interessant, aber zwiespältig
Ich hatte mich schon vor langem in dieses wunderschöne Cover verliebt und freute mich nun sehr darauf, diesen als genial angepriesenen Roman endlich auch zu lesen.
Etwas unglücklich, wenn nicht gar aufdringlich, ...
Ich hatte mich schon vor langem in dieses wunderschöne Cover verliebt und freute mich nun sehr darauf, diesen als genial angepriesenen Roman endlich auch zu lesen.
Etwas unglücklich, wenn nicht gar aufdringlich, finde ich aber direkt schon den Anfang. Da steht also Charlie Chaplin mit dem Knie in der Tür des Aufenthaltsortes Churchils und brüllt: "Winston, Winston, ich bin es, Charlie. ...". Kann es eine plattere Einführung der beiden großen Männer geben? Zu deutsch: der Autor muss im Folgenden ganz schon punkten, wenn er mich noch kriegen will.
Dann geht es aber erst einmal um den Vater des Romanerzählers. Weil er das wichtige Verbindungsglied ist, durch das uns die geheimen Informationen über die ungewöhnliche Freundschaft zugetragen werden. Welche Rolle er dabei aber ganz genau spielt, soll der geneigte Leser erst gegen Ende erfahren, ein häufig verwendeter Erzählkniff, der mich hier allerdings gewaltig nervt.
Noch bevor ich richtig in der Erzählung Fuß fassen kann, erfahre ich, dass (der fiktive) Chaplin und (der fiktive) Churchill sich immer wieder treffen werden, um sich ausschließlich über das Thema Freitod zu unterhalten und um sich gegenseitig genau von diesem abzuhalten. Spoilere ich etwa, wenn ich das hier schreibe? Ich würde eher sagen, es ist der Autor selbst, der seinen eigenen Roman verspoilert, indem er mir die Informationen auf diese unattraktiive Weise bereits auf Seite zwanzig ins Gesicht klatscht. Oder ist das auch nur wieder so ein genialer Autorenkniff?
Aber dann wird es besser. Und faszinierender. Und irgendwie echter. Und wenn geschildert wird, wie (der fiktive) Chaplin, tief enttäuscht von der plötzlichen Ich-Bezogenheit seines Gegenübers, diesen allmählich wieder schätzen lernt, indem er dessen Kommunikation mit seiner Tochter beobachtet, dann lerne auch ich allmählich den Autor schätzen. Schreiben kann er. Und hat zudem ein unglaublich feines Gespür für komplizierte menschliche Befindlichkeiten. Vielleicht lohnt es ja doch noch, das Buch zu Ende zu lesen.
Der Roman versucht, beim Leser die Illusion einer sauber recherchierten Dokumentation zu erzeugen. Ich finde dieses Vorgehen in Bezug auf zwei reale historische Personen problematisch, ja manipulativ, bringt es doch die Gefahr mit sich, dass in meinem Bewusstsein persönliche Phantasievorstellungen des Autors als fixe Vorurteile hängen bleiben. Ich bekomme lauter biographische Informationen und weiß nicht, welchen ich trauen darf und welchen nicht. Haben sich Chaplin und Churchill überhaupt gekannt? Wenn ja, wie tief ging dieser Kontakt wirklich? Glücklicherweise fand ich ein paar Ideen des Autors so abwegig, dass es mir nicht schwerfiel, beim Lesen Distanz zu bewahren.
Und dann habe ich doch noch angefangen, das Buch gern zu lesen. Auch wenn mir nach wie vor die Fußnoten fehlten, Auskunft gebend, ob dieser oder jener Teil der Geschichte auf Fakten beruht oder auf Erfindung. Der Autor setzt offenbar voraus, dass der erlauchte Leser sowohl mit der Biographie Chaplins wie auch mit der Churchills aufs Trefflichste vertraut ist. Zumal die (Schein-)Doppel-Biographie immer mehr ausufert. Handelte es sich wirklich um die Biographie der beiden Berühmtheiten, dann würde ich nun wahrscheinlich fasziniert und geduldig an den Lettern kleben - so aber habe ich es mit einer genialen Fälschung zu tun und weiß doch nicht sicher, welcher Teil echt ist und welcher nicht; das ist auf Dauer zermürbend. Und wenn zum Beispiel Churchills schriftstellerisches Werk über seinen Urahnen John Churchill aufs Genaueste analysiert wird, dann fragt man sich schon, warum in aller Welt schreibt Herr Köhlmeier einen Roman und keine Biographie? Vielleicht ist eine Antwort am ehesten in seinen eigenen Worten zu finden:
"Sir Winston, schreibt [William Knott] in einem Brief, hätte es gefallen, wenn sein Buch als Roman bezeichnet worden wäre - allerdings, fügt er hinzu, hätte ihm vorher erst einer erklären müssen, welche Erweiterung der Begriff Roman im 20. Jahrhundert erfahren habe." Aha, so liest sich also die Rechtfertigung für einen geschickten Betrug am Leser.
Der Schillersche Abschluss des insgesamt sehr gewagten Kapitels über Churchill und Hitler gerät leider so platt, dass ich glaube, im falschen Film zu sein. Dann landen wir ganz unvermutet bei Adorno und seiner bierernsten "Theorie des Komischen"... und schließlich beim "Großen Diktator". Da wird es wieder höchst spannend, und ich nehme mir vor, unbedingt diesen Film noch einmal anzuschauen und zudem möglichst zeitnah eine richtige Chaplin-Biographie zu lesen, damit ich der ganzen weißen Fiktion-oder-nicht-Flecken in meinem Hirn Herr werde.
Immerhin also schafft es das Buch, mich neugierig zu machen, sowohl auf den realen Chaplin wie auch auf den realen Churchill. Nicht durchgehend konnte mich der Autor überzeugen - und das ist ein Glück, denn wie ich schon schrieb, erfüllt mich die manipulative Schreibart eines Autors, der begeistert Wohlrecherchiertes und eigene Phantasie mischt, mit Skepsis. Oft verzettelt er sich in biographischen Windungen, und die Beziehung der beiden Giganten Chaplin und Churchill zueinander tritt zu lange in den Hintergrund. Dabei gibt es eine Menge schöner, überraschender Stellen. Wenn sich der Autor nicht gerade in irgendwelchen biographischen Details verheddert, ist sein Erzählstil flüssig, neugierig machend, raffiniert. Und sogar der plakative Anfang macht, aus der Entfernung betrachtet, Sinn. Trotzdem frage ich mich, ob der Autor, Gideon-gleich, mit der an sich unsinnigen Methode eines banalen Anfangs den Leserkreis auf eine kleine Elite der ganz Harten reduzieren wollte... und bin fast ein bisschen stolz, am Ende nicht zu den Abgeschüttelten zu gehören.
Insgesamt ein interessantes, aber zwiespältiges Lesevergnügen.