„Warum die Hölle im Jenseits suchen? Sie ist schon im Diesseits vorhanden. Im Herzen der Bösen“
Dieses Zitat des Schweizer Schriftstellers, Philosophen, Pädagogen und Naturforschers Jean-Jacques Rousseau stellt der Autor Stephan Haas seinem Kriminalroman „Tod im Hohen Venn“ voraus – und, wie man während der umfangreichen Lektüre feststellen kann, es könnte nicht passender sein! In der Tat stockt einem der Atem während der langsamen Enthüllung eines perfiden Verbrechens, mit der Kommissar Piet Donker und seine Kollegen betraut sind, bei dessen Aufklärung Eile geboten ist, um die Opfer einer Entführung, Tom Keyzer, seine Frau Grit und den gemeinsamen Sohn Paul, zu finden, bevor es zu spät ist.
Die gesamte Handlung, die der Autor ersonnen hat, spielt sich in einem Zeitraum von kaum zwei Tagen ab, obwohl dem Leser diese Zeit viel länger erscheint, so viel, wie da geschieht und peu a peu dank der fieberhaften Nachforschungen und dem, was sie an Unfassbarem zu Tage bringt, vielmehr aber noch dank einiger glücklicher Zufälle, schließlich aufgelöst, besser noch enthüllt wird. Spannend ist der Krimi von Anfang an – und hätte eine neutrale, nicht genannte Person die Rolle des Erzählers eingenommen, hätte es also einen auktorialen Erzähler gegeben anstatt des belgischen Kommissars höchstselbst, hätte er noch spannender, noch zügiger und letztend viel gestraffter sein können. Viele Längen weist der Roman nämlich auch auf, die vor allem der Tatsache geschuldet sind, dass der ausschweifende und detailverliebte Piet Donker eine Unzahl von persönlichen Wahrnehmungen einfließen lässt, die vom Wesentlichen ablenken und, wie man feststellen wird, mit dem Entführungsfall selbst und seinen Hintergründen allesamt rein gar nichts zu tun haben.
Fast das gesamte Geschehen – fast, denn da gibt es noch zwei weitere Perspektiven, die hier allerdings ausgespart werden müssen, um dem potentiellen Leser nicht zuviel zu verraten – wird aus der Sicht des Kommissars erzählt, wir blicken mit seinen Augen auf das, was an den beiden Tagen hektischer Spurensuche geschieht, was natürlich jeglicher Objektivität entbehrt, sehen nur das von den handelnden Personen, was Donker wahrnimmt, was ihm wichtig ist zu erwähnen – und für mich doch zum Großteil Trivialitäten sind. Dass beispielsweise Kollege Jacky leidenschaftlicher Teetrinker und -kenner ist, das belebende Getränk pausenlos zubereitet, es mit Honig versetzt und dann mit Genuss schlürft, muss nicht ein ums andere Mal hervorgehoben werden, um es zu kapieren. Die honigverklebte Schranktür, hinter der Donker hofft, ein paar Krümel Kaffee zu finden, ist uninteressant, genauso wie die ebenfalls klebende Farbe in der derzeit renovierten und somit eigentlich nicht benutzbaren Polizeiwache, mit der die Ermittler nicht nur einmal in unliebsamen Kontakt kommen. Diese Informationen sorgen für Leerlauf, ihr Weglassen hätte dem Krimi gutgetan.
Dies gilt gleichermaßen für die Personenbeschreibungen, die Donker mit uns teilt und von denen mir vor allem die immer kleinen Augen der Menschen, mit denen er es zu tun hat, im Gedächtnis geblieben sind, sowie die dünnen Haare, die nicht recht kämmbar sind und die stets nach hinten fallen (wie geht denn das?), und die bei den männlichen Charakteren in der Regel um einen Mittelscheitel angeordnet sind. Diese Beschreibungen erweckten in mir den – sicherlich falschen – Eindruck, dass besagte, fortwährend herausgestellten Merkmale typisch sein müssen für die Bürger Belgiens...
Obendrein bringt sich der Kommissar Donker durch die mit dem Leser geteilten subjektiven Eindrücke dessen, was er sieht, in den Mittelpunkt der Handlung – eine Stellung, in der ich einen Ermittler in einem guten Kriminalroman, wie ich ihn definiere, nicht sehen möchte, womit ich sicher nicht für die Mehrzahl der Leser sprechen kann. Dieser Platz steht den jeweiligen Fällen zu, die zu lösen sind, den Opfern und den Verdächtigen, die nicht dadurch mehr oder weniger verdächtig werden, indem man über ihre Marotten, über die Beschaffenheit ihrer Augen und Haare oder gar Fingernägel aufgeklärt wird. Das betrachte ich als überflüssiges Füllmaterial!
Ja, einschätzen können möchte ich die jeweiligen Detektive, Kommissare, Ermittler von eigenen Gnaden schon, auch verstehen, warum sie so sind und nicht anders, was sie antreibt, wie sie vorgehen. Das kann jedoch subtiler erreicht serden als mit der hier vorherrschenden Holzhammermethode, die letztlich nur zu Unverständnis des sich selbst ins Zentrum stellenden belgischen Kommissars geführt hat.
Als Getriebener stellt er sich dar, als jemand, der auf der Suche nach Gerechtigkeit ist, der am liebsten ganz alleine die bösen Buben und Mädchen, denen er habhaft wird, aus dem Verkehr ziehen möchte. Dies tut er mit einer Besessenheit, die der des freilich auf der anderen Seite stehenden Mörders oder der Mörderin dieses Romans in nichts nachsteht. Dafür riskiert er die Entfremdung von seiner Tochter, die er – wir erfahren es schon frühzeitig und werden dann stets aufs Neue daran erinnert – mit unschöner Regelmäßigkeit versetzt, was auch für seine langmütige Lebensgefährtin Sina gilt, die er immer wieder vertröstet mit dem Versprechen, sein Leben umkrempeln zu wollen.
Herrscht Personalknappheit bei der belgischen Polizei, so frage ich mich? Ist es nicht unverantwortlich, drei Polizisten 40 Stunden am Stück arbeiten zu lassen, ohne für Wachwechsel zu sorgen? Piet Donker und seine Kollegen sind infolge Schlafmangels – auch dieser wird breitgewalzt und es tut beinahe weh, Donkers Anstrengungen zu verfolgen, seiner überwältigenden Müdigkeit Herr zu werden - kaum noch einsatzfähig. Wie sollen sie dann einen so dringenden Fall lösen können? Alldieweil der arbeitssüchtige Donker nur durch Zufall auf die Entführung gestoßen ist, denn im Dienst war er nicht und in seinen Zuständigkeitsbereich fiel das Verbrechen auch nicht, soweit ich das verstanden habe...
Wie dem auch immer sei – abgesehen von der Figur des Piet Donker fand ich den Krimi enorm spannend, die Auflösung, die sich wirklich erst ganz am Schluss vollzog, sehr überraschend, aber nachvollziehbar, vorstellbar, logisch, nicht aus der Luft gegriffen, tief berührend. Und so banal wie schrecklich! Wäre der Kommissar nicht so weitschweifig und zunehmend erschöpft gewesen, hätte er seine Energie durch die Ermittlungen hindurch nicht darauf verschwendet, von einem Verdächtigen zum nächsten zu springen, immerzu der Meinung, dass jeweils diejenige Person, die gerade in sein Blickfeld geraten war, etwas zu verbergen hatte und auf jeden Fall der Täter sein musste, und hätte schlussendlich der Titel gehalten, was er versprochen hatte, beziehungsweise, was ich hineininterpretiert und mir davon erhofft hatte, dass nämlich das Hohe Venn eine echte Rolle spielen würde in dem Roman und nicht nur Staffage ist – es hätte so viel mehr hergeben können, wäre es in seiner Düsternis und Unwirtlichkeit als eigentliche Kulisse der Handlung aufgebaut worden -, dann wäre dieser Krimi einfach perfekt gewesen!