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Veröffentlicht am 29.06.2017

Vielversprechender Beginn einer Fantasy-Reihe

Das Erbe der Seher
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Der Atem des Meisters hing faulig in der Luft. Er lachte, ein scheußlicher Laut voller Verachtung. "Du kannst nicht entkommen. Du kannst mir nicht entkommen."
Zum ersten Mal seit Jahren lächelte Tal. ...

Der Atem des Meisters hing faulig in der Luft. Er lachte, ein scheußlicher Laut voller Verachtung. "Du kannst nicht entkommen. Du kannst mir nicht entkommen."
Zum ersten Mal seit Jahren lächelte Tal. "Du irrst dich. Diesmal gehe ich an einen Ort, an den Aarkein Devaed mir nicht folgen kann."
Er trat einen Schritt zurück, über den Rand der Klippe. Und fiel.
Der Schatten glitt vor, sah zu, wie Tal durch das Tor stürzte, unerreichbar für ihn. Der wirbelnde Ring aus blauem Feuer flackerte kurz weiß auf, dann war er verschwunden und nichts deutete mehr darauf hin, dass es ihn überhaupt gegeben hatte.
Das Wesen starrte auf die Stelle hinab. Die Wellen wogten sichtlich schwächer, als hätte etwas sie beruhigt.
Da begriff der Schatten.
"Das Wasser der Erneuerung", zischte er.
Sein Geschrei erfüllte die Welt.
--

INHALT:
Der junge Davian ist Schüler einer Schule für Begabte, einer der letzten im Land. Er und seinesgleichen werden gefürchtet wie gehasst und unterstehen seit einem Umbruch vor Jahrzehnten den sogenannten Grundsätzen, die es ihnen verbieten, ihre Macht zu missbrauchen. Davor müsste Davian eigentlich sowieso keine Angst haben - egal, wie viel er übt, er kann seine Kräfte nicht einsetzen. Doch dann erfährt er den Grund dafür: Er ist ein Augur, ein Seher, mit besonderen Fähigkeiten, was ihn in große Gefahr bringt. Also flieht er gemeinsam mit seinem besten Freund Werr, um die Wahrheit über sich herauszufinden. Neue Gefährten stehen ihnen dabei zur Seite, aber gejagt von Feinden wissen sie nicht, wem sie eigentlich trauen können...

MEINE MEINUNG
James Islington beschloss, Autor zu werden, nachdem er Bücher von Patrick Rothfuss und Brandon Sanderson gelesen hatte - und "Das Erbe der Seher" ist das Ergebnis, Band 1 seiner eigenen Fantasy-Trilogie. Die Einflüsse kann man an einigen Stellen erahnen und die Welt braucht ihre Zeit, um eine eigene Dynamik zu entwickeln, aber nichtsdestotrotz ist dies der Beginn einer sehr vielversprechenden Reihe. Der Schreibstil ist größtenteils sehr flüssig und versehen mit wunderbar bildlichen Beschreibungen, ohne zu ermüden, und insbesondere die Dialoge können in ihrem Realismus überzeugen.

Mit Davian gibt es den etwas stereotypen unsicheren Protagonisten, wie so oft ein Waisenkind und mit ihm nicht bekannten Fähigkeiten gesegnet, die über das Schicksal der Welt entscheiden könnten. Er ist allerdings, zum Glück, nicht der mächtigste aller Charaktere und erhält dadurch auch die Chance, Fehler zu machen. Sein gewitzter und fähiger bester Freund Werr und die süße Asha, die immer an ihn glaubt und eine unglaubliche Willenskraft an den Tag legt, sind da dennoch schon etwas weniger klischeehaft. Besonders überzeugen können jedoch die Nebenfiguren, die sich oft schwer in die Karten schauen lassen und sehr unterschiedliche Persönlichkeiten an den Tag legen. Selten lässt sich sicher festmachen, wer nun auf der Seite der Protagonisten steht und wer im Geheimen gegen sie arbeitet. Allerdings tauchen im Laufe der fast 800 Seiten auch ziemlich viele Namen auf und nicht immer konnte ich diese wirklich gut auseinander halten. Eventuell hätte hier etwas gespart werden können.

Wie von High Fantasy gewohnt, gibt es gleichzeitig verschiedene Handlungsstränge, die lange parallel verlaufen und sich schließlich kreuzen. Ungewohnt ist hier jedoch, dass die Charaktere zwischendurch auch wieder getrennt werden - und sich einer von ihnen teilweise sogar auf einer anderen Zeitebene aufhält, was dem Ganzen eine ordentliche Portion Frische verleiht. Mit der Zeit offenbaren sich auch immer mehr originelle Details, die James Islingtons Welt zu einer ganz eigenen machen und eine besondere, zumeist düstere, Atmosphäre schaffen. Insbesondere die Fähigkeiten der Auguren und Begabten sind faszinierend und dementsprechend wissen auch die Kampfszenen zu überzeugen. Auf den letzten 200 Seiten wird dann auch alles aufgefahren, was gute Fantasy ausmacht: Viel Action, viele Tote und so einige Überraschungen. Bis zum Schluss kommt man daher kaum zu Atem und wo Fragen geklärt werden, werden auch direkt neue aufgeworfen. Damit steht einem sehr spannenden 2. Band nichts im Wege.

FAZIT:
Nicht alles ist gänzlich neu in James Islingtons Erstling "Das Erbe der Seher", doch je weiter die Geschichte voranschreitet, desto mehr Originalität hält auch Einzug. Großartige Kämpfe, glaubwürdige Dialoge und viele gut ausgearbeitete Figuren entführen einen in eine Geschichte, die in Band 2 ihr gesamtes Potenzial entfalten könnte. 4 Punkte.

Veröffentlicht am 07.06.2017

Detailreich und voller großartiger Charaktere

Rebellion
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Der ausgedünnte Kreis, in dem Raithe und Malcolm gefangen waren, löste sich schlagartig auf, als die Männer jegliches Interesse an ihnen verloren. Ein Mann, der nur einen Schritt von Raithe entfernt stand, ...

Der ausgedünnte Kreis, in dem Raithe und Malcolm gefangen waren, löste sich schlagartig auf, als die Männer jegliches Interesse an ihnen verloren. Ein Mann, der nur einen Schritt von Raithe entfernt stand, schrie auf und ging zu Boden. Danach gab es kein Halten mehr. In der sie umgebenden Dunkelheit konnte Raithe nichts sehen, aber er konnte die verstörenden Geräusche von knackenden Ästen, gefolgt von Schreien, sehr gut hören.
"Es ist, als würde der Wald sie essen", flüsterte Raithe und drängte sich an Malcolm. Dies war sein schlimmster Alptraum. Der Wald war zum Leben erwacht. Er schaute angestrengt in die Dunkelheit, die nur vom vereinzelt schillernden Mondlicht durchbrochen wurde. Was würde er als Nächstes erblicken - riesige Bäume mit blutverschmierten Mündern? Hungrige Monster? "Ich habe dir doch gesagt, die Götter haben es auf mich abgesehen."
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INHALT:
Raithe ist einer der sogenannten Rhunes - ein Mensch ohne besondere Fähigkeiten, verarmt und in einem Land, in dem die Götter, die Fhrey, regieren, ohne Wert. Bis er auf der Jagd mit seinem Vater einem solchen Gott begegnet und ihn tötet. Fhrey können also sterben und die Kunde darüber verbreitet sich rasend schnell. Raithe wird als Gottestöter entweder gefürchtet oder bewundert. Doch die Fhrey wollen ein Aufbegehren der Menschheit nicht zulassen und schicken Soldaten aus. Die Rhunes sind in Gefahr, aber nicht jeder will das sehen. Nur Persephone, ehemalige Frau des Stammesführers in ihrem Clan, fasst sich ein Herz und steht für sich und andere ein. Der dunklen Bedrohung, die sich unaufhaltsam nähert, kann auch sie allein allerdings nicht trotzen...

MEINE MEINUNG:
Als Fan des High Fantasy-Genres hat man von Michael J. Sullivan natürlich schon einmal gehört. "The First Empire" ist aber meine erste Reihe von ihm und ich bereue es bereits, nicht früher mit seinen Büchern begonnen zu haben. "Rebellion" ist ein Auftakt, wie man ihn sich wünscht: Beginnend als Einführung, aber schnell an Fahrt aufnehmend, fesselt er mit der in vielen Aspekten originellen Geschichte und dem einnehmenden Schreibstil. Mir sind ein bisschen Wortwitz und pfeilschnelle Oneliner in Fantasy-Romanen wichtig, damit die sonst oft düstere Stimmung etwas aufgelockert wird, und genau das findet sich hier. Unterhaltsame Stunden sind damit garantiert.

Raithe ist die erste Hauptfigur, die man kennen lernt, und seine ruhige, meistens sehr bedachte Art macht ihn direkt sympathisch. Er ist kein Freund vieler Worte und lässt eher Taten sprechen. Er ist ein guter Kämpfer, aber lange nicht der Beste, wodurch er nicht zu perfekt wird. Sein baldiger Weggefährte Malcolm ist sein ziemliches Gegenteil: Eine Plaudertasche, die Wert aufs Aussehen legt und immer einen Spruch auf den Lippen hat. Ebenso oft wie Raithe kommen aber auch die beiden Protagonistinnen Persephone und Arion zu Wort. Erstere war einmal Frau des Clanführers und muss sich nun damit arrangieren, nicht mehr für ihren Stamm entscheiden zu können - besonders jetzt, wo ein Idiot auf dem Stuhl des Herrschers sitzt. Sie ist gewitzt und überaus mutig, kick-ass, ohne je zu kämpfen. Arion dagegen ist eine Fhrey, eine, die die sogenannte Kunst (also Magie) beherrscht und damit sehr gefährlich ist. Genau wie alle anderen Fhrey ist sie arrogant und hält sich für etwas Besseres. Natürlich ist klar, welche Rolle sie spielen wird, aber auch, wenn ihre Wandlung etwas schnell geht, begleitet man sie dennoch gern. Es gibt einige mehr oder minder gut ausgearbeite Gegenspieler, das richtig Böse werden wir aber wohl erst im nächsten Band kennen lernen.

Natürlich ist einem die Geschichte zum Teil bekannt: Wie immer zu Beginn einer High Fantasy-Reihe gibt es verschiedene Handlungsstränge verschiedener Protagonisten, die langsam ineinander verwoben werden. Zum Glück sind die einzelnen Geschichten so interessant, dass das nicht weiter stört, und die Begegnungen werden auch nicht bis zur letzten Seite hinausgezögert. Sullivans Welt, in der ein Krieg vor Jahrhunderten vieles verändert hat und in der gottgleiche Wesen über alles herrschen, ist gut zu verstehen. Der grundlegende Aufbau ist nicht neu, dafür aber detailreich und überzeugend umgesetzt. Zwischendurch gibt es immer wieder fesselnde Kämpfe, aber auch die Dialoge wissen zu begeistern - schon allein, weil sich Männer und Frauen in vielem ebenbürtig sind und es daher zu tollen Gesprächen kommt. Der Schluss wartet mit dem ersten großen Kampf der Reihe auf, der allerdings nur der Grundstein für das noch Folgende ist. Den Fortgang der Geschichte kann ich jedenfalls kaum erwarten.

FAZIT:
Michael J. Sullivans neueste Reihe um das "First Empire" bedient sich bekannten Elementen - es gibt schließlich nur so viele Möglichkeiten in der High Fantasy -, verwebt diese aber mit vielen eigenen und vor allem spannenden Ideen. Besonders begeistern aber die großartig ausgearbeiteten Figuren, bei denen auch viele starke Frauen dabei sind. Ich freue mich nach der "Rebellion" auf das "Zeitenfeuer" im März nächsten Jahres. Sehr gute 4 Punkte.

Veröffentlicht am 30.05.2017

Typischer Dessen-Roman zum Wohlfühlen

Anything for Love
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"Wenn du ihn nicht besuchen gehen willst, dann lass es bleiben", sagte sie. "Sag deiner Mutter einfach, du bist noch nicht so weit."
"Ich weiß nicht, ob ich das jemals sein werde. Ich habe meinen Bruder ...

"Wenn du ihn nicht besuchen gehen willst, dann lass es bleiben", sagte sie. "Sag deiner Mutter einfach, du bist noch nicht so weit."
"Ich weiß nicht, ob ich das jemals sein werde. Ich habe meinen Bruder immer geliebt, weißt du", sagte ich. "Aber im Moment hasse ich ihn richtig."
Irgendwo auf dem Schulhof lachte jemand. Zwei Mädchen in Hockeytrikots schlenderten an uns vorbei, die eine hatte ihr Telefon am Ohr, die andere wickelte einen Kaugummi aus. Glückliche, normale Menschen, die ein glückliches, normales Leben führten in einer Welt, die alles andere war als glücklich und normal. Hatte man dies einmal begriffen, hatte man einmal etwas erlebt, das einem das klarmachte, konnte man es nicht mehr vergessen. Wie ein Gesicht. Oder einen Namen. Und egal, wie man zu dieser Erkenntnis gelangt: Ist sie einem erstmal bewusst, dann wird man sie nie wieder los.
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INHALT:
Sydney stand schon immer im Schatten ihres Bruders: In der Kindheit aufgrund seiner einnehmenden Art, mit der er jeden um den Finger wickeln konnte. Und in der Jugend, als seine Probleme und Vergehen immer mehr in den Vordergrund rückten - bis er schließlich betrunken einen Jungen anfuhr und dafür ins Gefängnis musste. Jetzt ist zwar nur noch Sydney ihren Eltern geblieben, aber trotzdem dreht sich alles nur um ihren Bruder und sie fühlt sich mehr und mehr wie unsichtbar. Bis sie nach dem ersten Tag an der neuen Schule eine Pizzeria betritt und dort auf Layla und Mac trifft, die sie fast sofort in ihre Gruppe aufnehmen. Layla wird schnell zu ihrer engsten Vertrauten. Und Mac scheint sie als Erster wirklich zu sehen. Doch im Hintergrund brodeln die Probleme und Sydney ist sich nicht sicher, ob sie ihr neues Leben mit dem alten vereinbaren kann...

MEINE MEINUNG:
Sarah Dessen ist ein Garant für Bücher zum Wohlfühlen, zum Eintauchen in eine wunderbare Liebesgeschichte, gespickt mit ein bisschen Drama, aber vor allem ganz viel Realismus. Genau so verhält es sich auch mit "Anything for Love", dessen Originaltitel "Saint Anything" allerdings einen deutlich besseren Bezug zum Inhalt herstellt. Wie immer ist der Schreibstil ruhig und ganz und gar unaufgeregt - trotzdem schafft er jedoch eine Atmosphäre, die einen sehr schnell an die Seiten fesselt. Die übliche Ich-Perspektive wird auch hier eingesetzt und verschafft einem einen perfekten Einblick in die Gedankenwelt der Protagonistin.

Man kann Sydneys Gefühle und ihren Wunsch, es allen Recht zu machen, durchaus nachvollziehen. Sie steht klar an zweiter Stelle und zeigt dafür im Anbetracht der Lage auch Verständnis - wenn auch etwas zu viel. Oft schluckt sie ihren Ärger nur hinunter und bleibt weiter passiv, tut selbst kaum etwas, um ihrem Glück näher zu kommen. Dass sie immer wieder einsteckt und nicht einmal wirklich der Auslöser für die Veränderungen zum Ende hin ist, ist manchmal doch schwer zu verstehen. Die Charakterstärke, die ihr fehlt, zeigt dagegen ihre neue Freundin Layla. Sie ist zwar etwas naiv, aber ihre quierlige, wunderbar fröhliche Art macht sie zu einer echten Sympathieträgerin. Love-Interest Mac ist, wie immer in den Büchern der Autorin und dennoch absolut erfrischend bei den vielen Bad Boys, ein ganz normaler Kerl. Er sieht gut aus, ja, aber er ist auch höflich, zärtlich und vor allem immer auf das Wohl anderer bedacht. Er ist allerdings schon etwas zu langweilig geraten, was auch daran liegen mag, dass er über die erste Hälfte des Buches relativ wenig sagt.

Besonders schön an Dessens neuestem Roman ist, wie stark die Freundschaft im Vordergrund steht. Zwar entwickelt Sidney im Laufe der ersten 200 Seiten zarte Gefühle für Mac, aber erst nach über der Hälfte nimmt die Romanze Fahrt auf. Bis dahin haben die Figuren die Chance, eine eigene Dynamik untereinander zu entwickeln, was perfekt gelingt. Besonders Lylas ganz unterschiedliche Freunde bilden eine geniale Truppe, die oft zum Lachen bringt. Der Handlungsstrang rund um Sydneys übervorsichtige Mutter, die die Schuld ihres Sohnes einfach verdrängt, wird derweil ein bisschen zu stark ausgewalzt und hätte wohl auch ein wenig gekürzt werden können. So verliert die Geschichte zwischenzeitlich ein wenig an Schwung. Nichtsdestotrotz begleitet einen durchgehend ein Gefühl von sommerlicher Leichtigkeit, das einen auch am Schluss zufrieden seufzen lässt. Für mich das ultimative Dessen-Geräusch, das zwingend auf jeden ihrer Romane folgt.

FAZIT:
Man kann sagen was man will über Sarah Dessens Bücher, schreiben kann die Frau. Im Genre der Liebesromane sind Innovationen nur begrenzt möglich und so kennt man auch hier das Schema zum Teil - was aber nicht heißt, dass es langweilig wird. Der Schreibstil reißt von Beginn an mit und die Charaktere schließt man wieder einmal direkt ins Herz. Meine Sommer-Empfehlung! Gute 4 Punkte.

Veröffentlicht am 23.05.2017

Faszinierend und atmosphärisch

Caraval
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Scarlett versuchte, Julian auf sich aufmerksam zu machen, ihm zu verstehen zu geben, dass er einen Fehler machte, aber sie sah die Entschlossenheit im Gesicht des Seemanns, als er antwortete : "Es war ...

Scarlett versuchte, Julian auf sich aufmerksam zu machen, ihm zu verstehen zu geben, dass er einen Fehler machte, aber sie sah die Entschlossenheit im Gesicht des Seemanns, als er antwortete : "Es war Scarlett."
Dummer Junge. Er glaubte zweifellos, dass er Tella einen Gefallen tat, doch genau das Gegenteil war der Fall.
Der Governor ließ Julian los und streifte sich die Handschuhe ab. "Ich habe dich gewarnt", sagte er zu Scarlett. "Du weißt, was passiert, wenn du dich mir widersetzt."
"Vater, bitte, es war nur ein ganz kurzer Kuss." Scarlett versuchte, sich vor Tella zu stellen, aber eine der Wachen zog sie zurück, packte ihre Ellbogen und drückte ihr grob die Arme auf den Rücken, während sie darum kämpfte, ihre Schwester zu beschützen.
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INHALT:
Scarlett und ihre jüngere Schwester Donatella haben die Insel, auf der sie aufgewachsen sind, noch nie verlassen. Unter der Herrschaft ihres grausamen Vaters haben die beiden keine Rechte und kaum Grund zur Freude. Daher fiebert Scarlett ihrer Hochzeit mit einem unbekannten Grafen entgegen, um dem Ort gemeinsam mit ihrer Schwester endlich entfliehen zu können. Doch plötzlich kommt alles anders als gedacht: Als sie drei Eintrittskarten für das legendäre Spiel "Caraval" erreichen, beginnt sie zwar zu zweifeln, doch es ist Donatella, die sie beide und einen Begleiter zu dem geheimen Ort bringt, an dem das Spiel statt findet. Dort ist nichts wie es scheint und trotz ihrer Faszination verspürt Scarlett auch Angst. Als dann ihre Schwester verschwindet, scheint sich die magische Welt in etwas Böses zu verwandeln...

MEINE MEINUNG:
Stephanie Garbers Debüt-Roman "Caraval" ist schon seit Wochen in aller Munde - und das zu Recht. Eine großartige Idee mit einer kleinen Portion Magie und vielen Illusionen, die sowohl der Protagonistin als auch dem Leser die Möglichkeit nehmen, zwischen Realität und Täuschung zu unterscheiden. Die Geschichte schreitet über die erste Hälfte zwar nur langsam voran, aber der ruhige, detailreiche und farbenfrohe Stil erzeugt seine ganz eigene Atmosphäre, die unaufhaltsam in die Geschichte hinein zieht.

Scarlett ist die meiste Zeit über eine sehr angenehme Protagonistin. Ihre Angst davor, jemandem zu vertrauen, ist aufgrund ihrer Familiengeschichte verständlich und ihre Vorsichtigkeit eine erfrischende Abwechslung zu sonst oft blauäugigen und naiven Hauptfiguren. Im Laufe der Handlung gewinnt sie auch an Stärke und kann einen mit der Zeit immer mehr von ihrem Mut überzeugen. Donatella ist das genaue Gegenteil ihrer Schwester: Wild und leidenschaftlich lässt sie sich kaum zähmen und riskiert alles für ihr Glück. Über weite Strecken habe ich sie als sehr egoistisch und rücksichtslos empfunden, auch wenn ihre Liebe zu Scarlett offensichtlich ist und sie meistens gute Absichten verfolgt. Die übrigen Figuren sind größtenteils undurchschaubar und man weiß nie, woran man bei ihnen ist: Der mysteriöse, grausam erscheinende Legend, dessen Ziele man nicht kennt; der charmante und arrogante Julian, der Scarlett mal wegstößt und sich mal um sie kümmert. Zwar lernt man sie auf diese Weise nicht wirklich kennen, dies hat aber auch seinen Grund, den man am Schluss erfährt.

Viele Leser erinnert der Roman an Erin Morgensterns "Nachtzirkus" und die Stimmung, sogar das Tempo, sind teilweise durchaus zu vergleichen. Garbers Geschichte hat mir jedoch deutlich besser gefallen, weil die Figuren viel mehr Identifikationspotenzial bieten. Zwar gestaltet sich das eigentliche Spiel ganz anders als erwartet, die einzelnen Hinweise lassen sich auch überraschend einfach finden - dennoch zieht diese Welt mit den vielen fabelhaften Details in den Bann. Ob Scarlett nun Apfelmost trinkt, der sie nur noch das Wichtigste in Farbe sehen lässt, oder sie sich von einem Wahrsager anhand von Tattoos ihre Zukunft vorhersagen lässt, auf jeder Seite lernt man neue skurrile Figuren kennen und erlebt weitere eigenartige Dinge.

Die sich entwickelnde Romanze habe ich persönlich so am Anfang nicht erwartet und ich war durchaus positiv überrascht. Die Gefühle hätten etwas tiefer gehen und sich auch langsamer entwickeln können, trotzdem kam die Chemie zwischen den beiden Liebenden bei mir zumindest größtenteils an. Viel wichtiger ist aber das Band zwischen den beiden Schwestern und dieses ist durchgehend spürbar. Nichts wünschen sich Scarlett und Donatella mehr, als die jeweils andere in Sicherheit zu wissen, und das ist auch die treibende Kraft hinter all ihren Taten. Zum Ende fährt die Autorin in dieser Hinsicht auch noch so einige Überraschungen auf, die einen bis zur letzten Seite in Atem halten. Da der Epilog aber neue Fragen aufwirft, ist trotz Scarletts einigermaßen abgeschlossener Geschichte Band 2 definitiv ein Muss.

FAZIT:
Stephanie Garber erzählt in "Caraval" eine faszinierende, wunderbar atmosphärische Geschichte von zwei Schwestern, die alles füreinander tun würden, verwoben mit einem magischen Spiel, das immer wieder für unvorhergesehene Wendungen sorgt. Ich freue mich auf den Nachfolger, der irgendwann 2018 erscheinen soll. Sehr gute 4 Punkte!

Veröffentlicht am 27.04.2017

Berührend und wichtig

Wenn nachts der Ozean erzählt
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Maá sagt, ich soll mir das Essen nie zu genau ansehen, und wenn ich Fliegen oder Würmer darin finde, erklärt sie mir jedes Mal, dass ich besonderes Glück habe, weil ich auf diese Weise Eiweiß bekomme. ...

Maá sagt, ich soll mir das Essen nie zu genau ansehen, und wenn ich Fliegen oder Würmer darin finde, erklärt sie mir jedes Mal, dass ich besonderes Glück habe, weil ich auf diese Weise Eiweiß bekomme. Einmal habe ich sogar einen menschlichen Zahn in meinem Reis gefunden. "Hey Maá, bringt der auch Glück?", fragte ich und Maá sah ihn an und sagte: "Wenn du Zahn brauchst." Sie lachte lange über ihren Witz. Dabei war er eigentlich überhaupt nicht lustig.
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INHALT:
Der junge Subhi ist ein Kind in einem australischen Flüchtlingslager. Er ist dort geboren worden und kennt die Welt "draußen" hinter dem Zaun nicht, seine Heimat ist das Camp. Er vertreibt sich seine Zeit damit, mit einer Quietscheente zu sprechen und auf das Nachtmeer zu warten, das sein Vater ihm von weit her schickt. Seine Tage sind heiß und eintönig - bis eines Nachts plötzlich ein fremdes Mädchen im Lager steht. Jimmie heißt es und kommt von draußen. Die Beiden ergänzen sich perfekt: Er liest ihr das Buch ihrer Mutter vor, sie erzählt ihm Geschichten von hinter dem Zaun. Schnell werden sie zu heimlichen Freunden. Doch als sich die Lage im Flüchtlingscamp immer weiter zuspitzt, scheint es unmöglich, sich weiter zu sehen...

MEINE MEINUNG:
Die Flüchtlingskrise ist uns noch frisch im Gedächtnis, das Leid der Menschen in Kriegsgebieten wie Syrien noch lange nicht vorbei. Und doch lässt das Interesse immer mehr nach, die Grenzen sind schon länger mehr oder weniger zu, Flüchtlinge werden in Camps inhaftiert oder sterben auf dem Weg in eines der sicheren Länder. Gerade an diesem Punkt in Zana Fraillons "Wenn nachts der Ozean erzählt" so wichtig. Ohne den Zeigefinger zu erheben zeigt es wie wichtig es ist, Menschlichkeit zu zeigen und Kriegsflüchtlinge nicht wie Verbrecher zu behandeln. Protagonist Subhi erzählt seine herzergreifende Geschichte aus der Ich-Perspektive und trotz seiner leicht naiven, kindlichen Stimme beschreibt der die Umgebung und die Umstände so wunderschön-traurig, so intelligent, dass das keine Probleme bereitet. Immer mal wieder gibt es auch Kapitel aus Jimmies Sicht, die privilegierter ist als er, aber viele Gedanken mit ihm teilt und ihn wunderbar ergänzt. Vor allem wird eines wieder ganz deutlich: Kinder kennen keinen Rassismus.

Subhi ist ein für sein Alter sehr gewitzter Junge voller Träume und Fantasie. Mit seiner jungen Unschuldigkeit ist er der perfekte Erzähler: Er sieht zwar auch die Grausamkeit einiger der Aufseher und den Dreck des Camps, aber er findet auch in den kleinen Dingen immer wieder einen Grund zur Freude. Er traut sich oft nicht, für sich einzustehen und lässt daher seine Badeente in diesen Momenten für sich sprechen. Im Laufe der Handlungen wird er aber immer mutiger - und findet letztendlich auch die Kraft, über sich hinauszuwachsen. Jimmie ist neugieriger und abenteuerlustiger als Subhi, schließlich traut sie sich ganz allein in das Flüchtlingscamp, verfolgt aber genau wie er ihre eigenen Träume. Sie hat ein gut entwickeltes Unrechtsbewusstsein und insbesondere die Hingabe, mit der sie Subhi eine Freude machen will, lässt sie sehr sympathisch werden. Und auch bei den Nebenfiguren hat die Autorin voll ins Schwarze getroffen: Mit Subhis bestem Freund Eli, der ihn wie ein Löwe beschützt; seiner zickigen Schwester, die sich trotzdem um ihn kümmert und dem Aufseher Harvey, der sich als einziger für die Menschen einsetzt, wird das Buch wunderbar lebendig.

Die erste Hälfte beschäftigt sich größtenteils mit der Einführung in die Lebensumstände und der Charakterisierung der Personen. Vielfach erwähnt Subhi sein "Nachtmeer", das ihm, so glaubt er, von seinem Vater geschickt wird und das ihm die verschiedensten Schätze bringt. Vieles, was in diesen Nächten geschieht, ist nicht real, eine Mischung aus Metaphorik und Fantasie - darauf muss man sich einlassen. Die Freundschaft zwischen Jimmie und Subhi ist dafür umso glaubwürdiger, obwohl die beiden sehr schnell einen Draht zueinander finden. Zwischen ihnen herrscht ein Verständnis ohne vieler Worte zu bedürfen, was sehr berührt. Genauso wie die Art, wie sie füreinander einstehen. Füreinander überwinden sie ihre größten Ängste und geben sich gegenseitig Kraft. Als sich im letzten Drittel dann die Zustände im Camp geradezu überschlagen, wird es richtig dramatisch, sowohl für Jimmie als auch für Subhi. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist es nicht mehr möglich, sich von den Seiten loszureißen, weil man so stark mit den Charakteren mitfühlt, mitleidet und mithofft. Letztendlich bleibt ein leiser Hoffnungsschimmer, aber auch viel Traurigkeit über die Erlebnisse der Flüchtlinge. Das Nachwort zu den Umständen in Australien und auch anderen Ländern sollte unbedingt gelesen werden.

FAZIT:
Es macht ziemlich betroffen, dass ein Buch wie dieses noch immer so dringend notwendig ist. Zana Fraillon erzählt in "Wenn nachts der Ozean erzählt" eindrücklich, sensibel und menschlich die Geschichte einer Freundschaft zwischen einem australischen Mädchen und einem Flüchtlingsmädchen. Zwischenzeitlich wird auf einiges zu detailreich eingegangen, berührend ist der Roman nichtsdestotrotz. Knappe 4,5 Punkte.