Wiese, Weide, Weide - und ein Leben im Westerwald
Was man von hier aus sehen kann"Wenn wir etwas anschauen, kann es aus unserer Sicht verschwinden, aber wenn wir nicht versuchen, es zu sehen, kann dieses etwas nicht verschwinden.“
Inhalt
Luise erzählt: von ihrem Freund aus Kindertagen, ...
"Wenn wir etwas anschauen, kann es aus unserer Sicht verschwinden, aber wenn wir nicht versuchen, es zu sehen, kann dieses etwas nicht verschwinden.“
Inhalt
Luise erzählt: von ihrem Freund aus Kindertagen, der auf dramatische Art und Weise ums Leben kam, von ihrer Großmutter Selma und deren absonderlicher Fähigkeit, den Tod in Form eines Okapis in nächtlichen Träumen vorauszusehen, vom Optiker, der ihre Großmutter liebt und unvollendete Briefe sammelt, von Elsbeth, Marlies, Herrn Rödder und dem buddhistischen Mönch Frederik. Und von ihrem Leben in einem kleinen Dorf im Westerwald, dessen Ausmaße nicht mehr ausmachen, als einen Waldrand, einen Bach, wenige Läden und die Uhlheck. Luise erzählt Banales und verpackt darin die Welt, sie schildert das Dorfleben im Alltäglichen und zeigt, wie es sich lebt, wenn man von Menschen umgeben ist, die alles andere als perfekt sind und dennoch so authentisch und notwendig, dass man sie im eigenen Leben nicht missen möchte. Luise beschreibt, wie wertvoll es ist, wenn man voll und ganz da ist, für sich selbst, für andere und für eine Gemeinschaft.
Meinung
Dieses Buch aus der Feder der deutschen Autorin Mariana Leky hat mich voll und ganz überzeugt und darüber hinaus noch überrascht. Selten habe ich ein Buch gelesen, in dem aus so wenig Handlung, so viel gemacht wurde. Denn im Nachhinein betrachtet, passiert in diesem Text nicht viel mehr als das ganz alltägliche, routinierte Leben, gespickt mit ein paar äußerst herkömmlichen Begebenheiten (Geburtstage, Hochzeiten, Todesfälle), die fast gar nichts besagen und lediglich einen Blick auf die Vergänglichkeit der Zeit offenbaren. Und doch habe ich jede Zeile dieses Romans genossen und so viel mehr zwischen den Zeilen entdeckt, als ich erwartet habe.
Zunächst einmal überzeugt der Roman mit einer gekonnt gewählten Erzählperspektive, die es ermöglicht auch die zahlreichen, kauzigen Nebencharaktere ins rechte Licht zu rücken. Trotz einer Vielzahl an Protagonisten fällt es dem Leser leicht, die einzelnen Personen auseinanderzuhalten und die Ereignisse aus Vergangenheit und Gegenwart in den richtigen Zusammenhang zu bringen. Die Dorfgemeinschaft wird aufs Beste charakterisiert und die Autorin legt großen Wert auf eine bewusste Rollenverteilung und eine klare Aussage bezüglich der geschaffenen menschlichen Charakterzüge. So findet man den bibelfesten Alkoholiker, dem das Leben den Inhalt raubte. Die abergläubische Frau mit dem Hang zu ausgefallener Garderobe und schlauen Lebensweisheiten, den pragmatischen Optiker, der immer präsent ist, wenn man ihn braucht, den Weltenbummler, der auf der Suche nach neuen Eindrücken seine Heimat immer wieder verlässt und sogar einen Hund, der mehrere Leben hintereinander lebt und den so schnell nichts aus der Bahn wirft. Dieses Zusammenspiel macht den Reiz des Buches aus, weil es ebenjene Menschen sind, die der Geschichte ihren Charme einhauchen.
Ausgesprochen gut gefallen hat mir auch die Emotionalität des Buches. Durchgehend humorvoll geschrieben mit sympathischen Witzeleien, ohne Klamauk und dann wieder vor allem im zweiten Teil des Romans mit tieftraurigen Begebenheiten, die mich zu Tränen gerührt haben und dennoch vollkommen ohne Kitsch und Klischee auskommen. Es sind auch diese kleinen Feinheiten, die Gefühlsregungen, die dieses Buch ausmachen, die tiefe Weisheiten vermitteln, die mich an die Vergangenheit und die Zukunft denken lassen und die eine Frage im Hintergrund formulieren, die da heißen könnte: „Was wird bleiben von Dir? Wem hast Du deine volle Aufmerksamkeit geschenkt? In wessen Leben warst Du anwesend? Und wie erinnerst Du dich an die wichtigen, prägenden Personen deiner eigenen kleinen Welt?
Fazit
Für mich war dieser Roman ein Lesehighlight, dem ich gerne 5 Sterne und eine besondere Auszeichnung verleihen möchte zum „Buch-der-alltäglichen-Besonderheit“. Eine schlichte, einfache Welt, die nur dadurch wirkt, wie sich die Menschen in ihr verhalten. Ein Buch ohne große Thematik, fast ohne Existenz einer Außenwelt, welches sich mit menschlichen Entscheidungen im Positiven wie im Negativen auseinandersetzt und von verpassten Chancen ebenso erzählt, wie von beeindruckenden Leistungen. Die Lektüre kommt ohne Politik, ohne Gott, ohne Glanz und Glamour aus und hinterlässt doch einen hellen Schein, der noch lange nachstrahlt. Absolute Leseempfehlung!