Innenansichten aus Rußland
Anja Romanowa muss für 10 Tage in den Arrest in Moskau, weil sie bei einer Demonstration gegen Korruption festgenommen wurde. Ihre Zelle teilt sie mit 5 anderen Frauen, die nicht verschiedener sein könnten. ...
Anja Romanowa muss für 10 Tage in den Arrest in Moskau, weil sie bei einer Demonstration gegen Korruption festgenommen wurde. Ihre Zelle teilt sie mit 5 anderen Frauen, die nicht verschiedener sein könnten. Da ist die blonde Schönheit, die sich ihren Lebensunterhalt durch Geschenke reicher Männer verdient; da gibt es eine alkohol- und drogensüchtige mit „echter“ Gefängniserfahrung; eine Frau, die bereits mit Mitte 20 in dritter Ehe verheiratet ist und deren weiter Mann starb. Sie alle haben eines gemeinsam: ihre Vergehen waren Kleinigkeiten und es war eher Willkür als Gesetz, was sie in der Zelle zusammenführt. Und da sind die Wächter: der gutmütige ältere, die junge unsichere und die ganz harte, der es Spaß macht, die Insassen zu schikanieren. Hier breitet sich die dunkle Seite Russlands in ihrer vollen Größe aus. Und für Anja ist es gleichsam eine Art Psychotherapie, findet sie doch hier im Gefängnis die Zeit und die Kraft, das schwierige Verhältnis zu ihrem Vater neu zu beleuchten und mit einer langjährigen Dreiecks-Liebesbeziehung abzuschließen.
DAFUQ malt ein sehr eindrucksvolles Bild von Russland und seinen Menschen: mal zart und liebevoll, dann wieder hart und abstoßend, ein Land voller unterschiedlicher Landstriche und ebenso unterschiedlicher Charaktere, voller Korruption und Machtwillen. Und Kira Jarmysch weiß, wovon sie schreibt, war sie doch selbst Pressesprecherin des prominenten Oppositionsführers Alexej Nawalny und war selber mehrfach im Gefängnis. Die Charaktere hätten für meinen Geschmack ein wenig mehr Tiefe verdient und auch die politischen Verhältnisse hätten etwas mehr unter die Lupe genommen werden können, daher ein Punktabzug.
Mein Fazit: junge Frauenliteratur aus Russland: liebevoll, hart, authentisch, lesenswert.