Die 70 jährige alleinstehende Berlinerin Edith Scholz findet sich nach einem Sturz in ihrer Wohnung auf dem Teppich wieder und ist so hilflos wie ein Fisch auf dem Trockenen. Nur dem Postboten Oskar hat sie es zu verdanken, dass sie gefunden wurde und mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus kommt. Nach überstandener Hüftoperation muss Edith zur Reha nach Usedom. Edith, die die Tage am Meer genießt und gern für sich ist, lernt dort die gleichaltrige Christel Jacobi kennen, ihre Zimmernachbarin. Die beiden haben so gar nichts gemeinsam und Edith will auch gar keinen Anschluss. Trotzdem kommt es zu gemeinsamen Unternehmungen, bevor jede zurück an ihren Heimatort reist. Als Edith einige Zeit später einen Brief von Christel mit einer Einladung nach Husum bekommt, überlegt sie nicht lange, denn sie vermisst das Meer und packt ihre Koffer in der Hoffnung, ein paar schöne Tage zu verleben und dem Renovierungskrach in ihrem Wohnhaus zu entgehen. Doch es kommt ganz anders, und auf einmal findet sich Edith als Reisebegleitung von Christel in einem Zug nach Baden-Baden wieder, denn Christel möchte noch einmal was erleben, bevor…
Sarah Schmidt hat mit ihrem Buch „Weit weg ist anders“ einen unterhaltsamen und humorigen Roman mit leicht melancholischem Unterton vorgelegt, der zum Nachdenken anregt. Der Schreibstil ist wunderbar flüssig, warmherzig und gefühlvoll; er geht mit einem besonderen Witz und einer gelungenen Beobachtungsgabe für Menschen einher. Schnell lernt der Leser Edith kennen, die sich gerade in einer für sie sehr misslichen Lage auf ihrem Flurteppich befindet und weicht ihr fortan nicht mehr von der Seite. Die Autorin versteht es brillant, die Klaviatur der Emotionen einzusetzen, während sie den Leser mit Edith und Christel auf eine abenteuerliche Reise schickt, wobei die Reise eher der Zweck ist, Menschen wie Edith und Christel auf besondere Weise in all ihren Eigenheiten und mit ihren Schicksalen kennenzulernen. Das Thema Alter wurde hier von der Autorin gut gewählt, denn sie zeigt auf, mit welchen Problemen und alltäglichen Kleinigkeiten die Menschen zu kämpfen haben. Dabei hält sie dem Leser auch den Spiegel vor und erinnert ihn daran, dass es ihm eines Tages selbst so ergehen könnte.
Die Charaktere wurden sehr liebevoll inszeniert und in Szene gesetzt, sie wirken sehr lebendig und authentisch. Der Leser hat das Gefühl, fast jeden von ihnen persönlich zu kennen und baut dadurch eine besondere Nähe zu ihnen auf. Edith ist eine resolute Frau, die ihr Herz auf der Zunge trägt. Sie hält nichts von Gefühlsduseleien, hat eine zupackende Art und redet Tacheles. Dabei hält sie nicht hinter dem Berg, was sie stört. Sie lebt schon eine Weile allein, und manchmal hat man das Gefühl, sie ist einsam. Aber es gelingt ihr fast immer, einen davon zu überzeugen, dass dem nicht so ist. Christel ist eher ein Mäuschen, die alles in sich hineinfrisst, anstatt ihre Meinung kund zu tun. Sie will ja niemanden vor den Kopf stoßen, aber gerade das nimmt ihr fast die Luft zum Atmen. Sie hat einen Hang zur Extravaganz und kommt mit ihren kulturellen Interessen manchmal etwas versnobt rüber, wobei ihr nicht unterstellt werden soll, dass dies gewollt ist. Christel ist schwer krank und möchte einfach noch einmal etwas erleben. Aber Tochter Kim setzt alles daran, sie in ein Pflegeheim zu geben. Postbote Oskar ist ein netter Mann, der sich um seine „Kunden“ kümmert und ihre Gewohnheiten seit Jahren kennt. Durch dieses Wissen kann er Edith beherzt zu Hilfe kommen und springt ebenfalls ein, um beide Damen aus einer misslichen Lage zu befreien. Auch Oskar ist einsam, aber die beiden Damen bringen für kurze Zeit sein Leben auf die Galoppspur. Die anderen Nebenprotagonisten sorgen ebenso für die Unterstützung dieser „Damenreise“ und machen sie zu einem unvergesslichen Erlebnis, auch für den Leser. Die Entwicklung sowohl von Edith als auch von Christel ist sehr schön zu beobachten. Hier könnte man mit dem Titel ein schönes Wortspiel praktizieren, indem man am Ende die Frage stellt: „Ist weit weg anders?“, denn im Alter von Edith und Christel verstellt man sich nicht mehr, und vor den eigenen Problemen kann man auch nicht davonlaufen.
„Weit weg ist anders“ ist ein wunderschöner Roman über das Alter und kleine Verschrobenheiten, über Wünsche, die noch erfüllt werden wollen, über Einsamkeit und neue Freunde, über unerledigte Dinge und Gespräche und über die eigene Unzulänglichkeit, wenn man Dinge nicht mehr so erledigen kann, als wie in einem jüngeren Alter. Ein Buch für alle, die gerne gefühlvolle Geschichten lieben und sich von einer warmherzigen Handlung verzaubern lassen wollen. Absolute Leseempfehlung!!!