Viele Fragen, keine Antworten
Inmitten der Nacht„Inmitten der Nacht“ habe ich ausgewählt, weil er auf der Leseliste des ehemaligen US-Präsidenten Obama zu finden ist. Und alle Bücher, die ich in der Vergangenheit aufgrund seiner Empfehlungen gelesen ...
„Inmitten der Nacht“ habe ich ausgewählt, weil er auf der Leseliste des ehemaligen US-Präsidenten Obama zu finden ist. Und alle Bücher, die ich in der Vergangenheit aufgrund seiner Empfehlungen gelesen habe, konnten überzeugen. So auch dieses.
Amanda, Clay und die beiden Kinder, eine weiße Mittelklasse-Familie aus Brooklyn, mieten für den Familienurlaub eine Luxus-Villa auf Long Island. Das großzügige Anwesen liegt abgelegen im Wald, es gibt keine Nachbarn und zum Einkaufen muss man einige Zeit fahren. Das Anwesen lässt keine Wünsche offen, Pool, Jakuzzi, hochwertige Ausstattung, alles vorhanden. Entspannung pur, die allerdings nur kurz währt, denn schon am Abend des ersten Urlaubstages steht ein älteres Paar, Ruth und GH, unangemeldet vor der Tür, schwarz, völlig verstört. Wenn man ihren Aussagen Glauben schenken kann, sind sie die Besitzer des Hauses und suchen Zuflucht, weil ein großflächiger Stromausfall New York lahmgelegt hat und sie nicht in ihre Wohnung in der Park Avenue gelangen können. Verifizieren lässt sich diese Aussage nicht, denn weder TV, noch Internet oder Telefon funktionieren. Sämtliche Verbindungen zur Außenwelt sind gekappt.
Aus dieser Ausgangssituation entwickelt sich ein Szenario, das zu Beginn nur mysteriös erscheint, aber im Verlauf der Handlung zunehmend bedrohliche Züge annimmt. Was geht da draußen vor sich? Soll man das vermeintlich sichere Refugium verlassen und in die Stadt zurückkehren? Ist das wirklich nur ein Stromausfall? Ist das Land im Krieg? Wurden Atomwaffen eingesetzt? Was hat es mit der Herde Rehe auf sich oder den Flamingos, die urplötzlich auf dem Grundstück auftauchen? Woher kommt der ohrenbetäubende Knall, der Risse in den Glasscheiben verursacht?
Es gibt keine Antworten, nur Unsicherheit, eine verwirrende neue „Normalität“, mit der die beiden Familien zurechtkommen, sich trotz aller Vorurteile und Zweifel zusammenraufen, unterstützen müssen, damit sie eine Überlebenschance haben.
„Leave the world behind“, so der Originaltitel, ist ein Roman, der perfekt in unsere Zeit passt. Beeindruckender und beunruhigend. Packend und atmosphärisch. Der die Hilflosigkeit, die Verunsicherung, den Kontrollverlust und die Ängste thematisiert. Der auch die Themen Vorurteile und Rassismus nicht ausklammert. Ein Roman über eine beängstigende Zukunft, am ehesten vergleichbar mit Cormac McCarthys „Die Straße“. Ein Roman über unsere Gegenwart, der viele Fragen aufwirft, aber keine einfachen Antworten parat hat. Lesen!