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Veröffentlicht am 09.11.2021

Was von der Familie übrigbleibt

Wenn ich wiederkomme
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Weil die Eltern arbeitslos sind und die Familie in Rumänien kaum genug zum Leben hat, verlässt Mutter Daniela eines Nachts ohne Abschied ihre Kinder und ihr Heimatdorf, um in Italien als Pflegekraft in ...

Weil die Eltern arbeitslos sind und die Familie in Rumänien kaum genug zum Leben hat, verlässt Mutter Daniela eines Nachts ohne Abschied ihre Kinder und ihr Heimatdorf, um in Italien als Pflegekraft in einem Privathaushalt zu arbeiten. Das Geld, das sie sich schwer verdient, schickt sie nach Hause, damit Tochter Angelica studieren und Sohn Manuel in eine gute Schule gehen kann. Als auch der Vater im Ausland eine Arbeit findet, bleiben die beiden allein mit den Großeltern und jede Menge Verantwortung zurück. Das Verlassenwerden durch die Mutter lastet schwer, vor allem auf Manuel und die Kluft zwischen den Familienmitglieder wird immer größer. Dann passiert ein Unfall und Daniela muss entscheiden: Bleiben oder wiederkommen?


Das Thema dieses Romans ist ein hochaktuelles und wichtiges. Auch in Deutschland bedienen wir uns ausländischer Arbeitskräfte, die unsere Alten und Kranken pflegen, weil es hierzulande nicht genügend Personal gibt. Zu selten machen wir uns Gedanken darüber, was mit den Familien, vor allem den Kindern der Mütter passiert, die wir beschäftigen. Wie kommen sie ohne Mutter zurecht? Macht das Geld, das die Mütter schicken ihre Abwesenheit weniger schlimm? Was möchten die Kinder? Mit all diesen Fragen und Gedanken spielt der Autor in seinem Roman und konstruiert ein Einzelschicksal, dass uns aufmerksam macht auf die Probleme, die durch die reicheren Länder in den Familien der ärmeren entstehen.


Mit drei Erzählstimmen, Sohn, Mutter und Tochter, lässt er uns in die Köpfe der Betroffenen schauen. Es gelingt ihm gut, den Schreibstil an die jeweilige Person anzupassen, so dass man sich besser in sie hineinversetzen kann. Die Geschichte liest sich sehr flüssig und ich finde sie auch sehr fesselnd. Was mir allerdings gefehlt hat, sind Emotionen, die mich tief im Innersten berühren, so dass mich das Schicksal trifft, ich länger darüber nachdenke und mich verantwortlich fühle oder den unbändigen Willen verspüre, etwas zu verändern. Dennoch waren vor allem die Eindrücke, die uns Daniela zur Arbeit mit alten, verwirrten und senilen Menschen vermittelt hat, wichtig, um zu zeigen, was all jene täglich leisten, die die Pflege übernehmen, weil sie häufig nur zu gerne übersehen werden. 4 Sterne

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Veröffentlicht am 21.10.2021

Liebe in Zeiten des Krieges

Die Übersetzerin
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Aus Angst vor den Nazis wanderte die österreichische Jüdin Hedy aus und lebt seitdem auf der Kanalinsel Jersey. Doch als die Deutschen auch diese in Beschlag nehmen sitzt Hedy in der Falle. Um sich ihren ...

Aus Angst vor den Nazis wanderte die österreichische Jüdin Hedy aus und lebt seitdem auf der Kanalinsel Jersey. Doch als die Deutschen auch diese in Beschlag nehmen sitzt Hedy in der Falle. Um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, bleibt ihr nichts anderes übrig, als eine Stelle als Übersetzerin beim Feind anzunehmen, wo sie stillen Widerstand leistet. So lernt sie auch den jungen Leutnant Kurt kennen und die beiden kommen sich näher. Doch die aufkeimende Liebe bringt nicht nur Hedy in Gefahr.

Die Autorin Jenny Lecoat, deren Großmutter selbst von den Inseln stammt, zeichnet mit ihrem Roman ein eindrucksvolles Bild von der Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg. Natürlich wurden schon unzählige Romane, die im Krieg spielen verfasst, das Schicksal der Kanalinseln und der dort lebenden Bevölkerung war mir bisher jedoch nicht bekannt. Es ist eine Geschichte voller Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Leids, aber auch leisen Widerstands, großer Gefühle und Hoffnung.

Die Gefühle ihrer Protagonisten sind eindrücklich, bewegend und lassen den Leser abtauchen in eine schockierende Zeit, die wir uns heute gar nicht wirklich vorstellen können. Dabei ist Lecoats Schreibstil ruhig, ihre Schilderungen mehr als fair gegenüber allen Beteiligten. Sie zeigt, das, was wichtig ist: Es gibt nicht nur Gut und Böse, es gibt immer etwas dazwischen, das je nach Situation mal zur einen, mal zur anderen Seite tendiert. Da ist der Deutsche Kurt, der eine Jüdin liebt, da ist Hedy die mit vielen Menschen Mitgefühl hat, da sind Deutsche wie Briten, die Menschen schlecht behandeln. Mich hat das nachhaltig beeindruckt.

Auch wenn ich wegen der Beklemmung einige Längen in der Erzählung wahrnahm, ist "Die Übersetzerin" ein wichtiger, wertvoller Roman, vielleicht gerade jetzt, in einer Zeit in der einige wieder verstärkt ihre Einzelinteressen im Vordergrund sehen, anstatt das große Ganze. Daher empfehle ich in gern und vergebe 4 Sterne.

PS: Leider hat - wie ich finde - der Verlag beim deutschen Titel keine gute Arbeit geleistet. Der Originaltitel "Hedy's War" ist sehr viel treffender. Auch das Titelbild passt nicht wirklich.

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Veröffentlicht am 12.10.2021

Lang lebe der Punk!

Pop ist tot
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In den Neunzigern war er der Sänger der österreichischen Punkband "Pop ist tot" und tourte mit seinen Spezln Günther, Bronko und Hansi durch die Lande und lebte, als gäb es kein Morgen. Heute sitzt er ...

In den Neunzigern war er der Sänger der österreichischen Punkband "Pop ist tot" und tourte mit seinen Spezln Günther, Bronko und Hansi durch die Lande und lebte, als gäb es kein Morgen. Heute sitzt er in der wie er es nennt "Hipsterhölle", einer Firma die Social-Media-Kampagnen plant, als einziger Kerl unter lauter Feministinnen und fristet sein spießbürgerliches Dasein. Dann taucht der Günther auf und überredet ihn zu einer Reunion-Tour, um die verlockend-anarchische Vergangenheit als "moderne Nomaden" wieder aufleben zu lassen. Ob das gut gehen kann?

Thomas Mulitzer ist selbst Mitglied einer Punkband. Das merkt man seinem Roman auch an. Er weiß, wovon er schreibt. Bissig, ironisch, rotzig und ein bisschen abgedreht nimmt er uns mit auf einen Road-Trip der besonderen Art, huldigt dem Punk, aber rührt auch an Klischees sowohl in der modernen Spießer- als auch in der anarchischen Punkrock-Welt. Vor allem zu Beginn des Buches beschreibt er so überspitzt die Arbeitswelt von heute, dass einem die Tränen kommen vor Lachen und man gleichzeitig den Kopf schüttelt, weil so viel Wahrheit darin liegt. Der Protagonist ist unzufrieden, der Günther hat sonst nix, ganz klar ist die Reunion eine Flucht vor der Realität. Doch ob der Versuch, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen besser ist? Oder überhaupt möglich? In dem Alter? Mit dieser Frage konfrontiert der Autor "Pop ist tot" und spricht damit auch bitterernste Themen an. Mal melancholisch, mal nostalgisch. Mich hat die ganze Sause sehr gut unterhalten, zum Lachen und zum Nachdenken gebracht, denn auch ich bin in den 90er Jahren aufgewachsen und kann sehr gut verstehen, warum der Protagonist nochmal zurück will. Weil die Bissigkeit des Schreibstils in der zweiten Hälfte etwas nachlässt und das Ende mich nicht wirklich überzeugt hat, vergebe ich 4 Anarchiezeichen, äh Sterne.

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Veröffentlicht am 23.09.2021

Reise in die Gedankenwelt eines Vaters

Reise durch ein fremdes Land
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Tom ist Fotograf. Er hält das Leben anderer Menschen auf Papier fest, immer auf der Suche nach dem perfekten Moment. Doch kurz vor Weihnachten, als ein ziemliches Schneechaos herrscht, bricht er zu einer ...

Tom ist Fotograf. Er hält das Leben anderer Menschen auf Papier fest, immer auf der Suche nach dem perfekten Moment. Doch kurz vor Weihnachten, als ein ziemliches Schneechaos herrscht, bricht er zu einer Reise auf, durch die er nicht nur seinen kranken Sohn zum Fest nach Hause holen will, sondern auch seine Gedanken ordnet und seinen Gefühlen nachspürt, die durch ein tragisches Ereignis aus der Bahn geraten sind. Es wird eine Reise in die Vergangenheit und zu sich selbst, auf der Suche nach Vergebung, Hoffnung und innerem Frieden.

Diese Reise umfasst knapp 200 Seiten, die sich nahezu vollständig im Kopf des Protagonisten abspielen. Gedanken, die die Vergangenheit Revue passieren lassen, die Ehe mit seiner Frau Lorna, die Beziehung zu den Kindern, seiner Arbeit und das Ereignis, das für sie alle, aber besonders für den Vater alles verändert hat. Denn er meint einen Fehler begangen zu haben, von dem er niemandem erzählen kann, er reibt sich daran auf, hat Schuldgefühle. Diese Gedanken sind vom Aufbau her recht realistisch, sie springen hin und her, werden immer wieder vom Navigationsgerät unterbrochen. Es gibt Selbstgespräche, laute und leise und manchmal bildet Tom sich ein, er könne Dinge sehen, die nicht mehr da sind.

Das Ganze klingt vermutlich etwas komisch, hat aber seinen eigenen, besonderen Reiz. Man reist mit Tom in dieses fremde Land und nur nach und nach erfährt man den Hintergrund der Geschichte. Sprachlich ist das Buch wirklich hochwertig, der Autor beschreibt nicht nur die Landschaft draußen in treffenden, anschaulichen Bildern, sondern auch die Seelenlandschaft des Protagonisten. Mit so manchem Gedanken konnte ich mich aber nicht so recht anfreunden und vor allem der letzte Zwischendstopp Toms, war mir zu wirr. Alles in allem jedoch ein ruhiges, lesenswertes Buch.

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Veröffentlicht am 23.09.2021

Geraubte Kindheit

Shuggie Bain
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Shuggie, eigentlich Hugh Bain, wächst im Glasgow der 1980er Jahre auf. Genauer gesagt in der trostlosen Siedlung, die zu einer bereits geschlossenen Kohlezeche gehört. Die Not durch Arbeitslosigkeit ist ...

Shuggie, eigentlich Hugh Bain, wächst im Glasgow der 1980er Jahre auf. Genauer gesagt in der trostlosen Siedlung, die zu einer bereits geschlossenen Kohlezeche gehört. Die Not durch Arbeitslosigkeit ist hoch, die Perspektivlosigkeit der Menschen groß. Shuggie, der anders ist als andere Jungs, muss in der Schule Hänseleien, Spott und Gewalt ertragen. Zuhause erträgt er die Launen seiner alleinerziehenden, alkoholsüchtigen Mutter, die er liebt und beschützen möchte. Doch wie soll ein Kind eine Mutter retten, die nicht gerettet werden will?

Gleich vorne weg, die Geschichte von Shuggie ist schwer zu ertragen. Sehr oft musste ich das Buch weglegen, um den Kopf von den vielen unglaublich traurigen, herzergreifenden auch mal einfach wütend machenden Bildern wieder frei zu bekommen. Man leidet wirklich mit dem Jungen mit. Dabei geht es nicht einmal primär um ihn, vielmehr dreht sich alles um Agnes, seine Mutter, und deren Alkoholsucht, die weitere Probleme nach sich zieht. Shuggie richtet sein ganzes Denken darauf aus, dass seine Mutter, die immer wieder Versprechungen macht, überlebt und so erfährt man seine Ängste, seinen Hunger, seinen Schmerz eher als Nebenprodukt ihrer Sucht.

Sprachlich ist der Text eigentlich sehr nüchtern verfasst. Man findet wenig Rührseligkeit und dennoch ist man involviert und ergriffen und möchte Shuggie einfach da rausholen. Auch die Beschreibung der Gegend ist sehr gelungen, man atmet die staubige Luft der Zechensiedlung und erlebt sie in ihrer ganzen Tristesse. Die Menschen, die dort leben erscheinen vor dem geistigen Auge des Lesers. An die Übersetzung des Slangs, der die geringe Bildung wiedergeben soll, muss man sich allerdings gewöhnen und man muss sie mögen. Mir hat sie das Ganze etwas verhagelt, da ich bei vielen Begriffen eher den Ruhrpott oder gar den deutschen Norden vor Augen hatte. Auch zeitlich konnte ich die Geschichte nur ganz schwer in den 80ern verorten. In meinem Kopf hatte ich eher die 50er/60er vor Augen. Bis auf ein paar Songtitel und die Tatsache, dass es mit dem Bergbau eben erst später bergab ging, wies für mich wenig auf die 80er hin. Das finde ich etwas schade.

Dennoch bin ich manchmal fast zu tief in Shuggies Welt eingetaucht und es war sehr schwer, sich davon wieder frei zu machen, was ich allerdings eher als ein Qualitätsmerkmal verstehe. Das Ende fand ich persönlich sehr gut gewählt und so konnte ich das Buch beruhigt schließen. Die Person Shuggie erhält von mir 5 Sterne, das Gesamtwerk 4. Wer gefestigt ist, sollte sich diesen Roman zumuten.

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