" Nachts haben wir alle dieselbe Farbe ..."
Die Reisenden der NachtDer Roman „Die Reisenden der Nacht“ von Amando Lucas Correa handelt von zwei Frauen, die jeweils unter dem Druck verschiedener Diktaturen das Wohl ihrer Kinder retten wollen und sie in die Obhut fremder ...
Der Roman „Die Reisenden der Nacht“ von Amando Lucas Correa handelt von zwei Frauen, die jeweils unter dem Druck verschiedener Diktaturen das Wohl ihrer Kinder retten wollen und sie in die Obhut fremder Leute geben. Sie handeln instinktiv und blind und glauben für sich dabei auch etwas Gutes zu tun. Dieser historische Familienroman ist sehr bewegend, dicht erzählt und auch traurig.
Die Erzählung ist in drei Teile eingeteilt. Im 1. Teil geht es um die Dichterin Ally Keller und deren unehelichen Tochter Lilith, die während der NS-Zeit als Mischling „Rheinlandbastard“ genannt wird und den Rassengesetzen zum Opfer fällt. Das Kind ist von einem schwarzen Musiker, der während der französischen Besatzungszeit ins Rheinland kam. Franz Bouhler, ein Freund der Mutter, findet ein jüdisches Ehepaar, das Lilith 1939 auf der Fahrt des Transatlantik-Passagierschiffs „St. Louis“ von Hamburg nach Kuba mitnimmt. Ally stirbt im Januar 1940 im KZ Sachsenhausen, wie schon zuvor der befreundete Nachbar und Professor Bruno Bormann.
Im 2. Teil wird erzählt, wie Lilith in der fremden Kultur auf Kuba heranwächst. Ihre „Eltern“ sorgen mit der Hausangestellten Helena für sie. Der Autor nimmt seine Leser mit durch die Straßen Havannas, so dass ein Fremder neugierig werden könnte. In seinen „Anmerkungen des Autors“ bekennt Correa, dass sein Großvater ein leidenschaftlicher Batista-Anhänger gewesen war. Unter den wenigen Freunden, die Lilith in ihrer Jugendzeit findet, gibt es welche, die Kontakte zum Staatspräsidenten haben. Martin Bernal wird sein Pilot und Lilith und er heiraten. Als Fidel Castros Rebellen Staatspräsident Batista 1959 aus dem Land vertreiben, wird Martin verhaftet. Ihm wird der Prozess gemacht und er wird zum Tode verurteilt. Die gemeinsame Tochter Nadine wird Lilith vor den Rebellen retten können. Sie selber bleibt zurück in Havanna. Nadine flieht als kleines Kind mit Hilfe einer Ordensschwester und der Operation Peter Pan in die USA. Dort wächst sie bei Adoptiveltern auf. Doch das Schicksal hat eine böse Überraschung bereit.
Der 3. Teil des Romans berichtet davon, dass ihre Mutter angeklagt wird, weil sie in Deutschland in der NS-Zeit ein Kriegsverbrechen begangen hat. Das Gericht in Düsseldorf verurteilt sie und sie muss in ein Gefängnis. Ihr Vater ist ein Amerikanischer Kriegsveteran und Elektriker. Für den Prozess zieht er mit ihr nach Deutschland. Nadine absolviert in Düsseldorf die Schule und beginnt, als die Mutter verurteilt wird, mit ihrem Studium. Nadine nimmt von nun an ihr Leben selber in die Hand. Sie studiert in Berlin Biologie, Spanisch und Englisch. Dort freundet sie sich auch mit ihrem späteren Mann Anton Paulus an und mit Mares, einer kubanischen Assistentin im Spanischunterricht. Ihre Tochter Luna wird zehn Jahre vor der Jahrtausendwende geboren. Sie hat das Talent ihrer Großmutter Ally geerbt und wird eine Dichterin. Sie spürt die Verbindungen ihrer Verwandten auf und so kommt es zum Wiedersehen mit Franz Bouhler, Liliths Stiefschwester Elizabeth und endlich auch mit Nadines Mutter Lilith. Sie stirbt 2015 in Havanna in einem Pflegeheim.
Der Kubanische Autor Armando Lucas Correa ist ein mehrfach ausgezeichneter Journalist. Er weiß sehr viel und schreibt sehr spannend. In seinem Dank äußert er sich über eine Vielzahl an Personen, die ihm Auskunft gaben. Im Anhang befindet sich auch eine Bibliografie. Wer interessiert ist an Kuba, dem Batista-Regime oder auch an den Kriegsverbrechen der Nazis, erhält vor dieser historischen Kulisse einen gelungenen Frauenroman.
" Miranda hatte damals steif und fest behauptet, dass jeder Deutsche, der kein Jude war, ein Nazi sei und dass nur Nazis den Krieg überlebt haben könnten." (S. 262)
Der Satz klingt für mich sehr nach Amerikanischer Perspektive.
"Wenn du mich eines Tages hier besuchst, machen wir einen Ausflug zum Isla-Negra-Haus von Pablo Neruda, schrieb sie." (S.323)
Dieser Hinweis ist sinnvoll aus Sicht eines guten Erzählers, der auch vom Faschismus in anderen Ländern etwas weiß und von dem großen Dichter aus Chile.
Aber ich fragte mich beim Lesen oft: Wer war Ally Keller? Gab es in der NS-Zeit eine Dichterin, die so hieß? Es gab Dichter, die es schwer hatten anerkannt zu werde. Nicht nur Frauen waren das. Ihnen blieb außer dem Exil die „Innere Emigration“. Wer könnte sich hinter dem Namen Ally Keller verbergen? Wäre es vielleicht möglich, dass die taubblinde Amerikanische Dichterin Helen Keller für den Namen Patin gewesen ist? Von ihr stammen folgende Zitate:
"Was wir einst genossen und zutiefst geliebt haben, können wir niemals verlieren. Denn alles, was wir zutiefst lieben, wird ein Teil von uns."
"Alles Sehen kommt von der Seele her."
Die Frauen hier in diesem Roman, die ihre Kinder retten möchten, handeln in einem blinden Glauben, der von ihrer Seele kommt.
Die Figuren werden kontrastreich und weniger psychologisierend, wie zum Beispiel in dem Roman „Ein Kind namens Samuel“ von Ruth Druart, beschrieben. Dort geht es um das Schicksal eines jüdischen Kindes. Die Figuren sind authentisch. In „Die Reisenden der Nacht“ könnten die Figuren so oder so ähnlich vielleicht gelebt haben. Sie sind manchmal ein bisschen vage und versponnen skizziert – wie Lilith es selber am Ende ist. Die Zusammenhänge der Handlung sind aber klar und der Plot gut. So bietet dieser anspielungsreiche Roman „Die Reisenden der Nacht“ von Armando Lucas Correa auch viele Themen, die interessant sein könnten für einen Literaturgesprächskreis. Ich wünsche ihm viel Leser.
Diese Rezension verfasste ich im Rahmen einer Lesejury-Leserunde und ich war froh, dass ich dabei sein durfte. Es hat mir Spaß gemacht.