinzipiell geht jeder seinen Weg, nicht zuletzt gelingt ihnen die Distanz deshalb so problemlos, weil beide Partner schon fast mit ihrer Arbeit verheiratet sind. Haavard ist Arzt und Clara eine sehr engagierte Politikerin, die gerade die Chance ihres Lebens erhält, auf der Karriereleiter noch weiter nach oben zu klettern.

Das besondere Augenmerk der Erzählung liegt in Claras Vergangenheit verborgen, die zwar längst nicht so außergewöhnlich ist, wie erwartet aber durch die geschickt eingefädelte Erzählperspektive umso nachhaltiger wirkt. Der Leser bekommt nämlich in eher kurzen Kapiteln aus der jeweiligen Innensicht die Überlegungen von Haavard und Clara geboten, ergänzt durch weitere Nebenprotagonisten, die die ein oder andere Lücke füllen und die beiden Hauptakteure nochmals in ein anderes Licht tauchen. Deshalb erreicht dieser Thriller schon nach wenigen Seiten eine enorme psychologische Komponente, die weit über die tatsächlichen Verfehlungen hinausgeht und unterschwellig viel mehr vermittelt.

Auch die Thematik der Kindesmisshandlung, die eher den Hintergrund bildet als die Kernaussage, bleibt angenehm offen und geht nie zu sehr ins Detail, so dass auch zart besaitete Leser gut damit klarkommen werden. Der für mich am besten gelöste Aspekt, dieser intensiven Geschichte, der auch besonders lange im Gedächtnis bleiben wird, ist die höchst interessante Betrachtung des Opfer-Täter-Gefälles. Denn im Gegensatz zu den meisten Thrillern, schlüpft hier jede Figur in jede Rolle und füllt sie noch dazu aus, ohne tatsächlich Spuren zu hinterlassen. Demnach spielen auch das Ermittlungsteam und die tatsächliche Aufklärung der Morde eine untergeordnete Rolle, die auf Grund der fesselnden Betrachtung auch gar nicht vermisst wird.

Fazit

Hier vergebe ich gerne 5 Lesesterne und eine uneingeschränkte Leseempfehlung, sofern man sich gern mit Motiven und Gedanken der unblutigen Kategorie beschäftigt. Ich freue mich schon sehr auf die Fortsetzung und verspreche mir dort eine klare Entwicklung, die sich hier zwar schon abzeichnet, aber noch in alle Richtungen offenbleibt, zumal die Hauptakteurin des Buches nun am Ziel ihrer Träume angelangt zu sein scheint, fraglich nur, welchen Preis sie dafür bezahlen muss. Eines der Bücher, die ich ohne besondere Erwartungshaltung begonnen habe und mit einem richtig guten Gefühl zuklappen kann.

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