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Veröffentlicht am 27.09.2021

Ein lustiges und spannendes Abenteuer

Eine monstermäßig nette Familie
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Inhalt: Bei den Löckerlings überschlagen sich momentan die Ereignisse: Jonna und Luis bekommen ein neues Geschwisterchen. Zeitgleich ziehen neue Nachbarn in das Haus neben den Löckerlings ein. Die neuen ...

Inhalt: Bei den Löckerlings überschlagen sich momentan die Ereignisse: Jonna und Luis bekommen ein neues Geschwisterchen. Zeitgleich ziehen neue Nachbarn in das Haus neben den Löckerlings ein. Die neuen Nachbarn sind ganz schön merkwürdig: Sie baden in Schlamm, sind nachtaktiv und manchmal flimmern sie irgendwie. Aber damit nicht genug. Ida, das Geschwisterchen von Jonna und Luis, hat plötzlich Wachstumsschübe, ihr wachsen kleine, spitze Zähne und für ein Neugeborenes ist sie sehr stark. Jonna und Luis ahnen, dass da etwas nicht stimmen kann…

Persönliche Meinung: „Eine monstermäßig nette Familie“ ist ein Kinderbuch von Maike Harel. Die Handlung dreht sich um die merkwürdigen Ereignisse, die Jonna, aus deren Perspektive die Handlung erzählt wird, und ihr kleiner Bruder Luis mit den neuen Nachbarn und mit ihrer Schwester Ida erleben. Dabei ist die Handlung sowohl lustig als auch spannend. Immer wieder kommt es zu witzigen Szenen, in denen auch Situationskomik eine große Rolle spielt, sodass man mehrmals schmunzeln und lachen muss. Besonders Luis, der noch einen eher kindlich-naiven Blick auf die Welt besitzt, sorgt mit seinen ulkigen Kommentaren für komische Szenen. Aber auch Baby Ida hat einige Slapstick-Einlagen auf Lager. Spannung wird besonders durch das Geheimnis erzeugt, dass die Familie Unfug, die neuen Nachbarn, umgibt. Zusätzliche Spannung kommt durch das plötzliche Auftreten eines dubiosen Journalisten, der die Löckerlings nicht in Ruhe lässt, und durch das seltsame Verhalten von Baby Ida, das sich keiner so wirklich erklären kann, in die Handlung. Dadurch zieht sich insgesamt ein schöner Spannungsbogen durch „Eine monstermäßig nette Familie“, sodass man das Buch schwer beiseitelegen kann. Die Auflösung dieser rätselhaften Ereignisse ist dabei überraschend und stimmig. Außerdem beinhaltet die Auflösung eine schöne Botschaft, die ich aber hier nicht verraten möchte. Der flüssige Erzählstil ist genauso wie Wortwahl und Satzbau super an die Zielgruppe (ab 9 Jahre) angepasst. Abgerundet wird das Kinderbuch durch mehrere Schwarz-weiß-Illustrationen von Betina Gotzen-Beek. Insgesamt ist „Eine monstermäßig nette Familie“ ein lustiges und spannendes Abenteuer für kleine und große Kinder.

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Veröffentlicht am 19.09.2021

Ein anschaulicher Ratgeberroman für einen sensibleren Umgang in Beziehungen

Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich
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Inhalt: Seit Ewigkeiten haben die Ich-Erzählerin und Chris, ihr Ehemann, keinen Urlaub mehr ganz ohne Kinder, nur für sich, gemacht. Das soll sich nun ändern. Die beiden fahren für ein paar Tage in eine ...

Inhalt: Seit Ewigkeiten haben die Ich-Erzählerin und Chris, ihr Ehemann, keinen Urlaub mehr ganz ohne Kinder, nur für sich, gemacht. Das soll sich nun ändern. Die beiden fahren für ein paar Tage in eine einsame Berghütte. Für die Ich-Erzählerin ist es ein wichtiger Urlaub: Sie hat das Gefühl, die Luft sei aus der Beziehung raus, man lebe im Alltagstrott nur noch aneinander vorbei. Der Urlaub soll dahingehend ein Neuanfang werden. Doch gleich zu Beginn kommt es zu einem Streit zwischen der Ich-Erzählerin und ihrem Mann. Wütend und enttäuscht verlässt sie die Hütte und begibt sich auf eine Wanderung. Dabei trifft sie einen alten Mann, der ihr hilft, die Beziehung zu ihrem Ehemann besser verstehen zu können.

Persönliche Meinung: „Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich“ ist ein Ratgeberroman von Tessa Randau. Erzählt wird der Roman aus der Ich-Perspektive der namenlosen Frau. Der Roman rekurriert auf verschiedene psychologische Modelle, die in die Handlung eingebettet sind und lebensnah – an konkreten Situationen geknüpft – veranschaulicht werden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Zu Beginn des Romans spielt besonders das „Vier-Ohren“-Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun eine Rolle. Dieses wird in dem Streit des Ehepaars sehr greifbar, der sich um die Planung des Urlaubs dreht (sie möchte wandern, er mountainbiken). Für die Ich-Erzählerin ist der Urlaub nicht einfach nur ein Urlaub, sondern immens wichtig für das Fortbestehen der Beziehung – was sie Chris, ihrem Mann, aber nicht deutlich artikuliert. Dieser erkennt den Umstand nicht von selbst, fragt aber auch nicht genauer nach, warum seine Frau so aufgebracht ist, sodass beide in festgefahrene Kommunikationsmuster fallen, aneinander vorbeireden und der Streit eskaliert. Letztlich hören beiden mit unterschiedlichen Ohren, was die Lage verkompliziert. Den Part des Ratgebers in Sachen „Beziehung“ übernimmt der alte Mann, den die Ich-Erzählerin trifft. Seine Ehe kriselte auch einmal, er konnte sie aber retten und gibt der Ich-Erzählerin nun Denkanstöße, wie sie eine größere Sensibilität für ihre Beziehung aufbauen kann. Diese Ratschläge bzw. Denkanstöße richten sich zugleich an die Leserinnen. Dabei werden sie nicht mit erhobenem Zeigefinger vorgetragen, sondern anschaulich auf Augenhöhe diskutiert, wodurch man die Ratschläge beim Lesen besser durchdenken bzw. reflektieren kann. Auch übt das Buch keinerlei Druck bzw. Umsetzungszwang der Ratschläge aus: Was die Leserinnen mit den Ratschlägen machen – ob sie sie nutzen oder nicht –, bleibt ihnen überlassen. Somit fühlt man sich während der Lektüre weder belehrt noch genötigt. Jeder Leserin ist frei, sich die passenden Ratschläge für die jeweilige, individuelle Beziehungssituation herauszusuchen. Außerdem ist wichtig festzuhalten, dass „Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich“ – auch wenn er aus der Perspektive einer weiblichen Figur erzählt wird – nicht ausschließlich ein Ratgeber für Frauen ist. Die Ratschläge, die der Roman beherbergt, sind universell und geschlechterübergreifend relevant. Insgesamt ist „Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich“ ein schön geschriebener Ratgeber-Roman, der Überlegungen zu Beziehung und Liebe anschaulich thematisiert und dadurch Denkanstöße für die eigene Beziehung geben kann.

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Veröffentlicht am 18.09.2021

Eine spannende Horrornovelle mit einem "hard boiled"-Setting

In der Haut des Wolfes
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Inhalt: Chicago, Ende der 1980er Jahre. Eine Reihe bestialischer Morde ereignet sich in der Stadt. Die Opfer sind grausig entstellt, scheinbar von einem wilden Tier angefallen worden. Als die Freundin ...

Inhalt: Chicago, Ende der 1980er Jahre. Eine Reihe bestialischer Morde ereignet sich in der Stadt. Die Opfer sind grausig entstellt, scheinbar von einem wilden Tier angefallen worden. Als die Freundin von Willie ebenfalls tot aufgefunden wird, wendet sich dieser an die befreundete Privatdetektivin Randi mit der Bitte, den Fall aufzuklären. Randi fühlt sich sofort 20 Jahre in die Vergangenheit versetzt: Ihr Vater, ein Polizist, starb unter mysteriösen Umständen. Auch er wurde – scheinbar – von einem Tier getötet. Hängen die aktuellen Mordfälle mit dem Tod von Randis Vater zusammen? Handelt es sich um das gleiche Tier? Oder steckt noch viel mehr dahinter?

Persönliche Meinung: „In der Haut des Wolfes“ ist eine Horrornovelle von George R. R. Martin. Sie erschien zuerst 1989 in der Anthologie „Nightvisions“; 2014 wurde die Novelle vom Festa Verlag neu aufgelegt. Erzählt wird die Novelle wechselweise aus den Perspektiven von Randi und Willie, die beide Tendenzen eines hard boiled-Detectives besitzen. Randi, die genretypische Privatdetektivin, schreckt nicht vor unorthodoxen Methoden zurück und versucht sich in einem von Männern dominierten Berufsfeld durchzuschlagen. Auch der von Asthma geplagte Willie nutzt eher abweichende Ermittlungsmethoden (Zwar ist er nominell nicht die primäre Ermittlerfigur, allerdings ermittelt er auf eigene Faust parallel zu Randi, da er ein Geheimnis vor ihr bewahren möchte). Gleichzeitig hat er oft einen sexuell aufgeladenen Spruch auf den Lippen, verbrennt sich damit aber immer wieder – zumindest bei Randi – die Finger. Auch der Handlungsort, das Chicago „In der Haut des Wolfes“, ist „hard boiled“. Es wirkt menschenleer, Gebäude sind verlassen oder zweckentfremdet, sogar in den Selbstbedienungsrestaurants huschen nur Schatten umher, alles scheint farblos, Ton-in-Ton, sodass eine bedrückende Atmosphäre entsteht. Außerdem erhält der Handlungsort – trotz der Kürze der Novelle – eine kleine, zur Handlung passende Hintergrundgeschichte, was mir sehr gut gefallen hat. „In der Haut des Wolfes“ geht aber über die Grenzen der „hard boiled“-Literatur hinaus. Kern der Novelle ist eine Horrorgeschichte, in deren Fokus Werwölfe stehen, die hier nicht nach Fantasymustern funktionieren, sondern hauptsächlich als blutrünstige, wilde Bestien auftreten. Die Handlung selbst ist komplexer als man zunächst vermutet, mehrfach kommt es zu überraschenden Wendungen und auch die Frage nach dem Täter gestaltet sich schwieriger als gedacht, was auch mit den Hauch Mystery, der später durch die Handlung schwebt, zusammenhängt. Martins Erzählstil ist „In der Haut des Wolfes“ reduzierter, ungeschönter und weniger ausschmückend als bei „Game of Thrones“, was sehr gut zum hard boiled-Setting passt. Abgerundet wird die Festa-Ausgabe mit 16 Illustrationen von Timo Wuerz, die die Atmosphäre der Novelle sehr gut einfangen, und einem Nachwort von Christian Enders, das sich überblicksartig mit dem Leben George R. R. Martins beschäftigt. Insgesamt ist „In der Haut des Wolfes“ eine spannende hard boiled-Horrornovelle, die die Werwolf-Thematik aus einem interessanten alternativen Blickwinkel betrachtet und atmosphärisch dicht erzählt wird.

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Veröffentlicht am 09.09.2021

Ein packender Thriller über eine toxische Beziehung

SCHWEIG!
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Inhalt: Der Tag vor Heiligabend. Esther ist auf dem Weg zu ihrer Schwester Sue, die einsam in einer Villa im Wald lebt. Eigentlich will Esther diesen Besuch gar nicht machen. Weil, so Esthers Überzeugung, ...

Inhalt: Der Tag vor Heiligabend. Esther ist auf dem Weg zu ihrer Schwester Sue, die einsam in einer Villa im Wald lebt. Eigentlich will Esther diesen Besuch gar nicht machen. Weil, so Esthers Überzeugung, ihre Schwester nicht ganz normal ist. Aber es ist Weihnachten, und deshalb führt kein Weg an dem Besuch vorbei. Und als hätte Esthers es nicht schon geahnt, beginnt der Besuch wenig vielversprechend: Eine verwirrt dreinblickende Sue öffnet ihr die Tür – bewaffnet mit einem Küchenmesser…

Persönliche Meinung: „SCHWEIG!“ ist ein Psychothriller von Judith Merchant. Die Ausgangslage des Thrillers ist vergleichsweise simpel: Zwei Schwestern, die Probleme miteinander haben, treffen aufeinander, sodass sich ein schneidendes Gespräch zwischen den beiden entspinnt. Doch was Judith Merchant aus dieser an ein Kammerspiel erinnernden Ausgangslage macht, ist wirklich grandios. Über die Handlung (und das Gespräch) hinweg entfaltet sich eine hochgradig toxische Schwesternbeziehung, die von Manipulation, Missgunst und Übergriffigkeit geprägt ist. Das Gespräch der beiden wird wechselweise aus den Perspektiven der Schwestern erzählt, wobei ihre unterschiedlichen Gefühle schön deutlich werden. Interessant ist dabei, wie verschieden die Schwestern einzelne Dinge wahrnehmen. Was die eine Schwester als Fürsorge versteht, sieht die andere als übergriffigen Akt. Ein Besuch wird zu einer feindlichen Übernahme; ein zurückgezogenes, ruhiges Leben zu einem Anzeichen tiefster Depression. Dabei – und dadurch entsteht eine große Spannung – weiß man als Leser*in gar nicht so genau, welche Schwester im Recht steht (und welche im Unrecht). Dies hängt vor allem damit zusammen, dass eine übergeordnete, ordnende und damit zuverlässige Erzählinstanz bewusst weggelassen wird. Denn der Thriller wird aus den Ich-Perspektiven der beiden Schwestern erzählt (im Laufe der Handlung kommt noch eine dritte Perspektive hinzu, deren Identität ich aber nicht spoilern möchte) und beide sind – bewusst oder unbewusst – unzuverlässig. Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Wahn verschwimmt dadurch: Man kann nicht wirklich festhalten, welche Schwester sie mit welcher Äußerung übertritt. Erst durch Rückblicke, die immer wieder in die Handlung eingestreut werden, offenbart sich, welche Schwester die zuverlässigere ist. Außerdem finden sich in diesen Rückblicken, die besonders die Kindheit und das Weihnachtsfest des vergangenen Jahres behandeln, immer wieder Mosaiksteinchen, die nach und nach ein vollständiges Bild der Schwesternbeziehung ergeben. Das Ende des Thrillers ist schlüssig und stimmig, insgesamt wirklichkeitsnaher als andere Thriller aber gerade dadurch auch erschreckender und nachhallender. Wie schon die früheren Krimis und Thriller von Judith Merchant besitzt auch „SCHWEIG!“ lebendige Dialoge, sodass es sich flüssig lesen lässt und zu einem Pageturner wird. Insgesamt ist „SCHWEIG!“ ein spannender, gut durchdachter Thriller über eine hochgradig toxische Beziehung mit zwei Erzählerinnen, die kaum unzuverlässiger sein könnten.

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Veröffentlicht am 22.08.2021

Ein vielschichtiger Roman, der Sittengemälde und Coming of Age zugleich ist

Dorfroman
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Inhalt: Hülkendonck am Niederrhein in den 1970er Jahren. In der Nähe des Dorfes soll ein Kernreaktor neuen Typs gebaut werden: ein sogenannter Schneller Brüter. Das Projekt ist umstritten – sowohl innerhalb ...

Inhalt: Hülkendonck am Niederrhein in den 1970er Jahren. In der Nähe des Dorfes soll ein Kernreaktor neuen Typs gebaut werden: ein sogenannter Schneller Brüter. Das Projekt ist umstritten – sowohl innerhalb als auch außerhalb des Dorfes; es beginnt, die Dorfgemeinschaft zu spalten. Während sich die einen Arbeitsplätze und eine Modernisierung des Ortskerns erhoffen, sorgen sich die anderen vor unkalkulierbaren Folgen für Natur und Mensch – mittendrin der Ich-Erzähler, der im Schatten der Brüter-Baustelle aufwächst.

Zum Hintergrund der Handlung: „Dorfroman“ von Christoph Peters ist ein Gegenwartsroman, der sich mit dem Bau des Kernkraftwerks Kalkar am Niederrhein auseinandersetzt. Der „Schnelle Brüter“ wurde zwischen 1973 und 1985 gebaut, ist aber nie in Betrieb gegangen. Seit Ende der 1970er Jahre kam es verstärkt zu Protesten und Kundgebungen gegen das Kernkraftwerk, sodass sich Fertigstellung und Inbetriebnahme immer weiter hinauszögerten. Letztlich distanzierte sich auch die Landesregierung immer weiter von dem Projekt (u.a. aufgrund der Proteste und der Katastrophe von Tschernobyl), sodass es 1991 stillgelegt wurde. Kurze Zeit später kaufte ein Unternehmer das Areal und richtete dort einen Freizeitpark ein (deshalb das alpine Panorama auf dem Kühlturm).

Persönliche Meinung: Hülkendonck, das Dorf, in dem „Dorfroman“ von Christoph Peters spielt, ist fiktiv, doch sein reales Vorbild lässt sich mithilfe des zeitgeschichtlichen Kontextes leicht identifizieren: Hinter Hülkendonck verbirgt sich Hönnepel, ein Ortsteil von Kalkar, in dessen Nähe das Kernkraftwerk gebaut wurde. Es ist zugleich der Ort, in dem Peters aufwuchs, weshalb sich auch autobiographische Züge in „Dorfroman“ finden. Erzählt wird der Roman von einem namenlosen Ich-Erzähler auf drei Zeitebenen, die miteinander verschränkt sind. Eine Zeitebene spielt in Hülkendonck in den 1970er Jahre; der Ich-Erzähler ist im Grundschulalter, der Bau des Schnellen Brüters beginnt. Peters zeichnet mit dieser Zeitebene ein treffendes und detailliertes Sittengemälde des dörflichen Mikrokosmos am Niederrhein. Die Großstadt ist weit entfernt, man ist bäuerlich geprägt, katholisch und konservativ. Sonntags geht’s in die Kirche, danach – für die Männer – zum Frühschoppen in die Kneipe. Neuem steht man erstmal skeptisch gegenüber. Denn: Es durchbricht den gewohnten Gang der Dinge, der sich über Generationen hinweg eingespielt hat. In diesem Milieu entfaltet sich der Konflikt um das Kernkraftwerk. Der Vater des Ich-Erzählers setzt sich für das Kraftwerk ein, dementsprechend glaubt auch der kindliche Ich-Erzähler, es sei richtig und wichtig, dass es gebaut wird. Die zweite Zeitebene spielt Ende der 1970er/Anfang der 1980er-Jahre. Die Protestaktionen gegen das Kraftwerk nehmen zu, der Riss durch das Dorf hat sich manifestiert. Der Ich-Erzähler ist mittlerweile 16 Jahre alt. Dieser Zeitabschnitt ist geprägt von einer schönen Coming-of-Age-Handlung. Der Ich-Erzähler verliebt sich in eine Protestierende, die sich mit anderen Protestierenden im Melkstall eines Bauern einquartiert hat und von dort aus Kundgebungen gegen den Schnellen Brüter plant (der reale Melkstall steht übrigens noch, verfällt aber immer mehr). Es kommt zu einem Generationenkonflikt: Der Ich-Erzähler beginnt zu hinterfragen, ob die Ansichten seines Vaters richtig sind, dieser sorgt sich vor einer Radikalisierung seines Sohnes, wodurch die Handlung spannungsgeladen wird. Im dritten Handlungsstrang, der in der Gegenwart spielt, haben sich die Problemfelder des Ich-Erzählers verlagert. Das Kernkraftwerk ist (mehr oder weniger) Geschichte, der Freizeitpark hat das Areal bezogen. Der Ich-Erzähler, mittlerweile in Berlin wohnhaft, besucht seine Eltern in Hülkendonck. Einfühlsam beschreibt Peters, wie der Ich-Erzähler den physischen und psychischen Verfall seiner Eltern beobachtet und sich fragt, wie es mit ihnen weitergehen soll. Das Kraftwerk rückt an die Peripherie. Peters Schreibstil ist in „Dorfroman“ eher schlicht, wenig ausschmückend aber mit deutlichen Worten und flüssig zu lesen, weshalb der Roman an Realitätsnähe gewinnt. Insgesamt ist „Dorfroman“ ein vielschichtiger Roman, der zwischen Coming-of-Age und Sittengemälde des Niederrheins changiert, dabei aber zugleich von dem Erwachen des ökologischen Bewusstseins der Bundesrepublik erzählt.

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