Es war einmal ein Baum
Meine Meinung und Inhalt
Doch kaum sind Mama oder Oma im Raum, lastet die Stille so schwer, dass ich ganz tief Luft holen muss, um nicht zu ersticken. Wenn keiner der drei ein Wort sagt, schnürt sich ...
Meine Meinung und Inhalt
Doch kaum sind Mama oder Oma im Raum, lastet die Stille so schwer, dass ich ganz tief Luft holen muss, um nicht zu ersticken. Wenn keiner der drei ein Wort sagt, schnürt sich mir der Hals zu. Sobald sie mich dann geräuschvoll nach Luft schnappen hören, nehmen sie mit einem gezwungenen Lächeln die Tätigkeit wieder auf, die sie zuvor unterbrochen haben. Aber zu Füßen von Opas Sessel ist es ganz egal, wie laut ich bin, denn die Stille bleibt. Opas Atem geht ruhig, als würde er das Ticken wirklich nicht vermissen." (ZITAT)
»Darf ich mich freuen?« fragt Jan seine Eltern, nachdem er erfahren hat, dass die Großeltern demnächst bei ihnen wohnen werden. Er weiß zwar nicht warum, aber intuitiv spürt er das Unheilvolle in dieser Nachricht. Der Einzug der Großeltern verändert den Alltag der Familie. Plötzlich erhält Gesagtes und selbst das Schweigen eine ganz neue Bedeutung.
Jan und sein Großvater Joan verbringen viel Zeit miteinander. Auf gemeinsamen Spaziergängen bleiben sie oft an Bäumen stehen und der Großvater erzählt von einer Trauerweide, der er als Kind all seine Geheimnisse anvertraut hat. Nach und nach jedoch verändern sich die Gespräche der beiden; der Großvater antwortet nicht mehr auf Fragen und gibt Antworten auf Fragen, die Jan gar nicht gestellt hat. Der Junge erlebt mit, wie der Großvater sein Gedächtnis verliert. Die Trauerweide wird in Jans Fantasie immer mehr zum Anker für das, was bleibt.
Die Kapitel sind aufgeteilt in "Die neue Situation", "Der Buchstabe, der mir fehlt" und "Es war einmal ein Baum". Für mich sind Cover, Titel und die einzelnen Kapitelunterteilungen sehr passend und gelungen gewählt.
Feinfühlig tastet sich Vallès an das nicht ganz einfachen Thema Demenz und schafft es so den Leser auf eine sprachlich großartige, poetische, bewegende und emphatische Reise mitzunehmen. Das Buch, mit seiner nicht einfachen Thematik, konnte mich berühren und bekommt eine klare Leseempfehlung!
Tina Vallès ist 1976 geboren und studierte katalanische Philologie in Barcelona. Sie ist eine mit Preisen ausgezeichnete Autorin, Übersetzerin sowie Mitherausgeberin der digitalen Kurzgeschichten-Zeitschrift Paper de Vidre.Sie hat neben mehreren Romanen auch Kinderbücher veröffentlicht. La Memoira de l’arbre wurde 2017 mit dem Anagram Award ausgezeichnet und in acht Sprachen übersetzt. In Frankreich war das Buch 2020 shortlisted für den Jean Monnet-Preis. Von der spanischen Presse wird Tina Vallès als die »Meisterin der kleinen Form« gefeiert.