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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.11.2021

Ein spannender Roman und zugleich ein interessantes Sachbuch

Die Begegnung. Eine Geschichte über den Weg zum selbstbestimmten Leben
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Im Allgemeinen kann ich mich für Ratgeber zum Leben nicht begeistern. Aber dieses Sachbuch verspricht anders zu sein. Die Leseprobe beginnt wie ein Roman. Keine Spur von erhobenem Zeigefinger, kein Moralisieren, ...

Im Allgemeinen kann ich mich für Ratgeber zum Leben nicht begeistern. Aber dieses Sachbuch verspricht anders zu sein. Die Leseprobe beginnt wie ein Roman. Keine Spur von erhobenem Zeigefinger, kein Moralisieren, kein überheblicher Ton, nach dem Motto: "ich bin perfekt, wer mir nicht folgt ist selber schuld und muss die Konsequenzen tragen." Also lasse ich dieses Buch gelten.
Es beginnt spannend, mit einem alten Mann (und ja, 94 ist alt) der in seine abgelegene Hütte hoch in den Bergen hinauf wandert. In der Nacht bricht ein Gewitter los und er hört und sieht wie jemand im Wald umherirrt. Es ist ein junger Bursche, den er in die Hütte ins Warme holt. Sie erzählen sich gegenseitig ihre Lebensgeschichte und wir können feststellen, sie verläuft ähnlich.
Man hat fast den Eindruck, es gibt bestimmte Gussformen, in die manche Menschen gepresst werden und – auch wenn diese Menschen uns auf den ersten Blick als unangepasst erscheinen – sie ihr Leben dann in die eigenen Hände nehmen und es auf eine erfüllende Weise meistern. Der alte Mann und der Jüngling sind etliche Generationen auseinander. Und doch verbindet sie so vieles. Beide hatten in ihrem Leben einen älteren Mentor, der ihnen den Weg gewiesen hat, sie unterstützt hat, ihnen still und unaufdringlich geholfen hat. Beide sind Meister im Kajakfahren gewesen, der ältere hat sogar eine Polumrundung gewagt und erfolgreich zu Ende geführt.
Ich betone, dieses ist ein Sachbuch. Aber es gibt keine lang- oder kurzatmigen Belehrungen, kein explizites Hinweisen auf den einzig wahren und richtigen Weg, den man gehen muss. Die Lehren, die wir und die zwei Männer ziehen können, so wir wollen, sind schon da. In Sätzen die komplett in der Handlung integriert sind, immanenter Teil davon. Man liest das Buch gerne und fühlt sich am Ende bereichert und nimmt sich vor, immer mal wieder darauf zurückzugreifen.

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Veröffentlicht am 31.10.2021

Ein Teenie-Buch, das auch Erwachsenen gefallen wird

Mädchenmeuterei
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Kirsten Fuchs hat uns hier die langersehnte Fortsetzung des 2015 erschienenen Romans „Mädchenmeute“ präsentiert. Und wie in „Mädchenmeute“ begeben sich dieselben Protagonistinnen auf eine abenteuerliche ...

Kirsten Fuchs hat uns hier die langersehnte Fortsetzung des 2015 erschienenen Romans „Mädchenmeute“ präsentiert. Und wie in „Mädchenmeute“ begeben sich dieselben Protagonistinnen auf eine abenteuerliche Reise übers Meer: Charlotte, Yvette, Freigunda und Antonia. Dieses Mal wollen sie die Fünfte im Bunde, Rabea, genannt Bea retten, die in Marokko in Schwierigkeiten zu stecken scheint. Das Schöne ist, dass die Mädchen nicht plötzlich von sechzehnjährigen Zicken zu sechzehnjährigen Superheldinnen mutieren. Sie zoffen und streiten sich, sooft es irgendetwas zu klären gibt, und das geschieht oft. Sie fallen sich gegenseitig ins Wort, lassen einander nicht ausreden, es kommt zu Unstimmigkeiten. Aber wenn es darauf ankommt, halten sie zusammen wie Pech und Schwefel. Denn eine Fahrt auf einem Containerschiff birgt manchen Zünd- und Gesprächsstoff. Dabei haben die Mädchen alle auch ihre persönlichen Probleme, die sie ja natürlich mit sich schleppen und erst in einer großen Aussprache den anderen davon berichten. Gar nicht so einfach, mit Mobbing fertig zu werden oder Verantwortung für jüngere Geschwister zu übernehmen.
Im Hafen in Marokko kommt es zum großen Showdown, holllywoodmäßig und effektvoll, spannend und mit einem Ausgang der so gar nicht zu Hollywood passt. Aber zum Buch.
Die Handlung wird von Charlotte erzählt, die Schüchterne unter den Vieren. Schüchtern, aber wenn es darauf ankommt, kann sie sich ganz gehörig den Erwachsenen gegenüber behaupten, so wie sie z.B. Francesca, der („Bild“?)-Reporterin heimleuchtet, als wegen ihr die ganze Expedition in Gefahr gerät.
Ich mag diesen Schreibstil, in Ich-Form, als ob man überall und die ganze Zeit mit der Erzählerin dabei sein würde. Es vermittelt einen sehr persönlichen Blickpunkt auf die Welt der Protagonistin, auf ihre Beziehungen zu den Freundinnen, zu den Mitgliedern der Schiffsmannschaft, zu Ihren Eltern, zu ihrem Hund, einfach auf ihr Leben und wie großartig Charlotte es meistert.

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Veröffentlicht am 23.10.2021

Jane Austen von einer neuen, sehr privaten Seite

Von ganzem Herzen ...
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In Zeiten in denen Briefe die einzige Kommunikationsmöglichkeit auf Entfernung war, wurden sehr gepflegte und ausführliche Briefe geschrieben. Der epistolare Stil war nie nachlässig. In der Eile ein paar ...

In Zeiten in denen Briefe die einzige Kommunikationsmöglichkeit auf Entfernung war, wurden sehr gepflegte und ausführliche Briefe geschrieben. Der epistolare Stil war nie nachlässig. In der Eile ein paar Zeilen hingeworfen, achtlos, ohne Form und Stil war undenkbar. Wäre auch mit Gänsekiel und Tintenfass nicht gegangen. Nun hat uns Penelope Hughes Hallett ein bezauberndes Buch vorgelegt. Jane Austens Briefe, aus ihrer Jungendzeit bis zu ihrem viel zu frühen Tod 1817, mit 41 Jahren, unterlegt mit zahlreichen Bildern der Zeit: die zwei Porträts die uns von Jane erhalten sind, die Häuser in denen sie gelebt hat, die Orte, die Stationen ihres Lebens waren, wie Steventon, Bath, Southampton, Chawton. Gestorben ist sie dann in Winchester, beerdigt in der Kathedrale von Winchester.
Das Buch selbst ist in Kapitel unterteilt, die ihren Aufenthalten in den oben aufgezählten Orten entsprechend. Die frühesten erhaltenen Briefe wurden in Steventon geschrieben. Sie zeugen von einer jugendlichen, charmanten, manchmal leicht (wirklich nur eine kleine Prise) boshaften Jane, wie der Brief vom 30. Januar 1801, wo sie sich über Dienstboten auslässt, die zwar untereinander Affären haben dürfen aber bloß keine Kinder!
Interessant in dieser Zeit ist auch Janes Beschäftigung mit Mode. Hauben werden immer wieder geändert um sie öfters tragen zu können, Hutschmuck der zwischen Blumen und Obst variiert, Kleider und Stoffe werden kommentiert. Das Ganze mit einer feinen Dosis Humor kombiniert, wie z:B. im Brief vom 2. Juni 1799, in dem Jane trocken erklärt, dass noch Früchte auf den Hüten fehlen würden, obwohl es sie beim Obst- und Gemüsehändler gäbe.
Die Bemerkung, dass eine Frau aus der Nachbarschaft nach einem Schrecken eine Totgeburt erlitten hat und der Schrecken darauf zurückzuführen sei, sie hätte ihren eigenen Mann angesehen, klingt brutal. Aber Totgeburten waren in jener Zeit etwas Alltägliches. Und vielleicht hat Jane mit solchen Bemerkungen selbst versucht sich abzuhärten, sollte jemand in ihrer Familie eine Totgeburt erleiden.
Später, in Bath, Southampton und Chawton werden die Briefe gelassener, freundlicher, sie zeigen eine reife Jane Austen, die ihre Familie über alles liebt, regen Anteil am Leben und Wohlergehen aller Familienmitglieder nimmt, Brüder, Schwester, Eltern, Neffen, Nichten und vor allem an Cassandra Austen, Janes ältere Schwester. Cassandra und Jane Austen haben nie geheiratet und standen sich Zeit ihres Lebens sehr nahe.
Jane Austens Briefe an Cassandra, an Ihre Brüder, Neffen und Nichten, an Freundinnen aber auch an bekannte Persönlichkeiten, wie den britischen Autor Sir Walter Scott lassen die Autorin lebendig werden vor unseren Augen. In der meisterhaften Übersetzung von Gisella M. Vorderobermeier kommen der pointierte Humor und die Herzenswärme Jane Austens wunderbar zur Geltung.
Immer wieder werden die Briefe mit Passagen aus den Werken von Jane Austen unterlegt, die beweisen, dass ihre Romane durchaus autobiografische Züge tragen aber auch Aspekte der damaligen Zeit darstellen.
Die zahlreichen Bilder (und doch – fast zu wenige) lassen das Buch noch schöner und lebendiger erscheinen. Es sind viele Damen und Herren in eleganter Kleidung abgebildet, aber auch Dienstboten und Zofen, Gärtner, Bauern, Briefträger, arme Leute. Bilder von Steventon, Ansichten von Bath und Chawton oder Cheltenham und Winchester, ein Buchladen in den ich mich auch gerne aufhalten würde, Ausstellungsräume, diverse Arten von Kutschen, Viehmärkte, Gärten und Parkanlagen, häusliche Szenen. Penelope Hughes-Hallett hat uns das Zeitalter von Jane Austen so nahe wie möglich gebracht.
Dieses Buch ist ein Muss für Jane Austen Fans aber auch für Geschichtsinteressierte der Regency-Zeit des britischen Empire.

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Veröffentlicht am 20.10.2021

Marokko, mon amour

Auf Basidis Dach
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Das Buch ist eine wunderschöne und gelungene Mischung aus Sachbuch, Kindheitserinnerungen und Anekdoten. Der Stil ist manchmal ernst und sachlich, manchmal humorvoll, manchmal fast schon poetisch zu nennen.
Hauptaugenmerk ...

Das Buch ist eine wunderschöne und gelungene Mischung aus Sachbuch, Kindheitserinnerungen und Anekdoten. Der Stil ist manchmal ernst und sachlich, manchmal humorvoll, manchmal fast schon poetisch zu nennen.
Hauptaugenmerk des Buches ist Marokko und Monas Verhältnis zum Land ihres Vaters. Sie versucht uns dieses wunderschöne Land näher zu bringen, die Menschen, die da leben, reiche und arme, Händler und Bauern, Männer und Frauen. Ihre Freundlichkeit, Offenheit, die Liebe und der Respekt die in der Familie herrschen, der Wert der auf gute Bildung und Ausbildung in der Ameziane Großfamilie gelegt wird, werden wie selbstverständlich dargestellt und implizite in den anderen Großfamilien der marokkanischen Gesellschaft auch.
Die Landschaft, ob auf dem Land oder in der Stadt, wird uns nähergebracht, aber so schön, dass ich mich auch gerne auf Basidis Dach zu einem Pfefferminztee hinzusetzen und den Blick über die Dächer von Fes schweifen lassen würde.
Ameziane schreibt auch über die Schattenseiten Marokkos: Gewalt gegen Frauen, Vergewaltigungen, minderjährige Dienstmädchen die brutal ausgebeutet werden. Armut, Bettler auf den Straßen, Händler, die von ausländischen Touristen überhöhte Preise verlangen.
Das Titelbild erinnert stilisiert an einen Sonnenuntergang über einem Flachdach und schafft somit die Verbindung zum Titel des Buches.
Liebe Mona Ameziane, darf ich an dieser Stelle einen Wunsch anbringen? Dieses Buch war ja über Marokko, zumindest nahm ich es so wahr. Könnten Sie vielleicht auch ein Buch über Deutschland und wie Sie es sehen, schreiben?

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Veröffentlicht am 11.10.2021

Weltkonzerne und korrupte Regierungen

Wie schön wir waren
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Erinnert Ihr Euch an die Aktionen von Shell im Nigerdelta? Oder an Exxon Mobil, auch im Nigerdelta? Defekte veraltete Pipelines, kaputte nie erneuerte Bohrköpfe, Erdgase, die abgefackelt wurden und dadurch ...

Erinnert Ihr Euch an die Aktionen von Shell im Nigerdelta? Oder an Exxon Mobil, auch im Nigerdelta? Defekte veraltete Pipelines, kaputte nie erneuerte Bohrköpfe, Erdgase, die abgefackelt wurden und dadurch die Luft verpesteten, auf Jahrzehnte hinaus verseuchter Ackerboden, Massensterben der Fische im Fluss, unzählige Tote, Kinder und Erwachsene, weil sie verunreinigtes Grundwasser tranken und die Ernte ihrer Äcker vergiftet war. Dabei hatte Shell noch die Chuzpe, sich zu beschweren, wieso Shell zur Verantwortung gezogen wird, wenn die Umweltkatastrophe von einer Shell-Tochter in Nigeria verursacht wurde. Shell hat doch bitte schön eine blütenreine Weste.
Klingt bekannt? Genau diese Sachlage beschreibt Imbolo Mbue in ihrem wunderbaren, grausamen und zugleich wunderschönen Roman „Wie schön wir waren“.
Doch warum im fernen exotischen Afrika nach Umweltverschmutzung suchen? Wie war das in Rumänien, einem EU-Land, in Baia Mare, als ein australisch-rumänischer Konzern (der rumänische Anteil war verschwindend gering) das Auffangbecken mit Natrium-Cyanid Schlamm einer Goldmine durch fehlende Wartung bersten ließ? Der Damm zerbrach, das ganze Cyanid ergoss sich in die Flüsse, die dann in der Theiss alles Leben erstickten und dann in der Donau, in Ungarn, Serbien, Rumänien und Ukraine das große Fisch- und Pflanzensterben auslöste. Die Auswirkungen des Cyanids im Schwarzen Meer wurden nicht weiter untersucht, weil zu schwierig, aber da muss es auch welche gegeben haben.
Oder in den USA? Wir kennen alle den Film Erin Brockovich. Drei Jahrzehnte lang hat die Firma Pacific Gas and Electric in Hinkley (CA) bewusst ungefiltert hochgiftiges Chrom (VI) in den Boden sickern lassen und das Grundwasser verseucht. Menschenleben? Solange der Profit stimmt, unwichtig.
Das fiktive afrikanische Dorf Kosawa ist überall. Überall dort wo internationale Konzerne und korrupte Politiker eine unheilvolle Allianz eingehen, ob es in Rumänien, Indien, Bangladesch, afrikanische Länder oder China geschieht.
Was dieses Buch so einzigartig macht, ist der Schreibstil. Mbue lässt die Dorfbewohner zu Wort kommen, mit seinen Nöten, Problemen, Erinnerungen, Mutlosigkeit, Verzweiflung, Hoffnungen und Schmerzen. Der schier aussichtslose Kampf des David gegen Goliath wird aus der Sicht der Kinder von Kosawa geschildert, der Erwachsenen, der Großeltern. Dabei wissen die Großeltern, dass der Ölkonzern „Pexton“ nicht der erste war, der Unheil brachte. Vor langer Zeit kamen Häscher, fingen die Menschen ein, erschlugen die Greisen und die Säuglinge, und führten die Menschen im arbeitsfähigen Alter angekettet fort, woher sie niemals wiederkehrten. Dann kamen Europäer, zwangen die Dorfbevölkerung auf Kautschukplantagen bis zur totalen Erschöpfung zu arbeiten. Alle kommen zu Wort in diesem Buch. Eine zentrale Stelle nimmt Thula ein. Hochintelligent, hat sie die Chance die weiterführende Schule in einer Stadt in Afrika zu besuchen und dann erhält sie ein Stipendium um in New York (von den Kosowanern „Große Stadt“ genannt) zu studieren. Thula kehrt zurück und setzt den Kampf mutig gegen Pexton fort.
Sprachgewaltig und beeindruckend, lässt dieser Roman den Leser nicht mehr los. Manche Passagen, in denen sich die Bewohner dieses kleinen Dorfes versuchen das Leben und die Gedanken der Amerikaner vorzustellen und sich zu erklären, habe eine gewisse Naivität und Tragikomik, man muss trotz allem verhalten lächeln. So auch die unverständlichen Missionierungsversuche der Europäer, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt sind: „…jemandem, der vor langer Zeit übers Wasser gelaufen war, ein Mann mit zwölf Freunden, die ihm überallhin folgten. Das Lied ergab überhaupt keinen Sinn….Während wir ihnen zuhörten, fragten wir uns, warum ihr Geist so verbittert und irrational war.“ (S. 268). Dieser lapidaren Definition des Christentums ist nichts mehr hinzuzufügen.

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