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Veröffentlicht am 28.09.2021

In Venedig braucht man für alles einen guten Freund …

Feine Freunde
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Ärgerlich, wenn man an seinem freien Tag gestört wird – noch ärgerlicher aber, wenn Franco Rossi vom Katasteramt vor der Tür steht und die nicht vorhandene Baugenehmigung der vor über zwanzig Jahren gekauften ...

Ärgerlich, wenn man an seinem freien Tag gestört wird – noch ärgerlicher aber, wenn Franco Rossi vom Katasteramt vor der Tür steht und die nicht vorhandene Baugenehmigung der vor über zwanzig Jahren gekauften Wohnung sehen will. So erging es Guido Brunetti, der sich bereits mit dem Gedanken befasste, dass seine Wohnung eventuell abgerissen wird. Soll er seiner Frau Paola erlauben, ihren einflussreichen Vater deshalb um Hilfe zu bitten? Dies erübrigt sich, als er Wochen später in der Zeitung liest, dass ebendieser Franco Rossi beim Sturz von einem Baugerüst ums Leben gekommen sei. Jetzt erwacht der Commissario in Brunetti, denn er weiß, dass Rossi unter extremer Höhenangst litt und sich niemals freiwillig auf ein Gerüst begeben hätte. In Rossis Tasche wurde eine Telefonnummer gefunden, die einem zuvor erschossenen Anwalt gehörte. Brunettis Nachforschungen führen ihn zu Korruption und Bestechung in den höchsten Ämtern, zu Geldverleihern und Wucherern und zu Drogendealern aus besseren Kreisen. Er kommt mit seinen Ermittlungen nur schleppend voran, denn offenbar sind in Venedig alle korrupt und jeder hat einen guten Freund, der ihm aus der Klemme helfen kann. Sogar Paola hat wegen der Wohnung ihren Vater eingeschaltet …

Donna Leon ist eine US-amerikanische Schriftstellerin, die 1942 in Montclair/New Jersey geboren wurde. Nach Aufenthalten in der ganzen Welt lebte sie lange Zeit in Venedig, wo auch die meisten ihrer Kriminalromane über Commissario Guido Brunetti, die im jährlichen Rhythmus erscheinen, entstanden. Sie wurden in 35 Sprachen übersetzt, jedoch auf ihren Wunsch hin nie auf Italienisch, in Deutschland zählt Donna Leon zu den Bestsellerautorinnen. Seit 2007 lebt sie im Kanton Graubünden in der Schweiz und erhielt 2020 die Schweizer Staatsbürgerschaft.

Nachdem ich bereits vor vielen Jahren die ersten acht Fälle Brunettis gelesen hatte, habe ich mir nun den neunten Fall vorgenommen und wurde nicht enttäuscht - es war wie alte Freunde wieder zu treffen. In der Questura hat noch immer der etwas cholerische und von sich selbst überzeugte Vice Questore Patta das Sagen, doch diesmal hat er selbst große Probleme. Auch Signorina Elletra, die gute Seele des Polizeipräsidiums, treffen wir wieder und sind nach wie vor überrascht, wie schnell und zuverlässig sie immer an brisante Informationen kommt. Bei Brunettis zu Hause herrscht immer noch große Harmonie. Bruno und seine Frau Paola sind meist einer Meinung – und sollte es doch mal Differenzen geben, bei ihrem guten Essen ist er gleich wieder versöhnt. Ihre beiden Kinder, Raffaele und Chiara, sind inzwischen Teenager und fügen sich harmonisch ins Familienleben ein.

Wie auch in den vorangegangenen Romanen beschreibt die Autorin das Leben in Venedig sehr detailliert, die Schauplätze des Geschehens sind anhand eines Stadtplans leicht zu finden. Auch greift sie wieder Themen und Missstände auf, über die aktuell in Zeitungen berichtet werden. Zwischen Bestechung in Ämtern und Behörden, Rauschgiftverkauf an Jugendliche und Umweltskandalen sind die wenigen, nicht sehr blutrünstigen Morde geschickt eingebettet. Durch kleine Gefälligkeiten gewinnt man Freunde, auf deren Wohlwollen man dann später bei Bedarf zurück greifen kann – diese Erfahrung macht sich dieses Mal selbst der sonst so gewissenhafte Brunetti zu eigen.

Fazit: Nicht der beste Krimi der Autorin, dennoch angenehme und gut geschriebene Unterhaltung. Gerne werde ich auch Brunettis weitere Fälle lesen.

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Veröffentlicht am 25.09.2021

Von Hexen, Familiendynastien und Päpsten

Die Puppenspieler
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Man schreibt das Jahr 1484. Richard Artzt ist gerade zwölf Jahre alt, als man ihn zwingt, dem Sterben seiner Mutter zuzusehen, die als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Der Waise wurde daraufhin ...

Man schreibt das Jahr 1484. Richard Artzt ist gerade zwölf Jahre alt, als man ihn zwingt, dem Sterben seiner Mutter zuzusehen, die als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Der Waise wurde daraufhin von seiner Tante Sybille, der Ehefrau von Jakob Fugger, aufgenommen und verbrachte seine restliche Kindheit in Augsburg. Die Handelsbeziehungen des Hauses Fugger reichten in die ganze Welt und durch geschickte Geldpolitik wurden sie sogar zur Hausbank des deutschen Kaisers Maximilian I. Jakob Fugger, dem man nachsagte Menschen zu manipulieren und dabei die Fäden in der Hand zu halten, erkannte sehr bald die Intelligenz des Knaben. Richard lernte Sprachen und Naturwissenschaften und wurde mit den Vorgängen des Handelsimperiums vertraut. Als 16Jährigen schickte ihn Fugger nach Italien, wo die Kunst zu Hause war, der Handel mit dem Orient seinen Ausgang nahm, aber auch die Kirche überall Einfluss hatte. In Florenz verkehrt er im Hause Medici, in Rom lernt er die Borgias kennen – und er verliebt sich in eine Zigeunerin, die von sich behauptet eine Hexe zu sein. Muss er das Schicksal seiner Mutter noch einmal erleben? …

Die deutsche Autorin Dr. Tanja Kinkel, geb. 1969 in Bamberg, studierte Germanistik, Theater- und Kommunikationswissenschaft. Sie erhielt diverse Literaturpreise, Stipendien in Rom, Los Angeles und an der Drehbuchwerkstatt in München und ist seit 2011 im PEN-Präsidium. Sie veröffentlichte bis 2020 zwanzig Romane, die in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt wurden und eine weltweite Gesamtauflage von über sieben Millionen Exemplaren erreichten. Im Jahr 2021 erhielt Tanja Kinkel den Bayerischen Verdienstorden und lebt heute in München.

Durch ausgezeichnete Recherchearbeit und mit sicherem Gespür für die Gegebenheiten gelingt es Tanja Kinkel, den Leser in die Zeit der Renaissance zu versetzen. Überzeugend eingebettet zwischen realen historischen Personen ist die Figur des Protagonisten Richard Artzt, einer Erfindung der Autorin, wie sie im Schlusswort bemerkt. Die Geschichte ist gut und flüssig geschrieben und liest sich, trotz einiger Längen und einer Fülle historischer Personen, sehr angenehm. Bereits der Anfang ist extrem spannend, man ist empört über die Willkür der Inquisition und die Grausamkeit der Hexenverbrennung, leidet mit dem jungen Richard und sinnt mit ihm nach Vergeltung und Rache. Dieser Umstand zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Geschehen. Doch nicht nur Hass und Intrige, auch Liebe und Freundschaft sind neben aufkommendem Handel und den Machenschaften der damaligen Familiendynastien und Päpsten die relevanten Themen dieses interessanten Buches.

Fazit: Ein unterhaltsamer und informativer Historienroman, den ich gerne weiter empfehle.

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Veröffentlicht am 09.08.2021

Was geschah mit den Männern im Turm?

Die Leuchtturmwärter
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Es war sehr stürmisch, damals vor zwanzig Jahren zwischen Weihnachten und Neujahr, so dass das Versorgungsboot mit der Ablösung erst verspätet rausfahren konnte. Über zwei Monate waren die drei Leuchtturmwärter ...

Es war sehr stürmisch, damals vor zwanzig Jahren zwischen Weihnachten und Neujahr, so dass das Versorgungsboot mit der Ablösung erst verspätet rausfahren konnte. Über zwei Monate waren die drei Leuchtturmwärter nun schon alleine auf der Maiden, einem Leuchtturm weit draußen mitten im Meer, und hatten, weil das Funkgerät gestört war, keine Verbindung zur Außenwelt. Doch als endlich Hilfe eintrifft ist alles still da draußen, kein Wärter ist zu sehen. Der Turm ist von innen verschlossen, die drei Männer sind spurlos verschwunden …

Jetzt, zwanzig Jahre später, ist ein Autor auf der Suche nach der Wahrheit über eines der größten maritimen Mysterien seiner Zeit. Er spricht mit Menschen, die damals betroffen waren, mit Zeitzeugen und den hinterbliebenen Angehörigen der drei verschwundenen Leuchtturmwärter. Welches rätselhafte Schicksal hat die Männer ereilt? Wie erging es ihren Frauen nach deren Verschwinden und wissen sie gar mehr darüber? ...

Emma Stonex, geb. 1983, ist eine britische Romanautorin, die bereits mehrere Bücher unter einem Pseudonym geschrieben hat. Ihre Karriere begann sie als Lektorin und arbeitete in einem großen Verlagshaus. Schon immer von Leuchttürmen fasziniert und inspiriert von dem tatsächlichen ungeklärten Verschwinden dreier Leuchtturmwärter im Dezember 1900 auf der Insel Eilean Mòr schrieb sie „Die Leuchtturmwärter“ (The Lamplighters) als Debüt unter ihrem eigenen Namen, das sofort in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt wurde. Die Autorin lebt heute mit ihrer Familie in Bristol.

Drei Männer verschwinden aus einem von innen verschlossenen Leuchtturm, der Tisch ist zum Essen gedeckt aber unberührt, alle Uhren sind gleichzeitig stehlen geblieben – schon allein der Gedanke daran verursacht Gänsehaut. Was geschah mit ihnen? Wurden sie von Piraten entführt, von Schmugglern ermordet oder waren gar Außerirdische am Werk? Sind sie verrückt geworden und haben sich gegenseitig umgebracht, hat eine Riesenwelle sie ins Meer gespült oder haben sie sich freiwillig abgesetzt um ein neues Leben zu beginnen? All diese Fragen stellen sich beim Lesen dieses enorm spannenden Romans. Die Autorin lässt die zurückgebliebenen Frauen zu Wort kommen und ihre Sicht des Geschehens erzählen. Auch die Männer berichten vom kargen Leben auf dem Leuchtturm, von der Einsamkeit und der bedrückenden Enge, von Streitereien und Meinungsverschiedenheiten und vom Meer, das so herrlich und auch so brutal zerstörend sein kann.

Den Schreibstil von Emma Stonex ist von beeindruckender Lebendigkeit und Intensität. Als Leser spürt man förmlich das Tosen des aufgewühlten Meeres, das Brüllen des Sturmes und die Gischt der Wellen, fühlt aber auch die große Einsamkeit und Isolation der Männer im Turm. Die Geschichte entwickelt einen Sog, dem man sich nicht mehr entziehen kann. Auch die Ausarbeitung der Figuren ist der Autorin großartig gelungen. Sie wirken authentisch und agieren sehr realistisch, so dass man ihre Handlungsweise jederzeit nachvollziehen kann.

Leider finde ich es sehr schade, dass die Autorin die Geschichte zum Schluss nicht mystisch und geheimnisvoll belassen hat, sondern eine Lösung konstruiert hat, die mich so nicht befriedigen konnte. Dennoch bleiben einige Fragen ungeklärt und lassen Raum zum Nachdenken.

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Veröffentlicht am 03.06.2021

Gute Unterhaltung garantiert

Der Dieb der süßen Dinge
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In der Questura im sizilianischen Vigáta herrscht Hochbetrieb, beinahe zeitgleich werden drei Verbrechen gemeldet. Im Aufzug eines Wohnhauses wird ein Geschäftsmann mit einem Messer im Rücken tot aufgefunden, ...

In der Questura im sizilianischen Vigáta herrscht Hochbetrieb, beinahe zeitgleich werden drei Verbrechen gemeldet. Im Aufzug eines Wohnhauses wird ein Geschäftsmann mit einem Messer im Rücken tot aufgefunden, auf hoher See wurde ein tunesischer Seemann auf einem italienischen Fischerbot von einem Patrouillenboot aus erschossen und im Pausenhof der örtlichen Schule treibt ein Dieb sein Unwesen. Commissario Montalbano konzentriert sich zunächst auf den Fall des ermordeten Geschäftsmannes, muss aber bald feststellen, dass die drei Fälle irgendwie zusammenhängen und tief in sein Privatleben eingreifen …

Der sizilianische Autor und Regisseur Andrea Camilleri hat mit Commissario Montalbano eine Figur geschaffen, die inzwischen Kultstatus erreicht hat. Man muss ihn einfach mögen, diesen eigenwilligen Macho mit dem weichen Herzen, der neben seiner Dauerverlobten Livia auch gerne mal ein Auge auf andere Frauen wirft. Stark wetterfühlig ist er, oft auch launisch, worunter besonders seine Kollegen zu leiden haben. Ungeliebte dienstliche Aufgaben delegiert er gerne weiter an seinen Mitarbeiter Mimi. Er liebt gutes Essen und seine sizilianische Heimat (am Ende des Buches befindet sich ein Anhang mit Übersetzung der erwähnten kulinarischen Köstlichkeiten sowie einiger regionaler Ausdrücke, die im Original beibehalten wurden).

Wer einen spannenden Krimi ohne blutrünstige Details, dafür aber mit trockenem Humor und Situationskomik, bevorzugt, der ist hier richtig. Ein klarer, präziser Schreibstil, gekonnt herausgearbeitete Figuren und ein in sich stimmiger Plot garantieren beste Unterhaltung. Geschickt werden die einzelnen Handlungsfäden miteinander verwoben. Die Lösung der Fälle ist dann eher Montalbanos Intuition als seinem kriminalistischem Können zuzuschreiben, was die Geschichte so schön ‚menschlich‘ macht.

Fazit: Ein rasant und fesselnd erzählter Krimi, leicht zu lesen, mit Humor und Spannung.

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Veröffentlicht am 21.05.2021

Richtige und falsche Entscheidungen …

Das Mädchen im Nordwind
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Um Abstand von ihren Beziehungsproblemen zu gewinnen, nimmt die gelernte Tischlerin Sofie einen Job auf Island an. Sie soll dort ein älteres Haus renovieren. Dabei entdeckt sie durch Zufall ein altes Tagebuch ...

Um Abstand von ihren Beziehungsproblemen zu gewinnen, nimmt die gelernte Tischlerin Sofie einen Job auf Island an. Sie soll dort ein älteres Haus renovieren. Dabei entdeckt sie durch Zufall ein altes Tagebuch mit Brief an einen gewissen Hannes. Es sind die Aufzeichnungen von Luise, der Tochter eines jüdischen Kaufmanns aus Lüneburg, die 1936 den Isländer Jonas kennen lernte. Sofie beginnt zu lesen und ist sofort gefesselt von der Geschichte. Immer tiefer taucht sie ein in das Leben von Luise …

Die Autorin Karin Baldvinsson wurde 1979 in Erlenbach/Main geboren. Während ihrer mehrjährigen Tätigkeit für eine isländische Firma lernte sie ihren Ehemann, die Kultur und die Sprache Islands kennen. Inzwischen ist sie eine erfolgreiche Schriftstellerin und schrieb schon mehrere Romane über die raue Insel im hohen Norden, die ihr zur zweiten Heimat geworden ist. Heute lebt sie mit ihrem Ehemann, zwei Kindern und einem Hund in der Lüneburger Heide.

Zwei Erzählstränge bilden die Grundlage des Romans „Das Mädchen im Nordwind“. Kapitelweise abwechselnd erfahren wir über die Ereignisse im Leben der beiden Protagonistinnen, von Luise und ihrer Familie ab 1936, als bereits die ersten Repressalien gegen Juden zu erkennen waren, und von Sofie 2019, ab ihrer Ankunft in Island. Mit viel Einfühlungsvermögen und sehr unterhaltsam lässt uns die Autorin am Leben der beiden teilhaben, wobei die Zeit kurz vor und bei Beginn des 1. Weltkriegs die emotionalere und aufregendere ist, während die Jetztzeit eher als entspannend und zur Beruhigung einzustufen ist, obwohl auch Sofie, die sich in einen Isländer verliebt, Aufregungen und Enttäuschungen nicht erspart bleiben.

Der Schreibstil ist, wie auch in den anderen Island-Büchern der Autorin, schön komponiert und angenehm flüssig zu lesen. Als Leser lernt man die Lebensweise und besonderen Eigenheiten der Isländer kennen und bekommt auch einen guten Eindruck über die dortigen Wetterverhältnisse. Sehr nachdenklich stimmt das Schicksal jüdischer Familien während der Naziherrschaft. Auch wenn schon viel darüber geschrieben wurde hat es die Autorin doch geschafft, die schlimme Zeit wieder lebendig werden zu lassen. Sämtliche Charaktere, ob von damals oder von heute, wirken in ihren Handlungen und zwischenmenschlichen Beziehungen authentisch und sehr lebensecht. Man leidet mit ihnen, man kann sich mit ihnen freuen und manchmal sogar über sie schmunzeln.

Fazit: Eine Geschichte mit vielen Facetten, berührend und spannend – ein Buch, das mich sofort in seinen Bann gezogen hat.

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