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Veröffentlicht am 22.10.2021

Die Welt gehört Every

Every (deutsche Ausgabe)
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„Der Circle“ war gestern. Nun geht es mit „Every“ von Dave Eggers in die zweite Runde. Alte Bekannte, wie Mae Holland, tauchen wieder auf und eine neue Protagonistin betritt die Bühne. Delaney Wells, eine ...

„Der Circle“ war gestern. Nun geht es mit „Every“ von Dave Eggers in die zweite Runde. Alte Bekannte, wie Mae Holland, tauchen wieder auf und eine neue Protagonistin betritt die Bühne. Delaney Wells, eine Technikskeptikerin, fängt bei Every an und hat ein großes Ziel. Die Zerschlagung der Firma von innen heraus. Das Ganze kennt man von „Der Store“. Aber auch, dass alles auf eine Zahl reduziert werden soll - „Alles würde in einer einzigen Zahl subsummiert.“ [480] – kommt einen bekannt vor. Dies wurde auch schon in „Q“ behandelt.
Wie ich bereits schon bei „Der Circle“ geschrieben hatte geht es wieder um die ethische Naivität, den Aufstieg der sozialen Medien und die daraus resultierenden Folgen. Und Dave Eggers greift auch wieder auf einen Satz zurück, den er in seinem vorherigen Werk verwendet hatte: „Die Rechte der Menschen im digitalen Zeitalter.“ [454] Denn um nichts anderes geht es hier.
„Jedes Jahr verbringen wir mehr Zeit damit, uns gegenseitig zu überprüfen, zu beurteilen, mental zu ermorden. Und wir fragen uns, warum die Pillen kontinuierlich stärker werden. Wir sind gefühllos und wollen noch gefühlloser werden.“ [455]
Mir gefällt „Every“ besser als der Vorgänger. Das liegt vor allem am starken Ende. Das hatte das gewisse Etwas, welches ich mir viel mehr von Eggers über weite Strecken des Buches gewünscht hätte.
„Es gibt keine neuen Informationen. Schon seit neun Minuten. Das ist Wahnsinn.“ [346]
Fazit: Der Roman lässt sich gut lesen, zeigt wo wir stehen und wo sich die Gesellschaft hinbewegt. Gerade am Anfang darf man herzhaft schmunzeln, wenn es um Jeff Bezos und seine Firma geht.

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Veröffentlicht am 20.02.2020

Interessant, aber bitte tiefgründiger

Palast der Miserablen
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„Nur ihre Raketen und Bomben kamen aus dem Himmel zu uns.“ [47]
Was hatte ich mich auf diesen Roman von Abbas Khider gefreut, sollte er mich doch in das Land der Schatten und in den „Palast der Miserablen“ ...

„Nur ihre Raketen und Bomben kamen aus dem Himmel zu uns.“ [47]
Was hatte ich mich auf diesen Roman von Abbas Khider gefreut, sollte er mich doch in das Land der Schatten und in den „Palast der Miserablen“ entführen. Shams hat die gleichen Hoffnungen, ist neugierig auf fremde Welten. Aber wie auch bei Shams kam hier alles ein bisschen anders.
„Es bereitete mir eine unendliche Freude, mich von den Schicksalen literarischer Gestalten fesseln zu lassen, ihre intimsten Momente, Sorgen, Ängste und Nöte mitzuerleben oder in fremde Welten entführt zu werden.“ [162]
„Shams, die kleine Leseratte aus Schrottstadt“ [174] ist der Protagonist, in einem Land, welches durch das Regime von Saddam Hussein unterdrückt wird. Dabei sehen wir Shams heranwachsen und in einem zweiten Erzählstrang bekommen wir mit, was es bedeutet, in einem Gefängnis, das eher einer Folterkammer gleicht, zu sitzen. Diese Einschübe finde ich wirklich gut, auch, dass sie mit zunehmender Seitenzahl immer kürzer werden.
Waren die Eindrücke am Anfang, als Shams noch im Süden des Landes lebte, im Hinblick auf sein Alter, gut herausgearbeitet, so ließ die Lesebegeisterung zusehends etwas nach, da mir die Entwicklung des Protagonisten zu kurz kam. Ich hatte gehofft, dass es viel tiefgründiger zu Sache geht, die politischen Geschehnisse besser beleuchtet werden und ja, dass man eine tiefere Einsicht in dieses Land bekommt, wo die Hoffnung auf ein friedliches Leben in den Köpfen der Einwohner sitzt.
„Saddam weiß ganz genau, wie wichtig Literatur für Propaganda ist, und diese rückgradlosen Hosenscheißer von Autoren lassen sich wie Ochsen vor seinen Karren spannen.“ [190]
Leider schrammt die Geschichte nur an der Oberfläche, so dass es nahezu jedes Land aus dem Nahen Osten hätte sein können.
Khider schafft es mit seinem Roman nicht, die Emotionen aus dem Buch hinaus zu transportieren. Die Charaktere bleiben ziemlich blass. Dadurch ist Shams Schicksal lediglich eins von vielen und somit bleibt auch viel Potenzial ungenutzt.
„Wir Iraker waren Ausnahmezustände gewohnt und schüttelten sie schnell ab.“ [283]

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Veröffentlicht am 14.01.2020

angehmer Schreibstil und prickelnde Erlebnisse

Verboten in der Öffentlichkeit - jetzt erst recht | Erotische Bekenntnisse
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Es in der Öffentlichkeit zu tun, ist nicht jedermanns Sache. Die Charaktere in den acht Kurzgeschichten, jeweils ca. 20 Seiten, genießen es in vollen Zügen. Ob Autofähre, Feld, Hinterhof, Balkon, Kirchweih, ...

Es in der Öffentlichkeit zu tun, ist nicht jedermanns Sache. Die Charaktere in den acht Kurzgeschichten, jeweils ca. 20 Seiten, genießen es in vollen Zügen. Ob Autofähre, Feld, Hinterhof, Balkon, Kirchweih, Bar, Campingplatz oder Tierpark, eine Gelegenheit findet sich immer. Und das beschreibt Simona Wiles ansprechend anturnend. In diesem Roman steht die Lust im Vordergrund und die Leser*innen können die Geschichten voyeuristisch verfolgen und genießen.
„Verboten in der Öffentlichkeit“ von Simona Wiles stellt den Akt in den Vordergrund, manchmal sinnlich und dann wieder mal hart, rauschhaft und schwärmerisch.
Der Schreibstil ist flüssig und angenehm. Die Geschichten sind das richtige für ein kurzes Leseabenteuer.

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Veröffentlicht am 19.06.2019

Technik als Sinneserweiterung

Helen und die People of Source
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“Helen und die People of Source” von Jan Schreiber zeigt dem Leser eine nicht allzu sehr entferne Zukunft, deren Anbruch wir jetzt schon spüren. Ein Nanochip, ID-Chip und Neuronenchip werden mit Wasser ...

“Helen und die People of Source” von Jan Schreiber zeigt dem Leser eine nicht allzu sehr entferne Zukunft, deren Anbruch wir jetzt schon spüren. Ein Nanochip, ID-Chip und Neuronenchip werden mit Wasser geschluckt, docken im Körper an und versprechen viele tolle Neuerungen. Ein Austausch von Informationen über einen Funknerv im Kopf ist dabei nur eine Errungenschaft.

Betrachtet man sich die Schlagzeile, dass Facebook Gedanken und Schrift auf dem Computer umwandeln will, so erscheint das Werk gar nicht mal weit entfernt.

Der Schreibstil ist flüssig und man ist sofort im Geschehen. Berichtet wird aus des Protagonisten Sicht, der Ich-Perspektive. In Anbetracht des Umfangs des Buches werden die Charaktere gut beschrieben. Für einen (ausgedehnten) Roman, welcher ggfs. noch aus dieser Basis entstehen wird, müssten diese weiter ausgearbeitet, sowie das Setting feiner gezeichnet werden. Das Buch wirft interessante Fragen auf, die leider nicht alle tiefgehend erörtert werden und reizt das vorhandene Potenzial leider noch nicht ganz aus.

„Die Menschen würden das wirklich Menschliche nicht mehr fassen können.“ [14]

Fazit: Sinneserweiterungen und ihre Folgen. Ein wirklich passendes Cover und noch Luft nach oben.

Veröffentlicht am 12.06.2019

eine Besserungsanstalt?

Die Nickel Boys
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„Das Schlimmste, was mir während meiner Einzelhaft widerfahren ist, widerfährt mir täglich. Das Aufwachen.“ [222]

Colson Whitehead, ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis, bringt mit seinem fiktiven Roman ...

„Das Schlimmste, was mir während meiner Einzelhaft widerfahren ist, widerfährt mir täglich. Das Aufwachen.“ [222]

Colson Whitehead, ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis, bringt mit seinem fiktiven Roman „Die Nickel Boys“ ein nicht leicht verdauliches Werk in unseren Bücherschrank und damit die Themen Missbrauch, Rassismus und allgegenwärtige Gewalt.

„Das Nickel war eine rassistische Hölle – die Hälfte des Personals schlüpfte am Wochenende sicher in die Kluft des Ku-Klux-Klans.“ [113]

„Die Nickel Boys“ ist ein Roman, der einen schockierend mitnimmt. Die oben genannten Themen hat Whitehead zu einem runden Werk verarbeitet. Der Aufbau, das Setting ist klasse. Jedoch blieben mir die Charaktere zu blass. Ich, für meinen Teil, fühlte mich viel zu distanziert. Mehr lies der Schreibstil nicht zu. Auf der einen Seite ist dies gut, dass man sich nicht von der schweren Kost erdrücken lässt, auf der anderen Seite, wäre ich ‚gerne‘ tiefer in das Geschehen abgetaucht. Es fehlen ein paar Emotionen.

„Die Prügel, der Missbrauch, die unbarmherzigen Prüfungen ihrer Person. Sie standen das durch.“ [181]

Der Protagonist Elwood landet mehr oder weniger durch Zufall und fehlendes, ordentliches Verfahren, in einer Besserungsanstalt. Die Hölle auf Erden. Auf mehreren Zeitebenen folgen wir als Leser Elwood und erfahren viel über die damalige Zeit und den Rassismus, welcher auch heute leider immer noch ein vorherrschendes Thema der Gesellschaft ist. Ohne mit dem erhobenen Finger bringt Whitehead seine Themen an den Leser. Auch wenn sein Werk rund geschrieben ist, einen sehr guten Anfang und Ende besitzt, so gab es einige Längen. Zugleich fehlte mir der noch tiefere Blick in das Trauma der amerikanischen Geschichte. So wird viel Potenzial verschenkt.