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Veröffentlicht am 17.09.2020

Inspirierend.

Ein Lächeln sieht man auch im Dunkeln
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Die Münchner Autorin Adriana Popescu bereitete mir mit ihren letzten zwei Erscheinungen aus der jugendlichen Belletristik einige unter die Haut gehende Lesemomente. Ihr Erfolgsrezept: vielschichtige Charaktere ...

Die Münchner Autorin Adriana Popescu bereitete mir mit ihren letzten zwei Erscheinungen aus der jugendlichen Belletristik einige unter die Haut gehende Lesemomente. Ihr Erfolgsrezept: vielschichtige Charaktere und ihre Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und den inneren Kämpfen. Diesen Monat erscheint ihr neuestes Werk "Ein Lächeln sieht man auch im Dunkeln" im cbt-Verlag.

Samuel, Marie und Theo: So heißen die drei Hauptfiguren des vorliegenden Romans. Jede von ihnen besitzt persönliche Probleme, Hoffnungen und Ängste, mit denen sie sich auseinandersetzen. Das macht sie besonders authentisch und greifbar, denn die Sorgen und die daraus resultierende Verletzlichkeit sind jederzeit nachvollziehbar. Wer bin ich; was ist meine Position im Leben; wie wird es durch meine Entscheidungen beeinflusst; wie soll ich weitermachen, wenn tief in mir etwas verletzt wurde – all das sind Fragen, die zum Alltag der jungen Generation dazugehören und die den Leserinnen große Identifikationsfläche bieten.

Die Kapitel sind kurz, der Schreibstil von der ersten Seite an mitreißend: Adriana Popescu weiß genau, wie sie ihr Lesepublikum in den Bann schlagen kann. Sie ermöglicht jederzeit einen Perspektivwechsel und somit den steten Einblick in die innere Handlung der Protagonisten. Somit fühlte ich mich rasch in die Geschichte involviert und konnte mich gut mit dem Figurenensemble sympathisieren.

Zudem hält die Autorin den Leser
innen geschickt Hintergrundinformationen vor, um sie am Ball zu behalten und die Aufmerksamkeit auf sich zu richten: Das wirkt, man*frau möchte das Buch überhaupt nicht mehr loslassen, ehe man hinter die Geheimnisse der Figuren gekommen ist. Im weiteren Verlauf wird die Bedeutsamkeit von Entscheidungen deutlich, die oftmals den Menschen und sein Umfeld langfristig prägen. Die vielen Orts- und Personenwechsel machen die Handlung zusätzlich kurzweilig.


Durch genau beobachtete Details verdeutlicht Popescu in ihrem neu erschienenen Roman die Liebe und Fürsorglichkeit unter den einzelnen Figuren. Die drei Hauptfiguren machen einen großen inneren Prozess durch, dessen Verlauf oft sehr glaubwürdig erscheint. Es gibt starke Fortschritte, ja, aber auch viel Scheitern, viele Rückfälle und resignierende Momente. Für mich stach Theo trotz seines geistig instabilen Zustands durch seine bewundernswerte Selbstreflektion heraus: Ihm sei bewusst, dass sich seine Familie manchmal wie Sisyphos fühlen muss, wenn sich seine Panikattacken mal wieder, zu oft wiederholten.

Genau hier gerät die Handlung jedoch teilweise in eine spannungsarme Flaute: Sie dreht sich einige Male zu oft im Kreis und bremst somit das Erzähltempo aus. Ja, diese Repititivität kann auch stilistisch das eigene Scheitern darstellen. Dann hätte ich mir aber gewünscht, dass die Autorin etwas aus der üblichen Struktur ausbricht und auch mal den recht vorhersehbaren Pfad überraschend verlässt. Viele Entwicklungen und Verbindungen sind dann doch zu berechenbar: Fünfzig bis hundert Seiten weniger hätten dem Buch gut getan.

Letztendlich kann ich euch das Buch trotz der Schwächen im letzten Drittel uneingeschränkt ans Herz legen: "Ein Lächeln sieht man auch im Dunkeln" ist ein warmherziges Plädoyer für menschlichen Zusammenhalt und Rücksichtnahme. Es ist okay, Fehler zu begehen, Hilfe zu brauchen und zu scheitern – und mit genau dieser inspirierenden Botschaft legitimiert Adriana Popescu mit erzählerischer Leichtigkeit die persönliche Unvollkommenheit. Wichtig ist es, sich mitzuteilen, um nicht von der Schwere der eigenen Sorgen erdrückt zu werden.



«Ein Lächeln sieht man auch im Dunkeln»
zeigt einfühlsam, dass es okay ist, sich Hilfe zu holen und nicht weiter weiß. Dass es auch okay ist, mal falsche Entscheidungen zu treffen. Eine sehr inspirirerende Lektüre!

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Veröffentlicht am 28.07.2020

Selbstständige und überzeugende Fortsetzung!

Find Me Finde mich
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Begeben wir uns auf die Reise in das Italien der 1980er-Jahre. Frisches Obst, kühles Meerwasser, selbstgepresster Aprikosensaft, warme Eier zum Frühstück, idyllische Plätze in der Natur, Worte auf Pergament, ...

Begeben wir uns auf die Reise in das Italien der 1980er-Jahre. Frisches Obst, kühles Meerwasser, selbstgepresster Aprikosensaft, warme Eier zum Frühstück, idyllische Plätze in der Natur, Worte auf Pergament, Noten auf Linien, Kunst im Kopf und im Herzen, Liebe in der Brust, Sommer im Nacken. Der Jugendliche Elio genießt tagtäglich die Trägheit des Sommers, die Anwesenheit seiner Familie, die Musik in seinen Adern. Aber er weiß nicht, wer er selbst ist. Was er möchte, was nicht.

Er trifft auf Oliver, der die Begeisterung für Kunst teilt, und denkt, in ihm das verborgene Teil seiner selbst gefunden zu haben, das letzte Puzzlestück, das letzte Buchkapitel, die letzte Abzweigung auf dem Pfad zu sich selbst. Zunächst stößt er aber auf Abweisung, Distanziertheit, Kühle.

„Find me“. Sie finden sich, vereinigen sich, eng umschlungen, ineinander, füreinander, miteinander, gegeneinander, übereinander, aber einander. Sie finden sich, denn Gleiches zieht sich an, die Sehnsucht ist gestillt, wie ein knurrender Magen nach einer Schale Obstsalat. Was gesehnt, ist neben, über, in dir, was gesucht, gefunden. Und doch ist es ein ewiges Spiel des Festhaltens, Nichtloslassenkönnens und der ewigen Suche. Und der Bedeutungslosigkeit der Gegenwart, wenn man selbst Zeuge einer größeren Magie, einer größeren Leidenschaft war und ich selbst mehr ich selbst bin als alleine. Man muss sich nicht nur finden, sondern festhalten und nicht loslassen.


Die Erwartungshaltung gegenüber dem vorliegenden Werk ist unwahrscheinlich hoch, erreicht sein Vorgänger "Call Me By Your Name" für mich fast schon den Status eines zeitgenössischen Klassikers. Das Buch und der dazugehörige Film erweckt mit seinen poetischen Tönen eine Uremotion ganz tief in meiner selbst, die sonst im Verborgenen bleibt. Es ermutigt mich, homosexuelle Erotik zu lesen, die nicht billig, sondern mit jedem seiner Worte sinnlich und ehrlich ist.

Mit "Find Me" kann das Lesepublikum wieder in die Grundhandlung eintauchen und die Fortsetzung ist dabei glücklicherweise eigenständig genug, um nicht überflüssig zu erscheinen. Wir treffen wieder auf bekannte Figuren und vertraute Orte, wechseln aber häufiger die Perspektive und können so über den Tellerrand eines "Call Me By Your Name" hinweg schauen.

Der Schreibstil ist nach wie vor atemberaubend und transportiert authentisch die Liebe für die Musik, die Kunst, den Menschen, den Körper und den Moment. Oft trifft das Werk den zeitlosen Ton, die spannenden philosophischen Ansätze und die erzählerische Ruhe, die für Aciman so charakteristisch sind. Dem Ende wohnt ebenfalls diese Intensität, die Stimmung und süße Melancholie inne, die diese Geschichte so magisch machen.

Mit seinen gerade einmal knapp dreihundert Seiten ist "Find Me" erstaunlich kurzweilig. Durch den novellen- bzw. kurzgeschichtartigen Charakter wird das erzähltechnisch flotte Tempo noch befeuert. Das Buch ist in vier Teile aufgesplittet, die sich einer vertrauten Figur widmen, die neue Menschen kennenlernen, neue Beziehungen eingehen, neue Orte für sich entdecken, innerlich aber noch immer ähnliche Sehnsüchte, Hoffnungen und Verlangen wie all die Jahre zuvor besitzen. Immer wieder entstehen dabei anregende und besondere Dialoge zwischen Personen, die ungleicher nicht sein könnten. Somit sympathisiert sich der Autor mit allen "Liebe ist Liebe"-Slogans, entgegen aller gesellschaftlichen Vorstellungen und Konfessionen.

Insgesamt ist der Handlungsverlauf jedoch über weite Strecken nur wenig überraschend. Die Entwicklung der Familie wird etwas vernachlässigt; die Frage, wieso genau sie auseinanderbricht, bleibt ungeklärt. Die Möglichkeit, zum ersten Mal auch aus der Ich-Perspektive von Oliver zu berichten, lässt leider ungenutztes Potenzial liegen. Somit erreicht das vorliegende Werk oftmals nicht die emotionale Tiefe von "Call Me By Your Name".


«Find Me»
ist eine selbstständige und überzeugende Fortsetzung zum Sommerbuchs des Jahres – wer Elio und Oliver liebt, wird mit diesem Buch seine helle Freude haben!

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Veröffentlicht am 27.08.2018

„Kopf aus, Herz an“ ist ein lesenswerter und verkorkster Liebesroman, der Spaß macht und inspirieren kann.

Kopf aus, Herz an
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Stell dir vor, am Tag deiner Hochzeit würde dein zukünftiger Ehepartner dich allein vor dem Traualtar stehen lassen – ein wahres Albtraumszenario, nicht wahr? In dem Liebesroman „Kopf aus, Herz an“ von ...

Stell dir vor, am Tag deiner Hochzeit würde dein zukünftiger Ehepartner dich allein vor dem Traualtar stehen lassen – ein wahres Albtraumszenario, nicht wahr? In dem Liebesroman „Kopf aus, Herz an“ von Jo Watson muss Protagonistin Lilly genau diesen Angsttraum durchleben. Das Cover, der Buchtitel und der Klappentext lassen eine romantische, tiefsinnige Liebesgeschichte erahnen – warum vorliegendes Werk letztendlich doch so viel mehr ist als nur das und welche weiteren Leseeindrücke ich während der Lektüre gewonnen habe, erfährst du in der folgenden Rezension.



Autorin Jo Watson gestaltet den Einstieg in ihr Werk unmittelbar, sodass man sich als Leser direkt im Szenario wiederfindet. Ein zügig eintretender Lesefluss ist daher garantiert. Ähnlich gestaltet sich die Einführung der Protagonistin Lilly, aus deren Ich-Sicht erzählt wird. Man lernt sie selbst erst neu kennen, mit dem Mangel an vorgeschichtlichen Hintergründen. Dies hat zum Effekt, dass man ihr, wie Damien auch, ohne Wissen über die Figur begegnet – und die Liebesgeschichte auf einem ganz anderen Level mitverfolgen kann.



Dabei ist „Kopf aus, Herz an“ viel mehr als „nur“ ein typischer Liebesroman: Es ist ein Roadmovie, eine verkorkste und herrlich amüsante Geschichte. Unzählig viele verrückte Aspekte machen die Handlung zu einem wahren Lesegenuss. Die Entwicklung, die Lilly dabei durchmacht, ist genauso glaubwürdig wie inspirierend. Dabei stimmt die Chemie zwischen ihr und Damien völlig, sie ergeben ein spontanes und zum Brüllen komisches Team.



Die Reise nach Thailand, wie sie in vorliegendem Buch thematisiert wird, ist eine Fülle von farbenfrohen und abwechslungsreichen Ideen. Dabei kommt es hier auch gar nicht auf die Realitätsnähe an – es ist vollkommen klar, dass sich eine solche Geschichte im echten Leben wahrscheinlich nicht so ereignen würde. Aber der Roman nimmt sich selbst nicht zu ernst.



Das liegt wahrscheinlich an dem Schreibstil, den Jo Watson in ihrem Werk an den Tag legt. Lange schon habe ich nicht mehr eine so humorvolle Ausdrucksweise in einem Buch erlebt. Gekonnt interagiert die Autorin mit ihren Lesern, spiegelt gleichzeitig passend die Charakteristika der Hauptfigur wieder. Trotz dieser witzigen Schreibweise kommen tiefgründige und nachdenkliche Gedankenstrukturen nicht zu kurz, die uns eine Botschaft mit auf den Weg geben, die man so schnell nicht vergessen wird. Ein lebensfrohes Gefühl, das während der Lektüre aufkommt, werde ich noch lange mit „Kopf aus, Herz an“ in Verbindung bringen können.



Schade – ja, fast bedauerlich – finde ich in Anbetracht dessen, wie überzeugend der Roman angefangen hat, dass er auf den letzten Seiten stark an Fahrt verliert und in einer Nullachtfünfzehn-Handlungsschiene landet, deren Weiche man hier nicht hätte umstellen müssen. Leider hat man das aber schon recht lange kommen sehen, da der gesamte Liebesroman auf dieses Ende hin ausgerichtet wurde. Der zu gefühlsduselige Schlussteil möchte nicht so ganz schmecken.



Wenn man mich nach Beendigung der Lektüre fragen würde, ob ich „Kopf aus, Herz an“ weiterempfehlen kann, dann gibt es viele Aspekte, die mich zu einer eindeutigen Antwort verleiten: „Ja!“. Der Klappentext, der Titel (welcher im Englischen um Einiges passender ist) und das Cover mögen nicht ganz passend sein und die Leser auf eine andere Fährte locken als die letztendliche, die sie in dem Buch erwartet, aber der Auftakt zur „Destination Love“-Reihe (obwohl mir nicht bewusst war, dass dies eine ganze Reihe werden würde – jedoch beschäftigen sich die nächsten Bände größtenteils mit anderen Liebespaaren) kann mit einer abwechslungsreichen, verrückten und absolut spaßigen Handlung aufwarten, die das Buch zu einem richtigen Lesegenuss macht.



Fazit:

„Kopf aus, Herz an“ ist ein lesenswerter und verkorkster Liebesroman, der Spaß macht und inspirieren kann. Über das nicht ganz schmackhafte Ende kann man hinwegsehen, sodass das jeder, der sich nach der Rezension angesprochen fühlt, hier ein Buch entdecken kann, das man nicht so schnell mehr vergisst.


Gerne vergebe ich vier von fünf möglichen Sternen.

Veröffentlicht am 27.10.2021

Shakespeare in Berlin – ein Plädoyer für queeres "Lieben und Lieben-lassen"

Und du fliegst durch die Nächte
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Ein weit gereister Sunnyboy verliebt sich in einen gefeierten Techno-DJ, vor der Kulisse Berlins. Eine dualistische und queere Liebesgeschichte im romantisch-pathetischen Mantel – eine Kritik zu "Und du ...

Ein weit gereister Sunnyboy verliebt sich in einen gefeierten Techno-DJ, vor der Kulisse Berlins. Eine dualistische und queere Liebesgeschichte im romantisch-pathetischen Mantel – eine Kritik zu "Und du fliegst durch die Nächte"

Dualismus zwischen Charakteren à la „Romeo und Julia“ als Ausgangspunkt
„Und du fliegst durch die Nächte“ ist Shakespeare in Berlin, die Verschiebung einer weltbekannten Tragödie in die Gegenwart: Sophie Bichon erzählt die Geschichte von Romeo und Julius, die sich vor einem Techno-Club treffen und deren Wege sich fortan magnetartig überschneiden. Der eine ist ein extrovertierter und stets optimistischer Weltenbummler – der andere ein in sich gekehrter DJ, der im internationalen Rampenlicht steht und den Drogen- und Alkoholprobleme quälen.

Durch die Namensgebung und mehrere explizite „Romeo, o Romeo“-Zitate schafft die Autorin einen überbetonten Bezug zu dem Buch, das sicherlich viele ihrer Leser*innen bereits in der Schule analysierten. In „Romeo und Julia“ ist es der soziale Dualismus beider Charaktere, der ihrer Liebe im Weg steht; genau dieser erzählerischen Struktur folgt Bichon auch im vorliegenden Werk. Während die eine Figur kometenhaft aufzusteigen und ihr Leben im Griff zu haben scheint, leidet die andere Person – trotz oder gerade wegen des Partners. Durch die beiden Playlists, die beide Liebende füreinander erstellen und die auf Spotify abrufbar sind, kann das Lesepublikum den Widerspruch zwischen beiden Protagonisten noch tiefer begreifen.

Kluge Dialoge in der Auseinandersetzung mit sexuellen Identitäten
Diese stur verfolgte Divergenz beider Handlungsverläufe bietet nur wenige Überraschungen; schon nach dem Klappentext sind weite Strecken des Plots vorhersehbar. Zugleich bietet sie interessante Ausgangspunkte für die Auseinandersetzung mit der eigenen sexuellen Identität: Julius hat sich über die Jahre hinweg ein stärkendes, liebendes Umfeld geschaffen und einen offenen Umgang mit seiner Homosexualität gelernt; Romeo hingegen schlug mit seinem Coming-Out als bisexueller Mann Ablehnung und physische Gewalt entgegen. Konfrontieren sich beide Figuren mit ihren Ängsten, entstehen klug formulierte Dialoge, die großes Identifikationspotenzial für queere Menschen und zugleich Handlungsvorschläge für Mitmenschen bieten.

Aufarbeitung von inneren Wunden gerät zu oberflächlich
Die Aufarbeitung von Romeos Drogenabhängigkeit und dem (teils) suizidal anmutenden Wunsch, sich fallen zu lassen, gerät hingegen zu schnell und oberflächlich. Die schrittweise Analyse und Auflösung dieser ernstzunehmenden inneren Wunden werden verhältnismäßig schnell „abgefrühstückt“ und in ein emotional verklärtes letztes Kapitel gequetscht. „Und du fliegst durch die Nächte“ lässt sich viel Zeit, schöne (gefühlsduselige) Worte zu verlieren und von den Charakteren einzufordern, auch die Hässlichkeit des Lebens auszusprechen – und löst diesen Kompromiss an dieser Stelle selbst nicht ein.

Bichons Schreibstil ist inbrünstig und gut beobachtet
Sophie Bichon schreibt sinnlich, gut beobachtet, intim, nahbar, durch und durch romantisch – in ihren Worten emotionalisiert sie mit einer bewundernswerten Inbrunst die Stadt Berlin, den gegenwärtigen Moment, das Kleine und dennoch Bedeutsame. Das Knistern zwischen Julius und Romeo ist zu spüren, während man sich Seite für Seite tiefer in Bichons optimistische Liebeshöhle einlullt.

Ein goldener Instagram-Filter über der Wirklichkeit
Dabei gibt sich die Autorin so sehr einer überbetonten Überromantisierung hin, dass die Grenzen des Realistischen ausgehebelt werden: Es ist, als würde sie einen goldenen Instagram-Filter über die Welt legen, der jeden Moment im perfekten letzten Sonnenlicht des Tages erstrahlen lässt. Diesen pathetischen Schreibstil und die exorbitante Gefühlsduseligkeit muss man mögen – in dem vorliegenden Werk ist nur selten Platz für subtile Töne à la „weniger ist mehr“.

Wer sich aber auf diese Prämisse einlässt und dieser angenehm leichten Illusion hingibt, kann auf knapp 500 Seiten Romeo und Julius kennen und lieben lernen und möchte sofort nach Berlin ziehen. Bei der vorliegenden Lektüre handelt es sich um den zweiten Band der „Love Is Love“-Buchserie; trotzdem lässt sie sich ohne Vorwissen über den vorherigen Teil genießen. Mignon und Lilou, die Hauptfiguren von „Und ich leuchte mit den Wolken“, können hier dennoch mit einem zuckersüßen kurzen Auftritt glänzen.

Fazit
Letztendlich ist „Und du fliegst durch die Nächte“ ein überzeugendes, wenngleich kitschiges Plädoyer für queeres „Lieben und Lieben-lassen“. Ich freue mich auf den dritten und abschließenden Band.

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Veröffentlicht am 03.05.2021

Nimmt wichtige Aufklärungsarbeit wahr, ohne belehrend zu wirken!

A New Season. My London Dream - My-London-Series, Band 2
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Die Suche nach der eigenen Geschlechtsidentität, der schmerzliche Verlust der besten Freundin, eine florierende Beziehung und vor allem Blumen, Blumen und Blumen – das alles gibt Marnie Schaefers neuestem ...

Die Suche nach der eigenen Geschlechtsidentität, der schmerzliche Verlust der besten Freundin, eine florierende Beziehung und vor allem Blumen, Blumen und Blumen – das alles gibt Marnie Schaefers neuestem Roman „A New Season: My London Dream“. 🌺

Queere Repräsentation ist auch 2021 weiterhin wichtig 🏳️‍🌈
Queere Geschichten sind deshalb so wichtig, weil sie vielen Menschen Identifikationsfläche bieten. Ihnen aufzeigen, dass sie mit ihren Coming-Out-Geschichten nicht alleine sind und keinesfalls abnormal. Sie können in einem Meer von Unsicherheiten und Schamgefühlen ein anonymes Gefühl des Verstandenwerdens geben, wie eine beruhigende Stimme, die dir zusichert, dass du nicht alleine bist.

Andererseits leisten sie aber für einen Großteil der Lesenden auch Aufklärungsarbeit: Auch im Jahr 2021 ist es für viele LGBTIQ-Personen alles andere als einfach, sich zu outen und jedwede Sexualität, die von der Hetero-Norm abweicht, einzugestehen. Die große Angst: Von außen nicht akzeptiert zu werden, Abstoßung und Diskriminierung zu erfahren. Queere Werke ermutigen Leserinnen aller Art dazu, sich in die fiktiven Personen auf ihrer Suche nach Geschlechtlichkeit und Sexualität hineinzuversetzen. Ihre Zweifel, Ängste und Hoffnungen nachzuempfinden.

„A New Season“ leistet Aufklärungsarbeit, ohne belehrend zu sein 🏳️‍⚧️
„A New Season: My London Dream“ kommt diesem Auftrag nach, ohne belehrend zu wirken: Das Buch bietet einen umfassenden Einblick in das Innenleben von Vincent. Er studiert in London, arbeitet leidenschaftlich in einem Blumenladen und ist trans. Wir begleiten ihn auf seinem gesamten „Passing“-Prozess und werden Zeugen seiner Ängste, Zwänge und Überwindungen. Das ist sehr eindrucksvoll, denn seinen Kampf muss Vincent auf so vielen Ebenen führen: mit sich selbst, mit seiner Familie und den Freundinnen, mit seinem gesamten Umfeld.

Da die Hälfte des Romans aus seiner Perspektive verfasst ist, konnte ich ein enges Band zu dem Protagonisten entwickeln und fieberte mit ihm mit. Seine Triumphe und persönlichen Erfolge beflügeln mich ebenso wie mich einzelne Beleidigungen und Anfeindungen erschüttern und wachrütteln. In meiner links-grün-versifften Filterblase auf Instagram vergisst man schnell: Homo- und Transphobie sind auch heute noch Teil unseres Alltags.

Leichter Schreibstil, wenngleich etwas überraschungskarg 😉
Marnie Schaeffers schreibt locker und leicht, man fliegt förmlich durch die Seiten. Als angenehme Lektüre für Zwischendurch besitzt „A New Season“ das genau richtige Erzähltempo. Doch lässt sich der Autor auf über 500 Seiten erstaunlich viel Zeit, seine Handlung auszuschmücken: Das Buch verlässt vorhersehbare Pfade nur selten, der gesamte Spannungsbogen fühlt sich sehr „straight forward“ an – hier ist nur selten Platz für Überraschungen.

Neben Vincent als stark ausgearbeiteter Protagonist wirkt Tracey teils etwas glattgebügelt. Dennoch versucht sie ihm durchweg mit ihrer niedlichen Naivität und durchgehenden Freundlichkeit einen reibungslosen Einstieg in ein tolerantes Umfeld nach seinem Coming-Out zu ermöglichen. Sie setzt sich an den richtigen Stellen für ihren Partner ein, das rührt mitunter sehr. Auch einige Nebenfiguren sind teils etwas oberflächlich geraten. Die immer wiederkehrenden Blumen sind ein rührendes Detail, das die Begeisterung des Autors für die Floristik unter Beweis stellt.

Ende lässt mich etwas zähneknirschend zurück 😬
So ist es vor allem das Ende, das mich etwas zähneknirschend zurücklässt: Durch das abgehackte Ende werden wichtige Schlüsselpunkte in der persönlichen Entwicklung der Figuren ausgeklammert, ja, fast schon lieblos „abgefrühstückt“. Im Folgenden einige Beispiele (Vorsicht, etwaige Spoiler!).

Wie genau geschieht die Wiederannäherung an die intoleranten Eltern, wie durchstehen die beiden Hauptfiguren ihre innere Zerrissenheit nach der Trennung, wie ergeht es Vincent mit weiterführenden geschlechtsangleichenden Operationen in seinem Körper? Hier fühlte ich mich als Lesender etwas im Stich gelassen.


Fazit 🤌🏻
„A New Season: My London Dream“ ist etwas zu kitschig und lang geraten – und nimmt gleichzeitig einen wichtigen Aufklärungsauftrag wahr, ohne belehrend zu wirken. Das Werk unterstreicht die Wichtigkeit queerer Repräsentation in der heutigen Literatur.

3,5/5 Sterne ⭐️

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