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Veröffentlicht am 18.06.2023

" Nachts haben wir alle dieselbe Farbe ..."

Die Reisenden der Nacht
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Der Roman „Die Reisenden der Nacht“ von Amando Lucas Correa handelt von zwei Frauen, die jeweils unter dem Druck verschiedener Diktaturen das Wohl ihrer Kinder retten wollen und sie in die Obhut fremder ...

Der Roman „Die Reisenden der Nacht“ von Amando Lucas Correa handelt von zwei Frauen, die jeweils unter dem Druck verschiedener Diktaturen das Wohl ihrer Kinder retten wollen und sie in die Obhut fremder Leute geben. Sie handeln instinktiv und blind und glauben für sich dabei auch etwas Gutes zu tun. Dieser historische Familienroman ist sehr bewegend, dicht erzählt und auch traurig.

Die Erzählung ist in drei Teile eingeteilt. Im 1. Teil geht es um die Dichterin Ally Keller und deren unehelichen Tochter Lilith, die während der NS-Zeit als Mischling „Rheinlandbastard“ genannt wird und den Rassengesetzen zum Opfer fällt. Das Kind ist von einem schwarzen Musiker, der während der französischen Besatzungszeit ins Rheinland kam. Franz Bouhler, ein Freund der Mutter, findet ein jüdisches Ehepaar, das Lilith 1939 auf der Fahrt des Transatlantik-Passagierschiffs „St. Louis“ von Hamburg nach Kuba mitnimmt. Ally stirbt im Januar 1940 im KZ Sachsenhausen, wie schon zuvor der befreundete Nachbar und Professor Bruno Bormann.

Im 2. Teil wird erzählt, wie Lilith in der fremden Kultur auf Kuba heranwächst. Ihre „Eltern“ sorgen mit der Hausangestellten Helena für sie. Der Autor nimmt seine Leser mit durch die Straßen Havannas, so dass ein Fremder neugierig werden könnte. In seinen „Anmerkungen des Autors“ bekennt Correa, dass sein Großvater ein leidenschaftlicher Batista-Anhänger gewesen war. Unter den wenigen Freunden, die Lilith in ihrer Jugendzeit findet, gibt es welche, die Kontakte zum Staatspräsidenten haben. Martin Bernal wird sein Pilot und Lilith und er heiraten. Als Fidel Castros Rebellen Staatspräsident Batista 1959 aus dem Land vertreiben, wird Martin verhaftet. Ihm wird der Prozess gemacht und er wird zum Tode verurteilt. Die gemeinsame Tochter Nadine wird Lilith vor den Rebellen retten können. Sie selber bleibt zurück in Havanna. Nadine flieht als kleines Kind mit Hilfe einer Ordensschwester und der Operation Peter Pan in die USA. Dort wächst sie bei Adoptiveltern auf. Doch das Schicksal hat eine böse Überraschung bereit.

Der 3. Teil des Romans berichtet davon, dass ihre Mutter angeklagt wird, weil sie in Deutschland in der NS-Zeit ein Kriegsverbrechen begangen hat. Das Gericht in Düsseldorf verurteilt sie und sie muss in ein Gefängnis. Ihr Vater ist ein Amerikanischer Kriegsveteran und Elektriker. Für den Prozess zieht er mit ihr nach Deutschland. Nadine absolviert in Düsseldorf die Schule und beginnt, als die Mutter verurteilt wird, mit ihrem Studium. Nadine nimmt von nun an ihr Leben selber in die Hand. Sie studiert in Berlin Biologie, Spanisch und Englisch. Dort freundet sie sich auch mit ihrem späteren Mann Anton Paulus an und mit Mares, einer kubanischen Assistentin im Spanischunterricht. Ihre Tochter Luna wird zehn Jahre vor der Jahrtausendwende geboren. Sie hat das Talent ihrer Großmutter Ally geerbt und wird eine Dichterin. Sie spürt die Verbindungen ihrer Verwandten auf und so kommt es zum Wiedersehen mit Franz Bouhler, Liliths Stiefschwester Elizabeth und endlich auch mit Nadines Mutter Lilith. Sie stirbt 2015 in Havanna in einem Pflegeheim.

Der Kubanische Autor Armando Lucas Correa ist ein mehrfach ausgezeichneter Journalist. Er weiß sehr viel und schreibt sehr spannend. In seinem Dank äußert er sich über eine Vielzahl an Personen, die ihm Auskunft gaben. Im Anhang befindet sich auch eine Bibliografie. Wer interessiert ist an Kuba, dem Batista-Regime oder auch an den Kriegsverbrechen der Nazis, erhält vor dieser historischen Kulisse einen gelungenen Frauenroman.

" Miranda hatte damals steif und fest behauptet, dass jeder Deutsche, der kein Jude war, ein Nazi sei und dass nur Nazis den Krieg überlebt haben könnten." (S. 262)
Der Satz klingt für mich sehr nach Amerikanischer Perspektive.

"Wenn du mich eines Tages hier besuchst, machen wir einen Ausflug zum Isla-Negra-Haus von Pablo Neruda, schrieb sie." (S.323)
Dieser Hinweis ist sinnvoll aus Sicht eines guten Erzählers, der auch vom Faschismus in anderen Ländern etwas weiß und von dem großen Dichter aus Chile.

Aber ich fragte mich beim Lesen oft: Wer war Ally Keller? Gab es in der NS-Zeit eine Dichterin, die so hieß? Es gab Dichter, die es schwer hatten anerkannt zu werde. Nicht nur Frauen waren das. Ihnen blieb außer dem Exil die „Innere Emigration“. Wer könnte sich hinter dem Namen Ally Keller verbergen? Wäre es vielleicht möglich, dass die taubblinde Amerikanische Dichterin Helen Keller für den Namen Patin gewesen ist? Von ihr stammen folgende Zitate:

"Was wir einst genossen und zutiefst geliebt haben, können wir niemals verlieren. Denn alles, was wir zutiefst lieben, wird ein Teil von uns."

"Alles Sehen kommt von der Seele her."

Die Frauen hier in diesem Roman, die ihre Kinder retten möchten, handeln in einem blinden Glauben, der von ihrer Seele kommt.
Die Figuren werden kontrastreich und weniger psychologisierend, wie zum Beispiel in dem Roman „Ein Kind namens Samuel“ von Ruth Druart, beschrieben. Dort geht es um das Schicksal eines jüdischen Kindes. Die Figuren sind authentisch. In „Die Reisenden der Nacht“ könnten die Figuren so oder so ähnlich vielleicht gelebt haben. Sie sind manchmal ein bisschen vage und versponnen skizziert – wie Lilith es selber am Ende ist. Die Zusammenhänge der Handlung sind aber klar und der Plot gut. So bietet dieser anspielungsreiche Roman „Die Reisenden der Nacht“ von Armando Lucas Correa auch viele Themen, die interessant sein könnten für einen Literaturgesprächskreis. Ich wünsche ihm viel Leser.

Diese Rezension verfasste ich im Rahmen einer Lesejury-Leserunde und ich war froh, dass ich dabei sein durfte. Es hat mir Spaß gemacht.

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Veröffentlicht am 15.10.2021

Das Leben ist ein Gänsespiel

Atelier Rosen
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In dem Roman "Atelier Rosen " von Marie Lamballe geht es um die spannende Verwicklung der mutigen, jungen Putzmacherin Elise in Adelskreise des Kurfürstentum Hessen-Kassel um 1830.
Marie Lamballe hat ...

In dem Roman "Atelier Rosen " von Marie Lamballe geht es um die spannende Verwicklung der mutigen, jungen Putzmacherin Elise in Adelskreise des Kurfürstentum Hessen-Kassel um 1830.
Marie Lamballe hat schon mehrere, erfolgreiche Romane veröffentlicht. "Atelier Rosen" ist das erste Buch, das ich von ihr gelesen habe.
Der Roman beginnt mit der Julirevolution in Kassel, 1830. Im Atelier Rosen wird fleißig gearbeitet. Die Inhaberin ist Charlotte Rosen mit ihrer Tochter Elise und Mutter Anna. Es gibt zwei Angestellte Babette und Therese, sowie deren Sohn Moritz. Er ist Elises Ziehbruder. Zu den Kunden des Ateliers gehören auch Adelige. Die Damen tauschen gerne Neuigkeiten aus, auch über den Kurfürsten Wilhelm II und seine Freundin Gräfin Reichenbach. Als es zum Aufstand der Bürgerschaft kommt, wird der Bäcker verprügelt und Moritz verschwindet vorübergehend, er wird inhaftiert. Da Elise Mut hat auf einen Leutnant des Kurfürsten zu zugehen, kann er ihr helfen, den Ziehbruder aus der Haft zu entlassen. Elise freundet sich mit Sybilla von Schönhoff an, einer Kundin im Atelier und der Verlobten des Leutnants. Mit ihr teilt sie sich die Leidenschaft für Bücher. Der Rußlandfeldzug Napoleons wird ebenso erinnert wie die Franzosenzeit unter König Jéróme.
Der Bitte der Bürgerschaft, eine Versammlung der Landstände einzuberufen und eine Verfassung auszuarbeiten, wird inzwischen entsprochen.
Infolge einer Vertrauenskrise muss Elise aber Kassel verlassen. Für sie beginnen ein spannender Weg und schließlich eine Suche nach ihrem leiblichen Vater, den sie in einem vornehmen Viertel in Frankfurt findet.
Intuitiv liegt Elise einfach richtig. Das ist so aufregend an ihrer Geschichte. Das Buch ist so atemberaubend, charmant und witzig geschrieben, dass es schwer fällt, es aus der Hand zu legen. Zwei Beispiele:

"Na also", sagte die Mutter zufrieden, als sie von dem neuen Auftrag berichtete. "Nun kommen die Dinge in Fluss." (S.252)
"Da brat mir einer einen Storch", sagte Moritz und stellte die Lampe auf dem Tisch ab. (S.301)

Die Figuren sind glaubhaft dargestellt.
Wer sich für die Deutsche Geschichte interessiert, findet einige Hinweise, denen nachzugehen sich lohnt.
Wer war Kurfürst Wilhelm II? Gab es die Gräfin Reichenbach wirklich? Ja! Wer verbirgt sich hinter dem kranken Vater Sybillas, dem Oberst von Schönhoff? War er ein reformfreudiger Adeliger, der Elise helfen will?
Die Verständigung zwischen dem Adel und den Bürgern ist in der Zeit sehr interessant zu beobachten. Dafür steht der Briefwechsel zwischen Sybilla und Elise.
Bücher wie "Rinaldo Rinaldini", "Lichtenstein" und "Die Odyssee" werden gemeinsam besprochen. Und was ist mit dem "Gänsespiel" am Abend, im Atelier Rosen? "Das Leben ist ein Gänsespiel" heißt ein Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe.

"Atelier Rosen" ist eine sehr ansprechende Lektüre für alle die gerne Historische Romane lesen und sich dabei gut und niveauvoll unterhalten lassen wollen.

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