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Veröffentlicht am 04.06.2022

Am Ende schwach

Die Lüge
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An diesem Text hat mich gereizt, dass es einen Jungen zeigt, der bei homosexuellen Eltern aufwächst und später selbst entdeckt, dass er Männer mag. Beide Themen werde bei großen Verlagen selten behandelt ...

An diesem Text hat mich gereizt, dass es einen Jungen zeigt, der bei homosexuellen Eltern aufwächst und später selbst entdeckt, dass er Männer mag. Beide Themen werde bei großen Verlagen selten behandelt und ich wollte mich hineinstürzen. Das Buch war besonders am Anfang intensiv, handelt die Kernkonflikte dann aber zu schnell ab.

Rezi enthält Spoiler

Worum geht es?

Mikis Mutters stirbt an Krebs und seine Verwandten stehen vor der Frage, ob der Junge beim der konservativen Oma oder dem künstlerischen Onkel Slawa aufwächst. Die Wahl fällt auf Slawa, der mit seinem Freund Lew zusammenlebt. Wir verfolgen Mikis Leben bis zur Pubertät, erleben, wie sich das Verhältnis zu den Eltern und anderen Menschen entwickelt. Bestimmt ist es immer von einem Geheimnis: Dass niemand von der Liebe seiner Eltern erfahren darf.

Wie hat mir das Buch gefallen?

Besonders am Anfang hat der Autor den kindlichen Gedankengang des jungen Miki gut getroffen - das habe ich in Büchern selten erlebt. Miki versteht manche Dinge nicht, wirkt sozial etwas unerfahren und ich fand das sympatisch. Auch die negativen Töne erspart uns das Buch nicht - ich hatte das Gefühl, dass das Buch viele Fragen stellt, die man sich nicht zu stellen traut. Interessant fand ich das im letzten Drittel, als Miki einen Hass auf Schwule entwickelt und ihm z.B. der CSD zu laut ist. Er fühlt sich zu ihnen hingezogen, erregt und er hat eine körperliche Beziehung zu einem Klassenkameraden. All das wirkt aber masochistisch - eine Selbstkasteiung, weil er mit seinem inneren Widerspruch nicht klarkommt - sein Gefühl lässt das zu, sein Verstand lehnt das ab.

Der Kern ist "die Lüge", die sich durch das ganze Buch zieht, was ich gut gestaltet fand. Denn obwohl seine Eltern schwul sind, zeigen ihm diese, dass es nach außen nicht ok ist. Ich glaube, das Gefühl, etwas nicht zeigen zu dürfen, obwohl es einem wichtig ist, das führt dazu, dass er sich selbst ablehnt. Dass er seine Gefühle verleugnet. Miki gibt vor, er wollte nich das Klischee bestätigen, dass Kinder schwuler Eltern selbst schwul werden, aber ich glaube, dass es der Keim der Ablehnung war, der ihm als Kind unabsichtlich eingepflanzt wurde.

Zu sehen, wie diese Pflanze wächst und wie aus dem sympatischen, durchdachten Miki ein Mensch wird, der wütend durch die Welt stolpert, ohne, dass ihm etwas helfen kann, war bitter.

Ich denke, dass der Autor damit auch manche homophobe Menschen gut trifft und eine Erklärung findet, wie dieser Hass entstehen kann. Allerdings lässt das Buch offen, wie es mit Miki weitergeht, deutet aber an, dass er sich später akzeptieren kann.

Männlichkeit ist ein weiteres Thema des Romans. Bezeichnend war für mich, dass sein (weiblicher) Schwarm ihm vorwirft, nicht männlich genug zu sein, weil er sich nicht prügelt bzw. nicht dazu steht. Obwohl es eine Charakterfrage ist. Ich kann seinen Schmerz gut verstehen.

Schön war auch, wie sich Miki dem eher kühlen Lew annähert und beide Väter ihre Rolle im Leben Mikis einnehmen.

Nach der ersten Hälfte lässt das Buch jedoch in der Struktur nach. Miki empfindet eine dumpfe Wut, die aus seinem inneren Konflikt, der Identitätssuche, aber auch der Leere in sich entsteht. Er versucht, diese mit Boxen zu bekämpfen, bekommt von seinen Eltern einen Hund, der jedoch nach kurzer Zeit keine Rolle mehr spielt. Später sieht er in einem Waisenjungen einen jüngeren Bruder und bittet seine Eltern, ihn zu adoptieren. Ich weiß nicht, ob er darin eine Aufgabe sieht, den eher unbeholfenen Jungen zu unterstützen oder ob er ihn an eine andere Version von sich erinnert. Später nervt er ihn und Miki verfolgt einen schwulen Klassenkameraden über Wochen. Doch auch das löst den Konflikt nicht, es verstärkt ihn. Die Passion gibt ihm Halt, aber als sein Partner eine Entscheidung fordert, rennt Miki sinnbildlich weg. Man kann das als Stilmittel betrachten, aber für mich werden viele Dinge angerissen und nicht gut zuende geführt. Besonders am Ende hetzt der Roman. Auch die Bindung zu den Eltern geht verloren.

Fazit

"Die Lüge" ist ein Text, über den man wundervoll nachdenken kann und der zeigt, dass man trotz guter Voraussetzungen in tiefe Löcher fallen kann. Dennoch schien mir die zweite Hälfte nicht gut geplant, ich konnte vieles nur mäßig nachvollziehen.

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Veröffentlicht am 11.10.2021

Gut komponiert, aber gewollt

Wir für uns
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Ich hatte das Buch angefordert, weil die Protagonistinnen älter sind und ich mir eine erwachsene Geschichte erhofft habe. Letztlich ist der Text eine tolle Empowerment-Geschichte, die typische Liebesroman-Klischees ...

Ich hatte das Buch angefordert, weil die Protagonistinnen älter sind und ich mir eine erwachsene Geschichte erhofft habe. Letztlich ist der Text eine tolle Empowerment-Geschichte, die typische Liebesroman-Klischees vermeidet. Allerdings hat er ähnliche Schwächen.

Rezi enthält Spoiler.

Worum geht es?

Josie ist schwanger - von Bengt, der seine Frau nicht verlassen will und sie vor die Wahl stellt - entweder sie treibt ab oder er beendet die Beziehung. Kathie wiederum ist kürzlich Witwe geworden und steht nun vor der Frage, ob sie ihren Laden, den sie wegen ihres Mannes aufgab, wieder eröffnen soll. Und auch mit Sohn Max gibt es Probleme.

Themen

Alter: Josie und Kathie merken, dass es ihnen noch gut geht, aber ungewiss ist, ob es so bleibt. Sie vergleichen sich z.B. mit einer älteren Freundin, die dement in einem Pflegeheim sitzt. Es ist ein Bereich, der immer mitschwingt, aber nur wenig ausgeführt wird. Kathie hat keine körperlichen Probleme, Josie keine Midlife-Crisis - ohnehin scheint sie mit ihrem Beruf zufrieden. Ich fand die Figuren in diesem Punkt zu sehr fokussiert auf ihre Probleme. Der Charakter ist verloren gegangen. Z.B. zählt Josie gern, aber sie hat keine weiteren Macken und man sieht nicht, was das in ihr auslöst. Es muss keine Zwangsstörung sein, aber meistens ist das eine Technik, um Anspannung loszulassen.

Homosexualität: Kathis Sohn offenbahrt sich als schwul und sie hat große Probleme damit. Sie gibt sich die Schuld und hofft bei jeder Frau, dass sich ihr Sohn "umentscheidet" Der Prozess zieht sich im Buch lange hin und ich empfand das als schmerzhaft - aber real. Leider wird nicht klar, wie Kathie lernt, das zu akzeptieren. Irgendwann nähern sich beide wieder an. Ich fand das sehr schade, weil es ein Prozess ist, der von beiden Seiten ein Umstellen, Hinterfragen bedeutet. Ich habe gehofft, dass das Buch den Lesern in diesem Punkt Lösungsmöglichkeiten aufzeigt.

Down-Syndrom: Dieses Thema ist so zentral, dass die Autorin sogar im Nachwort darauf eingeht. Es gibt ein junges Mädchen, das das Down-Syndrom hat - was mir nicht aufgefallen ist. Außerdem fragt sich Josie, ob sie den Test machen soll, mit dem sie herausfindet, ob ihr Kind eine Behinderung hat. Und eine weitere Figur hat einen Berührungspunkt. Ich fand das Thema gut aufgelöst und versöhnlich zuende gebracht. Und die Autorin bemüht sich, sowohl die positiven wie negativen Seiten zu zeigen. Trotzdem wirkt es ein bisschen zu durchdacht, zu erklärt.

Mütter: Sowohl Josie als auch Kathie haben Probleme mit ihren (Ersatz-)Müttern. Kathie wuchs bei ihren Großeltern auf, wurde von der Oma geschlagen und hatte zum Opa den größten Bezug. Sie spürt, dass sie diese Härte, die Kälte, auch als Erwachsene mit-nimmt und daher Probleme hat, Verständnis für ihren Sohn zu zeigen. Josies Mutter verdrängt das Familiengeheimnis, obwohl es sie belastet. Daher ist Josies Bezugsperson ihr Bruder. Beide Frauen schaffen es nicht, sich von ihren Müttern zu lösen. Ganz im Gegenteil: Im flotten Ende nähern sich Josie und ihre Mutter an. Ich fand das nicht gut nachvollziehbar, weil sich eine Bindung, die über Jahrzehnte gelitten hat, nicht mit ein paar Gesprächen bereinigen lässt.

Männer: Die ersten beiden Jahren mit Bengt empfand Josie als schön, die folgenden sieben nicht. Auch, weil Bengt weniger Zeit für sie hat. Ich fand das bedrückend, weil Josie viel Zeit für eine Beziehung aufgewendet hat, die nur 1/7 einer Woche stattfand. Sie hätte einen Partner finden können, fühlte sich aber durch die Affäre gebunden. Ich mochte, dass das so betont wurde, weil es ein Aspekt ist, der selten behandelt wird. Kathie redet über ihren verstorbenen Mann wenig, es kommt mir vor, als ob sie die Beziehung verdrängt bzw. sich nicht damit auseinandersetzen will. Prägnant für Werner war, dass er immer gegen den Laden war, aber Geld beiseite geschafft hat. Und dass der Sohn auf der Seite des Vaters stand, weil seine Mutter gearbeitet hat. Die beiden scheinen nebeneinander gelebt zu haben und ich frage mich, ob Kathie sich von ihrem Großvater und dessen Traum lösen konnte. Kathie und Josie hängen an Männern, die sie nicht halten - einer will nicht, der andere kann nicht (mehr). Vielleicht fehlte beiden Frauen eine Vaterfigur, die ihnen Halt gab.

Fazit

"Wir für uns" ist ein unaufgeregter Frauen-Roman mit einer starken Botschaft. Einige Themen, besonders das Down-Syndrom, fand ich zu gewollt dargestellt, auch wenn es wichtig ist, dass das in der Belletristik stattfindet, damit "Behinderungen" normal werden. Die Autorin hat beide Frauen gut nebeneinander montiert und ich konnte mit beiden mitfühlen. Letztlich ein Roman mit ein paar prägnanten Momenten, das aber nur mäßig in Erinnerung bleibt.

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Veröffentlicht am 04.09.2021

Der lange Weg der Traurigkeit

Der Panzer des Hummers
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Ich hatte das Buch angefordert, weil ich mich in eine Familiengeschichte stürzen wollte, die spannend ist und Konflikte untereinander erzählt. Leider war das Buch eher atmosphärisch, ausführlich, künstlerisch. ...

Ich hatte das Buch angefordert, weil ich mich in eine Familiengeschichte stürzen wollte, die spannend ist und Konflikte untereinander erzählt. Leider war das Buch eher atmosphärisch, ausführlich, künstlerisch. Es zeigt Momentaufnahmen, in denen Konflikte teilweise gelöst werden, aber wirklich thematisiert werden sie auch nicht. Ich habe mich lange gefragt, wann es zu Ende ist, und am Ende habe ich mich gewundert, dass es plötzlich zuende ist.

Besonders deprimiert hat mich, dass alle Figuren Probleme haben, diese aber nicht ansprechen, sondern auf der Stelle treten. Sie sich aber einreden, dass sie zufrieden sind.

Rezi enthält Spoiler

Worum geht es?

Charlotte, die Mutter der drei Geschwister, schwebt in einer Zwischenwelt, weil sie nicht Abschied nehmen kann. Während sie über ihr Leben und mit ihrem ebenfalls toten Mann redet, zeigt uns der Text das Schicksal der drei Kinder: Niels, der den wenigsten Raum einnimmt, schlägt sich als Plakatierer durch und kümmert sich um seinen depressiven Mitbewohner. Sidsel hat ein Kind von ihrem Professor, sagt ihm das aber nicht, und sie hadert damit, dass sie sich gern beruflich verwirklichen will. Ea wiederum lebt mit ihrem Freund und dessen Tochter in San Francisco, kann aber die Mutter nicht loslassen. Sie besucht Beatrice, die ihre Tochter bei der Oma zurückließ, um mit ihrer Partnerin in San Francisco zu leben. Dort hat sie aber auch nach 10 Jahren noch keinen Anschluss gefunden und gibt sich dem Alkohol und der Verzweiflung hin. Und sie versucht, auf das Leben ihrer Tochter Einfluss zu nehmen. Die wiederum als ASMR-Künstlerin lebt - die Niels gern zum Einschlafen guckt.

Wie hat mir das Buch gefallen?

Für mich hat der Text Eindruck hinterlassen, weil ich allen Figuren die Meinung sagen wollte. Und weil sie Probleme mit ihren Kindern haben. Sidsel und Beatrice haben ihren Töchtern die Väter verschwiegen. Niels lernt, wie stressig es sein kann, wenn man ein Kind ein paar Tage betreut. Ea hat ein gutes Verhältnis zu ihrer Stieftochter, möchte aber kein eigenen Kinder. Und Mutter Charlotte, zu der alle drei ein unterkühltes Verhältnis haben, hat in der Zwischenwelt nichts Wichtigeres zu tun, als sich in Metaphern zu verlieren.

Für mich war der Text nicht gut greifbar, die Passagen der Mutter habe ich überlesen. Eine schöne Pointe ist jedoch der Schluss, in der eine Familie durch einen Irrtum erschaffen wird. Während die Figuren im ganzen Buch einer Bindung hinterher laufen, die sie eher belastet als erfüllt, fragt man sich am Ende, ob ein familiäres Gefühl entstehen kann, wenn man es als solches definiert. Und ob das nicht besser ist.

Nicht glücklich war ich mit dem sehr langatmigen Schreibstil, den vielen Beschreibungen, dem Pendeln zwischen den Figuren, deren Geschichten sich ähneln.

Gut gefallen hat mir das Interview mit der Autorin. Es kann einem Leser die Freude am Deuten nehmen, weil es erklärt, was die Intention des Buches war. Für mich hat das aber vieles aufgelöst und ich fand das Interviev interessanter als den Text.

Fazit

Wer auf traurige Familiengeschichten und Metaphern steht, wer gern zwischen den Zeilen liest und sich in Beschreibungen und Vages fallen lässt, der wird hier seine Freude haben. Für mich war es nur mäßig gut.

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Veröffentlicht am 12.06.2021

Gut für zwischendurch

Nachrichten von Männern
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Ich habe das Hörbuch über Netgalley erhalten und wusste anfangs nicht, ob es meinen Humor trifft. Mir hat das Buch gefallen, ich hatte Spaß damit, weil ich mich und einige meiner Gesprächspartner wiedererkannt ...

Ich habe das Hörbuch über Netgalley erhalten und wusste anfangs nicht, ob es meinen Humor trifft. Mir hat das Buch gefallen, ich hatte Spaß damit, weil ich mich und einige meiner Gesprächspartner wiedererkannt habe und weil ich das Gefühl hatte, dass ich nicht allein bin. Objektiv betrachtet sieht die Sache leider etwas anders aus. Übrigens funktioniert das Buch als Hörbuch grandios, weil die Sprecher den Text aufwerten. Als geschriebenes Buch hätte ich Probleme gehabt.

Worum geht es?

Digitale Gespräche mit Männern - bei Dates, Anmachen und anderen Situationen, in denen man sich eher distanziert gegenüber steht.

Der Inhalt im Detail

Das Buch arbeitet ca. 15 Gesprächstypen ab - von Männern, die sich plötzlich nicht mehr melden, über Männer, die einem nur zu besonderen Gelegenheiten schreiben, ohne, dass ein tiefes Gespräch entsteht. Oder Männern, mit denen man sich gut hassen kann.

Die Reihenfolge wirkt beliebig, der Tonfall ist witzig, aber oberflächlich. Ich musste einige Male lachen, hätte mir aber mehr Pointen gewünscht. Immerhin gibt es nur wenige Anspielungen, sodass das Niveau eher niedrig ist.

Was ich vermisst habe, sind klare Handlungsempfehlungen. Im Zweifel werden Fragen mit Humor weggewischt, was ich schade finde. Besonders, als es um das Thema Hassliebe geht, zählt das Buch auf, wie man diesen Kampf am besten vorbereitet und aufrecht erhält. Natürlich könnte man alle Typen mit einer Strategie bewältigen: Überlegen, was einem an der Person liegt und klar sagen, was man erwartet. Wenn man sich nicht auf eine Form der Beziehung einigen kann, dann geht man. Aber es gibt ja viele Zwischentöne. Das Buch ermutigt Menschen in diesem Punkt sehr wenig.

Leider endet das Buch aprupt - es gibt eine Einleitung, aber kein Nachwort - nicht einmal eine Danksagung. So fehlt dem Buch er Abschluss.

Wie funktioniert das Buch als Hörbuch?

Die Texte hören sich gut, sind kurzweilig. Besonders die Chats sind so umgangssprachlich, dass sie normal und nicht steif klingen, aber nicht übertrieben "hip" - es gibt keine Abkürzungen, selten Smilies und Daumen-Hoch. Das fand ich gut.

Ranja Bonalana als Erzählerin, die man als Sprecherin von Kim Raver, Rachel McAdams und Renee Zellweger bzw. Bridget Jones kennt, trägt einen durch das Buch mit einer Betonung, die der Ironie des Buches sehr entgegen kommt, die aber nie überzeichnet ist. Ich fand das sehr angenehm.

Nana Spier spricht u.a. Drew Barrymore und hat den "weiblichen" Teil der Chats vertont. Sie spricht hier höher, fast quietschig, zeigt aber ein bisschen Vielseitigkeit. In einigen Passagen fand ich sie angenehm, in anderen nervig. Ihre Stimme unterstreicht aber leider auch das Klischee von Frauen, die viel fordern und sich viel erhoffen und dabei immer zu hoch, zu quengelig sprechen. Das ist eigentlich nicht mehr notwendig.

Steffen Groth, den ich bisher nicht als Sprecher kannte, sondern als Schauspieler von u.a. Alexis in Doctor's Diary, hörte sich gut an. Ich mag den Klang seiner Stimme, aber er war mir mit seiner Kombination aus Wärme der Stimme, Volumen und Lautstärke in einem Hörbuch zuviel - als Schauspieler ergibt das mit Mimik und Gestik eine tolle Performance, aber nur als Audio war es einfach zuviel. Ein bisschen weniger Energie wäre gut gewesen. Ich denke, dass die Chats zu knackig abgemischt sind. Dennoch wirkt Groth in den verschiedenen Typen sehr stimmig und zeigt, wie vielseitig er sprechen kann.

Fazit

Das Buch erheitert und lässt sich wunderbar auf einer Zugfahrt hören, wenn einem die Nachbarn auf die Nerven gehen. Wer hier praktische Tipps erwartet, wird enttäuscht.

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Veröffentlicht am 15.05.2021

Fast besonders

Blütenschatten
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Nach langer Zeit wollte ich ein Buch vom Diogenes Verlag lesen. Und da es um Kunst und Musen geht, und ich mich gern mit bildender Kunst beschäftige, habe ich das Buch angefordert.

Rezi enthält Spoiler.

Worum ...

Nach langer Zeit wollte ich ein Buch vom Diogenes Verlag lesen. Und da es um Kunst und Musen geht, und ich mich gern mit bildender Kunst beschäftige, habe ich das Buch angefordert.

Rezi enthält Spoiler.

Worum geht es?

Um eine Frau, die sich und die Kunst in den Mittelpunkt rückt. Eve befindet sich im steten Kampf - mit ihrem Mann, mit dem sie ein langweiliges Leben führt und dessen Affären sie mit Affären bestraft. Mit ihrer Tochter, von deren Leben als Influencerin sie nichts hält. Mit ihrer Erinnerung an den Künstler Florian, dessen Muse sie einst war, für den sie aber nur eine von vielen Affären war und der sogar Kapital aus ihrer Verletzlichkeit als junge Künstlerin geschlagen hat, indem er sie malte. Mit Konkurrentin Wanda, deren selbst-kasteiende Aktions-Kunst im krassen Gegensatz zu Eves Stillleben stellt. Doch die Angst zu versagen verdrängt sie mit dem unerschütterlichen Glauben an ihre Kunst. Und genau an diesem Stolz scheitert sie und reiht sich ein in die, die sie so sehr verachtet.

Treffend formuliert des der englische Untertitel: "Family life. Reputation. They took a lifetime to build and a second to wreck." (Familienleben. Anerkennung. Es braucht ein ganzes Leben, um sie aufzubauen. Und einen Augenblick, um sie zu zerstören.)

Wie ging es mir beim Lesen?

Die ersten 50 Seiten habe ich mich gelangweilt, weil das Buch eine Parallelmontage aus der Jetzt-Zeit, auf einem Spaziergang durch London, und Erinnerungen ist. Wer schonmal in London war, wird vieles wieder erkennen und ich vermute, dass sich die Leser in das Gefühl der Stadt fallen lassen können.

Interessant fand ich, dass sich die Spannung nach und nach aufbaut und sich meine Meinung von der Figur verändert hat. Anfangs hatte ich Mitleid, weil sie traurig durch den Regen läuft. Doch je weiter die Handlung voranschreitet und je mehr man von der Figur entdeckt, desto undurchsichtiger wird die Schuldfrage. Welchen Anteil hat sie an dem Unglück, das ihr widerfährt? Warum macht sie das Gefühl, dass jeder gegen sie ist, blind für die Menschen? Warum denkt sie, dass man mit Geld (für die Tochter, einen Ex-Lover ...) alles kitten kann? Und warum ändert sie nicht die Richtung, obwohl es deutliche Hinweise gibt, dass etwas nicht stimmt? »Das Problem mit dir ist, dass du eine als Rebellin verkleidete Traditionalistin bist.«, sagt Eves Mann bei 51 % des Buches. Und das zieht sich durch das ganze Buch.

Letztlich habe ich Eve so sehr gehasst, dass ich überlege, ob das Werk nicht eine Satire ist. Auf einen Künstler, der das Kunst-Schaffen über alles stellt. Und auf einen Kunstbetrieb, der noch so konservativ ist, dass man jemanden mit einer Affäre zu einem jüngeren Mann den Ruf ruinieren kann. Dass ausgerechnet die Kunst, die uns frei machen sollte, so deutliche Grenzen setzt, wenn es um's Geld geht. Besonders der Höhepunkt zeigt das. [Spoiler] Nachdem sich Eves Liebhaber, der sich als Intrige ihrer Konkurrentin Wanda entpuppte, versehentlich selbst verletzte und im Sterben liegt, ruft sie keinen Krankenwagen, sondern findet das Rot seines Blutes so schön, dass sie erst ihr Bild fertig malt. Sie erkennt die Tat nicht als Verbrechen, sondern das größere Verbrechen wäre es, das Bild unvollendet zu lassen. [Spoiler Ende] Bis zum Schluss glaubt sie, dass ihre Anerkennung als Künstlerin über allem steht.

Letztlich bekommt man einen guten Einblick in die Figur und das Buch entfaltet einen guten Sog.

Was hat mir nicht gefallen?

Mit Distanz betrachtet ist die Geschichte relativ simple und die Hinweise auf das Ende deutlich. [Spoiler] Der Täter ist ziemlich dumm, er versucht nicht, sich zu retten oder Eve zu beschwichtigen, und er hat sein Verbrechen nicht einmal gut verschleiert. [Spoiler Ende]

Ich fand es gut, einen Einblick in die Arbeit einer Künstlerin zu bekommen, deren Arbeit so weit von meinen Präferenzen entfernt liegt. Aber die Passagen über Farben und Blumen sind langatmig.

Aktionskunst vs. Stilleben

Ein Schwerpunkt des Buches ist der Gegensatz aus Wanda (Performance Art) und Eve (Blumen). Wanda, die sich Eve angeblich immer unterlegen fühlte, celebriert ihr Leiden. Beispielsweise steht sie drei Tage lang öffentlich vor einem Spiegel und starrt sich an. Oder sie hängt vollgeblutete Tampons an die Decke. Wanda steht für eine neue Form der Kunst, die für mehr Menschen zugänglich ist, weil sie verschiedene Sinne anspricht. Als Betrachter muss man keine geheimen Codes entschlüsseln, sondern man wird durch seine Rolle als Zuschauer Teil des Kunstwerkes. Man denkt über sie nach, kann mit ihr interagieren. Und ich glaube auch, dass die parasoziale Beziehung zwischen Künstler und Rezipient, an der Grenze zum Konsum, eine Erfahrung ist, nach der sich Menschen sehnen. Weil sie Gefühle sichtbar macht, über die die Gesellschaft selten spricht. Innerhalb des Kunstwerks darf man sie erleben, ähnlich wie Fremdscham, wenn man Reality-TV guckt.

Eve dagegen mag Stillleben und gibt damit einer Kunstform ein Gesicht, das lange als bloße Abbildung der Natur galt und in dem vor allem Frauen aktiv waren - ohne, dass man sie gesehen hat. Der Text zeigt, dass die Auswahl der Farben, die Anordnung der Blumen und die Wahl der Blüten ein bewusster Prozess ist. Das macht das Bild zur Kunst. Und obwohl sich Eve nicht wertgeschätzt fühlt, gibt es eine Käuferschicht für diese Richtung.

Genauso wie Wanda ihre Gefühle nach außen tragen muss, um sich gut zu fühlen, trägt Eve sie nach innen, indem sie sich penible dem Prozess widmet. Worin sich beide Frauen gleichen.

Fazit

"Blütenschatten", im Englischen düsterer "Nightshade" (Nachtschatten) ist ein Buch, das Eindruck hinterlässt. Es besticht mit seiner geradlinigen Figur, über die man gut nachdenken kann, und mit vielen Aspekten, die angesprochen werden. Trotzdem finde ich den Text ein bisschen altbacken, weil er ein eher traditionelles Bild von der Kunst und der Künstlerin zeichnet.

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